Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

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Nowhere Man
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Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

Wenn ich (40) auf die letzten 20 Jahre zurückschaue, so erkenne ich (was in der Psychologie ja wichtig ist) durchaus ein "Muster", welches einen Teil meiner Frustration erklärt:

Immer wieder werde ich hellhörig beim Begriff der "Selbstwirksamkeit". Wenn ich ihn richtig verstanden habe, bedeutet er das Gefühl, eine gewisse Kontrolle über seine Lebensgeschicke zu haben, oder anders: Wenn man sich nur fleißig genug bemüht, sich diszipliniert verhält etc. dann wird es am Ende in irgendeiner Form "belohnt". Für die meisten (gesunden) Menschen wird das auch so sein, logisch ist es allemal - auch wenn da natürlich jeder in unterschiedlichem Maße mehr oder weniger Glück hat, was natürlich auch immer ein Faktor ist.

Bei mir besteht an dieser Stelle heute eine riesige Lücke, die sich in 2 Phasen unterteilen lässt: Zunächst als Kind wegen höchst dominantem Vater, dessen Grundüberzeugungen einfach in jedem Bereich zu 180° in eine andere Richtung gehen als meine, in der Konsequenz, dass ich immer, wenn ich auf dem für mein Leben "richtigen" Weg war und vielversprechende Fortschritte machte, bei ihm alle Alarmglocken schrillten und er mich durch Maßregelungen und Psychoterror in "seine" Richtung "umpolen" wollte)...

Trotzdem konnte ich diese Zeit irgendwie überstehen und war damals z.B. zumindest in der Schule "selbstwirksam": Wenn ich gut gelernt hab, bekam ich gute Noten. Als ich (ebenfalls gegen Widerstand meines Vaters) einen ambitionierten Sport gefunden hatte, wurde ich mit fleißigem Training entsprechend besser.

Die größeren Probleme (über die ich hier eigentlich bei diesem Thema schreiben möchte) ergaben sich aber v.a. danach in der Zeit zwischen 18 und 33 Jahren.
Meine Stärken lagen immer in Erfindungsgeist, Begeisterungsfähig und Hartnäckigkeit/Durchhaltevermögen. So entstanden viele eigenbrödlerische, vielversprechende Projekte, in die ich teils 1000 Arbeitsstunden investierte, vom Laien bis zu fast professionellem Level, z.T. in ihrer Einzigartigkeit durchaus in der Lage, mir darauf eine Existenz aufbauen zu können (Damals konnte ich - anders als heute - über 70 Stunden/Woche an solchen Projekten arbeiten). Und in jedem dieser Fälle ging es (entgegen aller Logik und Vorhersehbarkeit) auf der Zielgeraden schief, und am Ende stand ich völlig allein und ohne Ergebnis da. Nach außen hin war ich dann immer der "Versager", der nichts gebacken bekommt und nichts zum Ende durchzieht. Ist sogar nachvollziehbar, wenn Menschen so denken, sie können es ja nicht anders wissen.

Wenn ich mir jeden Einzelfall aber anschaue - ohne künstlich die "Schuld" bei anderen zu "suchen", sondern einfach die Fakten betrachte - hatte es (fast) nie an mir gelegen. Ohne jetzt mit Details diesen Beitrag noch länger zu machen als er eh schon ist, kann man sagen: In 60% der Fälle waren es Menschen, die am längeren Hebel waren (Sponsoren/Veranstalter/Mitarbeitende, die das Projekt hinterrücks kurzfristig einstampften oder komplett irrational handelten und mich teils erst informierten, nachdem ich fertig war), Menschen, die aktiv gezielt und bewusst verhinderten, dass das Projekt vollendet werden konnte. In weiteren 30% der Fälle war es einfach "Pech" in Form von höherer Gewalt, und in den restlichen 10% hab ich's selbst verkackt, da kann ich niemandem die Schuld geben.

