Warum Psychotherapie nicht funktioniert

f32-axolotl
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Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo ihr Lieben,

nach meinem reißerischen Titel möchte ich etwas einschränken. Es geht hier darum, warum Psychotherapie bei mir nicht funktioniert.

Ich habe mittlerweile fünf Psychotherapeuten "verbraucht". Dazu kommen zwei weitere für stationäre Aufenthalte, aber die verschweigen wir jetzt einfach mal. Es kommt mir auch gar nicht so sehr auf die Menge von Menschen an, die es leider nicht geschafft haben, mir zu helfen.

Der Grund, weshalb Psychotherapien bei mir nicht funktionieren, ist die Grundannahme, die mehr oder weniger explizit hinter jedem Therapieversuch steht, nämlich: Der Therapeut übernimmt keinerlei Verantwortung für den Patienten, sondern führt den Patienten nur dorthin, wo er von Anfang an schon hätte sehen können, wie er sich selbst helfen kann.

Dieser Ansatz funktioniert sicherlich für einige* Patienten. (* Ich lasse mal offen, ob für mehr oder für weniger als die Hälfte.) Manchmal sieht man "den Wald vor lauter Bäumen nicht" und muss nur ein bisschen darauf gebracht werden, wie man sich selbst hilft, was man eigentlich schon wusste, nur in dem Moment (durch die Depression) nicht sehen konnte. Das ist in Ordnung. Wenn der Patient es eigentlich weiß und man ihm das nur sagen muss, ist das ein guter Weg.

Und dann gibt es Patienten, die eben noch nicht selbst wissen, wie sie ihre Probleme lösen können. Manchmal liegt es daran, dass es ein lösbares, aber schwieriges Problem ist. Das kann man dann im Rahmen einer Therapie schrittweise lösen. Da kann dann der Therapeut helfen, den Patienten zu motivieren, dran zu bleiben und schrittwiese alles anzugehen. Ist sicherlich auch ein guter Weg.

Schließlich gibt es dann die dritte Gruppe - zu der ich dann gehöre - von Patienten, die ihre Probleme selbst nicht lösen können und auch nicht wissen, wie sie die Probleme angehen können, weil sie vielleicht gar nicht lösbar sind oder den Therapeuten selbst überfordern. Da beschränkt sie die Therapie dann darauf, dem Patienten die Ursachen für seine Probleme zu zeigen. Die Hoffnung dabei ist, dass der Patient auf magische Weise durch die Erfahrung seiner Ursachen dann ... geheilt ist.
Und das passiert nicht.

Ich kenne die Ursachen meiner Depression sicher seit über fünf Jahren und verstehe auch die Zusammenhänge sehr gut. Aber ich kann nichts daran ändern. Vergangenheit lässt sich nicht ändern und wenn die Ursachen meiner Depression in der Kindheit liegen, kann ich nicht meine Kindheit verändern. Auch kann ich nicht meine Denkmuster ändern, sodass mir meine Kindheit egal wird und mein heutiges Leben vollkommen losgelöst wird von allem, was früher war.

Und daher scheitert Therapie bei mir: Weil sie mir keine Antworten liefert auf die entscheidende Frage: Was kann ich tun, damit es mir besser geht?

f32
BadewanneVollGeld
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von BadewanneVollGeld »

Hallo f32,
f32-axolotl hat geschrieben: Die Hoffnung dabei ist, dass der Patient auf magische Weise durch die Erfahrung seiner Ursachen dann ... geheilt ist.
als ich diesen Satz las, musste ich daran denken, dass ich aus genau diesem Grund nach 5 Jahren Psychoanalyse zur Verhaltenstherapie gewechselt bin. Ich habe einige Stunden damit verbracht mit meinem ersten Therapeuten darüber zu sprechen, was ich denn nun tun kann, nachdem ich nun in der Lage bin Situationen, die Ursachen und Auswirkungen auf mich zu analysieren. Seine Antwort war in etwa das, was du geschrieben hast.
Die Verhaltenstherapie hat mir immerhin 2019 ein gutes Jahr verschafft. Meine Probleme sind auch nach der zweiten Therapie nicht gelöst, aber ich hab zumindest schon ein paar Dinge über mich gelernt und akzeptiere sie nun die meiste Zeit. Bei mir ist es z.B. so, dass mir Kontakt zu Menschen sehr gut tut. Das fand ich zu anfangs schwer zu akzeptieren, da ich unbedingt alleine klarkommen wollte und Treffen mit Menschen für mich auch eigentlich anstrengend sind. Auch konnte ich (bis Corona kam) mit Kickboxen "schlechte Energie loswerden" und gleichzeitig Selbstbewusstsein aufbauen. Ich fühlte mich nicht mehr hilflos. Kickboxen hatte ich aber erst in einer Klinik für mich entdeckt, wäre sonst wohl nie auf die Sportart gekommen.
Beides (Menschen treffen, Kickboxen) sind natürlich Dinge, die während der Pandemie schwierig sind, weshalb sich mein Zustand seitdem auch stark verschlechtert hat. Was ich aber immer noch machen kann sind körperliche Übungen, wenn z.B. die Gravitation mal wieder übermäßig stark wird und mich runterzieht, mich stattdessen bewusst aufzurichten und der Decke entgegen zu strecken. Das kann temporär auch mal helfen.

Kurzgesagt: Ich versuche zwar immer noch meine Probleme zu lösen, aber geholfen hat mir eher stärkende Strukturen aufzubauen, um den Ballast besser ertragen zu können.

Viele Grüße
BvG
Meridian
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Meridian »

Hallo f32,
f32-axolotl hat geschrieben: Die Hoffnung dabei ist, dass der Patient auf magische Weise durch die Erfahrung seiner Ursachen dann ... geheilt ist.
Und das passiert nicht.
Wenn du die Hoffnung hast, dass du in der Therapie etwas über die Ursachen deiner Depression erfährst und dann "auf magische Weise " geheilt bist, dann wird und kann das so auch nicht passieren.
Therapie hat nichts mit Magie zu tun, sondern sie ist wirklich harte Arbeit, sehr anstrengend
und ich muss die Veränderung wirklich wollen und eben auch die Verantwortung dafür übernehmen.
Die Verantwortung für mich selbst und dafür, dass es mir besser geht, gebe ich in einer Therapie
nicht an den Therapeuten ab, das würde ich gar nicht wollen und das würde auch kein Therapeut leisten können.
Es ist richtig, was du schreibst: Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern und das, was
evtl. in der Kindheit passiert ist und mich als Erwachsene prägt und zu bestimmten Verhaltensweisen und Denkmustern führt, das ist nicht mehr zu ändern.
Was noch zu ändern ist, eben z.B. in einer Therapie, das ist, nach und nach das eigene Verhalten und Denken zu hinterfragen, was ein mühsamer und schwieriger Prozess ist weil ja vieles unbewusst abläuft und man es sich erst mal bewusst machen muss.
Und genau dafür brauche ich den Therapeuten, der mir hilft, eine andere Perspektive einzunehmen, weg von der Denkweise: Ich habe das schon immer so gemacht und das wird sich auch nicht ändern und mir kann sowieso keiner helfen.
Wenn es in der Therapie gut läuft, dann lerne ich langsam um, kann erkennen, dass es Alternativen gibt zu meinem bisherigen Verhalten gibt, aber auch vielleicht Ressourcen entdecken, die schon immer da waren und das alles in einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zu dem Therapeuten.

