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Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 28. Mai 2021, 14:23
von Suchende2
Hallo Roderick Usher,

herzlich willkommen im Forum!

Ich halte es wie folgt. Auf der Arbeit bin ich wegen Burn Out krankgeschrieben. Das ist die gesellschaftlich akzeptiertere Beschreibung für eine Depression. Meine Betriebsratvorsitzende weiß, was das wirklich bedeutet, da sie selbst einen Freund hat, der ein Burn Out hatte.
Ich nehme an, daß mein Chef auch weiß, was es wirklich bedeutet.

Im privaten Umfeld gehe ich offen, aber vorsichtig damit um.
Je nachdem erzähle ich, daß ich eine Depression oder Burn Out habe.
Meine Familie, Schwiegerfamilie und die engsten Freunde wissen von Anfang an, daß es eine Depression ist. Im ehrenamtlichen Bereich habe ich, je nachdem wem ich es erzählt habe, vom Burn Out oder Depression gesprochen.
Zu meinem Glück habe ich bis jetzt keine direkten negativen Rückmeldungen erhalten.
Allerdings habe ich schon mitbekommen, dass 2 Freunde sich seitdem nicht mehr bei mir melden.
Da werde ich später mal nachfragen, woran das liegt.

In der Schwiegerfamilie habe ich eine ganz lieb gemeinte Rückmeldung erhalten. Ich solle einfach vergessen, was ich in der Kindheit erlebt habe, dann würde es mir wieder gut gehen.
Da ich da genau weiß, daß es wirklich lieb gemeint war, kann ich damit mehr oder weniger gut umgehen.
Ich habe auch erlebt, daß man gutgemeinte Tipps bekommt, die total an der Wirklichkeit vorbeigehen. Die einem zeigen, daß kein Verständnis für die Krankheit da ist, auch wenn man es versucht zu erklären. Da halte ich mich jetzt ziemlich bedeckt, wenn ich gefragt werde, wie es mir geht.

Alles Gute,
Suchende

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 28. Mai 2021, 15:39
von Windwolke
Hallo Roderick,
ich bin seit Jahrzehnten immer mal wieder mit schweren Depressionen und Angststörung am Kämpfen. Bei mir hat sich im Laufe dieser langen Zeit mein Umgang mit dieser Diagnose sehr verändert. Während ich früher meinen Freundinnen erzählte, dass ich an Depression leide, ging ich später und vor allem auch im Beruf dazu über, von einer Stoffwechselstörung im Gehirn zu sprechen. Wenn dann nachgefragt wurde, konnte ich immer noch umschreiben, z. B. Erschöpfung, Niedergeschlagenheit etc. Seit ich nicht mehr berufstätig bin und ich den Eindruck habe, dass Depression zunehmend ernster genommen und sogar in den Medien manchmal erklärt wird, habe ich nichts mehr zu verlieren. Seitdem erzähle ich, wenn ich gerade wieder in einem Loch festhänge, vielleicht sogar schon etwas provokativ bzw. um Reaktionen zu erfahren, dass ich an Depression leide.

Früher gab es unterschiedliche Reaktionen. Freundinnen versuchten mich auf die Risiken von Antidepressiva hinzuweisen oder mir ihre Sorge vor einer Wesensveränderung klar zu machen. Bekannte hielten sich bedeckt, manche verstanden meine Gemütsverfassung nicht und zogen sich zurück. Auch bei Freundinnen merkte ich, dass ich meine Gefühle nicht einfach ausleben und über sie reden kann, denn mir geht es in einer Depression immer so schlecht, dass keiner meine Negativität ertragen kann (was ich total verstehe und nachvollziehen kann). Es machte mich aber einsam und ich fühlte mich in den schlimmen Phasen isoliert. Es gab sowas wie diese Gruppe noch nicht. Deshalb probierte ich, wenn ich die Kraft dazu hatte, Selbsthilfegruppen aus. Doch meist war ich zu erschöpft dazu, außerdem verkraftete ich den Zustand anderer Depressiven nicht.

Heute spreche ich offen über meine Depression. Mir ist es egal, wie die Leute reagieren. Mein Mann steht fest zu mir, einige enge Kontakte auch, mehr brauche ich nicht. Dabei merke ich, dass sich Menschen manchmal betroffen oder mitfühlend zeigen, mich aber für meine Krankheit nicht ablehnen. Mein Mann tut ihnen wahrscheinlich besonders leid (mir auch!). Aber ich achte genau darauf, dass ich nicht anfange, meine dunklen Gedanken mitzuteilen, wie ich es als unerfahrene Depressive gemacht hatte.