Kurzum führte dies jedoch zu folgendem Muster, das sich durch mein ganzes Leben zieht:
Mein Gehirn KENNT diese Verknüpfung überhaupt nicht, dass aus Anstrengung/Entbehrung/Disziplin die entsprechende Belohnung folgt.
Als Folge daraus fällt es mir seit Jahren immer schwerer, an diese "Selbstwirksamkeit" zu glauben. Im Endeffekt führt das so weit, dass mir eine innere Stimme sagt: "Wird doch eh nix... du wirst (wieder, wie es IMMER war) diszipliniert und fleißig und inhaltlich korrekt arbeiten, und IRGENDWAS wird es kurz vor Schluss zunichte machen".

Ich kenne persönlich Menschen, bei denen es andersherum ist. Die haben in ihrem Leben eher durchschnittliche Leistungen erbracht, bekamen aber so viel Lob und Zuspruch, dass sie irgendwann selbst GLAUBTEN, sie seien gut... und in der Folge auch besser WURDEN. Dazu gibt es ja auch viele Studien.

Mir derweil fühlt (a) dieses Urvertrauen, dass ICH den Erfolg meiner Aktivitäten in der Hand hätte und (b) durch diese (ausnahmslos) Rückschläge (über 20 Jahre ca. 20-30 größere und kleinere Projekte an der Zahl mit 0 Erfolgen unterm Strich) bin ich inzwischen so "zermürbt", dass mir bei jedem weiteren Projekt auch einfach die "Kraft" und der "Antrieb" fehlt. Es kommen dann immer diese Erinnerungen hoch (teils sehr lebhaft, Dejavus, fast wie Flashbacks) und dann geht gar nix mehr...

Was macht man da?
Aurelia Belinda
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Aurelia Belinda »

Wirklich sehr spannend dieses Thema.
Ich denke übrigens nicht dass du laut Nickname, ein Nowhere bist. Ein jeder u. Jede hat s/einen Platz hier und ist wertvoll und nützlich.

Oft wird das nur untergraben durch die furchtbaren Erlebnisse der Kindheit oder sonstigem Mist und Katastrophen.

Diese Selbstwirksamkeit hatte meine Betreuerin mal angesprochen....aber haben wir nie richtig vertieft.
Was mir auch ein Dorn im Auge ist, sie spricht oft interessante Dinge an, und ist “zu schnell“ beim nächsten u.s.f.
Das werde ich nochmal ansprechen weil es ein schon wichtiger Punkt ist.

Leider hab ich grade nicht die Muße mich hier gedanklich und sinnvoll einzubringen.
Dafür fehlt mir auch grade die Konzentration.
Ich werde deinen Text nochmal in Ruhe “studieren“.
Diese Selbstwirksamkeit hat es glaube ich, in sich.
Damit kann man arbeiten, sich und andere, ganz neu zu betrachten, und vor allem sich zu fragen, will ICH persönlich so auf andere wirken und wenn ja warum.
Oder im Umkehrfall, wenn ich nicht so rüber kommen mag, wie und was kann ICH verändern um anders wahr genommen zu werden.

Schade dass ich jetzt nur so oberflächlich antworten kann.
Hätte mich gern tiefer hineinbewegt in die Materie.

Geht aber nicht. Chaos Kopf halt. Psychisch überfordert zu sein, ist auch beim Austausch mit Gleichgesinnten immer wieder sehr hinderlich.

Vielleicht bringt jemand anders was ordentliches zustande für dein ( wie ich finde ) interessantes Thema!

Grüße von Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Aurelia Belinda
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Aurelia Belinda »

NACHTRAG:

Genau so ist es, Du beschreibst es treffend.
Es spielen eben auch eine zentrale Rolle die wenigen bis null Erfolge, trotz ständig neuen Anlauf, neuer Motivation, Frust spielt eine Rolle.

