Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

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Ethinchen
Beiträge: 3
Registriert: 11. Mär 2019, 12:58

Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Ethinchen »

Hallo liebe Forums-Mitglieder,
ich bin neu hier und leide seit 13 Jahren an depressiven Episoden. Im Moment seit kurz nach Weihnachten an meiner sechsten, die seit knapp 6 Wochen mit Venlafaxin behandelt wird. Leider merke ich diesmal keinen so großen Einschnitt der Verbesserung wie die zwei Male davor. Ich habe Schwierigkeiten, die Hoffnung auf Besserung zu bewahren. Morgens komme ich sehr schwer auf, zwei Versuche, wieder arbeiten zu gehen, sind aufgrund begleitender Angststörung gescheitert. An manchen Tagen war duschen und anziehen alles, das ich geschafft habe. Seit ein paar Tagen kommt noch ein grippaler Infekt dazu, der die Psyche zusätzlich belastet. Kontakt zu Betroffenen habe ich nicht mehr, im Januar ist eine ebenfalls depressive Freundin mit 30 verstorben.

An manchen Tagen merke ich, dass ich selbst vor meiner eigenen Hausarbeit Panik habe und sich innerlich alles sträubt, ich bin wie gelähmt.
Die Tipps mit raus gehen, bewegen etc konnte ich an schimmern Tagen nicht umsetzen. Auch das Denken und die Konzentration waren dann sehr beeinträchtigt. Ich fühle mich großteils komplett unfähig und denke, nie wieder auf die Beine kommen zu können.
Das, was ich doch geschafft habe, sehe ich oft nicht und auch die aufmunternden Worte meiner Lieben helfen nicht wirklich.
Ich denke immer "jetzt muss bald wieder Schluss sein, ich muss wieder leistungsfähig sein, arbeiten gehen und es muss Normalität einkehren. "
Bin verzweifelt und müde, zuversichtlich zu sein.
Geht bzw ging es jemanden ähnlich?
Liebe Grüße
Ethinchen
Aurelia Belinda
Beiträge: 8329
Registriert: 23. Aug 2018, 20:03
Wohnort: Mittelfranken

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo Ethinchen,

begrüße dich erst mal. Bin auch ganz neu hier.
Zu deiner Frage, ja mir geht es ständig so. Phasen die besser sind wo man zuversichtlich ist wurden
mit den Jahren immer weniger. Klar versucht man positiv zu bleiben.
Aber wie du schreibst ist das bei den Episoden oft unmöglich. Ich kämpfe da auch ganz stark.
Manchmal klappt es schon. Ein anderes mal hab ich wie du die Sorge nie mehr Freude haben zu können, nicht mehr auf die Beine zu kommen.

Meine Behandlung geht seit über 20 J. habe eine Therapie gemacht. Ist ewig her.
Hat mir geholfen. Besser wie jede Tablette. Wurde anfangs falsch behandelt u. dosiert.
Über Jahre Hölle!! Qual des Daseins. Rumgedoktort, immer wieder neues, zusätzliches.
Habe dann wenige Jahre nichts mehr geschluckt weil ich es leid war. Dann Zusammenbruch.
Sollte klinisch ein ganz anderes Mittel probieren. Nach drei Tagen wie neugeboren.
Venlafaxin war meine Rettung. Das Dasein bleibt schwierig. Es bedeutet immer Arbeit an sich.
Erklärungsnot bei anderen usw.

Welche Dosis nimmst du von Venlafaxin?

Panik Hausarbeit nicht zu schaffen hab ich regelmäßig. Ist im kritischen Zustand. Nicht für
andere, aber für mich. Dieses Denken, es muss doch jetzt wieder alles NORMAL werden, ich muss wieder arbeiten, will funktionieren hatte ich lange, lange Zeit.
Bei mir waren die gesundheitlichen Sachen aber schon früh problematisch, so hatte ich immer wieder Job verloren. Was dann noch mehr düstere Gedanken auslöst. Angststörung kam dazu.
Bzw. erst Panikattacken.

Ja es gibt immer Tage da ist man wie gelähmt, praktisch gefangen im eigenen Körper.
Man will ganz normal seine Tätigkeiten verrichten, aber es geht nicht!!
Bis ich das akzeptieren konnte hat lange gedauert. Dem voran waren erst die beruflichen, immer neuen Niederlagen.....dann immer wieder Reha. Dann Früh Berentung. Bin aus allen Wolken gefallen. Lange kam ich damit nicht klar. Muss man erst lernen. Die Gesellschaft macht es einem auch schwer. man hat zu funktionieren, Leistung ist oberstes Gebot.

Heute bin ich froh überhaupt heile aus der " damaligen Hölle " entkommen zu sein.
Kann froh sein wenn ich im Haushalt ab und zu was schaffe. Mehr geht nicht.
Zu arg angeschlagen, habe einen schwer kranken Mann der seit 3 J. jetzt auch in einer Depression steckt. Mein größtes Sorgenkind z.Zeit. habe mich hier auch als Angehörige angemeldet, bin aber ja selber betroffen. Unser Weg war immer schon von Krankheit, Jobverlust, überschattet.
Das nimmt aktuell aber solche Ausmaße an das ich ratlos bin.