LG, Meridian
DieNeue
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von DieNeue »

zu früh abgeschickt
Zuletzt geändert von DieNeue am 24. Feb 2021, 14:28, insgesamt 1-mal geändert.
DieNeue
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von DieNeue »

Hallo zusammen,

@ Meridian:
Meridian hat geschrieben:Wenn du die Hoffnung hast, dass du in der Therapie etwas über die Ursachen deiner Depression erfährst und dann "auf magische Weise " geheilt bist, dann wird und kann das so auch nicht passieren.
Ich habe es eher so verstanden, dass nicht f32, sondern die Therapeuten erwarten, dass es reicht, dem Klienten die Ursachen seiner Probleme aufzuzeigen und dann allein das Verstehen der Zusammenhänge hilft und das Problem auflöst. Bei mir war das schon oft der Fall, dass ich allein dadurch, dass ich verstanden habe, was die Ursache für mein Problem ist, schon weitergekommen bin und sich das Problem gelöst hat. Aber so wie ich f32 verstanden habe, reicht das Verstehen der Ursachen bei ihm nicht aus, sondern er bräuchte und will konkretere Hilfe, was er machen kann, damit es ihm besser geht.

@ f32: Ich verstehe dich jetzt nicht so, dass du die Verantwortung für dein Leben komplett an einen Therapeuten abgeben willst, sondern dass du eher "Hilfe zur Selbsthilfe" möchtest. Also eher konkrete Methoden erarbeiten, mit denen du dann im Alltag dafür sorgen kannst, dass es dir besser geht.
Was für Therapierichtungen hatten denn deine bisherigen Therapeuten? Für mich klingt es eher nach Tiefenpsychologie/Psychoanalyse. Ich würde jetzt auch wie BadewannevollGeld sagen, dass Verhaltenstherapie vielleicht eher deins ist.
Ich verstehe das mit dem, dass die Therapeuten mehr Verantwortung übernehmen sollen, so, dass du gerne hättest, dass sie ihre Arbeit mit mehr Konzept machen sollen. Verstehe ich dich da richtig?
Dass ein Therapeut nicht einfach deine Probleme lösen kann oder im Alltag immer da ist und deine negativen Gefühle einfach wegnehmen kann, ist klar.
Aber so von dem, was ich bisher so von dir gelesen habe, willst du schon an dir arbeiten, es fehlen irgendwie nur die Werkzeuge dazu.
Ich habe z.B. jahrelang ein Tagebuch geführt, wo ich jeden Tag aufgeschrieben habe, was gut war. In der letzten Klinik ging das immer mehr unter (andere Tagesstruktur, so viel anderer Input zum Aufschreiben usw.), so dass danach die Routine weg war und ich das die letzten Jahre nicht mehr regelmäßig gemacht habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir mittlerweile die positiven Dinge nicht mehr so auffallen wie früher. Ich hatte mir das jahrelang durch das Tagebuch erarbeitet, dass ich nicht nur negatives sehe.
Bisschen ernüchternd zu sehen, dass es mich wirklich Kraft und Durchhaltevermögen kostet, von meinem negativen depressiven Denken wegzukommen, und ich da kontinuierlich weitermachen muss, damit ich diese Fähigkeit wieder erlange bzw. erhalte, und andere Leute brauchen sich da nicht so abplagen, sondern haben grundsätzlich ein positiveres Gemüt als ich.
So wie ich dich verstanden habe, brauchst du - wenn man das mal auf dich übertragen würde - nicht jemanden, der dir jeden Tag für dich in so ein Tagebuch schreibt, sondern der dir erstmal aufzeigt, dass es diese Möglichkeit gibt und wie es dir helfen könnte.

Liebe Grüße,
DieNeue
Gertrud Star
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Gertrud Star »

Als ich gestern noch den Text las, dachte ich so: Was für ein Rätsel, wo ist der Ausgang?

Ich denke, dass Therapie oft gar nicht so einfach ist, ansich schon, und auch weil da ja immer 2 beteiligt sind. Es ist doch ein Miteinander. Wäre dem nicht so, bräuchte es ja keinen Therapeuten. Das Thema sollte vielleicht dann doch mal auf den Tisch. Dann können die Lösungen sichtbarer werden.

Mein längerer Gesprächspartner hat immer gemeint, analysieren könnte ich ja gut. Er hat dann immer den Part übernommen, mich etwas anzuschieben, Dinge mal anders zu sehen oder wieder in die Gänge zu kommen. Das hat der auch so gesagt, also rückgemeldet. Wie recht er oft hatte, verstehe ich erst jetzt. Für den Humor war auch überwiegend er zuständig. Das war etwas wie bei einem Ehepaar, wo der eine eben mehr für das eine zuständig war, und der andere mehr für das andere.

Eine ähnliche Rückmeldung bekam ich bei einer Probestunde bei einer Therapeutin im Winter. Sie hat sehr schnell verstanden, wie ich so ticke und wo der Schuh drückt, also auch da wo die Worte fast fehlten. Sie hat (auch weil nur diese eine Stunde möglich war) wieder ganz anders reagiert. Sie meinte, sie empfiehlt eine Verhaltenstherapie und hat mir den Schein dafür ausgestellt. Im Nachhinein betrachtet, war der zweite Teil des Gesprächs so, das hatte schon auch etwas vom Pferdeflüsterer für mich. Durch relativ wenige gesprochene Sätze bekam ich wieder das Gefühl, dass ich zurecht kommen werde, obwohl ähnliches nie ausgesprochen wurde. Das lag wohl an der Berufserfahrung der Frau, und ihrer hohen Empathie.

Beide schätze ich so ein, dass das was sie am meisten mögen, Menschen sind.

Bei dir ist es noch der berufliche Stress, der dazu kommt. Da braucht es viele Lösungen, die maßgeschneidert sind und für dein Leben erarbeitet werden müssen. Aber das geht wiederum allen so, die sich Hilfe suchen.

