Wäre es euch peinlich?

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Peter1
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Peter1 »

Hallo
Mir wäre es vollkommen egal. Ich habe auch in meiner Nachbarschaft nichts verschwiegen, so wusste ich wenigstens, wer Verständnis dafür hat, und wer nicht. Die Nachbarin, die mir gegenüber wohnt, hat sich bei der Hausverwaltung beschwert, wie sie einem psychisch kranken eine Wohnung vermieten können. Lissy, meine rechtl. Betreuerin hat ihr von ihrem Anwalt einen Brief schreiben lassen, seitdem ist Ruhe. Sonst waren, und sind, die Bewohner unseres Hauses ganz vernünftige Menschen. Ich würde es auch meinem Arbeitgeber sagen. Das kommt vermutlich daher, das ich in einem Betrieb gearbeitet habe, der einen starken Betriebsrat hatte.
Warum sollte ich meine Störung verheimlichen?

Alles Gute und Schöne Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Schwarze Eule
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Schwarze Eule »

Hallo,

also im momentanen Zustand und meinen Verhältnissen kann ich mir nicht vorstellen, mich hier zu "outen". Nicht weil es mir peinlich wäre. Sondern aus geschäftlichen Gründen. Ich bin nicht in einer Firma mit starkem Betriebsrat. Das sind bei uns eher ferngesteuerte Marionetten der Geschäftsleitung. Mir haben sie in den letzten 3 Jahren mit anderen Problemen genau Null mal helfen können. Ich habe zwar in der Familie kein Problem damit offen zu sein, oder mit meinen zwei besten Freunden. Sonst weiß es aber auch im echten Leben nur noch meine Ärzte und Psychotherapeutin. Im Büro würde es mir, glaube ich, entgültig das Genick brechen. Auf Verständnis kann ich da nicht hoffen. :x :x :x

Was das Forum angeht, bin auch ich hier (mit einer Ausnahme) freundlich empfangen und aufgenommen worden. Das ist vielleicht ein bisschen wie eine digitale Selbsthilfegruppe. Und bis jetzt hat es mir schon ein wenig geholfen, mir über das eine oder andere klar zu werden. Und dadurch geht es mir, glaube ich, auch ein wenig besser. Wenig, aber immerhin. :)

Liebe Grüße
Liebe Grüße
Schwarze Eule

So sind alle Schwäne monogam, in Treue fest ihr ganzes Leben.
Der Mensch sich nicht so gut benahm. Ein Vorbild könnt‘ er sein soeben.

Heidi Schmitt-Lermann
Belli
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Belli »

Warum sollte es mir Peinlich sein? Das bin nun einmal Ich. Und bislang bin ich ohnehin immer absolut offen mit meiner Depression umgegangen. In meiner kleinen Familie, der ehemaligen Partnerin und deren Familie, im Freundes-und Bekanntenkreis und auch im Job wussten alle was los ist. Mir war das lieber als mich zu ducken und so zu tun als wenn nichts wäre. Und wenn denn hier wirklich mal ein Software Fehler auftauchen sollte wäre mir das echt Schnuppe. Habe ja schliesslich kein Verbrechen begangen.

LG belli
Belli
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Belli »

@Schwarze Eule...

Das mit dem Job kann ich absolut nachempfinden. Ich hatte damals panische Angst es zu sagen weil ich dachte das in mir dann alle den bekloppten Psycho oder Drückeberger sehen. Gerade weil der Job immer Anspruchsvoll war und man sich da schon gut Durchsetzen muss, und ich mich nicht Schwach darstellen wollte. Sonst hätte ich bestimmt hier und da ein Problem gehabt. Aber als ich freiwillig in die Psychiatrie gegangen bin musste ich ja mehr oder weniger Farbe bekennen. Überraschenderweise hat mein damaliger Chef zu mir gesagt ich solle erst wieder zurück kommen wenn es mir besser geht. Hat mir quasi eine Jobgarantie in die Hand gedrückt und die Therapiezeit offen gelassen. Sein O-Ton war: "es dauert so lange wie es dauert".

