Krankheit zweiter Klasse

f32-axolotl
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Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von f32-axolotl »

Hallo ihr Lieben,

eine Sache, die mir schon seit Monaten nicht mehr aus dem Kopf geht, ist der folgende Satz: "Depression ist eine Krankheit zweiter Klasse". Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Wahrheit steckt in dem Satz.

Wie oft höre ich es von Therapeuten und Ärzten: "Wir können ihnen nicht helfen, Sie können sich nur selbst helfen." Das ist, denke ich, die Essenz dessen, was in der Behandlung von depressiven Menschen falsch läuft: Die Behandler übernehmen keine Verantwortung für die Behandlung, sondern erwarten vom Patienten, dass er sich selbst heilt. Die Medikamente oder Psychotherapien sollen nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.

Und damit unterscheidet man die Depression von anderen Krankheiten, die dann erstklassig sind. Ich stelle mir oft vor, ich wäre nicht depressiv, sondern hätte zum Beispiel Krebs. Da würde kein Onkologe sagen: "Sie müssen den Krebs selbst heilen". Man würde operieren, Chemo- oder Strahlentherapie machen etc. Und wenn diese Behandlungen nicht wirken, würde niemand sagen, dass der Patient sich mit dem Krebs abgefunden und damit eingerichtet hat. Man würde sagen, dass der Krebs den Patienten besiegt hat. Bei einer Depression sagt man dann, dass der Patient sich aufgegeben hat.

Ist die Depression wirklich so zweitklassig? Warum kann man die Depression nicht wie eine erstklassige Krankheit behandeln und die Behandelnden ins Zentrum der Verantwortung rücken? Es ist doch geradezu absurd: Gerade diejenigen, deren Persönlichkeit und Psyche geschwächt sind, sollen sich selbst helfen. Dabei schaffen es doch psychisch Gesunde oft nicht, selbst Probleme alleine zu lösen. Und der "schwache Geist" ist ja oftmals gerade das, was die Depression verursacht hat.

Ich hoffe, dass da auf Seiten der Medizin bald ein Umdenken erfolgt und Patienten als Opfer ihrer Krankheit und nicht als ihr Verursacher und Erlöser gesehen werden.

f32
Peter1
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo f32
Deine Behandler haben vollkommen Recht, wenn sie sagen, das nur du selbst die Depression bekämpfen kannst. Medikamente sollen dich nur unterstützen, genau wie die Psychotherapie. Die eigentliche Arbeit, das Umstellen deiner Gedanken, kannst nur du selbst. Der Arzt oder Therapeut kann nicht für dich denken, das musst du selbst tun, und das ist mit dem Selbstheilen gemeint.

Alles Gute und Schöne peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Nachtmensch
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Nachtmensch »

Hallo f32,

wie Peter es schon formulierte, das eigene Denken, Fühlen und Handeln kann nur durch einen selbst in gesunde Bahnen geleitet werden. TherapeutInnen und ÄrztInnen können das nur unterstützend begleiten.
Als Krankheit 2. Klasse sollte man es aber gerade als Betroffener nicht sehen. Im Gegenteil es ist eine ernste, bisweilen lebensbedrohliche Krankheit, selbst wenn sie für Außenstehende kaum greifbar ist.

Viele Grüße
R.
f32-axolotl
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von f32-axolotl »

Wenn man die Krankheit nicht behandeln kann und es den Patienten selbst überlässt, ist es eine Krankheit zweiter Klasse. Das kenne ich von keiner anderen Krankheit so, dass man so im Stich gelassen wird.
Herculaneum
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Herculaneum »

Moinsen

@f32

Eigentlich bin ich kein guter Ratgeber.
Aber manchmal toucht es mich dann doch wenn ich gewisse Beiträge lese.

Ich kann mich meinen Vorpostern nur anschließen.
Als Depri war man vielleicht vor 15 Jahren noch ein "Risikomitglied" der Gesellschaft.

Das ist heute sehr viel anders.
Viel Verständnis und auch die Forschung ist sehr viel weiter.
Schon komisch da braucht es einen Nationaltorwart und schon gibt es Medienrummel.
Sehr schade !

Aber.....es ist wirklich richtig.
Nur DU allein kannst dem "Gespenst" Depression den Schrecken nehmen.
So scheiße es klingt - Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott ( Ich bin nicht gläubig, aber der Spruch ist einfach geil ).

Ein kleines Update von mir.
2006 brach so ein wenig meine Welt zusammen.
Nein...es war der Supergau.
Ich hatte die Überweisung von meinem Hausarzt zur Psychotherapie schon so 6 Monate in der Tasche.
Ein kleiner Auslöser hätte noch gefehlt und mein "wundervolles" Leben hätte an einem Tag geendet, wo ich alles und wirklich alles meinem Ableben geopfert hätte.

Naja, ein taktischer Schachzug meines Körpers hat dann dafür gesorgt, dass ich doch mir Hilfe suchen musste.