Vor knapp zwei Monaten musste ich meinen jungen Hund in liebevolle Hände abgeben, weil ich kurzfristig eine schwere Erschöpfungsdepression bekommen hatte. Die Züchterin, von der mein vierbeiniger Schatz kam, war das Härteste, was ich jemals zu hören bekommen hatte. Sie war zwar selbst grade durch eine andere Krankheit in einem Ausnahmezustand, aber sie wurde „sauwütend“, verurteilte mich, sagte gehässig, ich solle mich in meiner Depression ausruhen, ob ich mich nicht schäme usw. Ich musste den Kontakt abbrechen, weil ich diese Beschimpfungen nicht ertragen konnte, und bis heute kann ich mir eine entsprechende Whatsapp-Nachricht von ihr nicht anhören. Dabei habe ich mir nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen, weil ich alles versucht hatte, um diesen schrecklichen Schritt nicht gehen zu müssen.
So eine Reaktion ist mir wirklich noch nie passiert, aber das lag wohl an ihrer bitteren Enttäuschung, da sie uns von allen ihren Welpenkäufern am meisten vertraut hatte, dass es gut funktionieren würde, weil ich hundeerfahren bin und in die Hunde sehr verliebt war und noch bin. Es passt nicht in ihr Weltbild, und sie scheint Depression als Faulheit zu sehen. Keine Ahnung. Aber solche Menschen gibt es halt auch noch.

Liebe Grüße,
Mechthild

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 28. Mai 2021, 23:29
von Sunshine5678
Hallo Jürgen, ich finde es sehr wichtig Dinge anzunehmen und nicht dagegen anzukämpfen, weil das unnötiger Kraftaufwand ist.
Liebe ich meine Depressionen- nein. Sind sie ein Teil von mir - ja
Leider sind psychische Krankheiten doch oft noch ein tabu und viele Leute meinen trotzdem super wichtige Tipps geben zu müssen, die helfen sollen.
Dies passiert dagegen nicht so oft z.B. bei blinde Menschen, im Rollstuhl oder ähnliches. Ich möchte in keinster Weise Krankheiten gegeneinander zu vergleichen
Ich spreche auch nur mit Menschen meines Vertrauens über meine Depressionen, über meine Hüftarthrosen spreche ich viel eher.
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, der einem gut tut. Vielleicht ist es leichter für dich erst mal die Depressionen für die zu akzeptieren,bevor du es mit dem Menschen um dich versuchst.
LG Claudia

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 29. Mai 2021, 00:45
von Strohi
Hallo Jürgen,

ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, dass Dein Therapeut Recht hat; der Weg zur Besserung führt über den schmalen Grat der Selbsterkenntnis.

Damit will ich nicht sagen, Du musst bzw. Du solltest Dir ein Schild umhängen auf dem stehen würde: "Ich bin depressiv". Ich will nur damit sagen, dass Du Dir bewusst machen musst und auch sozusagen eingestehen musst, dass Du krank bist, und dass die Krankheit eine Depression ist.

Dein Therapeut hat nach meiner Meinung deshalb Recht, weil dieses "Selbst-Eingeständnis" es Dir leichter macht, Anderen davon zu erzählen oder Anderen auf deren Fragen zu antworten. Das "Drumherum"-Reden, evtl Ausreden und Verleugnen schwächt Dich - vielleicht nicht jetzt, sondern erst mittel- oder langfristig, aber es schwächt; weil es das Selbstbewusstsein, das Selbstvertrauen langsam aber sicher untergräbt (und Depressive haben manchmal auch Probleme mit eben diesen Selbstbewusstsein/-vertrauen).

Im Bereich einer anderen Krankheit - nämlich der Multiplen Sklerose (MS) - gibt es übrigens einen guten Slogan: "Ich habe MS, aber sie hat nicht mich und ich bin nicht sie".

In diesem Sinn, alles Gute für Dich und viel Erfolg beim Umgehen mit der Depression.

LG, Strohi

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 29. Mai 2021, 09:14
von Lavendel64
Hallo Jürgen,

ich gehe völlig offen mit der Depression um. Seit einem Zusammenbruch vor 7 Jahren musste ich "Farbe bekennen", vorher habe ich mich bei Tiefs immer so durchgehangelt und niemand (außer meiner Familie) wußte, dass ich in Behandlung bin.

