Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

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JoRMK
Beiträge: 3
Registriert: 24. Apr 2020, 22:06

Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

Beitrag von JoRMK »

Hallo zusammen,

ich (männlich) bin heute zum ersten Mal hier und froh, dass es noch seriöse Foren, wie dieses hier gibt. Kurz zu mir: Mit Mitte 20 hatte ich einen Burn Out und war 6 Wochen lang in einer Klinik mit einer unregelmäßigen Folgebehandlung bei unterschiedlichen Ärzten. Für mich kann ich sagen, dass ich schon als Kind eher meine Ruhe wollte und eher den Abstand zu meinen Mitmenschen gesucht habe. Auch brauchte ich klare Strukturen, bestimmte Rituale und Rückzugsorte für mich und meine Gedanken und Ideen :D .

Auch ging es mir nie wirklich schlecht, aber mein Kopf hat mich immer in einen Leistungs- und Stressmodus versetzt und es folgten ständige Panikattacken. Auch eine ständige innere Unruhe und teilweise Gereiztheit. In der Klinik wurde dann eine Form von bipolar affektiver Störung diagnostiziert, während ein weiterer Psychologe eher von einer leichten bis mittelschweren Depression ausging. Daraufhin nahm ich mehrere Jahre einmal Medikamente zum Einschlafen und zur Beruhigung und morgens Medikamente zum "pushen" :roll: .

Irgendwann und irgendwie schlich sich das ganze dann auch wieder aus und nachdem mir ein weiterer Psychologe gesagt hat, dass ich die Medikamente eigentlich gar nicht nehmen müsste, da alles nur eine Einstellungssache sei und ich mich eben mehr mit meinem Handeln und Tun beschäftigen solle, habe ich die Einnahme abgebrochen und auch keine Sitzungen mehr wahrgenommen.

Jetzt bin ich 38 Jahre und komme mit ein paar wenigen Rückschlägen ganz gut klar, außer, dass ich einfach manchmal etwas sensibler oder gereizter reagiere als vielleicht andere. Nachdem sich nun durch die momentane Corona-Krise mein Arbeitsplatz und meine Beziehung nur noch auf einen Ort konzentrieren, kommen viele alte "Denkmuster" und Gefühle von meiner damaligen Zeit vor meinem Klinik-Aufenthalt wieder hoch. Ich fühle mich wie in einer Käseglocke und alle Gegenstände oder Personen auf der Straße wirken auf mich manchmal so fremd und nicht real. Meine Panikattacken kommen morgens nach dem Aufwachen zurück und manchmal will ich einfach nur da sitzen und meine Ruhe haben. Mit Sport und Spaziergängen kann ich noch "gegenhalten", aber ich fühle mich wie in einem anstrengenden Traum, aus dem ich einfach nicht mehr aufwache.

Auch meine Beziehung leidet sehr darunter. Ich habe keine Lust mehr auf Gespräche, fühle mich sofort angegriffen und würde am liebsten ausziehen. Ich führe das momentan noch auf die Sondersituation, in der wir uns befinden zurück - aber liegt es wirklich nur daran?

Menschen aus meinem Umfeld erklären mir immer, dass man sich nicht so anstellen solle, da es uns doch allen noch gut geht und jetzt beschäftigt man sich doch einfach mal mit anderen Dingen und die Leute sollen nicht so rumheulen. Ehrlich gesagt macht mich das noch aggressiver und ich habe schon überhaupt keine Lust mehr überhaupt noch eine Diskussion oder auch nur ein einfaches Gespräch zu beginnen. Es fühlt sich an, als wäre ich die einzige Person auf der Welt, die ein Problem mit der momentanen Situation hat, als wäre ich kein Mensch sondern irgendein Wesen, was kein Mensch verstehen kann.

Nachdem ich nun mein erstes Gejammere niedergeschrieben habe :D würde ich mich über Meinungen oder einen Austausch wirklich freuen.
Grossergorilla
Beiträge: 60
Registriert: 19. Apr 2020, 11:34

Re: Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

Beitrag von Grossergorilla »

Hey, erst einmal herzlich willkommen.

Das " Käseglocken"-Gefühl kenne ich aus meinen dunkelsten Momenten, wenngleich ich es ein wenig wie einen Nebel beschreiben würde, der alles um mich herum verdeckt und unwirklich erscheinen lässt.

Die Panikattacken kenne ich leider aktuell auch nur zu gut, da ich im Moment auch eine depressive Phase durchmache und mein Gehirn, zumindest laut EEG, wohl dauerhaft im Stressmodus ist.

Grundsätzlich rate ich dir auf jeden Fall, die körperlichen Aktivitäten wie Sport oder Spazierengehen beizubehalten.

Und was die anderen Leute angeht...ich weiß, dass es schwer ist, aber versuch, nach Möglichkeit, keine bösen Absichten zu unterstellen.
Die aktuelle Situation ist für jeden anstrengend und neu und auch schockierend (plötzlich wird der moderne westliche Mensch wieder an seine Körperlichkeit und an seine Sterblichkeit erinnert, keine Themen, mit denen man sich gern beschäftigt). Die meisten Leute reden so, wie du es geschildert hast, um sich selbst zu beruhigen, nach dem " Fake it till you make it"-Prinzip.

Sie erklären es nicht dir, sondern sich selbst.