Meine ersten Gedanken, wo ich in der Praxis saß - Oh geil, der Therapeut wird mir helfen und meine Last nehmen.
Alles super.
Nach ein paar Sitzungen habe ich keine Probleme mehr.
Dumm gelaufen, ich saß so allein vor ihm wie ich nur allein sein konnte.

Die erste Therapie dauerte 6,5 Jahre !
Viele Schritte zu verstehen das nur ICH das Problem lösen kann.
Viele Schritte an mir zu arbeiten.
Viele Schritte mich neu zu sehen.
Viele Schritte jedem Tag als neue Herausforderung zu begegnen.

Ich habe mir dann irgendwann so ein Modell in meinem Kopf gebaut.
Mein Körper ist eine Mofa.
Meine Gedanken sind die Zündkerze.
Und ICH bin der Fahrer der von A nach B kommen möchte.
Also etwas tun zu können.

Ich möchte es mal so ausdrücken.
Wenn die Zündkerze schwarz und verrußt ist, kann sie nicht zünden.
Das Mofa bewegt sich nicht.
Ergo - ausbauen und säubern.
Nervige Sache.
Aber letzt endlich ist es dann doch von Erfolg gekrönt wenn das Mofa wieder fährt.

Alles was du brauchst ist von deinem Therapeuten die Erkenntnis zu erlangen das es wichtig ist deine Gedanken von dem Ruß zu befreien und zu erkennen das es DEINE Aufgabe ist es zu tun.
Und das musst du immer wieder tun.
Nur dann gelangst du von A nach B.

DU bist kein Patient 2. Klasse.
Das einzige was dich dazu macht sind deine Gedanken dazu.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und das DU deine Gedanken "rußfrei" hälst.

Liebe Grüße

Holgi
.....................................................................
Sunshine5678
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Sunshine5678 »

Gerade jetzt bei Corona und den Einschränkungen weisen immer mehr Presse, Medien und Experten darauf hin dass Depressionen öfters auftreten werden. Ich finde ein guter Effekt der Pandemie dass das Thema Depressionen nicht nur schwache Menschen treffen kann. Ich bin zar anderer Meinung weil es schon immer jeden treffen kann, aber Marketing ist auch gut.
Bei vielen Krankheiten muss ich mitarbeiten, z.b. nach einer Hüft OP muss ich danach Krankenterapie machen und aktiv an meiner Mobilität arbeiten. Das kann mir keiner abnehmen.
Der Unterschied: Jeder weiss das und erwartet nicht dass ich nach der OP sofort wieder einen Marathon laufen kann.
Bei Depressionen heisst es oft: wenn du richtig medikamentös eingestellt bist, bist du wieder gesund.
Ich fühle nicht als Patient 2. Klasse sondern manchmal von der Gesellschaft unverstanden. Und fatal finde ich dass es in meiner Stadt keinen freien Psychotherapeuten gibt. Da fühle ich mich allein gelassen. Habe ich Zahnschmerzen, heisst es nicht, wir setzen Sie auf eine Warteliste von 12 Monaten.
LG Claudia
:hello:
Nachtmensch
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Nachtmensch »

f32-axolotl hat geschrieben:Wenn man die Krankheit nicht behandeln kann und es den Patienten selbst überlässt, ist es eine Krankheit zweiter Klasse. Das kenne ich von keiner anderen Krankheit so, dass man so im Stich gelassen wird.
Hallo f32,

wenn Du mit im Stich gelassen, die allgemeine Unterversorgung bezüglich Therapieangeboten und die allzuoft überlangen Wartezeiten für einen Therapieplatz meinst, bin ich voll und ganz bei Dir.

Was aber die dann stattfindende Behandlung angeht, was erwartest Du von den Behandelnden?
Es gibt ja leider auch keine „alles ist gut Pille“ Es geht halt in Richtung trial & error mit den diversen Pharmazeutika. Das nervt natürlich. Auch ich kann da ein Lied von singen.

Wenn Du eine Idee hast, was andere tun können damit wir gesund werden, bitte her damit.

Viele Grüße
R.
saneu1955
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von saneu1955 »

Hallo, ich schließe mich da meinen Vorrednern an. Bei jeder Krankheit muss man selbst etwas zur Genesung beitragen.

Bei der Depression ist es eben die geistige Seite und die kann niemand übernehmen. Ich war früher auch mal der Meinung, eine Therapeutin müßte mir sagen, was ich tun kann, weit gefehlt, sie kann einem nur in die richtige Richtung leiten, ändern muss jeder selbst etwas.

Natürlich gibt es einen großen Engpass bei Psychotherapeuten, aber auch bei anderen Fachärzten muss man teilweise lange warten.

Als Mensch zweiter Klasse fühle ich mich in dieser Hinsicht nicht.