Gruß und gutes Gelingen wünsche ich.

Mir fällt gerade noch was ein: Dieser Mensch, mit dem ich lange und viel geredet habe, sagte zu mir auch immer, dass ich gut darin wäre zu suchen, warum Dinge nicht laufen können. Aber nicht gut, Lösungen zu finden und Lösungswege.
Sagt etwas aus....
f32-axolotl
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo ihr Lieben,

danke schon einmal für eure lieben Antworten. Eure Hinweise sind sicher hilfreich, aber: Wurden bereits umgesetzt.

Verhaltenstherapie war die erste Psychotherapie, die ich gemacht habe. Da haben wir immer viel notiert und beobachtet. Insgesamt hatte ich da das Gefühl, dass man am ehesten etwas "gemacht" hat. Jetzt weiß ich zum Beispiel ganz sicher, dass ich schlecht schlafe. Eine Veränderung ist aber dadurch in mir nicht passiert, weil ich hier zwar die Probleme noch deutlicher sehen konnte und oftmals quantifierbar gemacht habe. Aber daraus alleine kann ich keine Lösung erkennen.
Die Verhaltenstherapeutin hat zwar dann Vorschläge gemacht, aber auf die Ideen, die sie genannt hatte, war ich selbst meinst schon gekommen und hatte sie bereits ausprobiert.

Tagebuch schreibe ich seit Anfang 2019. Meistens nicht sonderlich viel (im Lockdown passiert ja zum Beispiel auch nichts). Dadurch habe ich auf jeden Fall einen "Beleg" dafür, dass es mir durchgegehend schlecht geht. Oft wurde das ja von Therapeuten angezweifelt, dass die Stimmung wirklich nie besser wird. Aber jetzt kann ich jeweils nachschlagen und lesen, dass sie tatsächlich durchgehend mies ist. Aber auch daraus habe ich keine Lösung für meine Probleme finden können.

Die Verantwortung für mein Leben würde ich sicher nicht an einen Therapeuten abgeben. Die Verantwortung, dass die Therapie wirksam ist, darf aber andererseits nicht nur bei mir alleine liegen.

Für mich ist Psychotherapie insgesamt sehr undurchsichtig. Ich weiß eigentlich nie so genau, was die Therapeuten gerade konkret versuchen und welche Methode sie anwenden. Mittlerweile bin ich einigermaßen belesen und weiß etwa, was was ist. Aber eine ernsthafte Struktur sehe ich eigentlich nicht.
Oftmals habe ich das Gefühl, dass die Therapeuten hauptsächlich versuchen, mich zu verstehen, als dass sie schon behandeln.

Ihr habt vermutlich Recht, dass Therapie anstrengend ist. Ich habe sie aber nie so empfunden, weil mir nie etwas Anstrengendes "aufgetragen" wurde. Eigentlich berichte ich nur immer von mir. Das ist für mich nicht anstrengend - ich bin sehr geübt darin, über mich zu berichten und dem Therapeuten Einblicke in meine Psyche zu gewähren.

Es fehlt immer: Dass man mir sagt, wie ich mich änderen kann. Alles ist starr und unveränderlich.

f32
Meridian
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Meridian »

f32-axolotl hat geschrieben: Es fehlt immer: Dass man mir sagt, wie ich mich änderen kann. Alles ist starr und unveränderlich.
f32
Hallo F32,

vielleicht ist das gerade der entscheidende Punkt.
Du möchtest von dem Therapeuten wissen, wie du dich ändern kannst.
Mein Therapeut würde mir auch nicht sagen, wie ich mich ändern kann, ganz im Gegenteil, er fragt mich, was ich ändern will und bietet mir dann an, gemeinsam daran zu arbeiten.
Wenn ich so festhänge in alten Verhaltensweisen, fragt er manchmal auch: Wollen Sie eigentlich etwas verändern?
Und das ist eben die anstrengende Arbeit, von der ich geschrieben habe.
Eigentlich berichte ich ja auch "nur" über mich, manchmal lässt er mich reden, manchmal fragt er nach oder er widerspricht mir, macht mir deutlich, dass man das Ganze auch aus einer anderen Perspektive sehen kann usw,
Und so langsam, während wir seit Monaten eigentlich "nur" reden, verändert sich etwas, verändere ich mich, bewege ich mich zumindest schon mal in die Richtung der von mir gewünschten Therapieziele.
Das alles passiert, ohne dass er mir jemals etwas "aufgetragen" hat.
Es ist für mich das Gegenteil von starr und unveränderlich, es ist ein sehr dynamischer Prozess, der aber manchmal auch frustrierend ist, weil ja keiner seine alten Verhaltensweisen einfach so aufgibt (auch wenn man schon erkannt hat, dass sie dysfunktional sind).

LG, Meridian
Meridian
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Meridian »

Da du das angesprochen hast: Seine Methoden, also wie er den Therapieprozess steuert, würde mir mein Therapeut wohl auch nicht verraten und das muss er auch nicht.
Ich kann dich aber schon verstehen, denn die Zweifel hatte ich am Anfang der Therapie auch (und auch in allen anderen vorhergehenden Therapien).
Es hat mich verunsichert, nicht genau zu wissen, welche Methoden sie anwenden, worauf sie eigentlich hinauswollen.
Nachgefragt habe ich früher aber auch nicht und so gab es viele Missverständnisse.
Heute versuche ich Zweifel und Fragen direkt anzusprechen.
Allerdings habe ich jetzt auch viel mehr Vertrauen in den Therapeuten, dass er weiß, was er tut.
Wir haben eine Arbeitsteilung: Er ist für den Therapieprozess zuständig und ich für den Inhalt.
Bisher funktioniert das ganz gut.
f32-axolotl
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo Meridian,

das klingt auf jeden Fall, als würde die Therapie dich voranbringen.

Ich möchte mich schon ändern, allerdings nicht um des Änderns willen, sondern weil mein Leben halt schon lange absolut nicht mehr lebenswert ist. Allerdings weiß ich weder, was ich ändern muss, damit es wieder Freude und Hoffnung gibt, noch weiß ich, wie ich diese Veränderung einleiten kann. Und da haben auch fünf Psychotherapeuten mir keine Antwort drauf gegeben, sondern sich darauf beschränkt, den Ist- und den War-Zustand anzuschauen.

