von Einsamkeit und verlorener Identität

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Nowhere Man
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von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Nowhere Man »

Edit: Es ist (leider) wieder ein sehr langer Text geworden, obwohl ich schon sehr viel weggelassen hab. Ich weiß, dass lange Texte nicht gern gesehen werden, und bin umso dankbarer, wenn irgendjemand trotzdem die Energie findet, das zu lesen. Erwarten kann ich das selbstredend von niemandem...


Ich überlege jetzt seit Tagen, ob und wie ich das Folgende schreiben soll. Einfach ist es allemal nicht, weil es im Hintergrund zu dieser Story nur so wimmelt von Erinnerungen und Konsequenzen, die mich aufs Übelste triggern. Ich hoffe daher, mein Anliegen ist nachvollziehbar, auch wenn ich zum Selbstschutz (und weil es sonst auch ein sehr langer - noch längerer - Text zu lesen würde), an vielen Punkten eher vage bleibe.

Es geht darum, dass ich realisieren muss, wie extrem einsam und zurückgezogen mich die Depressionen über die letzten vielen Jahre gemacht haben. Und mich in einen Lebensstil geführt haben, der sehr unnatürlich ist.

Die richtig krassen Sachen passierten zwischen 2011 und 2013 und stellten Weichen in ein ganz falsches Leben, nachdem ich (heute 40 Jahre alt) mich zuvor schon von mehrjährigen Depressionen erholt hatte und mir v.a. zwischen 2007 und 2011 mit viel Herzblut und Lebensmut (sowohl im Beruflichen als v.a. auch im Zwischenmenschlichen) etwas aufgebaut hatte, was seitdem für immer unwiderbringlich kaputt und weg und vergiftet und unersetzbar ist :(

Bis dahin hatte ich mir - trotz der erwähnten langen Krisen davor - nie meinen Optimismus nehmen lassen, die großen Träume, die Begeisterungsfähigkeit, mit der ich schnell auch andere begeisterte. Ich war, ohne dass es mir auf diese "Position" ankam, in Gruppen meist so eine Art kreativer Anführer, sprudelte vor Ideen und Tatendrang, und Menschen, die sehr gern in meiner Nähe waren, spiegelten mir das so wider, schätzten meine Empathie, Kreativität, soziale Ader, mein Engagement, richtig gutes Organisationstalent und mein Durchhaltevermögen, wenn mal etwas nicht sofort klappte, am Ende fand ich immer eine Lösung. Und hatte einen Plan vom Leben, der mich innerlich antrieb. Auf mehreren Gebieten.

Manchmal lernte ich neue Leute kennen, die im Vorfeld von meinen Depressionen wussten, und dann immer ganz erstaunt waren, wie lebensbejahend, wie optimistisch, wie lustig und mitreißend ich sein könne.

Das schreibe ich nicht, um mich als tollen Hecht darzustellen, schon damals habe ich gekämpft und sehr dunkle Täler durchschritten, aber es gab am Horizont immer ein, zwei sehr motivierende Lebensziele sowie die Aussicht, liebe Menschen wiederzutreffen, was beides das Feuer am brennen hielt.

Nein, ich schreibe das, weil ich heute - seit vielen Jahren - den krassen Kontrast sehe:

Heute bin ich ein anderer Mensch. Nicht wiederzuerkennen. Eigentlich das Gegenteil von alledem, was oben stand. Bis 2007 war ich schon mal weit unten, aber es gab ein Licht am Horizont, was mich (auch damals schon mit Therapien) nach und nach mit viel Willenskraft zurück ins Leben brachte.

