Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

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Cést ca
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Registriert: 11. Aug 2019, 12:42

Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

Beitrag von Cést ca »

Hallo zusammen!

Es geht mir sehr nicht gut, ich stelle fest, daß auch "Corona" gewisse Auswirkungen auf meine Gemütsverfassung hat. Und mich plagen Existenzängste.
Ich bin / war Ärztin, ich habe 3 Kinder (jetzt 14-23 Jahre) alleine groß gezogen, meinen schwerstbehinderten Vater gepflegt......und alles gleichzeitig und bestmöglich.
ich denke nicht, daß es alleine diese Erfahrung als Erwachsene war, die mich in die inzwischen chronisch-rezidivierende Depression manövriert hat.- Soweit ich mich erinnere, war ich auch ein eher melancholisches Kind, daß leider nur über seine (schulischen) Leistungen definiert wurde. Ich erinnere mich nicht, auch nur einmal in den Arm genommen worden sein. Ebenso war es mit Lob und verbalen "Gunstbezeugungen".
Nun ja, irgendwann konnte ich nicht mehr und wurde von der Ärztekammer Westf.-Lippe nach einem 3-jährigen Kampf (!!!!!) endgültig für berufsunfähig erklärt. Sehr oft fühlte ich mir unterstellt, ich habe einfach keine Lust mehr........"Medizin sei eine Berufung". Und so gelang die Frühverrentung nur in Zusammenhang mit einer schweren, neurologischen Erkrankung ("V.a. MSA-c", eine Form des Parkinsonismus mit deutlich reduzierter Lebenserwartung), die wohl ein "Geschenk" der begutachtenden Kollegen war, die merkten, daß es bei mir einfach nicht mehr ging.
Gleichzeitig verrät es aber auch sehr viel über die Anerkennung/Akzeptanz der Depression/ psychischer Aberrationen innerhalb der Ärzteschaft. Mir selbst sind einige Fälle extrem fleißiger und patentenorientierter Kollegen bekannt, die sich medikamentös dopen, um dem 16-Stunden Alltag irgendwie zu überstehen, kaum noch (regelmäßig) essen, geschweige denn, schlafen. - Diese sind im Laufe der Jahre depressiv geworden.
Ein Kollege im Krankenhaus dopte sich jahrelang mit MORPHIUM (!)- und mußte eines Tages auf der Station wiederbelebt werden.

Ich will damit sagen, dass die "Opferbereitschaft" nach meiner Beobachtung bei einem großen Anteil der Ärzteschaft enorm hoch ist und eigene, physische Grenzen vergessen läßt- man(n) definiert sich über Arbeit . Ich rede nicht von den vielen unbezahlten Überstunden und von der immer noch stark ausgeprägten Hierarchie unter Ärzten. - In der Regel nimmt ein Arzt dieses alles hin und folgt halt seiner "Berufung"- noch heute ist für mich nicht vorstellbar, daß ein Medizinerkollege dem anderen von seinen depressiven Beschwerden berichtet. Diese Erkrankung würde an keiner Stelle der ausgeprägten Krankenhaus-und Verwaltungshierarchie toleriert werden.

Skurril ist, daß genau diese Ärzte den Patienten mit einer vermeintlichen Depression sich stets bemühen, sehr verständnisvoll von einer ernstzunehmenden, behandlungswürdigen Erkrankung zu sprechen und ihnen verschiedene Optionen zur Behandlung darlegen.


Ich war immer die erste die kam, die letzte, die ging- egal ob Praxis oder Krankenhaus. Ich bezahlte Kinderfrauen, um sich um meine Kinder zu kümmern...........