Dafür war ich ihm echt Dankbar. Und auch als ich wieder da war gab es keine bösen Worte oder sonstige unangenehmen Bemerkungen oder ähnliches. Eher im Gegenteil. Mir wurde von vielen Mut zugesprochen und fanden es gut das ich dazu stand. Sicher, den einen oder anderen der sich ein blöden Spruch nicht verkneifen kann gibt es immer, aber ich habe nur gute Erfahrungen gemacht und bin in der Firma dann letztendlich offen damit umgegangen. Habe da auch viele Fragen beantworten müssen und fast schon etwas Aufklärungsarbeit betrieben. Kann mir aber wirklich auch gut vorstellen das es bei einigen das Ende wäre es offen zuzugeben oder Anzusprechen. Wenn es bei mir nicht diesen Rückhalt der Firma, Chef und Kollegen gegeben hätte, dann wäre das sicherlich auch bei uns ganz anders gekommen.

LG belli
ZimtundZucker
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von ZimtundZucker »

Gerade die Anonymität ermöglicht an der einen oder anderen Stelle auch mehr Offenheit.
Aurelia Belinda
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Huhu Grinch,
Nicht traurig sein,

Klar mögen wir dich!!
Es ist wahrscheinlich ein sensibles Thema....
Ich glaube die Stigmatisierung ist immer noch zu groß, kein Wunder wenn viele unerkannt bleiben wollen.
Man gilt halt noch immer als “bekloppt“, :-) trotz immer mehr Aufklärung.

Mir persönlich wär's glaub ich schnuppe,
Um zurück zu deiner Frage zu kommen.
Lieber outen als sich sein Leben lang verstecken müssen...

LG Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
saneu1955
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von saneu1955 »

Hallo Grinch, ich mag deinen trockenen Humor, musste schon mehrfach richtig darüber lachen.

Und zu deinem Thema, mir ist es mittlerweile so was von egal, was die Leute von mir denken und ich gehe sehr offen mit meiner Erkrankung um. Und wer damit nicht klar kommt, der hat Pech gehabt, hatte ich gerade erst wieder.

Manchmal ist es auch so, dass einige erst selbst dies erleben müssen, damit sie es verstehen.

Ich mache aus meiner Krankheit keinen Hehl, im Gegenteil, ich bin da sehr offen geworden, weil es mir nichts bringt, mich zu verstellen, kann ich eh nicht mehr.
Und ich habe es auch schon oft erlebt, dass da wirklich Verständnis rüber kommt.

Saneu1955
Camille
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Camille »

Hallo Grinch,
Keiner mag mich.
- ganz ernst gemeint, war der Satz nicht - stimmt`s ;)

Hm - ganz kurz zu mir. Peinlich trifft es nicht ganz - aber für mich wäre es "schlimm".

Aus ganz vielen unterschiedlichen Gründen.

Zu einem, weil noch sehr wenige Menschen von meiner "Störung" wissen - das liegt vor allem daran, weil ich selbst immer noch nicht so richtig verstanden habe, was eigentlich "mit mir los ist." Ich sehe "meine Störung" und "meine Schwierigkeiten mit den ganz alltäglichen banalen Anforderungen des Lebens zurecht zu kommen" zwar selbst auch mehr als deutlich - ich empfinde "es" allerdings immer noch nicht als "eine Krankheit", die wirklich jeden treffen könnte. Ich sehe deutlich meine "eigenen Anteile" an dieser Entwicklung, die nach 50 Jahren jetzt zu diesem Zustand geführt haben.
Und ja - für diese "eigenen Anteile" schäme ich mich. Bisher zumindest noch. Vor 3 1/2 Jahren habe ich mich in Behandlung begeben, weil ich selbst nicht mehr zurecht kam. Ich muss zugeben, dass ich immer noch in einem Prozess stecke des langsam Verstehens und Begreifens.

Tja - zu sagen "Ich habe Depressionen" kommt mir nicht über die Lippen. Es fühlt sich "nicht richtig" an. Irgendwie nicht "wahr" - ich fühle mich unwohl dabei - fast wie eine "Simulantin" - die vorgibt "krank" zu sein, obwohl sie "faul" und "egoistisch" und "nicht belastbar" …...ist

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich rede hier von mir!

Das ist einer meiner Gründe.
Dann natürlich, dass ich es selbst sein wollte, von dem andere von dieser sehr "persönlichen Erlebensweise" von mir erfahren.

Dass ich zwar meine zukünftige Chefin über meine "Erkrankung" informiert habe, allerdings doch in der Arbeitswelt nicht wollte, dass es jeder weiß.

