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Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 20. Feb 2019, 11:45
von Baldriane
Hallo zusammen,

seit ungefähr zwei Monaten hat sich mein Freund aufgrund einer schweren Episode so stark zurückgezogen, dass ich fast gar nicht mehr an ihn herankomme. In der Zeit haben wir uns zweimal kurz getroffen, ab und zu telefoniert und sind am meisten in schriftlichem Kontakt. Ich leide immer noch sehr unter dem plötzlichen Rückzug. Wenn wir sprechen, wirkt er sehr verzweifelt, er wüsste nicht, wie es weitergehen soll, er würde für mich (und für Freunde) nichts mehr empfinden, außerdem begründet er die ausbleibenden Treffen damit, dass er mich nicht belasten oder verletzen möchte. Zeitweise habe ich mich auch sehr um ihn gesorgt, weil er von einem Überlebenskampf oder auch Selbstmordversuchen geschrieben hat und ich nicht wusste, was ich tun soll.

Wenn ich auf seinen Rückzug mit Distanz reagiert habe, hat er selbst darunter gelitten. Wenn er sich z.B. nach mehreren Tagen per SMS gemeldet hat und ich nicht binnen 3 Stunden geantwortet habe, hat er geschrieben, dass er traurig ist, wenn ich mich nicht melde. Ich habe außerdem eine (abgesprochene) Kontaktpause ausprobiert, um mehr Klarheit (leider ausgeblieben) zu bekommen, die er als Zurückweisung empfunden hat. Beim letzten Telefonat hat er über das Hin und Her (mal mehr, mal weniger Kontakt) geklagt, hat seine Rolle in dem Ganzen aber gar nicht gesehen.

Ich bin sehr verunsichert, wie ich mich weiterhin verhalten soll. Mir geht das Ganze an die Substanz, ich kann mich schwer dagegen wehren, mich abgelehnt zu fühlen und habe auch stark mit Verlustängsten zu kämpfen. Ich hatte gehofft, wir könnten Abmachungen vereinbaren, wie wir den Kontakt trotz Krise halten können, habe auch mehrere Vorschläge gemacht. Mir fällt es unglaublich schwer, eine Entscheidung zu treffen, da ich ihn ja eigentlich sehen möchte und gegen mein Gefühl agieren müsste, mit dem Wissen, dass es mir so wie es gerade läuft, weh tut. Wie kann ich eine Grenze setzen, um mich zu schützen, ihm aber gleichzeitig vermitteln, dass er mir wichtig ist?

Ich bin dankbar für eure Antworten und auch interessiert an der "anderen" Seite (falls ihr berichten mögt, was euch in einer depressiven Phase geholfen hat).

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 22. Feb 2019, 07:43
von Sybilix
Hallo Baldriane,

deine Situation ist kein Einzelfall - das dürfte Dir hier bereits bekannt geworden sein. Einerseits muss man sagen "leider", andererseits hilft es Leuten wie Dir und mir besser damit umzugehen, wenn man nicht "allein" ist mit solch einer Situation ist.

Ein paar Ansätze, was mir damals (und heute) hilft, besser mit so einer Situation umzugehen:

Was mir hilft besser damit umzugehen...

In erster Linie ist es die Denkweise die (mir) hilft damit gut klarzukommen. Leider ist das leichter gesagt als getan, da die zugrundeliegenden Glaubenssätze meist sehr individuell sind und zu großen Teilen durch das eigene Erleben, den eigenen Lebenslauf geprägt sind.

Sollte es weiterhin ernste Lebenszweifel oder ähnliches geben, kann hier niemand einen Rat geben, dann gilt es dafür zu Sorgen professionelle Hilfe dazu zu holen. So etwas kannst Du bzw. er nicht alleine lösen.

Mehr Schilderungen zur "anderen Seite" wirst Du im betreffenden Forenabschnitt ("Umgang mit der Krankheit") finden.