Mit dem Zusammenbruch musste ich mit dem Arbeitgeber reden und erfuhr viel Verständnis. Die Akzeptanz kam mehr oder weniger in der Tagesklinik - es waren so viele "normale" Leute dort, denen man weder ansah noch spürte, unter welchem Leidensdruck sie stehen. Seitdem gehe ich mit einer anderen Einstellung durch die Welt. Egal, wen man trifft, man weiß nie, wie es demjenigen wirklich geht. Natürlich gibt es die Menschen, die nicht nachvollziehen können, wie sich ein schwarzes Loch anfühlt. Meine Antwort auf "Ich kann das nicht verstehen" ist: "dann sei glücklich darüber".

Mit dem Burnout sehe ich es etwas anders: es ist eine Variante der Depression. Sie kann sich als Burnout äußern, das muss aber nicht so sein. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass die Akezptanz auch bei Depression besser geworden ist.

Ich habe mich nach 9 Monaten durch die Wiedereingliederung gekämpft und eine gewisse Stabilität erreicht. Mit der Akzeptanz der Diagnose kam gleichzeitig die Erkenntnis, dass Achtsamkeit ein gutes Gegenmittel ist. Stressoren erkennen und sofort darauf reagieren. Abgrenzung lernen, all das ist ein längerer Prozess, durch den man sich aber selber findet.

LG Lavendel

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 29. Mai 2021, 09:16
von Greta1962
Hallo!

Ich finde es auch schwierig. Viele kennen zwar den Begriff "Depression", haben aber andere Vorstellungen. Man muss nicht traurig und schwermütig nach außen hin sein - und wenn man dann in Gesprächen "wie immer" ist, dann machen sich u.U. andere falsche Gedanken.

Eigentlich bin ich jemand, der offen mit allem möglichen umgehen kann. Ich finde das auch wichtig. Irgendwas zu verschweigen oder zu verheimlichen kostet mehr Energie als es direkt zu sagen. Allerdings bin ich inzwischen von dieser Theorie etwas abgewichen - nicht zuletzt wegen der Erkenntnis, dass es andere schlichtweg gar nichts angeht, was ich habe. Das muss ich mir immer wieder bewusst machen! Man hat ja so das Bedürfnis, offen und ehrlich auf eine Frage zu antworten - aber dazu ist man in manchen Bereichen nicht verpflichtet. Ich sage meist so etwas wie "ich habe da mehrere Baustellen" - was auch stimmt, manchmal sage ich auch nur "Rheuma", was auch stimmt (wobei sich darunter auch nur wenige das Richtige vorstellen können).

Trotzdem ist es in meinem Leben ruhig geworden. Kann an Corona liegen - muss aber nicht. Ich habe wenig Energie, bin müde, ich habe auch keine Lust mehr auf small-talk und deshalb fallen viele Bekanntschaften weg ... da kommt eines zum anderen. Aber es macht mich schon ein bisschen traurig, dass man meine Krankheit (immerhin schon 9 Monate krank geschrieben) so wenig ernst nimmt, dass man sich mal erkundigt oder so. Das gerät so schnell zur Normalität für andere ... und ich bin ja nicht lebensgefährlich erkrankt .... keine Ahnung. Jedenfalls merke ich schon, dass ich mich isolierter fühle. Einerseits stört mich das nicht so sehr, ich habe ja noch Mann und Kinder - aber etwas traurig macht es mich schon.

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 2. Jun 2021, 10:24
von Femme
Hallo Jürgen,

auch ich habe eine rezidivierende Depression, bin seit gut zwei Jahren in Therapie (Verhaltenstherapie).
Ich persönlich habe keine gute Erfahrung gemacht mit dem preisgeben meiner Depression.

Menschen die mir wichtig waren/sind informierte ich, aus dem einfachen Grund das sie wissen warum es mir oft nicht so gut ging/geht. Es wurde zuerst Verständnis mir entgegen gebracht, doch nicht lange darauf wurden sie u.a. ungeduldig, verständnislos.

Im Berufsleben weiß niemand von meiner Depression, gerade weil ich auch eine neue Stelle angetreten bin. Ja es kostet viel Kraft dies zu verbergen, die Arbeitskollegen wissen nur oberflächlich von meinem Morbus Basedow, Allergien und hier fallen schon Bemerkungen die mich verletzten, wie z.B. Du bekommst ja wirklich alles. Und diese Aussagen wurden dann mit einem spöttischen Grinsen untermalt.

Ergo halte ich mich mit meinen Baustellen zurück, keine Aussagen mehr.

