Was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat :-)
Verfasst: 28. Jan 2019, 11:28
Hallo,
wie ich in meinem anderen Beitrag schon erzählt habe, stand ich dem Klinikaufenthalt ziemlich lange eher skeptisch gegenüber. Aber ich bin sehr sehr froh und dankbar, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Ich hab mal eine Liste gemacht,
was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat:
1.) Pause: Der Klinikaufenthalt hat mich aus dem Teufelskreis einfach rausgeholt. Rausgeholt aus dem Alltag, der mich völlig überfordert hat. Es war wie eine Rettungsinsel in stürmischer See. Ich musste keine Hausaufgaben mehr machen, nicht mehr funktionieren, nicht mehr so tun, als wäre alles okay... Ich durfte einfach Luft holen.
2.) Erleichterung: Ich musste mich um nichts mehr kümmern. Nicht mehr ums Studium. Nicht ums Einkaufen. Nicht ums kochen. Nicht um meine Familie. Ich konnte mich voll und ganz aufs (Über-)Leben konzentrieren.
3.) Wärme: Ich hab auf Station zum ersten Mal Wärme und Geborgenheit gespürt. Weil es so gut tat, einfach mal ich sein zu dürfen. Nichts leisten zu müssen, sondern einfach okay zu sein. Weil es so gut tat, dass sich andere mal um mich gekümmert haben. Andere haben meinen Tagesablauf organisiert. Andere haben gekocht und geputzt. Andere haben mir zugehört und mich getröstet.
4.) Sicherheit: Ich hatte jahrelang mit heftigen Suizidgedanken zu kämpfen und war schon in einem richtigen Vermeidungsding gefangen: Nicht mehr mit spitzen Messern kochen (könnte ja sein, dass "ausversehen" was daneben geht), nicht mehr in Räume mit geöffneten Fenstern, nicht mehr über Brücken. In der Klinik war das alles egal. Sämtliche Messer waren stumpf, Brücken gab es nicht und die Fenster ließen sich nur Kippen. Und irgendwann ist dann endlich auch die destruktive Stimme in meinem Kopf leiser geworden.
5.) Freundschaft: In der Klinik habe ich viele Menschen kennen gelernt, denen es ähnlich ging, wie mir. Ich habe mich (obwohl ich mich mit anderen Menschen sonst sehr schwer tue) mit vielen sehr gut verstanden. Einige Kontakte halten bis heute. Ein toller Nebeneffekt war auch, dass sich gezeigt hat, dass ich in der Welt außerhalb der Klinik doch auch Menschen habe, die mich bedingungslos unterstützen und auf die ich mich verlassen kann. Menschen, die mich besucht haben. Die einfach für mich da waren, obwohl ich gerade am anfang so kaputt war, dass sie meist nur irgendwie hilflos neben mir sitzen konnten. Ich glaube, ich habe in der Klinik endlich gelernt, zu vertrauen. Anderen und mir selbst.
6.) Abstand: Die Zeit in der Klinik hat mir geholfen, Abstand zu finden. Abstand zum Alltag mit all seinen Problemen, Abstand zu den Dämonen meiner Vergangenheit, Abstand zu meiner Familie und zu meinem Berg an to-do-Listen. Durch diese Distanz war es viel leichter, zu verstehen, was alles schiefgelaufen ist und zu erkennen, was anders werden muss, um gut werden zu können. Insgesamt war der Klinikaufenthalt der Cut, den ich gebraucht habe, um neu anfangen zu können. Denn jetzt gibt es ein Leben vor der Psychiatrie und ein Leben danach. Und das danach gefällt mir eindeutig besser.
7.) Zeit: Mit 12-13 Jahren habe ich angefangen, meine Probleme durch Hyperaktivität zu verdrängen. Ich war ständig am rödeln. Hauptsache nicht nachdenken, hauptsache nicht fühlen. Auf Station habe ich endlich Zeit gehabt, zur Ruhe zu kommen. Langsamer zu werden. Und ich hatte gleichzeitig ein sicheres Umfeld, in dem die ganzen negativen Gefühle hochkommen konnten, ohne mich völlig kaputt zu machen. Ich habe mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein bisschen unbeschwert und frei fühlen können. Und erkannt, dass ich jahrelang vor Dingen davongelaufen bin, die längst vorbei sind.