Viel Kraft und alles Gute,
Sybilix

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 22. Feb 2019, 23:46
von Kräuterhexchen
Hallo Baldriane,
Baldriane hat geschrieben:seit ungefähr zwei Monaten hat sich mein Freund aufgrund einer schweren Episode so stark zurückgezogen, dass ich fast gar nicht mehr an ihn herankomme. In der Zeit haben wir uns zweimal kurz getroffen, ab und zu telefoniert und sind am meisten in schriftlichem Kontakt. Ich leide immer noch sehr unter dem plötzlichen Rückzug. Wenn wir sprechen, wirkt er sehr verzweifelt, er wüsste nicht, wie es weitergehen soll, er würde für mich (und für Freunde) nichts mehr empfinden, außerdem begründet er die ausbleibenden Treffen damit, dass er mich nicht belasten oder verletzen möchte. Zeitweise habe ich mich auch sehr um ihn gesorgt, weil er von einem Überlebenskampf oder auch Selbstmordversuchen geschrieben hat und ich nicht wusste, was ich tun soll.
Da bist du nicht allein! Auch für mich war der totale Rückzug wie kalter Entzug. Ich habe mir auch Sorgen gemacht. Aber ich musste es akzeptieren, dass er mich nicht teilhaben lässt an seiner Krise. Ich habe mich einfach dafür entschieden meinem Partner zu vertrauen.
Leider habe ich keine Wahl gehabt, mir wurde eine Kontaktpause aufgezwungen von seiner Seite. Bis auf zwei, drei kurze Nachrichtenwechsel habe ich in fünf Monaten nichts von ihm gehört. Zu ihm gehen oder anrufen kommt für mich nicht in Frage, das würde sich wie Eindringen anfühlen. Von ihm geht momentan keinerlei Kontakt aus. Inzwischen finde ich ich auch die gute Seite daran. Wenn ich mitbekommen würde, dass er sehr verzweifelt ist, würde mich das sehr mitnehmen. Ich glaube auch, dass mir und vll ihm mit der Kontaktsperre möglicherweise viele Verletzungen erspart bleiben.
Baldriane hat geschrieben:Wenn ich auf seinen Rückzug mit Distanz reagiert habe, hat er selbst darunter gelitten. Wenn er sich z.B. nach mehreren Tagen per SMS gemeldet hat und ich nicht binnen 3 Stunden geantwortet habe, hat er geschrieben, dass er traurig ist, wenn ich mich nicht melde. Ich habe außerdem eine (abgesprochene) Kontaktpause ausprobiert, um mehr Klarheit (leider ausgeblieben) zu bekommen, die er als Zurückweisung empfunden hat. Beim letzten Telefonat hat er über das Hin und Her (mal mehr, mal weniger Kontakt) geklagt, hat seine Rolle in dem Ganzen aber gar nicht gesehen.
Wie es aussieht, bist du reflektiert und flexibel. Und du scheinst auszuprobieren und im Auge zu behalten wie es dir geht. Das finde ich gut!
Scheinbar bist du ihm wichtig, auch wenn er sagt, dass er es nicht empfindet: Er meldet sich bei dir und drückt auch aus, dass er den Kontakt möchte.
Baldriane hat geschrieben:...hat er geschrieben, dass er traurig ist, wenn ich mich nicht melde.
Ein bisschen stört mich etwas daran. Er empfindet nichts für dich und Freunde, aber ist traurig? Könnte es ein Versuch sein, dich zu einem sofortigen Reagieren zu manipulieren? Oder drückt er sein Bedürfnis nach Zuwendung aus? Andererseits passt es für mich in das Bild, was sich für mich für diese Krankheit aus dem Lesen in diesem Forum, ergeben hat: die Betroffenen sind kaum in der Lage Empathie für eine solche komplexe sich schnell ändernde Situation aufzubringen. Immerhin sind sie stark mit sich selbst beschäftigt, was seine Wortwahl "Überlebenskampf" gut ausdrückt.
Baldriane hat geschrieben:Ich bin sehr verunsichert, wie ich mich weiterhin verhalten soll. Mir geht das Ganze an die Substanz, ich kann mich schwer dagegen wehren, mich abgelehnt zu fühlen und habe auch stark mit Verlustängsten zu kämpfen. Ich hatte gehofft, wir könnten Abmachungen vereinbaren, wie wir den Kontakt trotz Krise halten können, habe auch mehrere Vorschläge gemacht. Mir fällt es unglaublich schwer, eine Entscheidung zu treffen, da ich ihn ja eigentlich sehen möchte und gegen mein Gefühl agieren müsste, mit dem Wissen, dass es mir so wie es gerade läuft, weh tut. Wie kann ich eine Grenze setzen, um mich zu schützen, ihm aber gleichzeitig vermitteln, dass er mir wichtig ist?
Leider kann ich dir keine Antwort geben, wie du eine Grenze setzen kannst. Und ja, der Umgang mit erkrankten Partnern, fühlt sich so an, dass man gegen sein Gefühl agieren muss. "Normaler" Umgang, wie man es aus emphatischem Miteinander her kennt, greift hier nicht. Man möchte hinfahren und den Partner in den Arm nehmen, trösten mitteilen, dass er nicht allein ist, aber das geht nicht. Die Gefühle, die man so ausdrücken möchte, kämen nicht an und würden den Partner auch überfordern. :cry:
Ich habe mich entschieden, dass es keine absolute Entscheidung für mich gibt, ob ich damit umgehen kann oder nicht. Ich sage mir, ich schaue Tag für Tag, Woche für Woche, wie es mir geht und ob ich das gerade ertragen kann. Ich plane nicht langfristig, das habe ich auf Eis gelegt. Sämtliche Gespräche über meine momentane Gefühlslage und Probleme, weiß ich, kann ich erst nach seiner Krise besprechen. Das muss ich im Moment mit mir selbst ausmachen.
Die Grenze dich zu schützen kannst du nur für dich setzen, vll ohne in diesem Moment an deinen Partner zu denken. In erster Linie solltest du an dich selbst denken. Es nützt es dir nicht, wenn du selbst kaputt gehst. Ich sag immer, dass man niemanden stützen kann ohne selbst stabil zu stehen.