Und deswegen habe ich auch kein wirkliches Vertrauen mehr. Es gab einfach keine Erfolge durch die Therapien, nicht einmal ganz kleine. Und das war bei allen Therapeuten so. Sie verhalten sich alle unglaublich passiv; egal, ob das jetzt Verhaltenstherapie war, tiefenpsychologische Psychotherpie, systemische Therapie der Hypnosetherapie. Sie stellen Fragen, ich beantworte die Fragen. Und dann kommt nichts im Sinne von "probieren Sie mal dies", "machen sie mal das". Ein ganz bisschen abgewegige Ideen kamen in der Verhaltenstherapien. Aber auf die Idee, mal Sport zu machen, bin ich auch selbst schon gekommen.

Gibt es nicht Therapien, die den Fokus auf die Gegenwart und die Zukunft setzen und nicht so sehr auf die Vergangenheit? Oder bin ich einfach zu blöd für Psychotherapie?

f32
Meridian
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Meridian »

Hallo f32,

ganz sicher bist du nicht zu blöd für Psychotherapie und ich finde es schade, dass du schon so vieles probiert hast und dir keine Therapie wirklich geholfen hat.
Du hast doch klare Erwartungen an eine Therapie, weißt auch genau, was du nicht (mehr) willst.
Hast du denn deine Erwartungen an die Therapie immer so klar geäußert?
Es heißt ja immer, dass Verhaltenstherapie sich eher mit der Gegenwart und der Zukunft beschäftigt, aber damit hast du ja auch schlechte Erfahrungen gemacht.
Ich habe auch nicht den Eindruck, dass in der tiefenpsychologische Therapie der Fokus so sehr auf der Vergangenheit liegt, es geht schon um die aktuelle Problematik, aber es wird halt geschaut, was ist in der Vergangenheit passiert, was dann zu dem heutigen Problemen geführt hat und was kann ich daran jetzt noch ändern.
Vielleicht machst du ja doch noch mal einen weiteren Versuch, es könnte dieses Mal ja auch eine gute Erfahrung sein!

LG, Meridian
Gartenkobold
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Gartenkobold »

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Zuletzt geändert von Gartenkobold am 3. Mai 2022, 11:00, insgesamt 1-mal geändert.
f32-axolotl
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo Gartenkobold,

diese Schematherapie hat der vorletzte Therapeut bei mir versucht. Ich hatte es oben versehentlich systemische Therapie genannt - aber das ist ja etwas anderes. Wir sind leider immer nur zu dem Erkennen der "kindlichen" Verhaltensweisen gekommen und dort dann stehen geblieben.
In deinem Schema wäre ja gerade das T und E relevant - den Rest kann man fast überspringen, weil das schon so oft analysiert wurde. Klingt für mich gerade im letzten Schritt dann aber wieder nach Verhaltenstherapie.

Vielleicht bin ich auch einfach so "gründlich" verkorkst, dass bei mir nichts mehr geht. Mittlerweile glaube ich das zumindest mehr und mehr.

f32
Gartenkobold
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Gartenkobold »

-
Zuletzt geändert von Gartenkobold am 3. Mai 2022, 11:01, insgesamt 1-mal geändert.
Gertrud Star
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo f32,

mir ist etwas anderes noch aufgefallen, und zwar eine Parallele zu meinem Leben als ich jung war.
In älteren Texten von dir ist zu lesen, dass du ein sehr großes Päckchen zu tragen hast (Trennung, beruflich, finanziell). Außer Trennung, war das bei mir als ich jung war auch so. Ich war überschuldet, in einem Job für den ich viel zu intelligent war und verfuhr unglaublich viel Zeit für diesen (der nichtmal gut genug dafür bezahlt wurde).
In dieser äußerst belastenden Zeit wurde ich zum Psychiater und zum Therapeuten geschickt, ich war unwesentlich jünger als du. Die Belastungen nahmen auch nach meinem Umzug zu meiner Arbeitsstelle in hunderten Kilometern nicht ab. Hatte weiter Schulden und diese Arbeit, kein Zutrauen und keine Kraft für Veränderung, dazu keinen (in Westdeutschland) brauchbaren Berufsabschluss, war also praktisch ungelernt. Ich nahm Tabletten, machte Psychotherapie und hatte dadurch noch Belastung, weil das strengt ja auch an.

Im Nachhinein, viele Jahre später, musste ich leider feststellen, die Damen und Herren Behandler waren (fast alle) mit meiner Lebenssituation überfordert (und auch damit, dass wir Ossis im Westen noch so neu waren), und konnten weder helfen noch sich in eine solche schwierige Situationen hineinversetzen. Sie waren schlicht überfordert.
Und ich denke, dass in einer solchen Lebenssituation Methoden nicht helfen. Aber was, weiß ich auch nicht, leider.
Vielleicht hilft ein Eingständnis, dass es einem nicht wirklich besser gehen kann, bis sich die Situation entspannt hat. So etwas sollten auch Therapeuten in Erwägung ziehen.

Meine Depression war damals hochgradig situationsbedingt.
Der Einzige, der damals mit mir ansatzweise darüber gesprochen hat, war ein Hausarzt. Aber der hatte ja auch irgendeinen biografischen Anknüpfungspunkt: Seine Tochter etwa in meinem Alter, studierte damals Medizin, während ich mit meinem Ingenieursabschluss in einem Warenlager rum krebste als Kommissioniererin.

Erfahrungsgemäß komme ich auch gut mit Behandlern aus, wo es mindestens Anknüpfungspunkte gibt, oder eine Mentalität ist, mit der ich gut klar komme. Das können Menschen mit höhrem IQ sein, oder eine Ärztin die aus dem Ostblock kommt und ihre Ausbildung teils in der Umbruchzeit der ehemaligen DDR erlebte, oder Menschen aus dem Ruhrgebiet. Dagegen, hier wo ich lebe in diesem Bundesland sind die Menschen eher eigen.

Ich musste viele Jahrzehnte eher dahinvegetieren und das Zeitalter der Flatrates und des Internets abwarten, bis das mal klärbar war, und sich irgendwo in Deutschland jemand fand, der mit mir zumindest mal aufarbeiten konnte und immer wieder die Schritte T und E zumindest thematisieren konnte.
Geblieben ist eine Depri mit allem was dazu gehört. Was die letzen beiden Schritte angeht, fühle ich bei mir eine Wahnsnns Empfindlichkeit und auch Kränkbarkeit.

Aber, es geht ja nur um das Leben, und nicht die ganze Existenz.

Dir alles gute, vor allem gutes Gelingen.

Gertrud
Wandervogel
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Registriert: 3. Aug 2020, 14:04

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Wandervogel »

:hello: an Alle

Ich habe hier mit großem Interesse alle Eure Posts gelesen. :)

Ich würde nicht sagen, dass Psychotherapie bei mir nicht gewirkt hat. Für eine Weile schon und dann musste ich wieder zur Therapeutin. Und das geht nun seit gut 30 Jahren so.