"Wer bin ich? Was macht mich aus? Was sind die Inhalte?"
Das sind nicht zu unterschätzende Fragen.
Sowohl oberflächlich ist das mit das Erste, was wir an einem Menschen wahrnehmen ("Und, was machen Sie so beruflich? Und in der Freizeit?"), um erste Orientierungspunkte zu bekommen... als auch darüberhinaus ist das, womit man sich emotional oder kognitiv beschäftigt, Dinge, die einem wichtig sind, Projekte an denen man arbeitet, wie man die Welt sieht usw... all das in der Summe macht einen großen Teil der Persönlichkeit aus.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Die Kommunikation und Präsenz in sozialen Medien.
Anfangs noch zwielichtig betrachtet (und von den Umgangsformen her v.a. heute mit großer Vorsicht zu genießen), lässt sich nicht leugnen, dass sie inzwischen wichtiger Bestandteil unserer sozialen Interaktion geworden sind. Nicht, um sich miteinander zu messen, wer mehr Follower hat oder so einen Quatsch, sondern es gibt durchaus positive Resonanzen, mit kompatiblen Menschen, die man nicht an der nächsten Straßenecke treffen würde, die einen moralisch (oder tatkräftig bzw. durch Kontakte knüpfen) unterstützen können, die mitschwingen, dass die Idee, die man hatte, wert ist, weiterverfolgt zu werden, dass man gerade ein schönes Lied geschrieben hat, für das andere Menschen dankbar sind usw...

Beispiel: Damals, 2008, noch lange vor Web 2.0, lange bevor die meisten Facebook hatten.
Für eine Community, die im realen Leben viel zu versprengt ist, und in der ich mich aber nach 27 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben von Herzen ZU HAUSE gefühlt hab, programmierte ich eigenhändig und mit Liebe zum Detail ein Forum, das ich 3 Jahre lang diszipliniert Tag für Tag pflegte, bald über 700 Mitglieder hatte (für damalige Verhältnisse viel), die ich alle persönlich begrüßte und deutschlandweit mit und zu ihnen reiste, übernachtete, tiefe Gespräche und schöne Zeiten hatte, ob man zu gemeinsamen Festivals fuhr, Musikabende, wunderbar menschelnde Forentreffen organisierte usw... Sowohl im Real Life, als auch virtuell tat es soooo gut, endlich eine "Familie" gefunden zu haben <3

Diese Community ist - wegen dem, was seit 2011 passierte - für mich verbrannte Erde, ich will oder kann (psychisch) nie wieder dorthin zurück, und es reißt mir das Herz raus. Noch heute, Tag für Tag, Nacht für Nacht! (Dies betrifft 99% meiner realen sozialen Kontakte und die vielen Bereiche, wo es Schnittmengen gibt)

Heute: Das Forum gab ich auf, und auf Facebook (wo ich eine Zeitlang ebenfalls ein emotional stärkendes "Netz" hatte) habe ich seit Jahren nichts mehr gepostet, auch wenn es mich bei manchen Anlässen sehr gelockt hätte.

Ich habe KEIN Instagram, KEIN Twitter, KEIN TikTok, KEIN Snapchat, und sogar KEINEN Youtube-Kanal (und dies als Künstler/Musiker!!). Und wie oben geschrieben (effektiv) auch KEIN Facebook.

Nicht etwa, weil ich das (wie manch anderer) aus Prinzip ablehnen würde, sondern weil ich tiefe Ängste entwickelt habe, die (ohne exakt so diagnostiziert zu sein), in Richtung einer sozialen Phobie gehen. Ich möchte Personengruppen aus dem Weg gehen, was in diesem Falle aber weite, weite Kreise zieht.

Dabei hätte ich noch immer viele Interessen, über die ich mich dort austauschen würde. Ideen und Kreatives, aber im Zusammenhang mit den Vorfällen damals habe ich auch körperliche Schäden davongetragen, die mich m.E. optisch "entstellt" haben und ich mich umso weniger z.B. vor die Kamera traue.