Bleib weiter so reflektiv und offen. Das sind gute Voraussetzungen, dass du das Beste daraus für dich machst!

Mitfühlende Grüße
Kräuterhexchen

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 23. Feb 2019, 15:10
von Herz1234
Dieses Verhalten kenne ich ja leider auch . Man leidet wie ein Hund und kann nichts , rein gar nichts ausrichten . Besonders als Mensch , der sonst alles immer im Griff hat , ist es die Hölle . Man ist machtlos .
Ich kann jetzt nur aus meiner relativ kurzen Erfahrung sprechen .
Mein Mann ist ja sogar vor ein paar Monaten ausgezogen .
Es wird wieder besser . Sie werden wieder zugänglicher . Aber das dauert .
Jeder Tag ist wie eine Ewigkeit , man wird auch krank .
Aber man darf nie die Hoffnung aufgeben , es wird wieder besser .

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 14. Mär 2019, 16:22
von Baldriane
Hallo zusammen,

vielen herzlichen Dank für eure Antworten. Mir ging es die letzten Wochen selbst so schlecht, dass ich es nicht geschafft habe, zu schreiben. Es bedeutet mir aber viel, nicht alleine damit zu sein und euer Verständnis zu spüren.

@Sybilix

Ich hatte deinen Beitrag zum Thema schon vorher gelesen und war sehr beeindruckt von deinem Umgang mit der Situation. Die Denkweise macht sehr viel aus.

Ich beschäftige mich seit dem Rückzug sehr stark mit meinen wunden Punkten, meiner Verlustangst, Co-Abhängigkeit, meinem Drang für den anderen da zu sein, dem Wunsch nach innerer Freiheit und der Fähigkeit los zu lassen. So schwer alles ist und ich gerne darauf verzichtet hätte, so kann ich auch die Chance für Weiterentwicklung sehen und habe einen klareren Blick auf die Beziehung davor, in der schon viele Verstrickungen, Übertragungen und auch Kommunikationslosigkeit eine Rolle gespielt haben.

Wie geht es dir mittlerweile? Alles Gute auf deinem Weg!

@Kräuterhexchen

Ich war sehr gerührt, als ich deinen Beitrag gelesen habe. Es spricht soviel Liebe und Vertrauen aus deinen Worten.

Die gute Seite an dem Kontaktabbruch zu sehen, kann ich mittlerweile nachvollziehen. Ich habe sehr darum gekämpft, immer wieder von ihm zu lesen oder auch ab und an zu telefonieren. Allerdings hat er nur reagiert und sobald ich ihn nicht zu einer Antwort aufgefordert habe, waren wir wieder am Ausgangspunkt. Ich musste begreifen, dass er nicht kann bzw. von seiner Seite aus keine Initiative zu einem richtigen Austausch kommt. Nachdem ich ein paar Mal die Erfahrung gemacht habe, wie weh mir dieser eingeschränkte Kontakt tut, ist es mir lieber, keine Nachrichten zu erhalten.

Er hat mir zuletzt im Abstand von etwa einer Woche geschrieben und sich jedes Mal entschuldigt, dass er sich so wenig meldet. Außerdem hat er sich bei meiner Schwester erkundigt, ob alles ok bei mir wäre, nachdem ich nicht geantwortet hatte. Für mich zeigt das vor allem, dass er sich aus Pflicht- und Schuldgefühlen meldet, aber nicht aus freien Stücken oder aus einem Wunsch nach Beziehung. Die Abstände werden ja auch immer größer. Ich habe das Bild vor Augen, dass er aus Angst vor erneuter Verletzung eine hohe Mauer um sich herum errichtet hat, die nur er abtragen oder überwinden kann, ich kann da wenig ausrichten.

