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Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 11. Mär 2019, 17:30
von Australia
Hallo,
ich bin froh dieses Forum hier gefunden zu haben, da es ein guter Weg ist, sich mit anderen auszutauschen, die Beziehungen zu depressiven Menschen haben.

Kurz zu meiner Geschichte:
Letzten Sommer habe ich einen Mann kennengelernt, wir hatten eine tolle Zeit zusammen, allerdings habe ich hin und wieder gemerkt, dass ein paar Sachen mit ihm komisch waren, er kann z.b. nicht mit Stress umgehen. Im Herbst hat er dann nach seinem Studium einen Job angefangen und es ging ihm zunehmend schlechter. Er hat mir dann erzählt, dass er depressiv ist. Zu allem Überfluss haben sie ihm dann in der Probezeit gekündigt. Ende des Jahres konnte ich nicht mehr und wollte wissen, was das nun zwischen uns ist. Wir haben uns dann dazu entschlossen, eine Beziehung zu führen. Diese hielt aber nur 3 Wochen. Ich konnte mich nicht wirklich auf ihn einlassen und er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Also haben wir uns getrennt und er hat angefangen sich mit seiner Krankheit zu beschäftigen (MBSR Kurs etc). Letzte Woche haben wir uns wieder getroffen und er hat mir gesagt, dass er Gefühle für mich hat und mit mir zusammen sein will.

Jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Soll ich es noch einmal versuchen und eine Beziehung mit ihm führen? Ich habe Angst, dass es schief geht. Für mich ist es wichtig, dass man sich in einer Beziehung aufeinander verlassen kann. Das ist schwierig mit so einer Krankheit. Was heißt es eine Beziehung zu führen mit jemandem der Depressiv ist? Wie sind eure Erfahrungen? Ich will ihn nicht hängen lassen, aber es fehlt mir die Leichtigkeit in der Beziehung.

Ich würde mich über einen Austausch freuen, vielen Dank für eure Hilfe!

Re: Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 11. Mär 2019, 22:05
von Sybilix
Liebe Australia,

leider ist das natürlich - wie meist hier - eine traurige Geschichte, was ich nun schreibe soll weder Geringschätzung noch sonst etwas sein, nur ein möglichst realer Blick was Sinn macht bzw. was Dich erwartet:

Du schreibst Ende letzten Jahres und danach haben wir eine Beziehung geführt, 3 Wochen. D.h. im Januar/Februar. Das sind sehr gravierende Änderungen innerhalb kürzester Zeit. Jetzt könnte man ganz viel in ihn hineininterpretieren, z.b. anhand der üblichen Muster / Symptome einer Depression, aber meines Erachtens ist das gar nicht notwendig. Entscheidend ist eines
Australia hat geschrieben:Wir haben uns dann dazu entschlossen, eine Beziehung zu führen. Diese hielt aber nur 3 Wochen. Ich konnte mich nicht wirklich auf ihn einlassen und er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Also haben wir uns getrennt...!
Du kannst Dich nicht auf ihn einlassen. Ich gehe davon aus, dass Du keine bekannten Probleme oder Sorgen hast. Euch verbindet keine gemeinsame langjährige Beziehung, keine Ehe, keine Kinder, kein Haus.
Wenn Du dich jetzt schon nicht auf ihn einlassen kannst, fürchte ich wird sich das auch nicht erzwingen lassen und macht m.E. auch keinerlei Sinn.

Ich gehe nicht davon aus das Depressive beziehungsunfähig wären, bitte nicht falsch verstehen, aber es ist (auch ohne Dich) soviel Bewegung in seinem Leben (neuer Abschnitt von Studium zu Berufseintritt), er scheint sich noch nicht hinreichend mit seiner Situation / Einschränkungen beschäftigt zu haben - wie soll all das zusammen passen?

Wenn er Dir etwas bedeutet, was jetzt nicht kristallklar aus deinen Zeilen hervorgeht, dann würde ich mir sehr gut überlegen ob es Sinn macht sich allzu lange damit einzulassen. Für einen Depressiven da zu sein, gar mit ihm zu Leben kostet in der Regel für Angehörige viel Kraft, birgt ein hohes Risiko selbst zu erkranken und im aktuellen Stadium sehe ich keine tragfähige Grundlage.