Saneu1955
DieNeue
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von DieNeue »

Hallo f32-axolotl,

es hört sich für mich an, als wärst du gerade ziemlich geknickt. Habe auch im anderen Thread gelesen, dass du wegen der fehlenden Maske nicht zum Therapeuten konntest und er auch ein für dich sehr wichtiges Thema nicht behandeln will.
f32-axolotl hat geschrieben:Wenn man die Krankheit nicht behandeln kann und es den Patienten selbst überlässt, ist es eine Krankheit zweiter Klasse. Das kenne ich von keiner anderen Krankheit so, dass man so im Stich gelassen wird.
Bitte schlag dir diesen bescheuerten Satz, dass Depressionen eine Krankheit zweiter Klasse seien, wieder aus dem Kopf.
Der Satz ist so plakativ, allein schon deshalb kann er nicht 100% wahr sein ;)

Ich finde, dieser Satz "Wir können Ihnen nicht helfen, Sie können sich nur selbst helfen" stellt das, was bei einer Depressionsbehandlung abläuft, etwas einseitig dar. (Und würde mich, wenn ich eh schon hoffnungslos und überfordert bin, ehrlich gesagt, auch ziemlich runterziehen).
Es stimmt, dass man als Depressiver viel selbst an Arbeit reinstecken muss, damit es einem besser geht. Vieles kann der Therapeut nicht wissen, weil er ja nicht in uns reinschauen kann. Wenn es z.B. darum geht, etwas zu finden, was einem gut tut, kann der Therapeut einem x Sachen auftragen, die ich machen soll. Dass er dann zufällig genau die Sachen toll findet, die ich toll finde, ähm ja... hat bei meiner einen Therapeutin in der Klinik gar nicht funktioniert. Selbst als ich es ausprobiert habe, lag sie daneben.
Meine Entspannungsübungen zuhause kann auch nicht meine Therapeutin für mich machen, die muss ich selber machen.

Auf der anderen Seite macht es nicht viel Sinn, als Patient einen Haufen Arbeit irgendwo reinzustecken, wenn man gar nicht weiß "Wo rein überhaupt?". Als Therapeut macht man es sich schon ein bisschen leicht, einfach zu sagen, der Patient muss sich selbst helfen. Wenn der Patient sich ganz alleine selbst helfen könnte, wäre er ja nicht krank. Ein Therapeut muss sein Handwerk auch beherrschen, gute Fragen stellen können, empathisch sein, den Klienten begleiten können, flexibel auf verschiedene Menschen eingehen können, Methoden kennen, Zusammenhänge erklären können, Sachen mit dem Klienten einüben etc.
Natürlich muss der Klient mitmachen, mal mehr und mal weniger Eigeninitiative zeigen, aber die Qualität einer Therapie hängt erstmal von der Qualität des Therapeuten ab, und daran, ob die Chemie stimmt.

Ich dachte auch lange, bei körperlichen Krankheiten ist die Behandlung einfacher, aber das ist auch nicht immer ganz so einfach. Meine Mutter wurde z.B. an der Ferse operiert, weil sie vor Schmerzen kaum mehr laufen konnte. Es war erstmal eine halbe Irrfahrt, bis überhaupt ein Arzt gefunden war, der wusste, was sie hat, dann ein Krankenhaus zu finden, dass so eine spezielle Op überhaupt macht. Dann gab es verschiedene Op-Methoden. Dann nach der Op nach hause... bloß wie die zwei langen Treppen bis zur Wohnung hochkommen? Hat die Krankenkasse nicht interessiert. Dabei hat sie auch noch Knieprobleme auf beiden Seiten. Sie hat dann selber im Internet eine Treppensteighilfe gefunden, Kostenübernahme angeleiert. Erhöhten WC-Sitz gekauft. Krücken konnte sie kaum nutzen, weil sie Probleme mit den Handgelenken hat. Da hat ihr keiner gesagt, was sie machen soll.
Dann nach der Op hat sie Physio gemacht. Hat sie teilweise auch selber angeleiert und hat sie sehr gewissenhaft zuhause selbst geübt. Dann wurde es aber nicht besser. Der Fuß wurde immer wieder rot und ist angeschwollen. Sie konnte vor Schmerzen in der Ferse keine Schuhe mehr tragen, nur noch Pantoffeln und Sandalen, die hinten offen waren. Da wusste dann auch keiner mehr weiter... Letzten Winter hat sie sich Zehenwärmer in die Schuhe, im Auto ne Isolierfolie um die Füße, selber fahren konnte sie eh vergessen. Ansonsten war bei Schnee zuhause bleiben angesagt. Sie musste dann selber rausfinden, was ihr hilft. Googlen und Physiotherapeuten fragen, etc.
Jetzt trägt sie seit Monaten ein Narbenpflaster, weil die Narbe so dick geworden war, dass es im Schuh so gedrückt hat. Sie macht immer noch Übungen. Ein kleines bisschen ist es besser geworden. Normale Schuhe trägt sie immer noch keine. Sie trägt jetzt Sandalen und darüber einen Überschuh, wie man ihn als Radfahrer anziehen kann. Hat ihr auch keiner gesagt, dass es sowas gibt. Es gibt auch Leute, bei denen die Heilung besser verläuft. Aber sie musste da so vieles selber machen, sie wäre mit Sicherheit auch froh gewesen, wenn man ihr genau hätte sagen können, was sie wann wie machen könnte.