Im Januar hatte ich mit ihm ausgemacht, dass wir uns zu einem Mediationsgespräch treffen. Wir hatten mehrere Möglichkeiten durchgesprochen und ich hatte mich schließlich an eine Vermittlung gewandt, die mir vor einer Woche abgesagt hat. Nach dieser Absage ging es mir tagelang sehr schlecht und ich habe gemerkt, wieviel Hoffnung ich in dieses Gespräch mit einer dritten Person gesetzt hatte. Es werden immer mehr Stimmen in mir laut, die sagen, dass ich genug probiert habe und alles auf Trennung hinausläuft. Ich weiß nicht, ob ich da nochmal andere Wege gehen soll, es gibt ja auch andere Adressen, bei denen ich es versuchen könnte. Bisher habe ich ihm die Absage nicht mitgeteilt, weil ich Angst vor seiner Reaktion habe. So oder so muss ich eine Entscheidung treffen, ob ich das weiterverfolgen möchte. Natürlich hängt es auch von ihm ab, aber so wie ich ihn gerade einschätze, weiß er nicht, was er will. Und ich weiß es gerade auch nicht. :-/

Danke für deine mitfühlenden Grüße, ich sende welche an dich zurück. Schreib gerne mal, was gerade Stand der Dinge bei dir ist.

@Herz1234

Deine Beschreibung kann ich sehr gut nachvollziehen. Schmerz und Leid, Macht- und Hilflosigkeit, Co-Depression und trotzdem bleibt die Hoffnung. Gibt es bei dir Neuigkeiten?

Ich freue mich von euch zu lesen!

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 15. Mär 2019, 17:04
von Herz1234
@Baldriane
Bei uns läuft es ganz gut .
Den Umständen entsprechend natürlich .
Meine Kinder und ich haben fast 6 Monate gekämpft wie verrückt , niemals aufgegeben , immer wieder an das Gute geglaubt , bis mein Mann dann wirklich von alleine gemerkt hat, dass mit ihm was nicht stimmt .
Ich habe zwischenzeitlich die Hölle durchgemacht , inklusive selberin Behandlung beim Psychiater und Angehörigengruppe ( übrigens das Beste , was man machen kann ) . Andere erleben das auch und sogar noch viel schlimmer . Danach fühlt man sich einfach besser .
Seit 4 Wichen laufen Untersuchungen , mein Mann steht kurz vor Therapie , bzw. Medikamenteneinnahme . Es muss nur auch einiges organisch untersucht werden . Er ist willig . Er kann nicht mehr und will Hilfe haben .
Ich muss gar nicht mehr drängen , ich unterstütze ihn jetzt einfach nur noch wie und wo ich kann , ABER : ich denke auch an mich !!! Es geht nicht anders . Man geht sonst mit daran kaputt . Das ist höchstgradig ansteckend . Wenn ich mal keine Lust habe für ihn mitzukochen dann ist es halt so . Dann wird er auch nicht sterben, wenn er sich mal selber versorgen muss .
Aber ich habe dann einen freien Tag . Und der tut mir gut :)
Inzwischen bin ich mir auch sehr sicher , dass unser Getrenntleben auch das beste für uns ist . Ich bin immer richtig froh , wenn er versorgt in seine Wohnung fährt . Dann beginnt für mich mein normales Leben :)
Ich warte jetzt erst einmal ab , wie sich alles entwickelt . Bin ganz froh damit wie es im Moment läuft ;)

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 15. Mär 2019, 17:13
von DieNeue
Hallo Herz,

das freut mich sehr für dich, dass es jetzt besser ist und dass dein Mann sich jetzt behandeln lassen will. Das war ja vor einiger Zeit noch gar nicht vorstellbar. Mach weiter so, du schaffst das!

Liebe Grüße,
DieNeue

Re: Freund in Krise, starker Rückzug, kaum Kontakt

Verfasst: 1. Apr 2019, 17:34
von Baldriane
@Herz1234 Das ist schön zu lesen. Es gibt auf jeden Fall Veränderungen. Ich denke, das ist sowieso das Wichtigste. Wenn alles stagniert, ist der Umgang damit am schwierigsten. Ich bin jetzt auf Therapiesuche und versuche mich um mich zu kümmern. Gar nicht so leicht nach der monatelangen Konzentration auf den anderen.