"Trancezustände"

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sheepy

"Trancezustände"

Beitrag von sheepy »

Hallo,

bin 23 Jahre alt und neu hier.
Hab die Seite heute entdeckt und bin supererleichtert, zu sehen, dass es Leute gibt, denen es ähnlich geht wie mir. Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass ich die Einzige auf der Welt bin, die so Probleme mit "neben-sich-stehen" hat.

Das fing bei mir so mit 13/14 an, in Zusammenhang mit den Depressionen und dem Suizid meines Stiefvaters, der für mich wie mein richtiger Vater war.

Zuerst hatte ich nur ab und zu das Problem, so abwesend zu sein, konnte dann auch an manchen Tagen einfach nicht lernen, mich einfach nicht konzentrieren, habe stattdessen die halbe Nacht mit Puzzlen oder ähnlichem "Stupidem" verbracht; an anderen Tagen gings wieder.

Obwohl es immer schlimmer - also häufiger und länger - im Laufe der Jahre wurde, hab ich dann 2001 mein Abi geschafft, auch trotz vielen Schwänzens bei Klausuren und mehrmaligen Schulabbruchgedanken.
(Danke an meine toleranten Lehrer und meine Mutter, die mich immer wieder motiviert hat!)

Habe drei Psychotherapien während der Schulzeit gemacht, die zwar alle ganz schön und nett waren, mir aber nicht wirklich geholfen haben.
Ich hatte immer das Gefühl, nicht richtig ernst genommen und verstanden zu werden.

Bei mir ist glaube ich das Problem, dass ich auf andere immer ganz positiv wirke, bin im Prinzip ein positiver Mensch, lächle viel. Deshalb kann sich keiner vorstellen, wie schlecht es mir geht, es wird mir nicht richtig abgenommen.

In den letzten Jahren habe ich mich immer mehr isoliert, muss mich immer höllisch zwingen, selbst im engsten Freundeskreis zu Treffen zu gehen.
Das ist schon seltsam: einerseits mag ich überhaupt nicht unter Leute, andererseits leide ich unheimlich unter der Isolation.

Zum Glück lebe ich seit 2 Jahren mit meinem Freund zusammen; das tut echt gut, wenn dann abends jemand nach Hause kommt. Außerdem zwingt er mich öfter mal zu Treffen zu gehen, worüber ich im Nachhinein meistens froh bin.

Jedenfalls hat sich das mit den Trancezuständen in den letzten 2-3 Jahren so sehr verschlimmert, seit einem Jahr bin ich jetzt permanent in diesem Zustand und ich halte das jetzt langsam nicht mehr aus! Es ist so schrecklich - immer das Gefühl, wie betäubt zu sein, wie unter einer Glocke, ständig diese Mattscheibe. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, brauche für jeden Scheiß im Alltag, bei dem man ein bisschen nachdenken muss, ewig lange.

Habe Panik vor Gesprächen, wie soll ich mich auch unterhalten, wenn ich nicht klar denken kann? Ich habe auch den Eindruck, dass ich mich, seit das mit den Zuständen begann, gar nicht mehr richtig weiterentwickelt habe, irgendwo steckengeblieben bin. Wenn man so neben sich steht, ist man ja auch nicht aufnahmefähig und entwicklungsfähig.

Darunter haben mein Allgemeinwissen und meine Persönlichkeit schon gelitten. Es macht mich oft ziemlich fertig, wenn ich sehe, wie andere Leute in meinem Alter so "reif" und selbsbewusst sind und sich z.B. über irgendwelche komplexen politischen Dinge unterhalten können.

Jetzt zur Zeit ist mein Leidensdruck enorm hoch, habe das meiner Hausärztin auch versucht nahezubringen. Körperlich ist nix zu finden. Sie glaubt aber nicht, dass es Depressionen sind und dass ich Antidepressiva nehmen sollte. Sie meint "das nehmen Leute, denen es RICHTIG schlecht geht."

Ich muss dazu sagen, dass ich im Januar einen Sohn bekommen habe - ein supersüßer Kerl, den ich über alles liebe - und deshalb denken jetzt alle, das ist aktuell eben die Veränderung, die hormonelle Umstellung und der Schlafmangel usw.
Das spielt sicher auch ne Rolle, aber es ging mir ja schon lange vorher so. Nur dachte ich immer, ich hab doch Therapien gemacht, was will ich denn noch? Und hab mit keinem mehr drüber gesprochen. Dachte irgendwie auch, ich bin eben einfach etwas komisch, da kann man nix machen.

Ich habe aber jetzt mal Johanniskraut verschrieben bekommen. Ich hoffe, es hilft etwas, da ich noch stille und sowieso erst mal nix härteres nehmen kann.

Was meint Ihr?

Was genau ist dieses "Neben-sich-stehen" denn eigentlich?
Ist das eine Form von Depression oder eine Auswirkung?

Was habt Ihr für Erfahrungen mit Therapien und Medikamenten gemacht?
Irgendwelche Tips?

Wer ist in meinem Alter und hat die gleichen Probleme?


Viele liebe Grüße an alle!

Lisa
Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: "Trancezustände"

Beitrag von Bellasus »

Hallo Lisa,

willkommen im Forum - du bist wirklich nicht alleine mit dem, was du beschreibst. wie du ja schon gelesen hast, kennen das hier einige mehr oder weniger ähnlich, ich weiß auch, was du meinst. Weitere Parallele: Suizid meines Vaters (als ich 19 war, vor 20 Jahren).

Was das genau ist, kann ich auch nicht erklären, aber genau die Formulierungen betäubt, wie unter einer Glocke habe ich wortwörtlich in den letzten Tagen benutzt, denn besser kann man es nicht beschreiben. Bei mir ist es allerdings durch die extrem intensive Phase meiner Therapie zu erklären, es stürzt so viel auf mich ein, wie ich gar nicht verarbeiten kann.