Du hast keine Krankheit zweiter Klasse und (nur falls dir der Gedanke auch schon gekommen sein sollte) bist erst Recht kein Mensch zweiter Klasse!
Wenn du dich von deinem Therapeuten im Stich gelassen fühlst, würde ich das mal ansprechen. Denn das sollte eigentlich nicht sein und es muss nicht immer nur an dir liegen ;)

Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen helfen.

Liebe Grüße,
DieNeue
f32-axolotl
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von f32-axolotl »

Dann lösche ich mal den Thread besser, wenn euch meine Meinung so falsch vorkommt. Schade, dass ihr mich da nicht verstehen könnt, eigentlich dachte ich, ich hätte deutlich gemacht, was ich meine. Ich würde mir halt wünschen, dass die Behandler ihr Versagen auch mal eingestehen würden und nicht immer nur mich beschuldigen würden. Macht man bei Krebskranken auch nicht.
Herculaneum
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Herculaneum »

Moinsen

f32

Dann lösche diesen Thread.
Wenn du dich unverstanden fühlst bringen deine Worte hier auch nichts.

Verstehe mich bitte nicht falsch.
Wir habe geholfen dir Sichtweisen zu geben.
Alles andere liegt nur bei dir.

Ich wünsche dir alles Gute und bin raus aus deinem Thread

Liebe Grüße

Holgi
.......................................................................
DieNeue
Beiträge: 5349
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von DieNeue »

Hallo f32,

schade, dass wir dir nicht so recht helfen konnten. Ich denke, wenn du die "Güte" einer Krankheit an der Qualität der Behandlung misst, hast du keine Krankheit zweiter Klasse, sondern eine Behandlung zweiter Klasse. Sprich einfach schlechte Therapeuten.
Ich hatte noch in Erinnerung, dass du nicht besonders gute Erfahrungen mit Therapeuten gemacht hast und dass bei dir so Standardtipps wie Sportmachen auch nicht helfen, weil es dir danach nicht gut geht. Hab auch vorhin nochmal in ein paar alte Beiträge von dir geguckt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Therapeuten, wenn sie mit ihrem Standardlatein am Ende sind, oft dem Patienten die "Schuld" geben. Dann will der Patient halt einfach nicht, oder ist zu faul usw.

Liebe Grüße,
DieNeue
Shirine
Beiträge: 6
Registriert: 16. Jan 2021, 22:41

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Shirine »

Hallo,
ich kann die Denkweise der Beitragserstellerin schon irgendwie nachvollziehen.
Aber mehr, wie jemand anderes schrieb (sorry ich weiß alle Benutzernamen nicht gerade)...nicht Krankheit zweiter Klasse...sondern eher Behandlung zweiter Klasse.
Die Fachleute...Psychiater/Neurologen...Psychologen haben meist schlicht und ergreifend keine Zeit für uns Patienten mit psychischen Leiden. Einfach nicht genug Zeit und Gehör, die es dringend brauchen würde.
Meine letzte Neurologin hat z.B. nur den Rezeptschein gezückt. Nix weiter sonst!
Ich habe z.B. super schlechte Klinikerfahrungen gemacht. Wie man vom Fachpersonal behandelt wurde, was einem geraten wurde...unglaublich.
Einzig und allein von meinem Psychotherapeuten, den ich viele Jahre hier vor Ort hatte, halte ich viel.
Ich weiß, dass es auch viel Hilfe zur Selbsthilfe ist, aber wie oft nerven mich Sätze, wie :" Sport machen hilft ungemein!" (Ich mochte Sport als Kind schon nicht!) " Tun Sie was für sich!" Und am schönsten (Ironie) finde ich, wenn jedem Patienten geraten wird,den Job zu wechseln und den Partner zu verlassen!
Ich mache mir auch sehr viele Gedanken, was mein weiteres Leben mit den Depris betrifft. Vielleicht werden sie nie verschwinden und ich werde immer mit ihnen leben müssen. Ich weiß es nicht. Mir geht es nur um den Punkt, dass manche Leute im Umfeld, so reden als könne ich nur selbst die Krankheit wegzaubern...das kann ich jedoch nicht...wüsste nicht wie!
Sul
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Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Sul »

Hallo f32,

ich habe es auch schon erlebt, dass Therapeuten Fehler machten, arrogant und anmaßend waren, total daneben lagen, pathologisierten, rechthaberisch waren etc. Aber ich habe auch Therapeuten kennengelernt, die z.B. zugaben, wenn sie falsch lagen, die meine Fragen ehrlich beantworteten, die empathisch reagierten etc. Gute Therapeuten sind für mich diejenigen, die mich auf meinem Weg begleiten mit meinen Schwierigkeiten, z.B. depressive Phasen, besser umgehen zu können, zu wachsen. Aber die Verantwortung für mich oder meine Probleme können sie mir nicht abnehmen.