Das sind so ein paar Gedanken

Lg
Camille
Monchen12345
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Monchen12345 »

HuHu,
Ich wollte auch noch was dazu schreiben.
Peinlich wäre es mir nicht. Nur möchte ich gerne selbst entscheiden was ich wem und wieviel erzähle. Das geht halt nicht wenn es öffentlich mit Name im Netz steht.
Ich entscheide es nach Wichtigkeit und aber vor allem auch nach meiner Einschätzung ob und wie derjenige damit umgehen kann.
Mein Bruder hat da sehr wenig Verständnis, deshalb hab ich ihm nichts erzählt. Wir haben aber auch so wenig Kontakt.
Meiner Mutter und auch dem Rest der Familie hab ich die suizidalen Gedanken verschwiegen, die haben sich so auch schon Sorgen genug gemacht.
Arbeitskollegen und auch beispielsweise Eltern von Gruppenkindern geht das nichts an.
Ich möchte auch einfach nur so akzeptiert werden wie ich bin ohne mich erklären zu müssen, ohne dass man extra Rücksicht nimmt oder man denkt "die spinnt mal wieder", oder, oder, oder...
Auch könnte man an der ein oder anderen Stelle zu viele Rückschlüsse auf Personen schließen über die ich geschrieben habe und das fände ich dann auch nicht gut denen gegenüber.
Das wäre es kurz von mir.
Monchen
Peter1
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Peter1 »

Hallo Camille
Als ich deinen Post das erste mal las, dachte ich an meine Zeit vor meiner Diagnose, chronische Dysthymie und rezidivierende Depressionen, mittelgradig bis schwer. Ich habe fast mein ganzes Leben gedacht, der fehlende Antrieb, die andauernde Traurigkeit, die Hoffnungslosigkeit, wären ein Teil meiner Persönlichkeit. Ich sagte mir immer wieder, gib dir ein bisschen mehr Mühe, streng dich mehr an, denk doch einfach an was Anderes. Erst als mich der Psychiater, bei unserem ersten Gespräch ,in die Klinik einweisen wollte,(wegen Suizidgedanken) wurde mir klar, das meine Gedanken falsch waren. Sie waren nicht Teil meiner Persönlichkeit, sondern einer Krankheit, einer sehr fiesen Krankheit. Es fiel mir am Anfang sehr schwer, das zu akzeptieren. Ich wollte nicht glauben, das ich mein ganzes Leben an eine besch..... Krankheit verloren habe, und keiner der Ärzte und Psychologen, bei denen ich behandelt wurde, etwas erkannt hat. Aber mittlerweile habe ich gelernt, das ich die Vergangenheit nicht ändern kann, ich kann aber die Zukunft anders gestalten. Dabei unterstützt mich meine Thera nach Kräften.
Was mir an deinem Post besonders aufgefallen ist, du liebst dich nicht selbst. Du bist Ärztin, hast also mehr Grundwissen als ich, was Depressionen betrifft. Versuche zu akzeptieren, das du, auch in diesem Zustand, ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft bist. Das geht aber erst, wenn du eingesehen hast, das du krank bist, und zwar schwer krank(schwer, wegen der Länge der Rekonvaleszenz Zeit ) Es ist das Gleiche, wie bei einem Alkoholiker, oder einem Junkie. Ein Entzug lohnt erst, wenn man einsieht, das man krank ist.
Ich wünsche die viel Glück und Kraft bei deiner Therapie.

Alles Gute und Schöne Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Ein Sommertag
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Ein Sommertag »

Hallo,

ja, mir wäre es peinlich, denn ich selbst möchte entscheiden, wer über mein "Seelenleben" Bescheid weiß.
Von meiner Analvenenthrombose erzähle ich ja auch nicht möglichst vielen Menschen, die es hören wollen oder nicht.
Im Beruf möchte ich behandelt werden, wie jeder andere auch und keine Extrabehandlung bekommen. Außerdem kann eine mangelnde Belastbarkeit in der heutigen Zeit durchaus erhebliche Nachteile mit sich bringen.
Ich möchte Normalität, ein "normales" Leben. Und wenn ich überall die Störung in den Vordergrund stelle, kann sich das durchaus hinderlich auswirken, indem diese zu viel Raum bekommt.

Welche Vorteile, außer einer Andersbehandlung, verspricht man sich durch die Mitteilung?