Weißt du, im letzten halben Jahr habe ich oft gedacht, wenn ich mit 20 mit Therapie angefangen hätte, wäre mir vieles erspart geblieben, vielleicht könnte ich heute befreit leben. Du bist noch so jung, und die Therapien waren bestimmt nicht ganz ohne Erfolg, du weißt ja nicht, wie es dir ohne gehen würde. Über Therapien brauch ich dir ja nichts zu erzählen, aber vielleicht solltest du nochmal losgehen und nach einer für den jetzigen Zeitpunkt geeigneten Therapieform schauen. Und wegen Medikamenten würde ich zum Psychiater oder einem ärztlichen Psychotherapeuten gehen.

Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Eigentlich bin ich eine Stunde nach Einnahme meiner abendlichen "Runterfahr-Tablette" völlig dösig, aber seit ein paar Tagen bleibt die wirkungslos, sonst säße ich jetzt nicht am PC.

Ach so, und natürlich noch ganz herzliche Glückwünsche zu deinem Sohn!

Erstmal alles Gute
Annette




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
sheepy

Re: "Trancezustände"

Beitrag von sheepy »

Hallo Annette,
hab mich über Deine Antwort gefreut!
Habe inzwischen mal einen Termin bei einem Psychiater ausgemacht.
Solange ich noch stille, probier ichs noch mit Johanniskraut, vielleicht auch zusammen mit Psychotherapie. Aber wenn es gar nichts bringt, dann werd ich auf jeden Fall Medikamente nehmen.
Es geht einem ja auch die ganze Lebensqualität verloren! Und ich hab eigentlich noch so viel vor im Leben - würde so gerne mein Medizinstudium abschließen zum Beispiel.
So wie es mir zur Zeit geht, bin ich dazu überhaupt nicht in der Lage. Das macht mich ganz fertig.
Wie schlagen denn die Medikamente bei Dir so an? Helfen sie wirklich gut?

Lisa
Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: "Trancezustände"

Beitrag von Bellasus »

Hi Lisa,

wenn du bei dem Psychiater das erste Mal bist - hör auf dein Gefühl, ob er der richtige für dich ist. Ich war zweimal bei einer Psychiaterin und fühle mich da nicht gut aufgehoben. Heute war ich dann bei einem Allgemeinmediziner, der auch als Therapeut arbeitet, und habe sofort Vertrauen gefaßt. Dorthin werde ich jetzt gehen, wenn außerhalb der Therapie was ist und meine Therapeutin nicht da ist.

Medikamente - momentan hänge ich durch, erst Riesenschritt in der Therapie weiter, jetzt Depri, überlege in eine Tagesklinik zu gehen, weil ich nur noch in den Tag hineinlebe und eine Stunde Therapie wöchentlich nicht reicht. Da helfen auch die Medis nicht.

Du hast Lust aufs Leben und Ziele - dann hast du auch die Energie, aus dem Loch zu kommen, weil du weißt wofür - nimm die notwendige Hilfe an und starte durch!

Laß mal wieder von dir hören,
Alles Gute
Annette




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
mil
Beiträge: 36
Registriert: 30. Aug 2004, 19:03

Re: "Trancezustände"

Beitrag von mil »

Hallo,

daß was Du hast nennt sich

Depersonalisation.

Gruß mil
Wir sind alle Engel mit einem Flügel,
wir müssen uns umarmen, um fliegen zu können.
sheepy

Re: "Trancezustände"

Beitrag von sheepy »

Hi Annette,

ja, Du hast recht, dass man echt darauf achten sollte, ob der Therapeut auch wirklich der Richtige ist. In einer Therapie hab ich beim ersten Mal auch gedacht, dass es irgendwie nicht so passt, wusste aber nicht, wie ich es sagen soll, war mir unangenehm, hab mich nicht getraut und dann wars zu spät und ging seinen Lauf. Das passiert mir jetzt nicht mehr....

Tut mir sehr leid, dass es Dir zur Zeit so schlecht geht. Hoffentlich klappt das mit dem Platz in der Tagesklinik.
Das mit dem In-den-Tag-rein-leben kenne ich auch zu gut.
Man kann sich einfach zu nichts aufraffen. Die letzten Tage würd ich morgens am liebsten gleich wieder ins Bett, bin auch so dauermüde und erschöpft und benebelt natürlich auch.
Wenn mein Kleiner nicht wäre, würd ich glaub ich überhaupt nichts machen zur Zeit, einfach nur schlafen, fernschauen, essen, aufm Balkon sitzen.....
So reiß ich mich zusammen und zwinge mich meistens, wenigstens die Wohnung in Ordnung zu halten; da freut sich mein Freund auch drüber, wenn er dann nach Hause kommt. Und nachmittags geh ich spazieren, Leo braucht ja frische Luft, - möglichst da, wo ich wahrscheinlich so wenig Menschen wie möglich begegne, die ich kenne....(schon bescheuert, oder?)
Wenn das mit der Wohnung gut klappt, dann hab ich wenigstens schon ein "Erfolgserlebnis", ein Ergebnis meines Tages. Dann ist es abends nicht ganz so furchtbar mit der Depristimmung. Wenn ich aber gar nichts gemacht habe, ist es ganz schlimm! Nur bis man sich dazu aufgerafft und gezwungen hat,was zu machen. Das ist immer so ein harter Kampf.
Es wäre so toll, wenns mir irgendwann mal einfach ganz normal gehen würde.
Meinst Du das klappt? Oder ist es einmal Depression - immer (mal wieder) Depression?
Was für eine Art von Therapie machst Du denn gerade?

Alles Liebe,
Lisa
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