Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten um?

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hansa
Beiträge: 12
Registriert: 14. Nov 2020, 21:12

Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten um?

Beitrag von hansa »

Ihr Lieben!

Ich bin heilfroh seit einigen Monaten aus der schweren Depression raus zu sein. Blöderweise ist mir die dauernde Depersonalisation und Derealisation geblieben und ich denke es hängt damit zusammen, dass ich noch nicht ganz darauf vertrauen kann dass es mir jetzt wirklich besser geht.
Die Grauen einer schweren Depression brauche ich ja nicht erklären, aber mich würde sehr interessieren wie ihr das verarbeitet?
Ich habe das Gefühl dass ich für mich da noch keinen guten Weg gefunden habe. Irgendwie drücken mich die Erinnerungen, manchmal schiebe ich sie weg, manchmal überwältigen sie mich mit einem Gefühl von Hilflosigkeit, manchmal habe ich den Drang alles bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren.
Ich hab das Glück dass ich schon lange einen Therapeuten habe, dem habe ich auch alle Erlebnisse erzählt als sie passiert sind. Jetzt fragt er manchmal welche Erinnerungen mich belasten, aber ich kann mich nicht durchringen das zu besprechen.

Und eins würde ich noch gerne hören: ich bin mir sicher ich bin nicht allein, aber einmal „ja hier!“ würde mir sehr helfen. Hat wer von euch erlebt dass man nicht mehr sprechen kann? Mein Körper war oft wie festgeforen, blöd aber erträglich. Aber manchmal wollte ich wirklich wirklich dringend was sagen, um Hilfe bitten, zb. dass ich dringend auf Toilette muss und Hilfe dafür brauche oder dass ich fürchterlich Durst habe. Mir ist das in solchen Situationen ums verrecken nicht über die Lippen gekommen, gar nicht aus scham oder so, sondern nur die Vorstellung die Kraft aufzubringen ein einzelnes Wort auszusprechen hat mich so fertig gemacht dass ich nur noch mehr Kraft verloren hab.

Und falls gerade eine Person liest der es gerade schlecht geht: ich war mir sicher dass mein Leben nie mehr gut wird. Es ist immernoch fürchterlich anstrengend, aber ich finde leben jetzt sehr oft gut.

Grüße und Umarmungen zu euch allen, haltet durch!
Gartenkobold
Beiträge: 2098
Registriert: 9. Jul 2020, 09:26

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo Hansa,

"ja hier". Die Derealisation und Depersonalisation sind auch wesentlich besser.

LG und einen schönen Abend
Gartenkobold
hansa
Beiträge: 12
Registriert: 14. Nov 2020, 21:12

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von hansa »

Danke! Das hilft wirklich.

Dir auch einen guten Abend
Lavendel64
Beiträge: 553
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo,
keine schwere, aber eine mittelschwere Depression, rezidivierend. Ich kenne das. Dieses Vertrauen in sich selber, in Gedanken und Gefühle (die während der Depression ja fehlgeleitet sind) muss erst zurück kommen.

Ich fühlte mich nach der Klinikzeit irgendwann besser, aber konnte nicht mehr einschätzen, was ich kann und was nicht. Ich war übervorsichtig, das Selbstbewusstsein irgendwo vergraben. Die Angst, zurückzufallen, war übermächtig. Es fehlte die Balance, das Gefühl dafür, was geht und was nicht.

Das besserte sich mit der Zeit (die "schlimme" Phase ist nun 8 Jahre her), inzwischen würde ich behaupten, dass ich mich sehr gut kenne und wirklich viel gelernt habe.

Diesen Drang zu rekonstruieren und zu analysieren kenne ich, habe ihn aber als hilfreich empfunden.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
hansa
Beiträge: 12
Registriert: 14. Nov 2020, 21:12

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von hansa »

Hallo Lavendel,

vielen Dank für deine Antwort! Das ist schön zu hören, dass es dir besser geht und du wieder gut mit dir selbst zurecht kommst.

Ich werde auch immer besser darin meine Bedürfnisse rechtzeitig zu erkennen und richtig einzuschätzen wie viel Kraft ich gerade habe. Das womit ich Schwierigkeiten habe ist mit den Erinnerungen an die schlechte Zeit umzugehen. Mir geht es schlecht wenn mir was einfällt was da passiert ist (zb nicht sprechen können) und dann denke ich mir so ey, mach dir nicht in die Hose, das ist jetzt vorbei. Aber wirklich hilfreich ist das irgendwie nicht. Du schreibst rekonstruieren hat dir geholfen, wenn du magst, kannst du mir das genauer erklären wie dir das geholfen hat?