LG
Sommertag
Peter1
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Peter1 »

Hallo Sommertag
Das Bekämpfen einer Depression beginnt mit Akzeptanz. Du Solltest akzeptieren, das du krank bist. Das bedeutet, geringere Leistungsfähigkeit, und vor Allem eine wesentlich höhere Stressanfälligkeit. Du willst genau so behandelt werden, wie die Anderen, aber hat nicht gerade die hohe Leistung deine Krankheit verschuldet?
Ein ganz normales Leben, wie es vorher war, kannst du vergessen. Schaffe dir mehr Freiräume, lege für jeden Tag eine Zeit fest, deine Ichzeit, in der du nur Dinge tust, die dir Spaß machen. Mache öfter mal eine Pause, und höre auf die Signale, die dir dein Körper gibt. Vor allem, schaff den Stress ab, denn der macht dich krank.

Alles Gute und Schöne Peter
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Salvatore
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Salvatore »

Hallo Grinch,

ja, für mich wäre es absolut eine Katastrophe.

Aus dem gleichen Grund, aus dem ich die von Schäuble gerade wieder hervorgekramte (aber schon ältere) Forderung einer Klarnamenpflicht im Internet mit aller Vehemenz ablehne. Denn ich finde, es muss geschützte Räume geben, in denen man sich einem schwierigen Thema langsam annähern kann, ohne dass es gleich jeder mitbekommt.
Durch meine Arbeit kannte ich früher sehr viele Menschen in meiner Stadt, weswegen für mich eine Selbsthilfegruppe hier vor Ort nicht in Frage kam. Ich bin auch extra zur Behandlung nicht in die ortsansässige Psychiatrie gegangen und auch nicht in die ortsansässige Tagesklinik, sondern bin lieber auf weiter entfernte Einrichtungen ausgewichen - ich wollte verhindern, auf bekannte Gesichter zu stoßen, denn so weit war ich damals einfach nicht, dass ich mein Inneres vor meinen Kunden, ehemaligen Mitschülern oder deren Eltern etc. durchwühlen konnte. Ich musste das alles erstmal für mich selbst klarkriegen.

Nun ist das ja so, dass diese Therapiegruppen von damals lange her sind, die Teilnehmer sind in alle Winde verstreut, die Gespräche haben sich verflüchtigt, meine Ängste, Sorgen, Zweifel etc., die Details meiner Lebensgeschichte, meine Ver(w)irrungen längst zerstreut. Das ist nirgendwo gespeichert oder protokolliert, die Erinnerung der anderen Teilnehmer ist über die Jahre verblasst, vielleicht sogar bis zur Unkenntlichkeit. Das zu rekonstruieren: unmöglich.

Hier im Forum ist das aber etwas anderes: erstens ist es keine geschlossene Gruppe. Menschen der ganzen Welt können mitlesen, jedes meiner Worte auf dem PC speichern oder ausdrucken. Meine Geschriebenes von vor zehn Jahren ist immer noch da, mit allem was dazu gehört. Ob ich mich verrannt habe, falsch abgebogen bin, einen anderen User blöd angeschnauzt habe, vor Selbstmitleid zerfloss, mich als Opfer dargestellt habe, ungerecht über andere geurteilt - all das ist immer noch da, als wäre dazwischen keine Zeit vergangen. Heute ist das von früher aber größtenteils gar nicht mehr gültig. Ich habe mich weiterentwickelt. Vieles von damals würde ich heute nicht mehr schreiben und auch nicht mehr unterschreiben. Stand ich damals zu und hinter dieser Ansicht, tue ich es heute nicht mehr. Und trotzdem ist es noch da, als hätte es noch Bestand.

Würden nun mein Name und meine Adresse veröffentlicht, würde mich das also weit über das bloße "Outing" hinaus betreffen. Wenn mich irgendjemand googelt, Freunde, Bekannte, Verwandte, Arbeitskollegen, Nachbarn von heute oder auch Leute, die ich früher mal kannte, dann wäre für jeden dieser Menschen plötzlich nicht nur meine Störung und die genaue Art meiner Neurosen offengelegt, sondern auch der sehr intime Weg, den ich bis dahin gegangen bin. Aber ich möchte selbst entscheiden, wem ich was wie genau erzähle. Genauso, wie ich auch selbst entscheide, wieviele Details ich hier über mein Leben preisgebe und wie erkennbar ich mich damit mache. Die absolute Anonymität gibt es sowieso nicht, da muss sich auch niemand was vormachen. Im Moment jedoch ist es für den Ottonormalnutzer nicht möglich, meinen Klarnamen und meine Adresse zu ermitteln, auch wenn entsprechende Behörden dies könnten. Wenn, dann müsste ich die Informationen schon von mir aus preisgeben - was ich im übrigen auch bereits getan habe. Bloß nicht an die ganze Welt. Und es war meine Entscheidung.