Aber zurück zur Identität:
Es tut weh, trotz täglichen Bemühens, zu sehen, wie wenig noch übrig ist von der einstigen Persönlichkeit, vom einstigen Leben, und welch traurige Leere da zurückgeblieben ist.
Ich wüsste, ehrlich gesagt, wenn ich neue Leute kennenlernen würde, gar nicht, worüber ich noch - aus tiefstem Herzen heraus - sprechen kann. Also, was mich BESCHÄFTIGT. Dies sind heute zu 99% die Depressionen und Lebensumstände, mit denen ich kämpfe. Das will keiner hören. Und das war auch nicht der Plan, womit ich mich IDENTIFIZIERE.

Aber neben den äußeren Umständen (s.o.) machen die Depressionen selbst es schwerer, überhaupt etwas zu realisieren. Ich war immer ein "kreativer Macher", auch für sehr ungewöhnliche Dinge, "out of the box" gedacht. Wer mich hingegen heute reden hört, von damals, von geplatzten Träumen von "hätte, hätte, hätte...", der würde mich für einen "Schwätzer" halten, für einen Träumer, einen Hochstapler vielleicht sogar, und sowieso, das, was der sich da über die traumatische Zeit von 2011 bis 2013ff. "ausdenkt", so etwas "kann es gar nicht geben... der spinnt doch".

...und als Depressiver, der infolge dessen mit den einfachsten Anforderungen des Alltags heute nicht mehr klarkommt, werden diese Geschichten "umso unglaubwürdiger". Selbst ein, zwei verbleibende Freunde, die mich noch von damals kannten, nahmen mich letztlich nicht mehr für voll.

Das tut krass weh. Wenn man weiß, dass es 1:1 so passiert ist, und einem niemand glaubt, einen alle allein lassen, weil diese sich lieber mit fröhlichen Menschen umgeben (inkl. Verursacher). Und wenn man sich dann immer weiter zurückzieht.

Heute: Ich hab mich so weit zurückgezogen, dass ich nicht mehr "aktiv" an der Welt teilnehme, sie nicht mehr mitgestalte und als Zuschauer versauere (ausgerecht ich, in diese Konsumenten-Rolle hab ich mich schon immer unwohl gefühlt).

Aus den Augen, aus dem Sinn: Würde ich morgen aufhören zu existieren, so würde das kaum jemand mitbekommen. Meine (ohnehin nicht unproblematische) Familie (für die ich gerade mal "existiere", aber nicht als Person wirklich interagiere), meine Therapeutin, wenn ich nicht zum nächsten Termin erscheine und vielleicht drei, vier WhatsApp-Kontakte, die sich alle Jubeljahre mal melden... wo einem aber auch die Gesprächsthemen ausgegangen sind.
(Alles ein verwaltendes Durchhalten, den Tag durchstehen, akzeptieren, immer weiter... wofür?)

Heute: Wie sieht heute mein Alltag unter Depressionen aus? Ich bin sehr eingeschränkt arbeitsfähig, im Schnitt vielleicht 15-20 Stunden pro Woche. Damit versuche ich, nachträglich, meinen Bachelor abzuschließen (was eigentlich 40-50 Wochenstundenpensum erfordert), von einem Studium, wo ich bis 2011 erfolgreich und unmittelbar vor meinem Diplom stand, das ich nie mehr bekommen werde.
Bin also allein mit dieser geschäftigen "Notwendigkeit" sowieso schon zeitlich 2-3x überlastet. An "Freizeit" ist da gar nicht zu denken.

Den sehr großen Rest der Woche verbringe ich (noch immer) mit "Durchhalten", mit "Kopf leer machen", mit "Stop-Taktiken", weil ich sonst wirklich komplett durchdrehen würde, sobald ich nur einmal kurz über "das Leben" nachdenke, egal welches Thema, alles triggert mich. Alles, worin ich einstmals Freude und Lebenssinn sah, hat sich ins krasse Gegenteil verkehrt. Das ist ein Alptraum ohne Erwachen. Ich hab diese Themen (allein, mit einstigen Freunden und mit Therapeuten, auch schon oft durchleuchtet, sie sind unlösbar, hätten nie geschehen dürfen).