Die oft Jahrzehnten, immer wieder neuen Ansätze oder von mir aus gleichen Rituale, Einübungen die doch Besserung bringen sollten ( im günstigsten Falle ) und Früchte tragen sollten, kann man halt nicht immer oder dauerhaft...trotz Übung und therapeutischer Begleitung,
Wett machen und sozusagen umprogrammieren.
Es gibt nicht diesen einen Knopf, keinen Sonder-Hebel zum Umlegen und gut ist.
Leider!
Ich persönlich glaube dass diese ständigen Misserfolge einen die Kraft und auch Zuversicht rauben.
Vielleicht deshalb manchmal dann Stillstand. Oder auch einfach aufgeben? Was natürlich nie eine wirklich nützliche Option ist.
Auch Verluste, eben durch die Einschränkungen spielen eine Rolle. Manchmal auch der Vergleich zu anderen.
Am besten selbstwirksam, ist man denke ich, wenn man zuerst mal SICH selbst gefunden hat.
Trotz allem Schmerzlich erlebten.
Auch die Anzahl der negativ Erlebnisse und der Umgang da mit, spielt womöglich mit rein.
Nicht jeder der viel Leid, Schmerz, Verlust, erlebt hat, scheitert am selben Punkt, oder hadert mit sich und der Welt.
Es ist einfach ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren ob jemand seine Selbstwirksamkeit für sich positiv nutzen kann, es gibt kaum die eine Strategie dafür.
Und schon gar nicht wissen andere, dass man doch durch welchen Weg auch immer, da positives erreichen kann.
Im schlimmsten Fall erzeugt das auch noch Druck, zum Frust.
Und wieder fühlt man sich als “Versager“ und nicht gut genug, oder hat den falschen Eindruck, man würde sich nicht stark genug anstrengen.

Jetzt verlier ich den Faden wieder. Verabschiede mich lieber mal.
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Happy Girl
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Happy Girl »

Ein sehr interessanter Thread!
Mit der Selbstwirksamkeit habe ich definitiv auch Probleme. Meine Tberapeutin meinte dazu, ich solle mir kleine Ziele setzen und die umsetzen. Aber inzwischen ist es schon so weit, dass ich mich in keinem Bereich mehr anstrengen will oder irgendwelche Ziele umsetzen. Mein Gehirn geht automatisch davon aus, dass es bloß eine irre Plackerei wird und ich es eh nicht umgesetzt bekomme. Das mag auch daran liegen, dass ich noch nie mega diszipliniert war. Irgendwann motzt mich jedes Ziel an, und ich gebe es auf.

@ Nowhere Man
Hattest du das Thema schon mal in der Therapie angesprochen?
Nowhere Man
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

@Happy Girl:
Ich hab das in der Therapie zweimal kurz angerissen, aber da standen gerade andere Dinge auf der Tagesordnung. Meine (wirklich sehr gute, und was ich sehr schätze, ehrliche/authentische) Therapeutin hatte darauf aber auch nicht wirklich eine Antwort. Außer, dass meine Situation nachvollziehbar sei, ich aberversuchen sollte, aus dem Hier und Jetzt das Beste zu machen, dass es normal ist, dass man nicht immer "alles" in der Hand hat, manchmal etwas dazwischenkommt, es aber bei mir schon echt extrem blöd gelaufen sei. Was ich aus vergangenem lernen könne, damit solche (wenn auch oft fremdbestimmten) Situationen möglichst schon im Vorfeld so gut es geht ausgeschlossen werden können, und weiter daran glauben und arbeiten soll, endlich mal (wenn auch kleine) Erfolge zu feiern.

Aber generell, wie ich auch schon in einem anderen Thread geschrieben hatte: Mein Hauptbeweggrund, mich HIER anzumelden war halt, dass ich zwischen meinen Therapiesitzungen zu viele Themen habe, als dass ich sie alle dort unterkriegen kann, und HIER vor allem die Sachen poste, die wir in der Therapie noch nicht oder nicht ausreichend beleuchten können.
Nowhere Man
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

Jupiter19 hat geschrieben:Meinen Erfolg verdanke ich dem Umstand,
nie auf die Menschen gehört zu haben,
die einem dauernd sagen, was man tun soll,
um Erfolg zu haben.