Viele Grüße, Sul
Lottalike
Beiträge: 18
Registriert: 21. Dez 2020, 09:58

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Lottalike »

Hallo zusammen,
ich kann mich den Meinungen in vielerlei Hinsicht anschließen.

Die Psyche lässt sich nicht operieren, nicht nur mit Medikamenten heilen. Dazu gehören wir auch selbst.

Und ich muss auch ehrlich sagen, ich bin jetzt in richtig guten Händen. Die Ärtz*innen und Therapeuten hören MIR zu, unterstützen mich, erarbeiten mit mir meinen Weg mit und durch die Krankheit. Es hat allerdings einige Zeit gedauert, bis ich an die richtigen Leute gekommen bin. Und es gehörte für mich auch dazu, dass ich mitarbeite, etwas an mir verändern möchte, ein Ziel vor Augen habe und den Fachleuten ggü. kooperativ bin. Ich muss die Therapien auch für mich annehmen und eine Zeit lang ausprobieren, was für mich gut ist.

Ich kann aber durchaus nachvollziehen, dass man sich teilweise als Mensch zweiter Klasse fühlt. Nämlich dann, wenn man auf Rückmeldung von Therapeut*innen wartet, keinen Platz bekommt, an schlechte Ärzt*innen und Therapeut*innen gerät (und davon kann ich ein Lied singen - ich musste mir schon so einiges anhören. Von: dann gehen sie mal jeden Tag spazieren, wird schon wieder; bis zu: für eine depressive Person sind sie viel zu jung und sehen zu gut aus).

Ich würde mich freuen noch etwas von dir f32 zu lesen. Nimmst du für dich etwas aus den Antworten hier mit?
Lottalike
Beiträge: 18
Registriert: 21. Dez 2020, 09:58

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Lottalike »

f32-axolotl hat geschrieben:
Wie oft höre ich es von Therapeuten und Ärzten: "Wir können ihnen nicht helfen, Sie können sich nur selbst helfen." Das ist, denke ich, die Essenz dessen, was in der Behandlung von depressiven Menschen falsch läuft: Die Behandler übernehmen keine Verantwortung für die Behandlung, sondern erwarten vom Patienten, dass er sich selbst heilt. Die Medikamente oder Psychotherapien sollen nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.


f32
Was genau wünscht du dir denn vom Fachpersonal? Wie sollte eine Behandlung deiner Meinung nach genau aussehen?
Wandervogel
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Wandervogel »

Hallo f32,

ich versuch hier auch mal was dazu zu posten. Ich hoffe es gelingt mir, mich richtig auszudrücken.

Ich würde auch sagen, dass die Depression keine Krankheit 2. Klasse ist. Ich schließe mich den Vorpostern an, die sagen, dass Du wohl an einen Behandler 2. Klasse geraten bist.

Schon mal an einen Arztwechsel gedacht?

Ich habe auch Probleme mit meine Psychiater. Zuwenig Zeit, ergo kein offenes Ohr für mein Anliegen, zückt zu schnell den Rezeptblock.

Nun habe ich mir vorgenommen, ihn beim nächsten Termin (der erstmal wieder nur 15 Minuten max. dauern wird :( ) zu fragen, ob wir mal einen längeren Termin vereinbaren können, wo wir einen neuen modifizierten Behandlungsplan aufstellen. Ich würde diesen Termin sogar selbst bezahlen, wenn der wegen Kassenhonorar ablehnt. Das ist mir die Sache aber mittlerweile wert.
(Heißt jetzt natürlich nicht, dass alle anderen das auch machen müssen ;) ).

Allerdings muss ich mir auch ganz genau im Klaren sein, wohin die Reise gehen soll, was ich von meinem Behandler erwarte.
So ist leider nun mal das Leben. Ich kann die Segel nur setzen, wenn ich weiß woher der Wind kommt. Blöd, aber nicht zu ändern.

Sollte da bei meinem Psychater am Ende auch nix bei rumkommen, werde ich halt den Psychater wechseln.

Liebe Grüße
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo
Shirine, du schreibst,
„Ich mache mir auch sehr viele Gedanken, was mein weiteres Leben mit den Depris betrifft. Vielleicht werden sie nie verschwinden und ich werde immer mit ihnen leben müssen. Ich weiß es nicht. Mir geht es nur um den Punkt, dass manche Leute im Umfeld, so reden als könne ich nur selbst die Krankheit wegzaubern...das kann ich jedoch nicht...wüsste nicht“

Du kannst die Krankheit selbst wegzaubern, indem du dir einen guten Psychiater, und einen guten Therapeuten suchst. Ich habe beides gefunden, und kann jetzt wesentlich besser mit meinen Depris leben. Sie sind nicht verschwunden, das werden sie vermutlich nie, aber es geht mir viel besser, als vor zwei Jahren. Jetzt kann ich wieder leben und nicht nur vegetieren.
Psychiater, Therapeutin, und mein Umfeld haben mich auf dem Weg dorthin nur unterstützt, die Arbeit musste ich ganz alleine machen.
Wenn es das ist, was du mit zaubern meinst, dann hast du Recht. Das kannst nur du alleine, natürlich mit geeigneter Unterstützung.