Wenn ich dich aus dem, was du geschrieben hast, richtig einschätze, neigst du dazu, die Aussagen der anderen dann als Kritik an dir und deiner Unruhe wahrzunehmen. Das ist oftmals auch mein Problem.

So seltsam es klingt, es kann helfen, sich daran zu erinnern, dass man den meisten flüchtigen Bekannten nicht wichtig genug für eine Bewertung ist.

So, das war mein gering-qualifizierter Beitrag. Noch einmal herzlich willkommen und alles Gute!
Reiseonkel87
Beiträge: 372
Registriert: 30. Dez 2015, 22:03

Re: Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

Beitrag von Reiseonkel87 »

Hallo JoRMK,

auch von mir herzlich Willkommen bei uns im Forum. Auch danke, das Du deine Geschichte mit uns teilst. Eines vorweg, es ist je nach Lage und Situation, dieses Forum ist der beste Arzt. Zumindest geht es mir so, sich mit gleichen zu unterhalten bzw auszutauschen ist wesentlich angenehmer, weil hier eines ist, verständnis. Viele Menschen auf der Straße haben ein falsches/schlechtes Bild auf die Krankheit und daher ist es in manchen kreisen leider noch nicht Salonfähig.
Sind bei Dir dann irgendwie indikatoren die das ganze dann in Dir auslösen? Bei mir zb sind es zwischenmenschliche Konflikte, aber auch das verarbeiten eines großen Verlust. Jetzt in der Corona-Krise, hab ich das Gefühl runterfahren zu können, das Leben wird entschläunigt und man hat Zeit für Sachen, die man vorher eher seltener hatte, Zeit für Sich, Zeit zum Nachdenken. Wenn die Seele schreit, schreib es gerne nieder. Mir persönlich hilft das sehr. Auch die meisten sind sehr nett und verständnisvoll.

LG
Dennis
LG von der Küste
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Reiseonkel
JoRMK
Beiträge: 3
Registriert: 24. Apr 2020, 22:06

Re: Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

Beitrag von JoRMK »

Vielen Dank für die aufmunternden Rückmeldungen. :D

@Reiseonkel87: Bei mir sind es tatsächlich bestimmte Indikatoren und zwar dann, wenn ich das Gefühl habe nicht mehr über eine Situation selbst entscheiden zu können oder "wenigstens" mich aus der Situation entfernen zu können. Ich fühle mich dann innerlich eingesperrt wie in einem dunklen Raum und das löst bei mir dann noch zusätzlich etwas Atemnot aus.

Das Niederschreiben ist in der Tat eine gute Idee. Vielleicht erkennt man beim Lesen, dass das ein oder andere vielleicht doch nicht so bedrohlich ist, wie es scheint. :D

@Grossergorilla: Ja es stimmt. Ich kann manchmal sachliche von persönlicher Kritik nicht mehr unterscheiden. Ich höre eine Aussage und im ersten Moment mache ich komplett dicht, habe einen innerlichen Druck und würde am liebsten sofort in einen Wort-Angriff übergehen. 8-) Im Nachhinein tut es mir dann auch total leid. Mit der Wichtigkeit einer Bemessung von Aussagen, gebe ich Dir vollkommen Recht. Leider bewerte ich sehr oft und sehr viel und beziehe es gerne auf mich. Darüber kann ich mich manchmal so ärgern, dass ich mich am nächsten Tag schon wieder frage, wo überhaupt jetzt das Problem war. :D

@Bittermandel: Wir gehen uns schon etwas mehr aus dem Weg. Bei mir ist wahrscheinlich der fehlende Ortswechsel innerhalb der Woche das Problem. Vor allem kommt jetzt natürlich in einer angespannten Situation auch noch dazu, dass man über jede "Marotte", die jeder so mitbringt und hat, nicht mehr so einfach hinwegsieht. Mich "beruhigt" es zumindest etwas, dass es anderen Paaren im direkten Umfeld auch ähnlich geht. Schlimm wird es nur, wenn man keinen Mehrwert mehr an einer Beziehung sieht oder empfindet.
TheTower12
Beiträge: 90
Registriert: 7. Apr 2020, 11:13

Re: Manchmal fühlt sich meine Umgebung nicht real an

Beitrag von TheTower12 »

Hallo JoRMK,

ich keine deine Situation zu Hause nur zu gut. Auch bei mir scheint aktuell nur alles auf "funktionieren" zu laufen. Viele Dinge die mir vor Corona noch möglich waren (gute Gespräche mit meiner Frau) sind nicht machbar. In einem "lichten" Moment habe ich das aber meiner Frau beschrieben, daher gibt es eine Akzeptanz dahingehend. Ich bekomme keinen Druck von meiner Familie, zudem wird es auch langsam besser. Anscheinend gewöhne ich mich ein wenig an die Situation und stelle mich mehr darauf ein!

Also, Kommunikation suchen und sich "Platz" und Raum schaffen.
Auch diese Zeit geht rum, nur hoffentlich schneller als es aktuell aussieht!!!

Liebe Grüße

TheTower
Vieles, was uns Kummer bereitet, entsteht dadurch, dass wir Dinge anders haben wollen, als sie sind. *Dalai Lama

Ich glaube, es dauert eine Zeit, bis man lernt, entspannt zu sein … es ist wie mit Muskeln, die man
trainieren muss… *Dalai Lama
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