Jack Nicholson (Stangl, 2021).
Hallo Jupiter,
ich muss zugeben, dass ich den entsprechenden Links dazu noch nicht gefolgt bin (hole ich nach), aber generell habe ich mit Zitaten wie dem obigen immer das gleiche Problem:

Man interviewt Hollywoodstars, Unternehmer und vielleicht sogar vom Schicksal hart Getroffene, die todkrank oder obdachlos waren, alles verloren hatten und dann vom Tellerwäscher zum Millionär geworden sind. Und dann will man deren "Erfolgsrezept" hören - ja, ein Rezept, als wäre das eine Anleitung, die man nachmachen könne. Dabei ist sie nur eine winzig kleine von vielen notwendigen Bedingungen. Die Hauptzutat, die viele "erfolgreiche Unternehmer" ignorieren, ist, dabei dass Glück gehabt zu haben, dass es geklappt hat.

Mir sträubt sich alles, wenn ich in Interviews Leute schwafeln höre, was sie auszeichnet, warum sie erfolgreicher seien als andere: "...weil ich immer hart gearbeitet habe etc..."

Auf 1 Bestseller-Erfolgsstory, von jemandem, der es trotz Schicksalsschlag und großem Elend nach ganz oben geschafft hat kommen 100.000 Obdachlose, Alkoholiker, Drogenkranke, die in ihrem Leben genau so zielstrebig waren, die genau so hart gearbeitet haben, die genau so tolle Ideen hatten, bei denen aber das Leben dazwischengekommen ist bzw. bei denen nicht viele glückliche Fügungen mitgeholfen haben... und die (weil es Alltag ist, sie nicht prominent sind und es keine Sau interessiert) still und leise (unter höllischen Qualen mit genau so wertvollen Seelen wie jeder "Promi") eines Nachts im Regen in der Gosse verrecken - DARÜBER schreibt niemand ein Buch. Diese Stimmen werden nicht gehört. Sie sind aber die REGEL. Der eine, der es aber geschafft hat (mit nicht mehr oder weniger Einsatz als die anderen), der steht dann als "Paradebeispiel", als "Inspiration", was alles "möglich" sei... Ja, "möglich" ist es auch im Lotto zu gewinnen, indem man "einfach" die 6 Kreuze an der richtigen Stelle macht.

Und ebenso wie die 100.000 Obdachlosen und Drogentoten kommen auf 1 Hollywood-Schauspieler oder Superstar auch 100.000 ehemalige Kinder und Jugendliche, deren Traum, deren Talent nicht minder groß war, denen aber von Eltern und Lehrern und sonstigen Mitmenschen wegen ihrer Überzeugungen so lange das Leben zu Hölle gemacht wurde, bis sie einknickten (oder eingeknickt wurden!) und gefrustet in bürgerlichen Berufen später in Depressionen verfielen.

Deshalb finde ich solche Zitate (allgemein) sehr bedenklich und nicht inspirierend.
(auch wenn klar ist, dass du es in einem anderen Kontext benutzt)
Nowhere Man
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

@Aurelia Belinda:
Ich finde es wichtig, dass du schreibst, dass es dir selbst gerade nicht gut geht. Dafür wünsche ich dir erst mal Kraft, dass du aus dem akuten Chaos heraus kommst. Wir sind ja alle nicht hier gelandet, weil es immer unser Wunschtraum war, eines Tages depressiv zu werden. So versunken man auch in die eigenen Probleme ist (wie ich gerade) sollte man nie vergessen, dass ganz viele Menschen, die hier aus freien Stücken antworten, vielleicht gerade in genau so einer, oder gar schlimmeren Krise sind. Danke, dass du dir trotzdem die Zeit nimmst.

Ich möchte einen deiner Sätze herausgreifen, den ich so oder ähnlich schon häufiger gehört habe:
"Am besten selbstwirksam, ist man denke ich, wenn man zuerst mal SICH selbst gefunden hat."