Darüberhinaus (neben dem heute mühseligen Abschließen des vormals geliebten Studiums) noch Herzensprojekte nach vielen Jahren doch noch mal anzugehen (darunter mir wichtigste künstlerische Bereiche sowie 2-3 sehr potente Geschäftsideen)... oder aber sich zu trauen, neue Menschen kennenzulernen, soziale Kontakte zu knüpfen - ohne SELBST eine eigene, aktuelle IDENTITÄT zu sehen - das wäre alles zusätzliche Energie, die ich nicht habe, jedoch so dringend bräuchte...

...weil ich endlich wieder "normaler" Leben möchte. Obwohl ich bereits "mein Bestes gebe" und die (noch dringenderen, hier ausgelassenen) vielen Baustellen regelmäßig mit meiner Therapeutin angehe, fühlt sich der aktuelle Weg viel zu einsam und leer an und ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.

Man nimmt sich immer mit. Ob ich ein Sabbatical machen, auswandern oder zum Mond fliegen würde. Auch die Komorbiditäten, die sich da entwickelt haben. Und es macht mir Angst, dass dieses Gefühl von Jahr zu Jahr (trotz parallel laufender Therapien und wirklich bestem Bemühen) eher schlimmer wird als besser.

Wer immer bis hier gelesen hat, DANKE.
Sul
Beiträge: 440
Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Sul »

Hallo Nowhere Man,
ich habe diesen aktuellen Text von dir nicht gelesen.
Aber ich stelle mir die Frage, ob dich unsere Anworten auf deine 3 oder 4 zurückiiegenden Threads irgendwie weitergebracht haben? Du hast zu den Antworten leider gar nichts mehr geschrieben.
Nimmst du uns wahr?
Viele Grüße, Sul
Philomena
Beiträge: 122
Registriert: 21. Sep 2019, 20:27

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Philomena »

Guten Tag Nowhere Man,

soeben habe ich deine Zeilen gelesen oder besser gesagt "nur überflogen", weil ich etwas in Zeitdruck bin. Irgendwie kann ich mich in deine Situationen hineinfühlen. Auf alle Fälle schreibe ich dir in den nächsten Tagen, nachdem ich deinen Bericht etwas aufmerksamer gelesen habe.

Bis dahin alles Gute

Philomena
Gertrud Star
Beiträge: 3441
Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo,
ich habe deinen langen Beitrag auch gelesen.
Da ist ja jede Menge passiert. Ich bin ein ganzes Stück älter als du und lebe ähnlich zurück gezogen.
Ich kenne auch die Frage mit der Identität, diese begleitete mich viele Jahre. Mittlerweile ärgert mich die Frage nicht mehr so. Es geht aber trotzdem immer um Zugehörigkeit, wird wohl Lebensthema bleiben bei mir.
Auch die Frage danach, was von früher noch übrig geblieben ist, quält mich öfter. Ich war früher in Schule und Studium sehr gut. Dann kamen Hilfsarbeiten, psychische Diagnosen, ein Umschulungsversuch (vorzeitig abgebrochen), und mehr oder weniger Versumpfen im psychiatrischen Versorgungssystem und der Sozialhilfe. Das Erwachen kam durch viele Gespräche mit einem lieben Menschen.
Ich weiß ja nicht, was bei dir noch zu machen geht, lebenstechnisch und therapeutisch. Bei mir ist es nicht mehr viel. Es wird wohl entweder auf Dauersozialhilfe hinaus laufen, oder ich lerne mal jemanden kennen, der Liebe wegen (und vielleicht wird es dann auch finanziell leichter).
Ich bin gerade dabei, im Schneckentempo einige Kontakte zu knüpfen. Vielleicht tut das ja gut und bringt etwas weiter, obwohl ich es fast nicht mehr glaube.
Und ich habe vor (bzw. habe es schon angefangen), Leute von früher anzuschreiben und sie etwas zu fragen. Ich habe Hoffnung, so etwas abschließen zu können.
Ich selber bin ja der Überschuldung wegen als junge Frau einer Arbeit weit weg hinterher gezogen. Das war nach meinem Studium eine Anlerntätigkeit, da war ich 6 Jahre in der Firma beschäftigt. Neulich rief mich eine ehemalige Kommilitonin an. Sie ist auch hierher gezogen. Wir redeten eine ganze Weile aneinander vorbei, bis sie sagte, sie dächte, ich hätte hier Karriere gemacht (obwohl ich sagte, was in meinem Leben Sache ist).
Tja.... Also du bist mit solchen Sachen nicht alleine.
Allerdings hab ich keinen verwertbaren Berufsabschluss, Therapeuten sind meist mit mir überfragt bis überfordert und Studium nochmal geht nicht (wegen der Sozialgesetzbuchs-Regularien und sonst kein Geld).
Gruß Gertrud
Nowhere Man
Beiträge: 100
Registriert: 5. Mär 2021, 16:02