Viele Grüße und einen schönen Sonntag!
Lavendel64
Beiträge: 553
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo Hansa,
gern. Ich bin ein Mensch, der viel durch Schreiben verarbeitet. Ich habe nach meinem "Absturz" begonnen, ein Tagebuch zu führen. Das habe ich immer wieder zur Hand genommen, nachgelesen - wie war das damals. Und habe daraus Kraft gezogen und die Erkenntnis, welche Situationen ich bereits gemeistert hatte. Wenn es mir heute schlecht geht, hilft mir die Erinnerung daran, wie es "damals" war und dass ich damit klar gekommen bin. Es half auch, zu reflektieren, was mir gut getan hat, denn das habe ich mit aufgeschrieben. Man lebt ja weiter und vergißt, wie hilfreich es z.B. sein kann, einen Baum zu umarmen, die Rinde zu spüren, die Wurzeln, die ihn fest und sicher in der Erde halten. So was in der Richtung.

Das Tagebuch führe ich weiter, aber mit größeren Zeitabständen - in der Zeit habe ich übrigens gelernt, diese Phase mit Klinik und 9 Monaten AU als Teil von mir zu sehen, als Teil meines Lebens, für den ich tatsächlich ein wenig dankbar bin. Er hat mich sensibler für mich selber gemacht, das wäre sonst nicht geschehen. Ich weiß, dass da etwas ist, das mich warnt und das ich beachten und vor allem ernst nehmen muss.

Meine Therapeutin hat mir übrigens etwas sehr Hilfreiches mit auf den Weg gegeben, als ich zu panisch vor Rückfällen reagiert habe. Es ist nicht sofort eine Depression, wenn es nicht mehr läuft. Seitdem bezeichne ich es als Überlastung. Beachte ich sie nicht, kann es sich zu einer Episode auswachsen, muss aber nicht. Aber es liegt an mir selbst, das zu beurteilen. Je öfter solche Warnhinweise kamen (also in gewissen Zeitabständen), desto sicherer wurde ich in der Beurteilung. Inzwischen kenne meine Familie es, wenn ich mich mit den Worten "out of order" auf das Sofa lege. Das ist meine Art, mit Überlastung umzugehen. Irgendwann stehe ich schon wieder auf und da muss ich mich nicht überwinden. Das ist eine gewisse Automatik.

Was mir übrigens auch sehr geholfen hat, war eine Art Zeituhr. In verschiedenen Farben wurde in die Uhr eingetragen, wie ich den Tag verbracht habe, um zu analysieren, wieviel "Ich-Zeit" eigentlich im Tag steckt. Also schlafen/Abeit/Familie/Haushalt in unterschiedlichen Farben und dazu dann die Zeiten, in denen ich für mich da war. Das bringt sehr viel Klarheit.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Gartenkobold
Beiträge: 2098
Registriert: 9. Jul 2020, 09:26