Ich denke mir jetzt ich kann doch nicht mein Leben lang immer wieder zur Therapie laufen.

Angefangen hat alles bei mir mit einen schweren Kindheitstrauma. Schnell habe ich gemerkt, dass die Therapeuten egal welcher Couleur eindeutig überfordert waren.
Was ich am Anfang gebraucht hätte, wäre eine Traumatherapie gewesen. Doch die gab es Anfang der 90'er noch nicht in diese Ausmaße wie heute. Nur in Privatkliniken und bei Privatbehandlern. Beides damals Mitte 20 einfach unerschwinglich.

So taberte ich von einem überforderten Therapeuten zum nächsten. Gesprächstherapie, VT, Tiefenpsychologisch. Alles machte es irgendwie am Ende eher schlimmer. Anfangs hatte ich vielleicht noch PTBS, was an sich schon schlimm genug war. Doch dann kam irgendwann eine ausgewachsene Depression und mein erster Krankenhausaufenthalt dazu.
Es gab das erste Mal Medis. Die halfen am Anfang auch und ich dachte: Wow es gibt Hilfe. Doch die Unterdrückten die Probleme nur, als das sie sie lösten. Ich machte wieder Therapie, wieder VT. Meine Therapeutin bot aber auch Gesprächstherapie an und so mischten wir beides.
Wie gesagt seit Jahren ist es bei mir ein Auf und ab. Auch die Medis wechselten von einem zum nächsten und wurden über die Jahre immer mehr. Mittlerweile nehme ich 4 verschiedene Psychopharmaka ein.
Irgendwie war das - im Nachhineine betrachtet - eine ziemliche Abwärtsspirale und das Ende ist noch nicht in Sicht.

Jetzt bin ich an dem Punkt anbelangt, wo ich denke, dass dieses Wühlen in der Vergangenheit (Tiefenspychologie) und dieses "Wenn Du so denkst bist du krank - Du musst so denken damit du gesund wirst (VT) all die Jahre nicht das Richtige gewesen sein können. Gesprächstherapie ist manchmal eher eine nette Plauderei. Ich weiß nicht ob die wirklich hilfreich war oder ist. Bin noch unentschlossen.

Ich kann die "Behandlungsfehler" nicht korrigieren. 30 Jahre sind nun mal eine lange Zeit. Schlimm genug, dass ich jetzt erst mit 50+ dahinter komme.

Ich glaube, ich hätte damals wohl eher, wenn schon nicht Traumatherapie, Hilfe gebraucht im Leben richtig Fuß zu fassen, die konkreten Schwierigkeiten in Familie, Beruf und Umfeld anzugehen. Vielleicht jemand, der mir geholfen hätte die Vergangenheit als vergangen zu sehen und mich der Gegenwart zu widmen und Perspektiven für die Zukunft zu erarbeiten.
Jemand der mir deutlich klar gemacht hätte, dass ich es verdient hätte und wert gewesen wäre ich selbst zu sein.

Ich glaube, dass ich auch wohl ein Opfer der Umstände gewesen bin. Die Art von Kindheitstrauma kochte in der Gesellschaft und in den Medien hoch, was den Betroffenen nicht gut getan hat. Besonders in den privaten Sendern wurden sie ziemlich reißerisch behandelt.
Meine erst Therapeutin hat dieses Thema in mir mutwillig hochgewühlt und nicht von alleine kommen lassen. Sie hat mich quasi retraumatisiert. Ich war eigentlich bei ihr - mit meinem damaligen Partner - wegen Partnerschaftsproblemen.

Heute bin ich an dem Punkt. Mich hinsetzen mit der Therapeutin und schauen was jetzt von meinem verkorksten Leben übrig ist. Die Scherben zusammen kehren und schauen, wie ich jetzt damit leben kann. Mit oder ohne Medis. Vielleicht auch endlich ohne Therapie.

Nur wo finde ich so einen Therapeuten/eine Therapeutin.
Wechseln nach all den Jahren? Meine Thera kennt mich und mein Leben. Die/der Neue eben nicht. Doch ein frischer unverstellter Blick?

Liebe Grüße
Cynthia
Beiträge: 445
Registriert: 29. Dez 2014, 17:04

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Cynthia »

Vtl. hast Du eine therapieresistente Depression.
iffy04
Beiträge: 430
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Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von iffy04 »

Lieber f32,
ich lese aus deinem Beitrag eine gewisse blockierende Einstellung heraus. z.B. dass du bei der Schematherapie gewisse Schritte überspringen willst (weil du das ja eh schon alles weißt). Meiner Meinung nach ist Therapie aber auch unvoreingenommen und offen in eine Therapie zu gehen. Sich wirklich einlassen und nicht mit der Haltung, dass dir eh keiner helfen kann und du schon zu verkorkst bist und alles schon weißt.
Ich will dir deinen Veränderungswunsch nicht absprechen, aber gerade in der Schematherapie ist es wichtig die Parallelen zu den alten Verletzungen und Muster zu fühlen und auf sich wirken zu lassen und das braucht Zeit und einen offenen Geist.
Ist nur meine Erfahrung....heißt noch lange nicht, dass ich das umsetzen kann :?
Liebe Grüße
Deprithomas
Beiträge: 709
Registriert: 17. Mai 2020, 20:34

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Deprithomas »

lieber F 32,

mir ging es lange Zeit so wie DIR. Meine Vergangenheit wurde ich nie los, immer wieder

holte sich mich wieder ein. Nach vielen langen Jahen bin ich endlich fähig, mich mit mir

selbst und meiner ganzen Vergangenheit zu versöhnen.

Es war so wie es ist. Das kann ich heute endlich annehmen und akzeptieren. Auch weil

ich manch anderes Lebensschicksal beobachtet habe. Oh dachte ich mir, lange Zeit

habe ich gedacht, ich hätte das schlechteste, böseste Lenbensschicksal, aber da gibt es

Menschen, die müssen noch mit viel schlimmeren Dingen zurecht kommen......................

Bei der Versöhnung mit meinem eigenen Leben, konnte mir niemand helfen.

Da musste ich mich selbst überwinden, bereit sein, vor mir selbst auf die Knie zu gehen...

Hilfen sind vielleicht nur Hilfen zur Selbsthilfe. Mein Herz zu bewegen, meine innere Einstellung

zu verändern, das kann letztendlich nur ich selbst.