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Nowhere Man »

Danke für eure bisherigen Antworten.

@Sul:
Ja, ich habe durchaus alles gelesen und nehme euch wahr, als liebe Menschen, die sich die Zeit nehmen, mit Bedacht zu antworten. Dass ich nicht sofort reagiert habe, tut mir leid. Ob es mich "weitergebracht" hat? Das ist wie so oft bei mir in diesen Themen: "Auf Anhieb" fällt der Groschen da fast nie bei mir, dafür sind die Themen zu festgefahren. Es wurde aber (von euch allen) sehr viel Sinnvolles geschrieben, was ich "sacken" lassen muss und wo mir ein kurzes "hm, stimmt" zu plump war, und wo ich in einzelnen Punkten auch nicht mit "ja, aber..." kommen wollte. Sondern einfach erst mal verdauen. Dass ich dazu aber GAR keine Reaktion abgegeben hab, muss blöd rübergekommen sein, das sehe ich ein.

@Philomena:
Danke für das Überfliegen und kein Stress. Es ist bei mir selbst immer so eine Gratwanderung, weil ich bei weitem nicht jeden Tag stabil genug bin, mich "aktiv" mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Oft versuche ich dann zumindest stumpf das bisschen Alltag, was ich bewältigen kann, hinzukriegen, so ein bisschen "Scheuklappen" der Arbeit aufzusetzen und alles, was mit psychischen Problemen zu tun hat, sofort aus meinem Kopf zu verbannen. Wenn du da aber irgendwann drauf antwortest, lese ich das sicher zeitnah und mache mir dann auch meine Gedanken dazu.

@Gertrud:
Ja, es scheint, wir haben da tatsächlich einige Parallelen, und zumindest fühlt man sich ein bisschen weniger allein und kann sich inspirieren lassen, wie man mit einer Situation und Krankheit (die niemand von uns jemals so wollte) umzugehen lernen kann.
Die Wunschvorstellung ist das allemal nicht so zu leben, aber dann kann man sagen, das Leben sei kein Wunschkonzert. Ich finde es schwer, die Balance zu finden, einerseits um das zu kämpfen, was noch zu retten ist und andererseits das zu akzeptieren, was verloren ist. Vor allem(!) wenn es mit Identität zu tun hat. Der, der ich innerlich war (und irgendwie immer sein werde), ist sehr einsam und wird immer unsichtbarer.
Oft weiß man nicht genau, WAS man sich noch zurückkämpfen kann. Früher hab ich mich auch ins Leben zurückgekämpft, als mich alle schon abgeschrieben hatten.

Diese Woche schrieb ich in mein Tagebuch, dass es schwer ist, Hoffnung zu haben, wenn man keine Gründe sieht, WOHER Besserung kommen soll (von allein kommt sie nicht).