Wissend, dass viele Menschen im Leben lange suchen, hatte ich das vermeintliche Glück, ziemlich genau mit 16 exakt das GEFUNDEN zu haben, was ich von allerganzestem Herzen will. WER ich bin, tief in mir. Und genau da gingen die (familiären) Probleme richtig los (und in meinem damaligen sonstigen Umfeld war ich mit dieser Idee sowieso der krasse Außenseiter, über den alle nur spotteten). Nach viel Krisen und Widerstand, baute ich mir zwischen dem 27. und 31. Lebensjahr mit Therapien und viel Kraft und Disziplin dann doch noch mal auf, meinen Traum doch zu verwirklichen, und dann passierte eine noch größere Katastrophe von extern, von der ich mich bis heute in 10 Jahren nicht mehr erholte, und nun ausgebrannt mit leeren Händen dastehe.

Innerlich hab ich immer noch denselben Lebenstraum, den ich mit 16 und mit 27 hatte. Jetzt bin ich 40, fast schon 41. Die Depressionen haben derweil auch bereits am Körper gefressen und ich weiß nicht, wie lange oder ob überhaupt ich jemals noch körperlich in der Lage sein kann, den Traum, das einzige/wichtigste, was "mich" ausmacht noch jemals in die Tat umsetzen zu können.
Und wenn ich dann - mit körperlichen Symptomen - tagelang im Bett liege, während die Seele den Lebenstraum verwirklichen möchte, dann fühlt sich das an wie "lebendig begraben", wie das Leben an einem vorbeizieht.

Ich möchte mich nicht "komplett neu (er)finden", weil mir das, was ich damals umsetzen wollte noch heute zu wichtig ist, weil ich weiß, dass es "mein Ding" ist und meine Seele nicht eher Frieden findet. Es ist das Einzige, was sich RICHTIG anfühlt, aber es sind so viele Hindernisse dazugekommen, die früher nicht da waren.
Strohi
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Strohi »

Hallo zusammen,

ich hatte in den letzten Tagen hier am Urlaubsort grosse Probleme mit der Internetverbindung, und gestern war sie sogar ganztägig weg.

Das ist ein auch für mich sehr interessantes und wichtiges Thema. Da ich jetzt einkaufen fahren muss, kann ich nicht gleich reagieren, ich werde mich aber am späten Nachmittag oder Abend einbringen (in der Hoffnung, dass die Technik es zulässt).

Bis dahin, liebe Grüsse
Strohi

P.S.: Hallo Jupiter, gestern Abend habe ich mit dem Buch "Universaler Sufismus" begonnen; und bezüglich Deiner Fragen bin ich auch weiter gekommen. Melde mich dazu wieder.
Gertrud Star
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Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo NowhereMan,

von dem Thema kann ich auch ein Lied singen. Bei mir versteht niemand und auch ich nicht, wieso ich als ehemalige Einserschülerin und dann Leistungsstipendiatin es im Leben nicht geschafft habe. Ich (jetzt 55, weiblich) habe in den letzten Jahren irgendwann mal den entscheidenden Input bekommen und extrem viel gelesen. Dabei habe ich sehr viel über die Gesellschaft, Begabungen und psychische Krankheiten gelernt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich niemals hätt erfolgreich werden können, so viel wie da zusammen gekommen ist an Ignoranz mir gegenüber und ungünstigen Umständen, und dann auch Belastungen. Da ist Krankheit vorprogrammiert.
Mir bleibt nur noch festzustellen, dass ich wahrscheinlich in der Sozialhilfe fest stecken bleiben werde. Ich war für die ganzen Behandler überfordernd, mit meiner Art (so bin ich halt) und vor allem den Lebensumständen.

Du schreibst
Wenn man sich nur fleißig genug bemüht, sich diszipliniert verhält etc. dann wird es am Ende in irgendeiner Form "belohnt". Für die meisten (gesunden) Menschen wird das auch so sein, logisch ist es allemal - auch wenn da natürlich jeder in unterschiedlichem Maße mehr oder weniger Glück hat, was natürlich auch immer ein Faktor ist.