Oft habe ich auch viel zu viel von Therapeuten erwartet, und von mir gar nichts.............


liebe, leise Grüße an dich,

Deprithomas
Lilifana
Beiträge: 3
Registriert: 28. Jul 2017, 20:54

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Lilifana »

Lieber F32- ich glaube es ist eher so, dass es unterschiedliche Arten von Probleme gibt. Manche sind Lösbar andere nicht. Traumatische Erfahrungen kann man nicht rückgängig machen, das stimmt, du wirst deine Kindheit nicht ändern können. Auch wirst du die Last, die du dadurch auf die Schultern bekommen hast, nicht loswerden. Mir fällt dazu das Zitat von Kabat-Zinn ein, der als begründer Achtsamkeitsbasierter Verfahren gilt:

It's not a matter of letting go- you would, if you could. Instead of letting it go, we should probably say, let it be.

Es klingt für mich so, als wärst du gerade noch in so einer Haltung: Das darf nicht sein, das darf nicht passiert sein, ich weiß nicht was ich mit all diesen Erfahrungen machen soll. Es ist so als würdest du diese Erfahrungen, die du in deiner Kindheit gemacht hast, wie ein schwerer Stein hinter dir herschleifen. Es klingt ein bisschen Paradox, aberes kann leichter werden, damit umzugehen, wenn du zulässt, dass du diese Erfahrungen gemacht hast, dass diese Erfahrungen zu deinem Leben gehören und dabei eben solche negativen Denkmuster erzeugt haben.
Aus dieser Akzeptanz heraus, kannst du dich dann von diesen Gedanken distanzieren und in eine Haltung des inneren Beobachters kommen: Ah, da sind sie wieder, die schatten aus meiner Vergangenheit. Jetzt denke ich wieder so, wie ich es damals gelernt habe. Aber das ist nur EINE Möglichkeit, wie ich die Situation wahrnehmen kann, das muss aber nicht die Wahrheit sein.
Wenn du an diesem Punkt angekommen bist, dann wird es leichter, mit deinem "Gepäck" umzugehen, und du hast mehr Freiheitsgrade.

Schau doch mal in richtung Akzeptanz und Commitmenttherapie, es schient mir als wäre das ein Ansatz der dir helfen könnte. Auch eine Schema-Therapie könnte hier in Frage kommen
Happy Girl
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Registriert: 23. Nov 2016, 22:02

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Happy Girl »

Möchtest du mal über deinen Alltag schreiben? Arbeitest du? Gefällt dir die Arbeit einigermaßen? Deine Wohnsituation? Nimmst du ein AD? Warum kannst du nicht schlafen? Was hast du zur Verbesserung deines Schlafes schon unternommen? Hast du regelmäßig soziale Kontakte? Lebst du alleine? Ernährst du dich gesund, machst Sport, machst Entspannungsübungen?

Wenn du nicht glaubst, dass du gesund werden kannst, wird das schwierig.

Siehst du alleine deine Kindheit als Grund für deine heutige Depression? Logische Schlussfolgerung wäre dann aber "weil ich meine Kindheit nicht mehr ändern kann, kann ich auch meine Depression nicht los werden". Sind die Erlebnisse schuld an deiner D. oder deine Wertung darüber? Im ersten Fall müssten alle Menschen auf dieselben Erlebnisse gleich reagieren.
f32-axolotl
Beiträge: 203
Registriert: 17. Jul 2017, 20:43

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo HappyGirl,

das sind spannende Fragen, die du mir stellst. Und ich wiederum frage mich, warum mir Psychotherapeuten solche Fragen nicht wirklich stellen.
Happy Girl hat geschrieben:Möchtest du mal über deinen Alltag schreiben? Arbeitest du? Gefällt dir die Arbeit einigermaßen? Deine Wohnsituation? Nimmst du ein AD? Warum kannst du nicht schlafen? Was hast du zur Verbesserung deines Schlafes schon unternommen? Hast du regelmäßig soziale Kontakte? Lebst du alleine? Ernährst du dich gesund, machst Sport, machst Entspannungsübungen?
Also, ich "arbeite". Es soll heißen, dass ich nicht krankgeschrieben bin und in Vollzeit angestellt bin. Ich bin jetzt seit 13 Monaten im Homeoffice und bin seitdem nur selten "krank" gewesen. Tatsächlich arbeite ich aber kaum. In den letzten Wochen waren es unter 8 Stunden pro Woche, die ich tatsächlich gearbeitet habe. Ich bin vollkommen blockiert, was meine Arbeit angeht. Das Thema wird psychiatrisch sowieso, aber auch psychotherapeutisch absolut ignoriert.

Meine Arbeit gefiel mir vor Corona ganz gut. Es war Arbeit - damit immer ein schwieriges Thema bei mir, aber es ging.

Ich lebe alleine in einer Wohnung. Lebe auch alleine.

Ich nehme als "Antidepressivum" nur Agomelatin. Derzeit 50mg und die Wirkung wird schwächer und schwächer. Ich nehme es nicht als antidepressiv wirkendes Medikament (da ist es ohnehin nicht besonders stark), sondern nur zum Einschlafen. Da hat es anfangs sehr gut gewirkt und nun wirkt es manchmal noch ein bisschen.
Warum ich nicht schlafen kann, kann ich nicht genau sagen. Manchmal sind es blöde Gedanken, die mich dann nicht schlafen lassen, aber längst nicht immer. Eine wirkliche gute Ursache (außer halt Depression) gibt es nicht. Die "Hausmittel", also Schlafhygiene, eine Nacht mal durchmachen, Sport ( :roll: ) funktionieren nicht, Neuroleptika auch nicht.

Soziale Kontakte habe ich dank der ganzen Corona-Verbote nicht mehr viele. Alles, was ich mir 2020 aufgebaut habe, ist mittelweile wieder verboten worden - herrlich.