Auch ich lebe jetzt noch mehr zurück gezogen, wohne alleine, Freunde habe ich hier keine. Ich habe mich verändert durch die ständige Selbstreflektion und der Therapie. In meinem Thread schrieb ich schon einmal, das man es aufgibt (ich) wenn man auf Menschen zugeht um dann doch gegen Mauern zu laufen.

Früher war ich sehr kontaktfreudig, ich gebe zu das dies meist aus Bedürftigkeit war, wollte Anerkennung, Liebe, Wertschätzung. Habe jedoch verstanden das ich mir dies erst selbst geben musste.

Mag sein das Depression nicht mehr so arg stigmatisiert wird, doch ich glaube es kommt auch darauf an wo man lebt.

Ich habe einen Kollegen der die Diagnose Burn out hat, wenn ich dann mitbekomme wie verständnislos über ihn gesprochen wird, habe ich für mich die Bestätigung das es gut ist meine Depression für mich zu behalten.
Versuche oft den Kollegen zu erklären was es bedeutet mit diesem Krankheitsbild zu leben, sie verstehen es nicht.

Sich zurück ziehen ist gut, es gibt einem wieder Kraft, sofern man an sich arbeitet. Ich mache es so das ich erst meine Gefühle zulasse, sie aber dennoch hinterfrage ob sie berechtigt sind, genau wie das berühmte Gedankenkarussell. Meist sind sie es nicht.
Überlege mir was schönes für mich, was mich wieder erdet, meist ist es Musik, Yoga, lesen, einen schönen Spaziergang.

Ich weiß nicht genau ob es der richtige Weg ist, doch zur Zeit fühlt es sich besser an, vielleicht ist eine Hochphase die wieder vergeht. Doch wer weiß das schon, nehme die ruhigeren Zeiten mit.

Ich wünsche Dir von Herzen gute Zeiten.

Femme

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 2. Jun 2021, 16:46
von Windwolke
Hallo Jürgen,

vielen Dank für deine Rückmeldung, das Lob und die guten Wünsche!

Ich weiß nicht, ob mein Umgang mit der Offenheit so vorbildlich ist. Denn man kann wirklich nicht jedem gegenüber offen sein. Während eines meiner Klinikaufenthalte haben wir gelernt, dass es vor allem im Beruf nicht angeraten ist, sich allen gegenüber zu outen. Es gibt immer wieder Menschen, die das ausnutzen. Meist spürt man ganz gut, wem gegenüber man es wagen will, sich verletzbar zu machen. In der Tagesklinik wird das wahrscheinlich für dich bald kein Problem mehr sein. Aber für den Beruf hatten wir angeraten bekommen, von einer "Stoffwechselstörung im Gehirn" zu sprechen.

Wenn ich in einer guten Phase bin, fühle ich mich inzwischen stark genug, um offen zu sein. Da bläst mich nicht mehr so schnell etwas um. Wenn es mir aber richtig schlecht geht, bin ich auch nicht mehr so stark, um offen sein zu können. Es kommt immer auf die Perspektive an. Wenn man auf dem Boden liegt, ist alles groß und stark. Sobald du Kraft bekommst und aufstehen kannst, verändert sich die Sicht auf die Dinge.

Ich wünsche dir, dass du in der Tagesklinik genug Unterstützung bekommst, um wieder aufstehen und gute Entscheidungen treffen zu können. Ich wünsche dir viel Kraft und Hoffnung!

Liebe Grüße
Mechthild

Re: Gesellschaft und Depression

Verfasst: 8. Jun 2021, 14:37
von SadAgain
Hallo,

bei mir ist es total unterschiedlich. Als ich vor 11 Jahren krank geschrieben war und danach meinen Job kündigte, war die Diagnose "Burnout", allerdings ist ein Burnout immer (so sagten mir Arzt und Therapeut) eine Mischung aus Depression und Angststörung. Und das traf bei mir zu. Bei der Arbeit habe ich keinen Grund für meine Krankmeldung genannt. Aber sie konnten es sich vermutlich denken. Sowohl mein Mann als auch mein Vater waren mal mit bei meinem Therapeuten, um sich alles erklären zu lassen. Der Freundeskreis hat sich verkleinert. Es gab Leute die es nicht verstanden und mich belächelten. Und dann gibt es die, die heute immer noch da sind.

Jetzt bin ich zurück in der Depression und gehe in meinem engsten Freundeskreis offen damit um. Da ich finde, dass die Depression einfach mehr Beachtung finden sollte. Für mich ist meine Depression schlimmer als jeder körperlicher Schmerz den ich jemals hatte. Denn der geht wieder weg. Die Depression bleibt. Zumindest bei mir.