Das ist für mich keine Selbstwirksamkeit, sondern die Beschreibung von "German Tüchtigkeit". Ergebnis protestantischer Erziehung zum Fleiß. Zum Erfolg gehört wesentlich mehr dazu, auch günstige Umstände und die Abwesenheit von allzu schwierigen Umständen/Erlebnissen.

Nochwas zum abwesenden Gefühl dass sich Mühe lohnt:
Das kommt meiner Meinung nach von 3 Dingen:
Das erste ist eine soziale Sache und hat mit der Kommunikation unserer Kinderzeit zu tun. Wenn jemand schlecht geredet wird, kann er es niemandem recht machen. Das hat mit Selbstbewusstsein zu tun.
Das zweite sind die realen Erfahrungen, die jemand macht mit Schule und Arbeit. Also ob sich Bemühungen als beruflicher Erfolg zeigen. Das ist eine Voraussetztung für Burnout.
Das dritte betrifft Menschen, bei denne in der Jugend die Schulaufgaben zu leicht waren. Wenn man sich nicht genug anstrengen muss, springt das Belohnungssystem nicht an und man verharrt im Pflichtmodus. Das kann man später im Leben mit Glück ändern, muss man allerdings ertmal erkennen. Es ist mehr eine pyhsiologische Sache abhängig von der Schulform (in der Jugend).

Vielleicht schreibe ich später mal mehr dazu.
Nowhere Man
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Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

Hallo zusammen,
ich hatte mich hier, wie ich jetzt gelernt habe, an mehreren Stellen (auch in der Überschrift) wohl ungenau ausgedrückt, bzw. hatte ich unter dem Wort bisher (teilweise) etwas anderes verstanden, als in den Links von Jupiter, die ich jetzt auch mal gelesen habe.

Der dort dazu in Abgrenzung verwendete Begriff "Handlungsergebnis-Erwartung" beschreibt vielleicht besser das, was ich meinte (wenn diese Erfahrung komplett gestört wurde, leidet m.M.n. auch die Selbstwirksamkeit).

Auch was Gertrud schrieb bzgl. "German Tüchtigkeit", meinte ich eigentlich nicht. So eine "preußische" Einstellung ist mir selbst zuwider.

Was mir im Leben verlorengegangen ist, ist der Glaube daran, durch sein Handeln überhaupt etwas in der Hand zu haben, seine Ziele (zumindest Teile davon) erreichen zu können, indem man etwas dafür tut. Dieses Urvertrauen ist mir durch viele, viele Rückschläge abhanden gekommen, und der "Handlungsergebnis-Erwartung" steht ein kompletter "Kontrollverlust" gegnüber. Das heißt nicht, dass ich "alles" Kontrollieren möchte (mit Kontrollfreaks hab ich selbst genug schlimme Erfahrungen gemacht), ich möchte aber auch nicht im Gegenteil komplett mit meinen Geschicken der Willkür, der Unberechenbarkeit anderer Menschen (oder Umstände) ausgesetzt sein.

Und bei allen größeren (oder auch kleineren) Sachen, die mir seit sehr vielen Jahren wichtig waren, kam auf halben Weg oder auch kurz vor dem Ziel etwas dazwischen, was alles zunichte machte, und man nur ohnmächtig zuschauen konnte.
Marleo84
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Registriert: 13. Mär 2021, 15:17

Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Marleo84 »

Hallo Nowhere Man,

Nur ein paar Gedanken dazu, ohne zu wissen, ob ich jetzt dein Thema treffe. Du scheinst den Begriff Selbstwirksamkeit sehr groß zu fassen und auf große und mittlere Lebensaufgaben zu beziehen. In der Psychologie wird er häufig sehr viel kleinteiliger verwendet. Ich glaube, aufs Große Ganze betrachtet fühlen sich die meisten nicht besonders Selbstwirksam, sondern eher überfordert und überwältigt und dem Leben etwas ausgeliefert. Aber im Kleinen kann jeder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und darauf zielt die Theorie ab. Eine solche positive Erfahrung kann das Aufräumen einer ungeliebten Ecke, ein Abend mit einem guten Freund, das Unkraut jäten und neu Bepflanzen eines Beetes, das Ausrichten eines Abendessens für Freunde etc.... sein. Auch kleine Erfahrungen oder sogar vor allem kleine Erfahrungen zählen, solange sie als solche gewürdigt werden und summieren sich dann irgendwann auf zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit, das eine wichtige Säule der Resilienz darstellt. Da fällt sogar schon das Anlächeln eines Fremden auf der Straße drunter.