Meine Ernährung ist ziemlich grottig, aber ich esse mehrmals am Tag - immerhin. Ich kann kochen nicht leiden (kann es auch nicht; schmeckt dann einfach nach nichts oder schlecht) - daher halt alles irgendwie aus Tüten oder einer Packung. Als noch nicht so viele Corona-Verbote waren, war ich häufiger auswärts essen.
Sport ist ganz grausig - nichts für mich.
Entspannungsübungen habe ich mehrfach probiert. Leider war zumindest damals das Problem, dass durch die Ruhe schnell negative Gedanken kam. Das war dann eher kontraproduktiv.
Happy Girl hat geschrieben:Siehst du alleine deine Kindheit als Grund für deine heutige Depression? Logische Schlussfolgerung wäre dann aber "weil ich meine Kindheit nicht mehr ändern kann, kann ich auch meine Depression nicht los werden". Sind die Erlebnisse schuld an deiner D. oder deine Wertung darüber? Im ersten Fall müssten alle Menschen auf dieselben Erlebnisse gleich reagieren.
Ja, ich denke, dass die Kindheit die einzige Ursache meiner Depression ist. Auslöser war jedoch etwas anderes, aber das ist lange nicht mehr da. Grund kann ja sowohl Auslöser als auch Ursache meinen. Und ja, das stimmt - ich kann meine Kindheit nicht mehr ändern. Das macht ja die Therapie so extrem schwer. Ich bin durch meine Kindheit charakterlich miss-geprägt, und daran, mich "umzuprägen", traute sich bisher niemand. Ich selbst kann das nicht und wüsste auch keine Anhaltspunkte, wie ich meinen Charakter austauschen könnte.
Meiner Meinung nach kann man auch nicht wirklich trennen, ob die Erlebnisse Schuld sind an meiner Depression oder meine Wertung darüber. Letztlich ist ja meine Wertung auch das Ergebnis meiner (auch kindlichen) Prägung. Ich denke aber nicht, dass meine Depression eine Folge der Wertung meiner Erlebnisse sind, sondern dass die psychischen Probleme so tief in meiner innersten Persönlichkeit verankert sind, dass ich sie nicht loswerde. Vom Verstand her ist mir völlig klar, aufgrund welcher Erlebnisse ich mich selbst in die Depression ziehe. Aber nur, weil ich weiß, dass meine Reaktion zum heutigen Zeitpunkt unangemessen ist, kann ich leider meine Emotionen nicht ändern.

Und das ist für mich auch der Punkt, bei dem Psychotherapie immer aufgehört hat: Man baut im Verstand auf, so die Probleme liegen. Und dann hört die Therapie auf. An dem Punkt wird die Selbstheilung erwartet - die nicht eintritt. Die Emotionen und die Depression und der kaputte Charakter bleiben.

So ... habe mich nicht kurzgefasst, aber du hast auch viele Fragen gestellt. ;-)

f32
Suchende2
Beiträge: 1182
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Suchende2 »

Hallo f32-axolotl,

bei einigen Sachen, die Du schreibst, finde ich mich wieder. Allerdings habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, meinen Weg zu finden.

Sport finde ich schrecklich und die Entspannungsübungen bekomme ich alleine auch nicht so gut hin.
Allerdings habe ich für mich das Spazierengehen entdeckt. Hierbei aber Vorsicht! Die ersten 3 Kilometer kreist mein Kopf immer mehr und viele negative Gedanken kommen hoch. Danach habe ich eine "neutrale" Phase und dann bis Kilometer 5,8 (dann bin ich wieder zu Hause) kommt eine Erleichterung.
Was ich damit sagen möchte. Werde kreativ, finde den für Dich richtigen Weg, auch wenn er am Anfang wie eine Verschlechterung aussieht. Nur Du kannst Deinen Weg finden. Therapeuten können nur Anregungen auf Deinem Weg geben. Manchmal passen diese, manchmal nicht.
Oder um Dir eine Antwort meiner Therapeutin weiterzugeben:
"Nein Frau X, das ist nicht der falsche Weg für Sie. Es ist zur Zeit noch kein Weg für Sie."
Damit fordert sie mich auf, in anderen Phasen dieses mal wieder zu versuchen und eventuell ist es dann etwas für mich.

Ob ich mich umgeprägt bekomme, weiß ich auch nicht. Aber ich habe festgestellt (für mich), daß das beschäftigen mit meinen Emotionen, die aus der Kindheit kommen und das ernstnehmen dieser Emotionen auf Dauer wohl ein Weg sein werden, diese besser aushalten zu können (und damit anders reagieren zu können) und hoffentlich diese irgendwann weniger heftig zu spüren (ohne sie wegzuschieben) und damit in den Situationen auch andere Emotionen zulassen zu können.
Ob ich es schaffe und wie man das macht, weiß ich nicht. Aber ich habe mich auf den langen Weg gemacht und hoffe irgendwann anzukommen.

Ich wünsche Dir, daß Du irgendwann Deinen Weg findest. Nur Du kannst ihn finden.

Alles Gute,
Suchende
Schneefloeckchen
Beiträge: 31
Registriert: 1. Dez 2020, 17:50

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von Schneefloeckchen »

Hallo,

seitdem ich "professionelle" Hilfe in Anspruch nehme, habe ich zwar einerseits sehr viel Theorie lernen und Therapie erfahren dürfen, andererseits sind mir leider keinerlei Verbesserungen in meinem "Leben" gelungen. Darum spricht mich das Thema an.
f32-axolotl hat geschrieben:Ich kenne die Ursachen meiner Depression sicher seit über fünf Jahren und verstehe auch die Zusammenhänge sehr gut. Aber ich kann nichts daran ändern. Vergangenheit lässt sich nicht ändern und wenn die Ursachen meiner Depression in der Kindheit liegen, kann ich nicht meine Kindheit verändern. Auch kann ich nicht meine Denkmuster ändern, sodass mir meine Kindheit egal wird und mein heutiges Leben vollkommen losgelöst wird von allem, was früher war.
Das kann ich sehr gut nachempfinden. Meine Ursachen liegen hauptsächlich in den letzten paar Jahren und weniger in der Kindheit. Trotzdem kann ich wie du diese bösen Erfahrungen weder ungeschehen machen noch vergessen. Zudem reichen die Wirkungen in die Zukunft (Scheidung, weggenommenes minderjähriges Kind, Zerstörung der beruflichen Perspektive durch Mobbing und Diskriminierung von höchster Stelle), sodass jeder Ansatz des "Vergessens" durch den Alltag zum Scheitern verurteilt ist.
f32-axolotl hat geschrieben:Und daher scheitert Therapie bei mir: Weil sie mir keine Antworten liefert auf die entscheidende Frage: Was kann ich tun, damit es mir besser geht?
f32
Für diese Frage bekam ich in stationären, tagesklinischen und ambulanten Settings im Laufe der Zeit folgende therapeutische Antworten:
  • - Stufen "T" und "E" in der Schematherapie, die auch ich niemals vermittelt bekam
    - kognitive Umstrukturierung, neues "Priming" der Hirnbahnen und dadurch Verlassen des alten primären emotionalen Netzes, wozu ich niemals konkrete Hinweise erhielt
    - zahlreiche hübsche Skills jenseits der Skill-Zauberkiste (die u.a. Chili-Bonbons, Igel-Bälle und Ammoniak-Fläschen enthält), z.B. STOP, VEIN-AHA (nein, keine Corona-Regeln), radikale Akzeptanz, Aktivieren von Schmerzpunkten
    - Einnehmen der "Meta-Ebene" und dadurch bewusste Selektion, mit welchem Ich auf die Situation reagiert wird, um die dadurch hervorgerufenen Gefühle "auszuwählen", in diesem Zuge bewusste Attributierung der Situation und Erkennen von Dysfunktionalität
    - spontane beliebige Achtsamkeitsübung ausführen, um im Hier und Jetzt zu landen und das Vergangene quasi zu verdrängen
    - Zulassen von neuen (positiven) Erfahrungen
Meine Versuche, in ein CBASP-Programm zu kommen, bei dem wohl tatsächlich geübt werden soll, dysfunktionale Verhaltensmuster zu ändern, sind leider gescheitert. Die anderen o.g. Methoden endeten stets an dem Punkt, an dem es endlich konkret werden sollte. Ich denke nicht , dass das an meiner Sturheit oder Unwilligkeit lag, weil mir "hohe Motivation und Aktivität" bescheinigt wurde. Sicher war ich hoch motiviert, denn nach mehreren Suizidversuchen, erfolgloser ambulanter Therapie und steter Verschlechterung meiner Lebensumstände stellte die Klinik die letzte Hoffnung für mich dar ...
f32-axolotl hat geschrieben: Ja, ich denke, dass die Kindheit die einzige Ursache meiner Depression ist. Auslöser war jedoch etwas anderes, aber das ist lange nicht mehr da. Grund kann ja sowohl Auslöser als auch Ursache meinen. Und ja, das stimmt - ich kann meine Kindheit nicht mehr ändern. Das macht ja die Therapie so extrem schwer. Ich bin durch meine Kindheit charakterlich miss-geprägt, und daran, mich "umzuprägen", traute sich bisher niemand. Ich selbst kann das nicht und wüsste auch keine Anhaltspunkte, wie ich meinen Charakter austauschen könnte.
Es soll nicht der Charakter, sondern die alte Affektbrücke geändert werden. Wenn seit langer Zeit auf eine bestimmte Situation stets dysfunktional reagiert wird, obwohl die aktuelle Lage nicht mehr der damaligen entspricht, soll erkannt werden, dass gerade nicht die Vergangenheit, sondern das Heute abläuft. Leider sind die neuronalen Bahnen derart effektiv ausgebaut, dass die resultierenden Emotionen, Gedanken und Taten blitzschnell ausgelöst werden, noch ehe deren Dysfunktionalität bemerkt werden kann.