Ähnlich wie du schreibst. Müde. Erschöpft. Will nichts mehr hören, sehen. Will Ruhe!

Wir haben uns allerdings schon krank kennen gelernt. Körperliche Einschränkungen zuerst.
Momentan suchen wir nach einer Beschäftigung für ihn. Weil nur Rückzug. Schlaf. Null Antrieb. Behandlung fruchtet nicht. Meiner Meinung auch die noch falschen Medikamente, davon kann ich ja ein Lied singen....
Sollen jetzt Pflegegrad machen für ihn, wegen der chronischen körperlichen Geschichte.
Beide aber am Limit. Reha war geplant. Abgelehnt.

Oh ja du sagst es, manchmal ist duschen zu viel. Kochen was ich früher so gern auch für viele Leute gemacht hab, eine Herausforderung. betten überziehe ich in Raten, bzw. mittlerweile erst die eine Seite, ein anderes mal die andere.

Ich bin sicher du findest hier viele denen es ähnlich geht.

es grüßt dich
Aurelia Belinda
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Sonnenschein73
Beiträge: 5
Registriert: 23. Jan 2019, 09:29

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Sonnenschein73 »

Ja, mir geht es auch so.

Ich will wieder "fit" sein und "normal". Momentan geht es mir auch nicht gut und ich bin nicht sicher, was mir wirklich guttut. Manchmal merke ich, dass Ruhe und Schlaf mir hilft, dann aber fühle ich mich so einsam, dass ich denke, dass kann es jetzt auch nicht sein - ich muss raus unter Leute. Dann tue ich das und merke aber keine Besserung.

Es nervt mich so zu sein momentan!

Also: fühl dich nicht allein - hier geht es sicher vieln so...
aikido_1987
Beiträge: 1133
Registriert: 24. Jul 2011, 20:43

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von aikido_1987 »

Hallo Ethinchen, ich heiße dich herzlich willkommen im Forum. Ich kann dich gut verstehen, ich hatte auch schon einige Episoden und habe auch noch nicht heraus gefunden, was lebenslang davor schützt. Aber die Krankheit anzunehmen ist glaube schon mal der erste Schritt. Ich tu mich da auch noch schwer, vorallem wenn ich in der Öffentlichkeit dazu stehen soll oder darüber reden soll. Ich würde die Depression nach all den Jahren am liebsten noch unter den Tisch kehren. Ich weiß nicht warum ich mich dafür schäme. Vielleicht weil ich immer noch denke, das ich krank geworden bin, weil ich nicht gut für mich gesorgt habe oder weil ich zu schwach war. Es fühlt sich an als hätte ich versagt. Ich glaube das ist es.
Liebe Grüße, aikido
Magdaspapa
Beiträge: 12
Registriert: 22. Feb 2019, 10:22

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Magdaspapa »

Hallo,

ich kenn das auch. Leide aktuell an meiner 5ten Episode in 10 Jahren. Es gibt Tage da kannst Du Dich gut motivieren etwas zu tun, an anderen hängst Du fest. Auch dieser innere Kampf, gesund werden zu wollen, arbeiten gehen, einfach normal leben. Du fühlst Dich abgeschnitten von der Welt. Mein Arbeitgeber hat mich nun auch gekündigt. Hab zwar ein neues Angebot aber die Krankheit bremmst mich. Meine Tochter wurde vor 10 Tagen geboren und meine Oma starb vor 4 Tagen. Ich fühle mich emotional taub.

Lange Zeit war der Sport mein AD welches am besten funktionierte. Nach einer Knieverletzung unter der ich aktuell noch leide fällt es mir schwer Alternativen anzunehmen und in ihnen aufzugehen.

Die Ansprüche bzw. Messlatte runterschrauben. Kleine Schritte. Dankbar sein für das was geht.

Gib nicht auf, gehe kleine Schritte weiter.

Liebe Grüße
Ethinchen
Beiträge: 3
Registriert: 11. Mär 2019, 12:58

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Ethinchen »

Hallo,
Aurelia Belinda,das klingt alles sehr belastend bei dir. Hut ab, wie stark du doch bist.
Bei mir gab es dieses Mal keine belastenden Umstände, die depressive Episode kam scheinbar aus dem Nichts. Ich hatte im Herbst letzten Jahres das Ausschleichen von Venlafaxin 150 mg beendet. Im Januar habe ich wieder begonnen, bin bei 225 mg, der Arzt riet dazu. Die ersten beiden Male habe ich bei der Einnahme schneller und stärker etwas gemerkt - nach ca 3 Wochen schon deutlich besserer Antrieb, gefolgt von bald schon gehobenerer Stimmung. Ein wahres Wundermittel, ich habe funktioniert wie ein Uhrwerk, war deutlich stressresistenter und habe weniger gegrübelt. Das stärkere Schwitzen und den höheren Blutdruck habe ich in Kauf genommen.
Wie viel nimmst du und wie geht es dir mit der Einnahme?
Ich hatte immer den Wunsch, komplett ohne Medikament auszukommen, habe die ersten Episoden auch ohne überstanden (auch ohne Therapie, eine dauerte so aber an die zehn Monate). Eine Gruppentherapie habe ich vor drei Jahren zusätzlich zum Medikament gemacht, die ging Richtung Kinesiologie. Das Handwerkszeug dazu wende ich immer noch oft an und es tut auch gut.