Wenn Du Gefühle für ihn hast und er dein Traumprinz ist und Du all dem zuvor von mir genannten innerlich eindeutig widersprichst bzw. diese Herausforderung gerne annehmen möchtest, dann versuche es. Ich unterstelle: Dann wärst Du aber zum aktuellen Zeitpunkt nicht hier bzw. ihr wärt schon wieder zusammen?

Bitte sieh es als kritischen Denkanstoß, die Entscheidung kann Dir letztlich keiner abnehmen.

Egal wie Du dich entscheidest, viel Kraft und alles Gute.
Sybilix

Re: Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 12. Mär 2019, 09:05
von Candless
Liebe Australia,

raten kann man von Aussen natürlich nichts. Ich an deiner Stelle würde, wenn er dir wirklich etwas bedeutet, ihn nicht abschreiben und erst einmal den Druck rausnehmen. Warum muss man sich "entscheiden", eine Beziehung zu führen? Ihr könntet doch auf lange Sicht schauen, wie es sich entwickelt und ob es funktionieren könnte. In der derzeitigen Situation würde ich jede Entscheidung vermeiden, denn in einer depressiven Krise ist die Situation eine ganz andere und Entscheidungen haben wenig Stabilität.

Grundsätzlich scheint mir wichtig, dass du bei dir bleibst, dich nicht mit in die Depression ziehen lässt und dazu muss man oft auch die eigene Empathie abstellen. Mitleid und sich in einen depressiv Erklrankten hineinversetzen tun einem gar nicht gut. Damit man selbst gesunbd bleibt, muss man sich erlauben, dass es einem gut geht, selbst wenn der andere eine schwere Krise hat. Das ist nicht einfach. Leidet man mit, steht man selbst schon mit einem Bein in der Depression.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft!

Re: Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 12. Mär 2019, 18:41
von Australia
Vielen lieben Dank Sybilix und Candless für die Denkanstöße! So klar konnte ich das alles noch nicht sehen, ich stecke wahrscheinlich zu tief drin.

Stimmt, für beziehungsunfähig halte ich ihn wirklich nicht. Er ist definitv in der Lage mir Nähe/Geborgenheit zu schenken. Mir fehlt halt einfach, dass er für mich da ist, wenn es mir mal nicht gut geht. Aber ich weiß selbst, dass das in seiner Situtation sehr viel verlangt ist. Das ist wahrscheinlich der Punkt, den ich mit mir selbst klären muss. Es ist an der Zeit, mir über meine eigenen Gefühle klar zu werden und ob die Gefühle ausreichen um das alles mit ihm durchzustehen, eben weil wir noch keine lange Vergangenheit haben. Ein bisschen Angst wird wohl bleiben.

Einen Menschen gehen zu lassen, den ich sehr gerne habe, nur weil er krank ist , will ich mir noch mal gut überlegen. Schließlich kann er nichts für seine Depression, die hat sein Leben schon genug in mitleidenschaft gezoegen. Von allem was ich so gelesen habe, ist die Depression kein Dauerzustand und behandelbar. Vielleicht hilft es mir auch einfach mich an die guten Zeiten zu erinnern, die es defintiv gab. Es ist an der Zeit mal wirklich in mich reinzuhören, was ich will.

Re: Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 12. Mär 2019, 20:07
von DieNeue
Hallo Australia,
Australia hat geschrieben:Von allem was ich so gelesen habe, ist die Depression kein Dauerzustand und behandelbar.
Ich möchte dir noch ein paar Infos zur Krankheit mitgeben, nicht um dich zu entmutigen, sondern damit du ein etwas realistischeres Bild von der Krankheit bekommst und so deine Entscheidung besser treffen kannst.