Ich versuche immer wieder, mich an kleinen Dingen zu freuen, wie gesagt, Teile meines Studiums doch noch zu erledigen, oder einen Spaziergang an der Sonne zu unternehmen (was jahrelang nicht ging), für den Moment fühlt sich das okay an, aber kaum komme ich zur Ruhe und denkt ein bisschen übers Leben nach, fühlt sich das alles (v.a. das halbe Studium, in das ich - verhältnismäßig 200% meiner Energie stecke, bis ich auf dem Zahnfleisch gehe - wie eine Farce an.)


Zum ursprünglichen Thema:
Ich muss mir natürlich irgendwann klar werden. Wie ich leben will und mit wem. Was mir für mich selbst (nach innen) wichtig ist, und was zur "Außendarstellung" (das Wort ist nicht so negativ gemeint, wie es klingt). Oft überschneidet sich das unweigerlich.

Das mit dem Kontakteknüpfen, Getrud, ist gut, dass es (wenn auch im Schneckentempo) bei dir klappt. Ich habe davor immer noch große Angst. Aus mehreren Gründen. Und das, was 2011-2013 passiert ist, hat wirklich meinen bestehenden Freundes- und Bekanntenkreis verseucht, als auch die einzige Community, die jemals mein Herz aufblühen ließ.

Konkret geht es da um eine Täter-Person, die ich mit guter Absicht dorthin geholt habe, die dort auf meine Kosten (meiner kompletten Zerstörung) extrem berühmt, erfolgreich und omnipräsent ist mit 100.000 Followern, die sie in Social Media (aber eben auch im Real Life, in genau meinem emotionalen "zu Hause") als "engelsgleich" anhimmeln und immer berühmter und stärker machen, von denen zumindest meine damaligen Freunde "wissen" (sollten), wie abgrundtief böse dieser narzisstische Mensch ALLES bei mir zerstört hat, bis ich mich (gegen den Druck/Widerstand meiner Familie, meiner (besten!) Freunde und Bekannten) nach 2 Jahren als totales Wrack davon löste... und als ich am schwächsten war, und Hilfe brauchte, waren alle damit überfordert, und die meisten nahmen mir das übel, kehrten mir den Rücken, oder traten vorher noch mal richtig fies nach.
Nowhere Man
Beiträge: 100
Registriert: 5. Mär 2021, 16:02

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Nowhere Man »

Hhm, ich wollte jetzt hierzu nicht schon wieder einen neuen Thread aufmachen.
Das Thema ist eigentlich: Wofür kämpft/lebt man noch, wenn man keine Perspektive mehr sieht und man sich überhaupt nicht mehr "eins", sondern ganz fremd mit seinem Leben fühlt?
Aber vielleicht ist es sinnvoll, es an diesen Thread zu hängen, weil sich da einiges überschneidet:


Seit vielen Jahren ist es bei mir so, dass zu fast jedem Thema, das mir mal wichtig war, noch wichtig ist oder sonst irgendwie im Alltag auftritt, mich Dinge so heftig triggern, dass ich innerlich nur Stopp-Techniken anwenden kann, und in der Konsequenz zu 95% meiner Freizeit einfach nur "den Kopf leer machen" muss. Kategorisch nichts mehr "an sich ran zu lassen" versucht, und auch keine längeren Gedankengänge mehr über irgendwas, was das Leben ausmacht. Natürlich versuche ich (auch in der Therapie) an alten und aktuellen Themen zu arbeiten, aber bei vielen kommen wir zum Schluss, dass ich sie nicht mehr werde reparieren können. Die Gedanken und Erinnerungen dazu kommen hoch, und da ich sie wirklich nicht verarbeiten kann, sondern sofort abschalten muss (weil mir sonst klar wird, wie sinnlos alles ist und ich total abstürze), besteht 95% meines Alltags aus "Aushalten und funktionieren, so oberflächlich wie möglich", d.h. sich seine to-do-List mit Arbeit vollpacken, wie ein Roboter, aber wehe wenn Feierabend ist, und auch nur 5 Minuten Zeit sind, mal seine "Gedanken und Gefühle fließen zu lassen", was im Leben doch eigentlich sehr wichtig ist, das "Größere, Ganze" zu spüren... Geht es nicht am Ende im Leben für uns alle darum? Ist das nicht eine Ebene, ohne die Leben kein Leben wäre? Was man wirklich fühlt, wirklich liebt, wirklich möchte?