Ein Albtraum, die Vorstellung einer Klarnamenpflicht. Ein Albtraum, die Vorstellung eines Datenleaks hier im Forum. In meiner Jugend hatte und kannte ich noch kein Internet und erst recht keine Foren. Ich stelle mir vor, wie das gewesen wäre, was ich alles geschrieben hätte, wieviel Blödsinn, wie viel Falsches, wie viel Gemeines. so viel Schmerzerfülltes. Und ich stelle mir vor, das wäre alles gespeichert worden bis in alle Ewigkeit... und öffentlich gemacht. So dass es auch heute noch für alle sichtbar zu lesen stünde. In meinem Umfeld wissen fast alle von meiner Depression. Es wäre mir viel zu anstrengend, das verstecken zu müssen. Aber die grausamen Einzelheiten meiner Seelenschwärze braucht niemand meiner Angehörigen zu erfahren und schon gar nicht deren Kinder oder deren Kinder und schon überhaupt gar nicht jemand, der nichtmal zu meinen Angehörigen zählt.

Deshalb: jawohl, es wäre eine Katastrophe.

Liebe Grüße
Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Ein Sommertag
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Ein Sommertag »

Hallo Guinevere7,

ja, ein "normales" Leben ist für mich weitgehend möglich.

Und natürlich ist es wichtig, auch über das Seelenleben reden zu können, aber mit den Menschen die ich dafür ausgewählt habe, bzw. die qua Beruf(ung) dafür zuständig sind, bei mir also wenige, auserwählte Personen.
Auf der Arbeit möchte ich auf keinen Fall diejenige sein, die weniger belastbar ist. Das gehört für mich da nicht hin, Gespräche über mein Seelen- oder mein Privatleben gehören da nicht hin.
Das habe ich gemeint mit darum kreisen. Ich möchte nicht für den Chef, Kollegen, den Bäcker, Friseur, die Nachbarn usw. diejenige sein, die... und diejenige, bei der man nicht weiß, wie man sie gerade ansprechen soll, die man vielleicht sogar mitleidig anschaut etc. Dann wäre das ganze Leben nur noch Depression. Ich möchte der Sommertag sein, der mal leichtfüßig angelaufen kommt, mal schwerfällig daherschleicht, wie jeder andere auch.
Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, zu beschreiben, was in mir vorgeht: "Ich mache mir Sorgen über... " ohne das Etikett "Depression" zu verwenden. Das sind Dinge, die in bestimmten Nuancen eigentlich jeder kennt. Bei manchen sind sie halt schwächer ausgeprägt, bei Menschen mit Diagnose oft stärker.

Präventionsprogramme für die Schule halte ich auch für immens wichtig, es gibt aber auch schon gute, wie z.B. Klasse 2000. Hier ist es m.E. aber auch wichtig, dass das Ganze nicht für eine Person, die besonders bedürftig ist, stattfindet, oder damit Person xy anders behandelt wird, sondern für die gesamte Klasse, damit alle lernen, sensibler auf ihre Mitmenschen einzugehen und z.B. bei Mobbing nicht mitzumachen. Dann würden viele auch gesünder bleiben.

Mit Grenzen ist es so eine Sache. Gefühlt wird heute immer über Abgrenzung gesprochen und ich habe nicht den Eindruck, dass es den Menschen heutzutage unbedingt besser geht.
Grenzen werden problematisch, wenn dadurch die Bedürfnisse anderer Menschen abgeblockt werden. Ich finde da sollte ein guter Kompromiss geschlossen werden, was meist aber auch möglich ist.