Alles Gute und Schöne peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
f32-axolotl
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von f32-axolotl »

Danke für euren Ratschlag, mal die Ärzte und Therapeuten durchzuwechseln. Leider habe ich das schon häufiger gemacht und habe derzeit keine Optionen mehr hier auf dem Land, weil ich sozusagen bei jedem schon mal war. Ich bin jetzt bei Psychiaterin Nummer 8 und Therapeut Nummer 4 (bzw. 5, wenn man die Hypnosetherapie mitzählt). Hinzu kommen dann noch die stationären Aufenthalte.

Ich habe mich einfach damit abgefunden, dass man mich weder heilen kann noch dass es eine Besserung geben kann. Ich habe die Krankheit schon lange, wir fangen bei Medikamenten derzeit wieder von vorne an, weil wir jedes (sinnvoll einsetzbare) Medikament schon mal probiert hatten oder es wegen meines Leberschadens (durch Venlafaxin) nicht nehmen können.

Und dennoch muss ich mir Sprüche gefallen lassen, dass ich mir nur selbst helfen könnte. Nein, kann ich nicht: Hätte ich diese erwarteten magischen Selbstheilungskräfte, dann wäre ich schon lange nicht mehr krank. Ich hätte man gerne jemand, der mich ernsthaft behandeln möchte, weil er[\i] Möglichkeiten sieht. Gerne kann man mir auch sinnvolle Ratschläge geben, was ich selbst tun könnte. Nur leider kommt da ja auch von Seiten der Behandler gar nichts mehr. Und Sport ist nunmal nicht das Wundermittel, habe es ja schon probiert.

Oder man ist mal so ehrlich und sagt klipp und klar: "Tut mir leid, wir haben alles versucht, wir wissen keine Lösung." Das machen die Behandler natürlich nicht. Stattdessen kommen dann Ratschläge ohne Handlungsempfehlung wie: "Sie müssen ihre innere Einstellung ändern." Danke, ich bin keine Maschine, wo man Dinge einstellen kann - ich bin ein Mensch mit einer unveränderbaren Historie.

Und das meine ich mit Krankheit zweiter Klasse: Das Versagen der Behandler ist bei Depressionen, so wie ich es erfahre, immer die Schuld des Patienten.
Nachtmensch
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Nachtmensch »

Hallo f32,

ich denke ich steige langsam durch, was Du damit meinst, aber den Terminus „Krankheit“ würde ich so nicht verwenden. Eher Erkrankter.

Meine allererste Therapeutin war immer dagegen das Wort „Schuld“ zu benutzen. Besonders nicht im Zusammenhang mit mir selbst. Ich hatte insgesamt 80 Sitzungen bei Ihr und war sicher genau so oft guten Mutes, wie total frustriert. Am Ende sagte Sie mir, das Sie es bedauert, dass kein für mich zufriedenstellender Zustand erreicht wurde. Dies aber keineswegs meine Schuld sei und ich es mir auch nicht einreden soll. Es gäbe noch andere Therapieformen und vielleicht war es einfach bei ihr noch nicht die richtige. Hat Sie deshalb versagt in meinen Augen? Nein! Ist es meine Schuld? Nein! Es hat wie so vieles in meinem Leben eifach nicht gepasst. Vielleicht hatte ich bisher Glück, aber in keiner Behandlung hat man mir konkret eine Schuld angehängt, wenn sie nicht fruchtete. Eher kam dieser Gedanke aus mir selbst heraus und ist wohl behandlungsbedürftig, weswegen ich auch weiterhin in Behandlung bin, denn er ist ein Teil meiner psychischen Krankheit welche genauso wenig zweitklassig ist wie die ebenso bei mir vorhandenen körperlichen Erkrankungen.

Es gibt schon auch BehandlerInnen, die einen nicht so abspeisen, wie es Deine wohl taten. Ich wünsche Dir, dass Du doch noch solche findest.

Alles Gute
R.
Jani1990
Beiträge: 69
Registriert: 16. Nov 2017, 15:37

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Jani1990 »

Hallo f32

Ich kann deinen Gedankengang verstehen, das du diese Krankheit nicht richtig "ernst" nehmen willst, das möchte ich bis heute nicht...und die Gesellschaft am allerwenigsten. Mein Therapeut und ich hatten schon einige hitzige Disskussionen, weil oft keiner von uns beiden verstand was der andere konkrett will. Ich weis nicht wie lange ich noch dieses "vor mir hin leben" noch ertragen kann. Da ich keine Arbeit hab besuch ich 2-3 mal die Woche Schulungen im Bildungswerk, aber mir kommt das mehr als "Beschäftungstherapie" vor als als Schulung. Versteht mich nicht falsch, ich lerne schon was dabei, aber ich hab das Gefühl ich komme einfach nicht vorwärts.