Es stimmt schon, dass Depressionen nicht unbedingt ein Dauerzustand sein müssen. Allerdings gibt es auch rezidivierende Depressionen. Diese kommen immer wieder in Episoden, also wie in Wellen von ganz unterschiedlich langer Dauer und Intensität und auch die depressionsfreie Zeit dazwischen ist auch ganz individuell lang. Kann Wochen sein, kann Jahre sein. Dann gibt es noch die Dysthymie, das ist grob gesagt eine permanente leichte Depression/depressive Verstimmung, sprich die Depression ist in "abgemilderter" Stärke immer da ist.
Ob er rezidivierende Depressionen hat oder nicht, kann man am Anfang aber nicht sagen, das merkt man frühestens, wenn man es zum zweiten Mal hat. Man kann auch eine Dysthymie haben und dazu noch rezidivierende Depressionen, d.h. die Depression kommt immer wieder, aber wenn die heftige Episode vorbei ist, ist es auch nicht wirklich gut.

Man kann Depressionen recht gut behandeln, das heißt v.a. mit Medikamenten und Psychotherapie (ambulant, stationär, teilstationär, mit verschiedenen Therapierichtungen). Zusätzlich helfen können auch z.B. Entspannungsübungen, Bewegung, Ergotherapie, etc.
Allerdings heißt, dass wenn man es gut behandeln kann, nicht automatisch, dass die Behandlung sofort bei jedem supergut wirkt. Manche müssen z.B. verschiedene Medikamente ausprobieren, bis sie eines finden, das hilft (was viel Zeit und Nerven kostet, da Medikamente ein- und ausgeschlichen werden müssen), oder haben heftige Nebenwirkungen, finden lange keinen passenden Psychotherapeuten u.ä.

"Gut behandelbar" heißt zudem nicht automatisch "heilbar"! Ob Depressionen überhaupt heilbar sind oder nicht, da scheiden sich grundsätzlich die Geister und manche Leute schlagen sich darüber die Köpfe ein. Ich weiß nicht, ob Depressionen heilbar sind, aber ich möchte dich auch nur davor bewahren, davon auszugehen, dass es heilbar ist, wenn es eigentlich nur darum geht, dass es Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Es gibt allerdings bestimmt auch Leute, die einmal Depressionen hatten und dann nie wieder. Meiner Meinung nach bleibt man trotzdem immer noch anfällig und muss auf sich Acht geben.

Man kann lernen, damit zu leben. Depressionen äußern sich auch sehr individuell. Ich bin körperlich immer total k.o., eine Freundin von mir hat viel mehr Power als ich, aber woanders ihre Probleme. Somit unterscheidet sich das Leben, das wir trotz Erkrankung leben können, ziemlich. Manche sind mehr, manche weniger eingeschränkt.

Wichtig ist es, dass der Betroffene bereit ist, sich helfen zu lassen und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, und dass er möglichst bald die für ihn richtige Behandlung erhält. So kann er auch Werkzeuge erlernen, die er einsetzen kann, wenn sich eine neue Episode anbahnt.

Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr runtergezogen, aber mir war es wichtig, dass du eine realistische Entscheidungsgrundlage hast.

Liebe Grüße,
DieNeue

Re: Beziehung mit einem Depressiven

Verfasst: 14. Mär 2019, 17:47
von Australia
Hallo DieNeue,
danke auch für deine ausführliche Beschreibung der Krnakheit, ich denke du bringst es sehr gut auf den Punkt. Das Forum ist wirklich toll. Ich denke es ist wichtig, dass man sich über das Thema austauscht und bin froh, hier Menschen gefunden zu haben, die auch mit diesem Thema zu tun haben.

Mein (Ex)Freund nimmt Antidepressiva und macht jetzt einen MBSR Kurs. Der Kurs scheint ihm sehr gut zu tun, ich bemerke schon eine Veränderung ins Positive. Er nimmt wieder aktiver am Leben teil, geht zum Yoga und kümmert sich endlich um sich. Außerdem hat er jetzt auch eine Psychotherapie beantragt. Für mich geht das alles in eine sehr gute Richtung. Ob es am Ende reicht wird man sehen. Eine 100% Sicherheit hat man in einer "normalen" Beziehung schließlich auch nicht. Das Leben hält immer Überraschungen bereit...
In Bezug auf meine Gefühle bin ich leider noch nicht weiter, aber ich werde mich bald wohl entscheiden. So ist es für uns beide keine schöne Situation.
Liebe Grüße,
Australia