Liebe Grüße
Sommertag
Ein Sommertag
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Ein Sommertag »

Hallo Peter,

NEIN! Ich SOLLTE gewiss nicht akzeptieren, dass ich krank bin und geringer leistungsfähig bin ich gewiss nicht! Ich bin NICHT krank! Ich habe in meinem Leben Erfahrungen gemacht, die mein Sosein beeinflusst haben, die dafür gesorgt haben, dass ich mich nicht so frei entwickeln konnte wie manch anderer. Das heißt aber nicht, dass ich krank bin. Dieses Etikett braucht es zwar, um Psychotherapie erstattet zu bekommen.
Für mich ist es aber nicht mehr und nicht weniger als ein Etikett.

"Das Bekämpfen einer Depression beginnt mit Akzeptanz" ist für mich eher eine Pauschalaussage, die nicht unbedingt zutreffen muss. Ich akzeptiere, wie ich bin, aber ich akzeptiere keinesfalls, dass das als "krank" bezeichnet wird.
Im Übrigen bin ich schon seit bestimmt 30 Jahren betroffen, hatte auch einst die Diagnose Dysthymie, also chronisch, was heute wahrscheinlich nicht mehr zutreffen würde. :)

Und NEIN, auch dass hohe Leistung zu Depressionen führt, würde ich so nicht unterschreiben. Ich denke, da muss vorher schon eine gewisse Vulnerabilität vorhanden sein. Viele leisten nämlich viel und werden nicht depressiv oder krank.
Begründet wurde meine Depression durch Erfahrungen in der Kindheit, in der Schule und durch ein traumatisches Ereignis. Außerdem habe ich mich in meinem Job nicht wohl gefühlt und im Privatleben dann plötzlich Panikattacken bekommen, was dann der letzte Tropfen im Fass war, der mich hat merken lassen, dass es so nicht weitergehen konnte.
Die hohe Leistung war es nicht. Die gab und gibt es zwar, resultierte aber eher aus Minderwertigkeitsgefühlen, ist also nicht die Ursache, bzw. habe ich diese niemals aufgegeben.

Nein, ein ganz normales Leben kann ich nicht vergessen! Und das sollte man auch keinem suggerieren, das verfestigt die Depression nur! Ich kann es führen, weil ich mir über Jahre hinweg ein neues Leben aufgebaut und dafür ganz viele Elemente geändert habe, so dass mein Leben ganz oft für mich stimmig ist. Ich habe sogar über den 2. Bildungsweg einen neuen Beruf erlernt, der mir viel besser entspricht und ausführlich reflektiert, was die Faktoren waren, die mich in meinem ersten so unglücklich haben werden lassen. Für mich war es sehr wichtig, nicht aus dem Leben herauszufallen, da ich denke, dass gewisse Strukturen durchaus Halt geben.

Du siehst, mein Weg ist gänzlich anders als Deiner.

Liebe Grüße
Sommertag
Ein Sommertag
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Ein Sommertag »

Liebe Manu,

hab vielen Dank für Dein positives Feedback.

Bei mir war es ein ganz langer Prozess, aber ich habe meinen Weg inzwischen wohl gefunden.

Du liest Dich aber auch so, als ob Du weißt, was Du brauchst und entsprechend lebst. :)

Liebe Grüße
Sommertag
anna54
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Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von anna54 »

Hallo zusammen
ich kann mich Salvatore und Camille anschließen.
Niemand kann sich vorstellen,was passiert,wenn Vertrauen missbraucht und intimes Wissen gegen einen selbst "verwendet" wird.
Das Forum lebt von dem Vertrauen hier geschützt zu sein.
Auch der angeblich verständnisvollste Arbeitgeber könnte nach der nächsten Krankmeldung seine Meinung ändern und dann stehen alle Worte gegen mich.
Mir ist es so ergangen,ich habe meine Arbeitsplatz verloren,in dem Versprechen mir zu helfen,mich zu unterstützen,später war das alles nicht mehr vorhanden.
Machen wir uns nichts vor,erst wenn ehemaliges Vertauen gegen einen verwendet wird, und alle Worte plötzlich anders klingen,ihnen andere Bedeutung gegeben wird,dann ist es zu spät.
Niemals würde ich heute einem Arbeitgeber,einem Team,der Nachbarschaft,inzwischen auch einigen in der Familie meine Kriseninhalte bekannt geben,sie werden sie gegen mich verwenden,irgendwann,wenn es ihnen passt.
Der Ansatz,den der Trialog verfolgt,finde ich gut und wichtig,ich spreche auf Augenhöhe mit Betroffenen,mit Angehörigen,mit Ärzten und Therapeuten,mit Gästen,die zu Themenbereichen die Gruppen besuchen.
Aber auch dort kann sich niemand sicher sein,dass seine Worte,in dem Raum bleiben,aber ich gebe dort auch nicht alles von mir preis.
Wissen stärkt Verständnis,aber nicht das persönliche Wissen um Diagnosen und Prognosen eigener Mitarbeiter.
Ich habe auf einer Fachveranstaltung einen Arbeitgeber erlebt,der wollte aktiv seinen Anteil bei der Behandlung seiner Mitarbeiter einfordern,er wollte Zugang zu Ärzten und Kliniken,weil er es doch besser wisse,was seine kranken Mitarbeiter brauchen.
Der halber Saal stand Kopf,er hat es nicht verstanden.
Was wenn er nur schnell wissen will,wie er wen zuerst los wird.
anna54
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von Christiane1 »