Ich glaube nicht das ein Mensch ohne Erfüllung in seinem Leben glücklich seien kann, sei es durch eine Arbeit, die einen erfüllt, einen Partner der dich liebt so wie du bist oder Freunde, die immer für dich da sind wenn du sie brauchst. Bis auf einen guten Freund hab ich leider nichts davon, wenn ich mit der Schulung fertig bin geh ich nach Hause und weis nichts mehr mit mir anzufangen. Da die allgemeine Meinung über Arbeitslose als Parasiten und Schmarotzer immer noch nicht abgeklungen ist, mach ich mir auch keine große Hoffnung noch eine ehrliche Beziehung führen zu können. Ich werd nächste Woche 31 und würde am liebsten schon die Ausfahrt sehen können... Ich weis das sollte ich nicht denken, aber ich merk das mein Therapeut langsam auch mit seinem Latein am Ende ist auch wenn ich mir keinen besseren vorstellen könnte. Ich bin halt ein Realist, und ich weis das in diesem unserem System nicht genug Platz für alle ist und das wir einen Sündenbock brauchen...Gott macht mich das wieder aggressiv.

Egal ich wollte dir eigentlich nur raten das du möglichst auch versuchen musst einen Anker zu finden, ohne denn würden die meisten wohl untergehen, selbst die angeblich stärksten in unserer Gesellschaft.
Gertrud Star
Beiträge: 3441
Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo,

ich würde seit gestern abend schon gerne etwas dazu schreiben, bin aber zu gerührt, und es geht auch sehr an mein Eigenes. Ich lese aufmerksam mit und finde in den meisten Beiträgen viel von mir selber wieder.

Hab etwas quer gelesen, und gemerkt, dass du f32 real einiges an Last hast, was andere nicht haben. Da ist Überlastung und Überforderung meist nicht weit entfernt. Also ich würde mich zu nix zwingen. Nein, da muss man nicht zwangsläufig immer mehr das Positive sehen müssen. Nimm den Druck raus.

Bei Behandlern bekam ich auch oft die Überforderung ab, oder es wurde auf meine angeblich mangelnde Mitarbeit geschoben, oder der Krankheit in die Schuhe. Dabei findet ja keine Behandlung kontextlos statt, und wenn ein günstigerer nicht herstellbar ist ...

Auch ich kenne große berufliche Verluste, Überschuldung und nicht wirkende Medikamente und Therapien, und das Gefühl, schon mit 31 ausgemustert zu sein, eher noch früher. Die Ursachen liegen oft auch darin, wie Gesellschaft funktioniert und was Behandler überhaupt (eher nicht) vom Patienten mitbekommen. Heißt nicht, dass der Patient keinen Anteil am Geschehen hat, aber oft ist man einfach real machtlos, sagt eine desillosionierte Idealistin, die auch zu sehr Realistin ist.

Teil der Lösung war bei mir, auch mir Sachen herauszunehmen aufgrund dessen, dass ich eh schon aussorstiert bin. Nicht mehr so viel Rücksicht nehmen und raus mit dem Kram, aus dem Leben und aus dem Kopf. Bravheit ade und so, die Leute mehr herausfordern.
Ich plane, über das Thema ein Buch zu schreiben.

Allerdings hab ich letzens eine Therapeutin erlebt, die etwas zu mir sagte, was ich auch in den falschen Hals hätte bekommen können. Doch da sie den Kontext verstanden hat, kam das bei mir richtig herum an.

F..., was hasse ich es, mich auch noch anstrengen zu sollen, und wer erdreistet sich, von mir überhaupt noch etwas zu verlangen. Trotzdem hat die Frau recht, so hoch empatisch wie sie ist. Es ist ein Gefühl, als ob sie mir gesagt hätte, ich bekomme Lebenskraft zurück, wenn ich mich anstrenge, wo ich doch das Gefühl habe, auf der ganzen Linie versagt zu haben und von meinen Bemühungen die Kraft verloren zu haben. Sogar im Traum musste noch der Gerechtigkeit Genüge getan werden, und meine abgetrennte Zunge konnte selbstverständlich wieder angenäht werden, weil sie noch da ist.
Mit Methoden alleine kommt man nunmal nicht gegen eine Vielzahl suboptimaler Umstände an.

Wenn ich an dich denke, denke ich allerdings an eine Methode aus der Traumatherapie: Nämlich eine Visualisierungsübung, bei der man rastet und dabei die ganzen Lasten ablegt, und beim Aufbrechen nur die mitnimmt, die man unbedingt braucht. Hilft auch, wenn Lebensumstände in der Summe zuviel Kraft rauben.

Ja, und mit dem Andocken, das stimmt. Irgendwo muss es sein, sonst geht man völlig vor die Hunde.