Gerade das bewusste Ausblenden der negativen Vergangenheit, um neue positive Erfahrungen zuzulassen, führte bei mir stets zu neuen Kränkungen und Demütigungen, die genau den alten Mustern entsprachen. Und nein - es war keine "selbsterfüllende Prophezeiung". Meine damalige Therapeutin ging mit mir die konkreten Situationen durch. Ihr Fazit: "Leider gibt es keine Garantie auf Erfolg, wenn man offen auf Menschen zugeht und sie ins Vertrauen schließt." Es ist nur schlecht, wenn die Negativquote bei 99,99% liegt ...
f32-axolotl hat geschrieben:Meiner Meinung nach kann man auch nicht wirklich trennen, ob die Erlebnisse Schuld sind an meiner Depression oder meine Wertung darüber. Letztlich ist ja meine Wertung auch das Ergebnis meiner (auch kindlichen) Prägung. Ich denke aber nicht, dass meine Depression eine Folge der Wertung meiner Erlebnisse sind, sondern dass die psychischen Probleme so tief in meiner innersten Persönlichkeit verankert sind, dass ich sie nicht loswerde. Vom Verstand her ist mir völlig klar, aufgrund welcher Erlebnisse ich mich selbst in die Depression ziehe. Aber nur, weil ich weiß, dass meine Reaktion zum heutigen Zeitpunkt unangemessen ist, kann ich leider meine Emotionen nicht ändern.

Und das ist für mich auch der Punkt, bei dem Psychotherapie immer aufgehört hat: Man baut im Verstand auf, so die Probleme liegen. Und dann hört die Therapie auf.
Das kann ich unterschreiben. Niemand hat erklärt, wie nun konkret eine "Umbahnung" / "kognitive Umstrukturierung" erlernt werden soll. Die Arbeitsmaterialien dazu laufen m.E. im Grunde auf Skills (z.B. Realitäts-Check) und bewusste Attributierung hinaus. Doch eine vertiefte Analyse der Situation ist nach meiner Erfahrung niemals automatisiert und erst nachträglich möglich. Die dysfunktionale Reaktion läuft dagegen in Bruchteilen von Sekunden ab.
Suchende2 hat geschrieben: Sport finde ich schrecklich und die Entspannungsübungen bekomme ich alleine auch nicht so gut hin.
Allerdings habe ich für mich das Spazierengehen entdeckt. Hierbei aber Vorsicht! Die ersten 3 Kilometer kreist mein Kopf immer mehr und viele negative Gedanken kommen hoch. Danach habe ich eine "neutrale" Phase und dann bis Kilometer 5,8 (dann bin ich wieder zu Hause) kommt eine Erleichterung.
In der Klinik hat mich die schöne kleine Turnhalle animiert. Ich hab jeden Tag Sport gemacht, eine Stunde alleine getanzt, abends Tischtennis oder Badminton gespielt und an allerlei angeleiteten Kursen teilgenommen. Aber jetzt alleine zu Hause ist alles vorbei.
Spazierengehen geht bei mir gründlich schief. Mein Status verweilt sozusagen bei Kilometer drei. Wenn ich dann noch anderen - am besten Paaren - begegne, ist es ganz vorbei. Sie führen mir mein eigenes vollständiges soziales Versagen vor Augen und ich will nur noch weg, mich einschließen, die Vorhänge zuziehen. Gerade hab ich wieder den Status, mich noch nicht mal aufs eigene Grundstück zu trauen ...

@f32-
Was du schreibst, klingt eher nach f33 - oder irre ich mich?

LG
Schneeflöckchen
f32-axolotl
Beiträge: 203
Registriert: 17. Jul 2017, 20:43

Re: Warum Psychotherapie nicht funktioniert

Beitrag von f32-axolotl »

Schneefloeckchen hat geschrieben: @f32-
Was du schreibst, klingt eher nach f33 - oder irre ich mich?
Das stimmt, die meisten Ärzte diagnostieren mich mit F33.1 oder F33.2. Wirklich passend ist es aber nicht, weil ich immer noch in der ersten Episode bin (die 2009 begonnen hat). Krankenhäuser ergänzen F61, weil es einen höheren Tagesatz gibt, wenn man eine PS hat.
Auf jeden Fall irgendwas mit F am Anfang. ;-)

e03.9-axolotl
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