Dieses gesamte Feld ist bei mir seit der Geschehnisse damals ein rotes Tuch für meine Seele. Und hinterlassen wurde Leere und verbrannte Erde, wo einmal Motivation und ein Ziel waren.

Das fühlt sich so verloren und oberflächlich an, das tut mir gar nicht gut.

Das "höchste der Gefühle" ist gerade noch, wenn ich vielleicht spazieren gehe und so ganz elementare Reize wahrnehme, den Geruch des Waldes, Sonne auf meiner Haut, eine Brise Wind... da hätte ich stundenlang auch Zeit, bei und in sich selbst anzukommen, über das Leben nachzudenken, aber alles, was über "einsilbige" Gedanken/Eindrücke hinausgeht, überfordert mich, weil ich es seit Jahren aktiv abschalte, und schon gar nicht mehr weiß, wie man "in Zusammenhängen" denkt. Sind einzelne Worte: Wind, warm, kalt, schön, anstrengend, atmen, Schritte zählen... das wird einem auf Dauer (Jahre!) irgendwie nicht gerecht. Das fühlt sich so leer an :(
FrauToeff
Beiträge: 1
Registriert: 23. Aug 2021, 18:59

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von FrauToeff »

Hallo,
ich bin grad ganz neu hier und bin beim Stöbern auf Deinen Post gestossen, den ich - auch wenn er lang ist - gelesen habe. Vieles werde ich sicher nicht richtig einordnen oder verstehen können, einfach weil ich nicht alle Fakten oder Abläufe kenne.
Es klingt nicht nur sehr einschneidend, sondern tut beim Lesen schon fast körperlich weh, mit welch schwerem Gepäck Du unterwegs bist.
Die Frage, wo ist die alte Person geblieben, wer bin ich durch all das geworden, wirst Du vielleicht niemals zu Deiner Zufriedenheit beantworten. Ich vermute, Du bist /warst jemand, der immer nah am Perfektionismus war und dem der lange Erfolg dabei auch recht gab. Deine damalige Lebensart hat Dich ausgefüllt und bestätigt, nebenbei vielleicht auch sehr glücklich gemacht. Natürlich möchte man dann in diesen "Zustand" wieder zurück, um sich so lebendig zu fühlen.
Aus meiner Erfahrung weiss ich, es wird nie wieder so und Dinge, die passiert sind, kann man weder ändern, noch etwas zurückholen. Aber ich kann das "Jetzt" ändern, dabei kommt die "schöne Gratwanderung" ins Spiel, denn zu viel Druck auf mich schadet mir und bringt mich nicht weiter.
Aber - das weisst Du eigentlich auch alles schon selber, dazu bist Du sehr in Selbstreflexion und in der "Warum" Frage gefangen. Vielleicht ist genau das das "Hindernis" für Deine Seele und das viele Grübeln und Denken lässt Dich darin versinken.
Hätte ich es nicht selber erlebt, würde ich es nicht glauben, und es ist auch ein schwerer Weg - keine Frage - doch man kann es ein Stück weit lernen, sich über kleine Dinge, wie z.B. der Geruch des Waldes, die Sonne auf der Haut, eine farbenfrohe Blumenblüte zu freuen und das auch als solches anzunehmen.
Mit der Zeit kommt die Freude von alleine zurück (ja, Geduld ist hier gefragt und keine Wertung) und dann tut es unendlich gut, es wird wieder warm in der Seele und darauf bauen sich weitere Gefühle auf.
Ich weiss nicht, ob Du mich hierbei verstehst und ich will hier auch nicht in einem Roman enden.
Mein erster Gedanke beim Lesen Deiner Worte war jedoch, dass Du viel zu hart mit Dir selber ins Gericht gehst und Dir selber kaum eine Chance gibst, etwas Positives zu erleben.
Eines der wichtigsten Dinge, die ich in meiner Geschichte im Nachhinein sehe, ist, das man sich selber vergibt, was war und das auch akzeptiert. Einen Punkt setzt und dann noch etwas Luft holen, sich neu orientieren und dann noch nach vorn schauen. Ich sage damit nicht, das es einfach ist, kann aber auch sagen, das es befreit. Ich habe es auch mit Hilfe von Ritualen gemacht, wie z.B. Verbrennen von Fotos,
aber das Loslassen hat mir in meiner Seele wieder Erleichterung gegeben und den Blick nach vorn ermöglicht.
Ich bin mir sicher, in Dir drin ist von dem Menschen, den Du da von früher beschreibst, auch ein Stückchen vorhanden und dieses Stückchen das kannst Du nur für Dich selber finden. Und es ist auch für niemanden anderen wichtig. Wenn man etwas völlig verzweifelt sucht, dann ist es meistens sehr schwer wenn nicht unmöglich, es zu finden, aber mit etwas Abstand taucht es dann plötzlich ganz alleine auf.