Na, nun ist es doch noch ein Beitrag geworden.
Ich hoffe, dass irgendwer etwas damit anfangen kann. Wenn nicht, auch gut.

Ich geh jetzt mal an die frische Luft.
Etwas Spaß haben, oder zumindest Erleichterung. Nö, nix dabei erreichen wollen.

Schönen Abend euch noch.
Gertrud, die mittlerweile auch noch eine alte unsexy Schachtel geworden ist.
Nico Niedermeier
Moderator
Beiträge: 2837
Registriert: 21. Mär 2003, 11:10

Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Nico Niedermeier »

Hallo auch von der Moderation mit einer ausnahmsweise privaten Meinung:-)

Ich würde das auch nicht unterschreiben wollen. Tatsächlich hat sich das Medizinsystem radikal verändert und heute ist es "normal", dass es ein"shared decision making" (also gemeinsames Entscheiden) über Therapie und Vorgehen gibt. Es ist kein Privileg der Depression, dass weite Teile der Behandlung an den Betroffenen selbst zurückdeligiert werden. Das gilt z.B. ganz genauso für Diabetes, Übergewicht, Fettstoffwechselkrankheiten, Rheuma, Bluthochdruck, Shuppenflechte, Neurodermitis usw usw.... und natürlich absolut auch für Krebs (da kann ich mitreden...). Bei all diesen Erkrankungen deligiert man weite Teile der Behandlung (Abnehmen, Haupflege, Kontrolle der Nahrungsaufnahme, sich kümmern um die Tumornachsorge, selbstständiges Organisieren von Ärzten die "Vielleicht" die Tumornachsorge übernehmen usw, usw...da hat die Depression gar nichts spezielles, oder besonders schlimmes. Bin mal frech und würde es umdrehen: In München gibt es vielleicht 1000 Behandler, mindestens 10 Kliniken usw. für Depressionen. Wenn man jetzt mal suchen würde, wie viele Behandler sich mit Rheuma, oder Nierentumoren befassen...da wird man bestimmt noch deutlich leichter und eher einen Termin beim Psych(-iater/in, -ologen/in bekommen.

Anders ist es denke ich mit dem Stigma. Jemand mit Übergewicht ist sicher noch viel stärker stigmatisiert und in den Augen aller "selbst Schuld". Jemand mit einer Herzinsuffizienz deutlich weniger. Als wir hier anfingen, vor über 20 Jahren, war das Stigma von Depressionen extrem, ich denke, wie viele Vorposter hier auch, dass es deutlich weniger geworden ist, aber eben doch noch existent ist, das kann man leider nicht beschönigen...
Das war ganz privat, nur eine Meinung unter vielen anderen hier ..
Beste Grüße
Nico Niedermeier
Lavendel64
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Lavendel64 »

ich kann verstehen, wie stark die Aussage irritiert. Man MÖCHTE ja gesund werden und dann so ein Satz. Mir erging es ebenso und meine Gegenfrage war "ja, aber WIE denn?" Wie geht "an mir arbeiten"? Wie geht Akzeptanz?
Ach, wäre es doch schön, wenn es einfach 3 x täglich ein Medikament gäbe und in drei Wochen wäre alles wieder wie früher. Stattdessen wird man mit einem Zeitraum konfrontiert, der sich nicht in Tagen oder Wochen, sondern oft in Monaten misst. Es dauert ... das war der Satz, den ich am häufigsten hörte (und der übrigens in der Familie zum geflügelten Wort wurde)

Um den Weg zu finden, braucht es Unterstützung. dafür sind die Therapeuten da. Und auch hier: sie überreichen kein Blatt Papier mit der Gebrauchsanleitung einer Depression, denn die Lösung ist individuell. Der Start ist frustrierend, der Weg ist eine Achterbahn der Gefühle und man wandert durch manches Tal der Tränen. Und entdeckt Wege, die sich dann als Lösung herausstellen. Es hört sich komisch an.

Und ich sage dir aus eigener Erfahrung: komisch ist es auch. Denn ich habe nichts anderes getan, als zu reden, zuzuhören und mich viel auszuruhen. und trotzdem änderte sich der Blickwinkel. Ganz langsam und nicht ohne Konflikte mit der Umwelt. Meine Therapeutin sagte mal, als ich "mein altes Leben" zurück wollte: Wieso das denn? Es hat krank gemacht. Zeit, sich auf andere Wege zu begeben.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
saneu1955
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von saneu1955 »

Hallo Lavendel, dein Beitrag hat mich jetzt gerade sehr berührt, denn genauso war es bei mir auch.

Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass ich mich nur selbst da raus holen kann mit Hilfe meiner Therapeutin, die mir immer zur Seite stand, ohne mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe.

Der Weg aus der Depression ist steinig und schwer und eines der wichtigsten Wörter dabei ist Geduld, ich habe dieses Wort gehasst, irgendwann habe ich akzeptiert, dass es nicht anders geht.

Saneu1955
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