Manche Menschen machen mehr Selbstwirksamkeitserfahrungen als andere. So spielen beispielsweise viele gute soziale Kontakte eine große Rolle und häufig auch die Einbindung in das Arbeitsleben oder ein vergleichbares soziales System, solange es positiv besetzt ist.

Ich glaube, wenn man Selbstwirksamkeit groß denkt, kann man an dem Gedanken nur verzweifeln. Wenn man es in vielen kleinen Dingen denkt, dann kann man daran wachsen.

Ich hoffe, du konntest mir etwas folgen.

Liebe Grüße,

Marleo.
Nowhere Man
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Registriert: 5. Mär 2021, 16:02

Re: Selbstwirksamkeit (wenn man sie nie erfahren hat)

Beitrag von Nowhere Man »

Hi Marleo,
danke für diesen sehr guten Input, auch gut formuliert! Das stimmt, wenn man es so betrachtet, kann man da tatsächlich einige Erfolge feiern. Dinge, wie du sie aufzählst, Aufräumen, Gartenarbeit, eine Verabredung einhalten... gehen bei mir zwar auch in 3 von 4 Fällen schief (aber nicht wegen äußerer Einmischung, sondern aus Depressionsgründen), aber zumindest kann ich nicht sagen, dass sie "nie" klappen. Vermutlich vergleiche ich das unbewusst auch immer mit nicht-Depressiven, wo ich davon ausgehe, dass solche Kleinigkeiten "normalerweise fast immer" gutgehen (weil sie für mich wie Selbstverständlichkeiten klingen).

Ich hatte das in der Tat "größer" aufgefasst, allerdings ging es mir da auch nicht um Lebenswerk, Nobelpreis oder Ei der Kolumbus... sondern "Belohnungen", die "eigentlich logisch" wären, allerdings nicht ganz kurzfristig stattfinden, sondern durch "normale Kontinuität" (ohne Zwischenfall/Unfall/Familiendrama/Krankheit/...) mal 13 Wochen am Stück der Uni teilnehmen zum Beispiel (was irgendwie die anderen 19 von 20 im Kurs ja auch schaffen)... Das Stichwort Resilienz ist auch ein wichtiges... ich bin sehr instabil... das andere Stichwort ist aber eben auch diese Erfahrung, dass bei so mehrwöchige Projekte trotz größter Anstrengung (und dann auch Disziplin) einfach (ohne logischen/vorhersehbaren Grund) ein ums andere Mal nicht klappen.

Das GEFÜHL kann man vielleicht wirklich an "Kleinem" lernen, mal IRGENDWAS unter "Kontrolle" zu haben. Daran muss ich arbeiten. Vielleicht kann ich das dann als Motivation in die größeren Sachen mitnehmen. Es geht wirklich um die reine Gefühlsebene, nicht die kognitive. Ich "kenne" bei normalgroßen Dingen seit Jahren nicht den "Geschmack", wie es ist, wenn mal was klappt, (d.h. Anstrengung und Ziel fühlen sich an, als stünden sie in keinerlei kausaler Relation, wenn man sich auf nix mehr verlassen kann).

Sondern im Gegenteil, hab ich von vornherein den ekligen Geschmack auf der Zunge, wie es sein wird, wenn es nicht klappt (im Sinne von, die letzten 20 Male war es so und so, warum SOLLTE es plötzlich anders sein), das DENKE ich nicht aktiv, aber ich spüre, wie es etwas in mir FÜHLT (das ist so festgefahren irgendwie).

Aber ich schreib schon wieder viel zu viel. Ich find das gut, was du geschrieben hast :) Ich werde weiter an kleinen Sachen üben.
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