Hallo Grinch,

für mich wäre es furchtbar. Also ja, mir würde es sehr viel ausmachen hier zu meinem (bereits echten) Vornamen auch noch meinen Nachnamen und meine Adresse lesen zu müssen. Es wäre ein Grund für mich sofort alles löschen zu lassen und mich abzumelden.

Ich lese hier immer, dass sich einige von euch nichts daraus machen, wie Angehörige, Bekannnte oder Nachbarn über euch denken, aber das ist ziemlich naiv gedacht und
solche Aussagen sind für mich teilweise mehr als weltfremd. Die Blase Forum würde nicht mehr existieren und die Folgen unabsehbar.
In dem Moment, wo hier Klarnamen inklusive Adressen erscheinen würden, interessiert es
eher weniger diejenigen lieben Vertrauten, die von unserer Krankheit bereits wissen, sondern alle anderen, die es noch nicht wissen.

Man dürfte auch damit rechnen, plötzlich Post zu bekommen von dubiosen Anbietern von Wunderpillen und ordentlich Werbung und so weiter. Man könnte sich sicher sein, dass man nie wieder in Ruhe gelassen wird.
Das passiert ja jetzt auch schon ab und zu Forum. Ab und zu melden sich hier Leute an, um
Müll reinzustellen zum Zwecke von Anlocken, meistens fremdsprachig, andere wollen durch
Kurzfilmchen Botschaften verbreiten. In dem Moment, wo sie Klarnamen und Adressen haben, könnten sie das Forum gleich überspringen und direkt an die User andocken.
Dann wäre das Geschrei aber sicher gross und man würde sofort wieder nach Datenschutz rufen.

Also, ja, ich fände es eine Katastrophe.

Herzliche Grüsse
Christiane
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von DieNeue »

Hallo zusammen,

jeder, der nicht möchte, dass sein Klarname/Adresse im Internet steht, sollte vielleicht auch hier im Forum mal unter seinem Nutzerkonto nachsehen, ob er diese Daten angegeben hat und ob die für andere User sichtbar sind.

Liebe Grüße,
DieNeue
trübetasse77

Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von trübetasse77 »

Hallöchen,
Also, wenn gewährleistet wäre, dass nur Forumsmitglieder Zugriff auf die Kommentare hätten, wäre es mir nicht peinlich, würden die echten Daten offen liegen. Ich schwanke immer ein wenig, was genau ich schreiben soll, da sich irgendwo im Hinterkopf der Gedanke hält, Außenstehende könnten mitlesen. Und an schlechten Tagen „weiß“ ich, das dem so ist und vermute von Kollegen und Bekannten und sogar von meinem Therapeuten das schlimmste...
Wir wollen einfach mal hoffen, das hier soweit alles sicher ist... ;)
Euch allen einen schönen Abend, lg, Tini
lt.cable
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Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
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Re: Wäre es euch peinlich?

Beitrag von lt.cable »

Ahoi, zusammen!

Ich hätte deswegen keine schlaflosen Nächte, gleichzeitig fände ich eine solche Verletzung der informationellen Selbstbestimmung inakzeptabel. Ich nehme für mich in Anspruch, das Ausmaß von Auskünften über mich und insbesondere meinen Gesundheitszustand so weit als möglich selbst zu bestimmen und dort, wo es recht und billig ist, der Wahrheit nicht mal im Ansatz die Ehre zu geben.

Es grüßt

lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
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