Gib Dir selber doch Zeit und vor allem die Chance, wieder Du zu sein und Dich auch an kleinen Dingen zu erfreuen.
Du darfst nicht übersehen, wie viel Stärke und Kraft Dich Dein Kampf all die Jahre gekostet hat - und trotzdem machst Du weiter.
Nowhere Man
Beiträge: 100
Registriert: 5. Mär 2021, 16:02

Re: von Einsamkeit und verlorener Identität

Beitrag von Nowhere Man »

Liebe FrauToeff,

zunächst einmal herzlich willkommen hier im Forum. Und vielen Dank für deine ausführlichen und mitfühlenden Gedanken zu diesem Thema. Ich fühle mich ein bisschen geehrt, dass du für deinen bisher einzigen Beitrag deine Zeit ausgerechnet für mein Thema aufgewendet hast.

Ja, es wird sehr schwierig sein, zu realisieren, dass manches für immer verloren ist. Was den damaligen "erfolgreichen Zustand" angeht, der dauerte ja gar nicht so lang. Ich war gerade in den Startlöchern für ein Leben, das sich genau richtig anfühlte, als die Depression so heftig reingrätschte. Zuerst mit 18, und dann, nachdem ich mich ungefähr von 25 bis 30 "wiederhergestellt" und einen "Neustart" Stück für Stück aufgebaut hatte, ein zweites Mal so richtig krass. Auf dem Status schwimme ich nun seit ca. 10 Jahren.

Mit dem "mit mir selbst hart ins Gericht gehen", hm, das hab ich schon häufiger so gehört. Ich empfinde es zumindest als ganz anders. Ich versuche schon sehr aktiv, mich zu schonen, mir sehr viel nachzusehen, meine Ansprüche (auch an das "kleine Glück") immer niedriger zu schrauben.

Was das sich selbst "suchen/finden" angeht: Zumindest die "alte" Persönlichkeit, die damals in meinem Leben so alleingelassen wurde, sieht die ganze Zeit zu, kann aber nicht eingreifen. Das meine ich mit "lebendig begraben". Da fühle ich mich verantwortlich für mich selbst, diesen mir wichtigen Teil zu retten und zu reanimieren. Ich möchte mich nicht komplett neu definieren, komplett umorientieren. Sondern vielmehr mich von dem Ballast freischaufeln, den mir das Leben in den letzten Jahren in den Weg geworfen hat. Und unter den Trümmern mein altes Ich wiederzufinden. Sicher mit einigen Blessuren, das ist schmerzlich genug.

In der Zwischenzeit möchte ich weiter versuchen, mich an kleinen Dingen zu freuen (während andere, große Sorgen auf mich zurollen, die ich nur versuchen kann, für einen Moment "auszublenden", dazu schreibe ich in einem anderen Thread noch etwas)
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