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo Hansa,

so gehts mir auch. Das Schlimmste ist vorbei, aber alleine die Erinnerung daran was so passiert ist...Ich wäre fast tod (Suizialität, ganz konkrete Pläne, teilweise umgesetzt) und aufgrund niedrigen Körpergewichts in Ohnmacht gefallen, gefunden hat mich so keiner...Irgendwann bin ich dann wieder aufgewacht und habe wieder gegessen. Das nicht nur ein paar Wochen, sondern vier Monate in einer fremden Stadt ohne soziales Umfeld, von professionellen Helfern kam keine Rückmeldung. Ich hätte mich an eine Notaufnahme wenden können, da arbeitete aber mein Chef und ich wollte meinen Job behalten. Solche Erinnerungen?
Nicht sprechen zu können das geht bei mir. In der Derealisation bin ich vier Jahre rumgelaufen und kannte gar keinen anderen Zustand mehr. Ich habe meinen Körper nicht wahrgenommen, zum Glück damit auch keine Schmerzen, dafür war mir immer übel, dann habe ich eben nix gegessen. Ich habe immer weiter funktioniert, weil es ja keine Hilfe gab. Bis es nichts mehr ging...
Wie gehe ich damit um. Durch eine Art Grounding. Die Kleidung, die ich damals getragen habe gibt es nicht mehr, ich habe 15 kg zugenommen und passe nicht mehr rein :-). Also muss Zeit vergangenen sein...Die Möbel (habe nicht viel Schrank, Tisch, Bett...) von damals habe ich nicht mehr, die Wohnung weitab vom Schuss auch nicht mehr. Also muss Zeit vergangenen sein. Mein einsamer Vogel, das alles mit mir durchgestanden hat und dort vor Einsamkeit die Wände angeschrien hat (bis sie still wurde, wie ich, denn das brachte nix) der hat nun Gesellschaft von Artgenossen und auf die alten Lebenstage eine echte Partnerschaft.
Die Freunde, die mich damals unterstützt haben, die sind noch da und von denen weiß ich es sind wirkliche Freunde!
Durch Zeichen, dass das Leben weitergeht und sich Sachen verändern.
Ich kann wieder Laufen, Sport machen, ich treffe eine Nachbarin zur Gartenarbeit (dort gab es nur einen Balkon). Ich habe Freunde aus der Traumaklinik (Soldaten und Polizisten, die meisten sind in Rente oder im Innendienst) aber auch bei Ihnen geht das Leben weiter, sie haben Partner, manche Kinder. Sie haben sich zeitlich, gedanklich und vom dem (Arbeits)Umfeld entfernt, welches sie daran erinnert, was ihnen passiert ist.
Durch meine beiden Wahlnichten, sie sind jetzt Schulkinder und ordentlich gewachsen. Durch Anker in der Zeit, die man sich sucht und die keinen Bezug zur Vergangenheit haben aber zur Gegenwart, bzw. die sich verändert haben und mir zeigen, dass Zeit vergangenen ist.

LG Gartenkobold
Katerle
Beiträge: 11383
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von Katerle »

Hallo hansa,

sowas hatte ich auch damals, als ich erkrankte, dass ich nicht mehr sprechen konnte, keinen Appettit mehr hatte und null Kraft mehr. (hatte Angst zu sterben... und noch dazu kleine Kinder...)
Habe auch schon einiges an Therapien hinter mir und meine letzte Therapeutin ist auch ne ganz nette.
Letztens kam mal wieder in einem Gespräch eine schlimme Situation zum Vorschein und ich war den Tränen nahe. Ich ließ sie zu und war auch für einen kleinen Moment traurig und fühlte mich wieder so hilflos, wie das kleine M. damals... Aber dann erinnerte ich mich an die schönen Momente, die ich heute erleben darf und das gibt mir Kraft, weiter zu machen...

Umarme dich auch und alles Gute,
Katerle
Zuletzt geändert von Katerle am 28. Mär 2022, 06:55, insgesamt 1-mal geändert.
hansa
Beiträge: 12
Registriert: 14. Nov 2020, 21:12

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von hansa »

Vielen herzlichen Dank für eure ausführlichen Antworten! Das hilft mir wirklich.

@lavendel danke fürs Erklären. Ich habe auch eine zeitlang aufgeschrieben was ich geschafft habe und was mir geholfen hat. Das ist ein sehr erleichternder Gedanke, dass ich ja auch nützliche Sachen gelernt habe solang es mir schlecht ging. Und dass mir das jetzt immernoch hilft. Und ja, ich muss mich auch immer wieder erinnern, dass wenn es mir jetzt nicht gut geht nicht sofort alles wieder komplett schrecklich wird. Vielleicht hilft mir das jetzt auch wieder festzuhalten wie ich meine Tage verbringe um besser einschätzen zu können was sich gerade tut. Danke!

@gartenkobold: JA! deine Gedanken helfen mir auch sehr, es geht immer weiter und ich kann mich auch an vielen Kleinigkeiten festhalten um mich zu erinnern, dass ich diese scheiße überlebt habe und dass ich mich verändert habe.

@katerle es beruhigt mich, dass du es schaffst die Erinnerungen zuzulassen ohne darin zu versinken. Ich glaub genau das muss ich irgendwie üben. Ist vielleicht ein Thema für die nächsten therapiestunden. Oder ich lass mir Nichteinhaltung bisschen Zeit, bis die Angst davor weniger geworden ist.