Seit März 2019 - nach diesem Kampf fiel ich zunächst in ein tiefes Erschöpfungsloch, welches aber nicht unangenehm war, weil es mit einem gewissen Stolz über meinen überraschenden "Sieg" verbunden war - gelte ich nun als berufsunfähig, verfüge "dank der zusätzlichen Diagnosen" sogar über einen Schwerbehindertenausweis (70%)

Seit einiger Zeit suche ich nun nach einem "Ausweichjob", der es mir ermöglicht, nebenher auch zu leben und Familie/ Freunde zu haben und wertzuschätzen. Denn Fakt ist: In diesem Leben werde ich es nicht mehr ändern können......: Ich brauche die Arbeit, weil sie eine bedeutsame Rolle bzgl. meines Selbstbewußtseins spielt. Ich bin sicher, Arbeit und die sich dadurch ergebende Tagesstruktur eigenen sich als gute Rezidivprophylaxen, WENN die Depression nicht zu schwer ausgeprägt ist!! Und die Arbeitssuche ist schwer....es ist so verdammt schwer, mit "lediglich" einem Medizinstudium im Rücken einen anderen Job als den ärztlichen zu finden.........Ich denke - ca. 30 Jahre zu spät - "Sozialarbeit" wäre sehr viel passender für mich gewesen. Ich lebe nunmehr mit der "Kleinen" zusammen, und brauche dringend eine "außerhäusige" Beschäftigung - auch der rel. schmalen Rente wegen und, weil die Großen ausgezogen und mit ihrem Anhang zusammen gezogen sind.......wodurch hier eine für mich schwer zu ertragende Ruhe entsteht.
Kann mir irgendjemand weiterhelfen? An wen muß ich mich wenden, wo wird mir weitergeholfen?????? (Die Arbeitsagentur hat mich diesbezüglich keinen Schritt weiter gebracht....) Habe ich denn keine berufliche Option mehr?

Anmerken möchte ich noch, daß ganz sicher so einige Ärzte mit jeweils großem Einsatz und einem starken EGO den Weg gefunden haben, sich selbst nicht zu kurz kommen zu lassen.- Bewundernswert für einen Beruf, der in den Köpfen der meisten Menschen (und v.a. der Ärzte selbst) gleichgestellt ist mit "Berufung".......
Gartenkobold
Beiträge: 2098
Registriert: 9. Jul 2020, 09:26

Re: Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

Beitrag von Gartenkobold »

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Zuletzt geändert von Gartenkobold am 29. Apr 2022, 14:25, insgesamt 1-mal geändert.
Mountainbiker
Beiträge: 235
Registriert: 19. Sep 2020, 18:15

Re: Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

Beitrag von Mountainbiker »

Hallo, das hört sich für mich sehr schlimm an. Mein früherer Hausarzt, der mich sehr lange begleitete, ging irgendwann in Rente. Kurz zuvor war ich ein letztes mal bei ihm und war sein letzter Patient an diesem Tag. Was er mir dann alles erzählt hat (man kann sagen, er hat mir sein Herz ausgeschüttet) war schon richtig heftig. Nun war er "nur" Hausarzt, aber nach seinen Erzählungen kann man nachvollziehen, was im Bereich Medizin so abgeht.
Nun arbeite ich in einem anderen Bereich, aber auch hier ist man vor extrem starker Überbelastung nicht geschützt. Das durfte ich gerade gestern wieder erleben. Nach 11 Stunden auf der Arbeit nach Hause, essen, fernsehen und um 22 Uhr ins Bett. Kaum geschlafen, heute in die selbe Tretmühle. Ich weiß nicht wieso ich mir das eigentlich antue.
Das aber nur, weil ich denke, bei dir war es nicht anders. Was ich vielleicht versuchen würde ist, sich beim Rotkreuz oder VDK mal zu erkundigen, ob man dort vielleicht etwas wie eine sozialmedizinische Betreuung übernehmen kann. So könntest du deine medizinische Fähigkeiten mit dem von dir erwähnten sozialen Aspekt verbinden. Ich wünsche dir viel Erfolg und eine gute Zeit im neuen Jahr.