Sonnenschein, du sprichst mir aus der Seele. Ich bin so genervt von mir!
Bei meiner ersten, langen depressiven Episode bin ich gegen Ende auch oft raus, durch die Stadt gegangen, unter Leute, hab aber mit keinem geredet. Irgendwann wurde es besser und ich glaube, das hat einen großen Teil dazu beigetragen.

Aikido,das verstehe ich total. Jedes Mal nach einer überwundenen Episode habe ich das ganze heruntergespielt und es wo es ging verschwiegen. Auch jetzt habe ich mich fast geschämt, in der Arbeit den wahren Grund zu nennen. Und es versteht ja auch keiner, der noch nie damit zu tun hatte. Wenn nach einer Woche Nachfragen kommen, ob es einem schon besser geht, weiß man Bescheid...

Magdaspapa, danke für die aufmunternden Worte. Einen Gang zurück schrauben ist oft das schwerste. Die Krankheit bremst so sehr. Und in solchen Phasen passieren tatsächlich oft zusätzliche einschneidende Ereignisse. Im Januar stirbt meine Freundin, letzte Woche mein Opa. Zur Zeit weiß ich auch gar nicht, wie es arbeitstechnisch weiter gehen soll. Eigentlich sollte ich einen Schritt nach dem anderen machen. Auch kleine Fortschritte sehen - dass ich nicht mehr so viele wirre negative Gedankenfetzen im Kopf habe, dass ich wieder besser mit Leuten reden kann, dsss ich letzte Woche allein mit meinem Sohn im Zoo war, dass allein einkaufen wieder ein wenig möglich ist, das Kochen wieder etwas besser geht... aber oft sehe ich mehr das Schlechte.

Alles Liebe euch
Ethinchen
Aurelia Belinda
Beiträge: 8329
Registriert: 23. Aug 2018, 20:03
Wohnort: Mittelfranken

Re: Schwierigkeit, die Krankheit anzunehmen

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo Ethinchen,

Das ist unbedingt notwendig dass wir uns über die kleinsten Fortschritte freuen. Immer fällt mir das auch nicht leicht.

Das mit dem Zoobesuch ist doch klasse.
Du gehst ja immerhin noch arbeiten.
Wir neigen dazu uns öfter mal zu überschätzen. Wir fordern mehr als was Gesundheit her gibt.

Kommt vor. Aber du willst ja drauf achten das du weiter stabil bleibst.

Mir wäre es auch lieber es hätte ohne Tabletten funktioniert. Hat es auch einige Jahre. Dann das Aus.

Von Venlafaxin nehme ich immer noch die Anfangsdosis von 75 mg. Der Neurologe wollte seit 2016 auf doppelt gehen.
Und hat die Reha befürwortet die dann abgelehnt wurde. Kein Kostenträger. Bin da in ein Loch gefallen. Gehe seitdem selten raus. Heute kam Post von der Rentenversicherung, Rente auf Zeit weiterhin für 3 Jahre. War zwar beruhigend, aber zeigt einem immer wieder auf wie man eigentlich dran ist.

Die Dosis von Venla hab ich selber so gelassen ohne Absprache. Vorerst. Hatte Angst je früher man nach oben geht, um so eher ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Merke aber das geht nicht mehr lange gut. Zu viele Belastungen jetzt mit meinem Mann. Mit Anträgen. Aber bei meiner Vergangenheit mit Tabletten will ich halt vorsichtig sein.

Du sagst, du kannst die Ursache der jetzigen Episode nicht ganz fest machen.
Ich sehe es ist aber doch einiges passiert bei dir vor kurzem....Verlust durch Tod. Gewiss spielt da das Unterbewusstsein eine Rolle. Führt zu Anspannung.

Wie ist es denn beruflich, du sagst es ist unklar wie es weiter geht.
Setzt einem auch zu. Mag ich mir gar nicht vorstellen noch in dem Hamsterrad der Arbeitswelt gefangen zu sein.

Das einzige was mir z.Zeit hilft ist hier das Forum. Und das jeder Tag neu beginnt. Die Karten werden neu gemischt.
Alles kann sich wenden, auch zum guten.

Diese Einstellung kostet viel Kraft die man eigentlich nicht hat. Hilft aber manchmal.

Heute ist wieder mal ein Tag an dem nichts geht. Nichts geschafft. Nur hier geschrieben. Auch das überfordert mich gerade, körperlich. Und geistig. Schade aber ist so. Aber hat gut getan. Morgen ist ein neuer Tag.
Mit neuen Möglichkeiten.

Alles Liebe.
Aurelia Belinda
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
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