Viele Grüße zu euch allen und noch einen guten Sonntag!
mein ICH
Beiträge: 2
Registriert: 28. Mär 2022, 11:20

Re: Schwere Depression vorbei. Wie geht ihr mit dem Erlebten

Beitrag von mein ICH »

Hallo Hansa

Während meines ersten Aufenthaltes in der Akutklinik konnte ich nach ca. 4 Wochen zulassen mir die Dinge die in mir wüteten anzuschauen. Der damalige Arzt sagte das es sehr schwer sei die Psychosuppe hoch zu kochen, aber wer das schafft und durchhält sieht sehr deutlich die Brocken die darin umher schwimmen und dadurch angeschaut werden können und auch angeschaut werden wollen. All die Wut und Traurigkeit in mir zeigten sich in Form vieler Tränen, ohjee ein Mann darf aber nicht weinen, keine Schwäche zeigen......, so machte sich meine Seele in dem von mir innerlich fest verriegelten Betonkasten endlich mal etwas Luft. Diese Brocken konnte ich nun anschauen dadurch bearbeiten und mit der neuen Sichtweise auf vieles letztlich auch verarbeiten und mit Liebe gehen lassen.
Da schwimmen immer noch genug Brocken herum aber ich mache nur noch so wie es geht und nicht wieder alles sofort und gleich. Bei Euch zog das Bewusstsein die Reißleine bei mir ist es der Körper. Mein Antreiber im Kopf ist noch genauso aktiv wie vorher, merke ich immer in halbwegs stabilen Phasen. Bisher hat er es immer wieder geschafft mich zu überlisten und in den roten Bereich laufen zu lassen. Im Ergebnis sendete mir der ganze Körper Schmerzen in jeder Form die mich einbremsten (....und es sprach die Seele zum Körper, sag Du es Ihm, denn auf mich hört er nicht.....). Mein bisheriges Lebensmotto lautete, geht nicht gibt's nicht, Zeit ist Geld. Mitlerweile sage ich mir immer es nicht jedem recht und passend machen zu müssen bzw. überhaupt etwas machen zu müssen. Das Wort NEIN ist endlich auch in meinem Wortschatz und ganz ganz wichtig, ohne schlechtes bohrendes Gewissen angekommen. Stattdessen schenke ich mir dadurch viel mehr heilige Zeit, Zeit die ich mit meiner Frau oder engen guten Freunden verbringen kann, oder aber auch mal Zeit nur für mich.

Denn: Zeit ist nicht Geld, Zeit ist LEBEN!!!!

Wenn ich auf meinen Körper höre und das Tempo gehe, welches mir gut tut, STOP sage wenn es abwärts geht, nimmt er auch seine Schmerzen zurück. Mitlerweile plane ich nichts mehr, wenn es mir soweit stabil geht tue ich Dinge die mir Spaß machen, genieße das auch ohne Zeitdruck.
Ich freue mich über die Natur, beobachte Vögel, gehe mit meiner Frau spazieren, leichte Gartenarbeit im Rahmen die ich machen kann und nicht wie ich sie, aus alter Wahrnehmung, nur noch machen kann, ärgere mich aber auch nicht mehr über Dinge die nicht mehr gehen. Die Verrentung ist kein Damoklesschwert sondern ein völlig neuer Lebensabschnitt auf den ich wirklich neugierig bin.
Meine letzte depressive Phase hatte ich im letzten Jahr nachdem die Sanierung unseres Hauses beendet war. Da hatte ich auch wieder, überlistet vom Kopf, zu viel gemacht. Als ich dann im Juli meinen Rentenbescheid bekam und gegen Ende des Jahres noch einen intensiven Aufenthalt in einer Traumaklinik durchlief, fing es eeeendlich an wieder etwas besser zu werden. Mitlerweile sind die Schmerzen fast weg, dem beruflichen wie bisher weine ich keine Träne nach. Mitte nächsten Monat konnte ich mir einen Minijob organisieren im Fahrdienst einer Einrichtung für ganz besondere Menschen mit Einschränkungen. Denn ich merkte während meiner einjährigen medizinisch/beruflichen Reha und einem Praktikum innerhalb dieser Maßnahme in einer Schreinerei für eben diese speziellen und tollen Menschen, dass mir der Umgang gut getan hat. Dort verspürte ich wieder Spaß an der Arbeit und den Kollegen. So werde ich zwei Stunden täglich die Menschen abends nach Hause Fahren und schauen ob es etwas für länger ist. Alles kann nichts muss. Offenbar habe ich jetzt endlich die passenden Rahmenbedingungen und den für mich passenden Weg eingeschlagen. Und sollte es nicht klappen, auch nicht schlimm dann fährt eben ein anderer. Loslassen können war auch ein toller Schlüssel um überhaupt mal neue Türen öffnen zu können. ;)
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