Der Mountainbiker
Das Leben ist wie Radfahren. Man fällt nicht, solange man in die Pedale tritt.
Gertrud Star
Beiträge: 3441
Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

Beitrag von Gertrud Star »

Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, Kindern in der Schule etwas über Gesundheit zu lehren in dem Sinne, dass man erarbeitet, wie man gut auf sich aufpasst, wo Fallen sind und wo man Hilfe bekommt. Damit erreicht man vielleicht die Kinder, wo es daheim etwas zu dolle zugeht, und die sowas einfach sonst nicht lernen würden. Eine solche Prävention könnte nicht nur als ständige Erinnerung für einen selber dienen, sondern auch zur eigenen Heilung beitragen, weil man den Kindern lehrt, wie es besser geht. Die erinnern sich im Zweifel dann auch daran.
Kassettenkind
Beiträge: 878
Registriert: 16. Nov 2020, 19:21

Re: Arbeit und Depression (in Medizinerkreisen)

Beitrag von Kassettenkind »

Hallo C'est Ca,

Dein Beitrag hat mich ziemlich berührt.
Es ist traurig zu lesen, dass Du in Deiner Kindheit keine Umarmungen, emotionale Unterstützung oder liebevolle Worte bekommen hast.
Das kommt mir leider bekannt vor. Wenn Du gerne liest, habe ich einen Buchtitel aufgegriffen: "Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben." Autor Ben Fuhrmann.
Das habe ich zwar nicht gelesen, dass war 2017 in meiner psychosomatischen Reha eine Buchempfehlung.
Beim Lesen deines Beitrages habe ich mich gefragt, wie Du das all die Jahre geschafft hast? Deine Kinder alleine versorgt, deinen "Demenzerkrankten Vater" gepflegt.
Erst einmal meinen größten Respekt von mir!
Deine Kinder sind von 14-23 Jahre. Die erwachsenen Kinder gehen bestimmt schon ihre eigenen Wege.
Trotzdem hat man genug Sorgen und Probleme mit kleineren Kindern und dann noch Teenager in der Pubertät.
Du hast bestimmt einiges mitgemacht.
Wir haben nur einen Sohn, der bald 18 Jahre alt wird. Auch mit nur einem Kind haben wir viel erlebt.
Mehr Kinder würde ich nervlich gar nicht mehr schaffen ;-)
Zu Deiner Frage, was Du noch beruflich machen kannst?
Magst du die Natur und den Wald?
Es gibt den Kneippärztebund und eine Ausbildung als Waldtherapeut. Du hast dein Studium und die Voraussetzungen. Nun weiß ich natürlich nicht, ob du noch Kraft und Energie für eine Ausbildung hast?
Du hast in deinem Leben ja schon viel die Schulbank gedrückt.

Beim Institut für berufliche Bildung (IBB) kannst Du online Unterricht geben. Dort könntest du per Videochat Unterricht/Coaching geben. Da gibt es den Bereich Medizin, Pflege und Gesundheit.
Das IBB gibt es meiner Meinung nach in allen Bundesländern?

Wenn du in Schulen einen Beitrag leisten möchtest, gibt es dort Jobangebote als pädagogische Mitarbeiterin oder Betreuer meistens auf 450,- Euro Basis. Falls Du Lust hast, mit Kindern zu arbeiten? So etwas in der Art hat Gertrud Star auch in ihrem Beitrag geschrieben;-)

Hast Du einen Therapieplatz wegen deinen Depressionen oder machst du etwas Anderes, um aus Deinem Tief rauszukommen?

Ich wünsche Dir alles Gute und genug Kraft, dass du da raus kommst und es dir wieder besser geht!

Melde Dich doch mal, wie es bei Dir weiter gegangen ist.


Liebe Grüße
catlover2020
Ich lerne, das Geräusch meiner Schritte zu lieben, wenn ich mich von Dingen entferne, die nicht für mich gedacht sind.
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