8.) Ende des Versteckspiels: Das war vielleicht das härteste. Aber auch das Beste. Dadurch, dass ich in der Klinik war, konnte ich nicht mehr tun, als wäre alles okay. Ich habe meinen Eltern endlich mitgeteilt was los war und auch meinen Freunden und Leuten von der Hochschule. Das war ein Schritt, vor dem ich sehr viel Angst hatte. Aber es tat gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Und die meisten Leute aus meinem Umfeld (abgesehen von meiner Familie), haben darauf wirklich ziemlich gut reagiert. Obwohl viele auch überrascht und geschockt waren. Meine Mittbewohnerin z.B. hatte zwar von anderen erfahen, dass ich in der Klinik war, war aber trotzdem geschockt, als ich ihr erzählte warum. Und sie meinte dann: "Ich dachte, du hättest da gearbeitet!"
Viele Leute waren überrascht, weil sie nur mein Pokerface kannten, weil sie dachten, ich wäre nur die junge, erfolgreiche Studentin. Aber es haben mir plötzlich auch viele Leute von ihren eigenen Schwierigkeiten erzählt, fast, als ob sie froh wären, das jemand endlich mal das Schweigen bricht.
9.) Anker für die Zukunft: Ich weiß jetzt, wo ich zuflucht finden kann, sollte es mir noch mal so schlecht gehen. Das ist auch ein extrem beruhigendes Gefühl.
Alles, was ich damit sagen will: An den Horrorvorstellungen, die in manchen Spielfilmen zum Thema Psychiatrie herumgeistern, ist nichts dran! Ein stationärer Aufenthalt kann ziemlich gut tun, auch wenn es vielleicht erst mal Überwindung kostet.
LG und euch alles Gute, Lena
wie ich in meinem anderen Beitrag schon erzählt habe, stand ich dem Klinikaufenthalt ziemlich lange eher skeptisch gegenüber. Aber ich bin sehr sehr froh und dankbar, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Ich hab mal eine Liste gemacht,
was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat:
1.) Pause: Der Klinikaufenthalt hat mich aus dem Teufelskreis einfach rausgeholt. Rausgeholt aus dem Alltag, der mich völlig überfordert hat. Es war wie eine Rettungsinsel in stürmischer See. Ich musste keine Hausaufgaben mehr machen, nicht mehr funktionieren, nicht mehr so tun, als wäre alles okay... Ich durfte einfach Luft holen.
2.) Erleichterung: Ich musste mich um nichts mehr kümmern. Nicht mehr ums Studium. Nicht ums Einkaufen. Nicht ums kochen. Nicht um meine Familie. Ich konnte mich voll und ganz aufs (Über-)Leben konzentrieren.
3.) Wärme: Ich hab auf Station zum ersten Mal Wärme und Geborgenheit gespürt. Weil es so gut tat, einfach mal ich sein zu dürfen. Nichts leisten zu müssen, sondern einfach okay zu sein. Weil es so gut tat, dass sich andere mal um mich gekümmert haben. Andere haben meinen Tagesablauf organisiert. Andere haben gekocht und geputzt. Andere haben mir zugehört und mich getröstet.
4.) Sicherheit: Ich hatte jahrelang mit heftigen Suizidgedanken zu kämpfen und war schon in einem richtigen Vermeidungsding gefangen: Nicht mehr mit spitzen Messern kochen (könnte ja sein, dass "ausversehen" was daneben geht), nicht mehr in Räume mit geöffneten Fenstern, nicht mehr über Brücken. In der Klinik war das alles egal. Sämtliche Messer waren stumpf, Brücken gab es nicht und die Fenster ließen sich nur Kippen. Und irgendwann ist dann endlich auch die destruktive Stimme in meinem Kopf leiser geworden.
5.) Freundschaft: In der Klinik habe ich viele Menschen kennen gelernt, denen es ähnlich ging, wie mir. Ich habe mich (obwohl ich mich mit anderen Menschen sonst sehr schwer tue) mit vielen sehr gut verstanden. Einige Kontakte halten bis heute. Ein toller Nebeneffekt war auch, dass sich gezeigt hat, dass ich in der Welt außerhalb der Klinik doch auch Menschen habe, die mich bedingungslos unterstützen und auf die ich mich verlassen kann. Menschen, die mich besucht haben. Die einfach für mich da waren, obwohl ich gerade am anfang so kaputt war, dass sie meist nur irgendwie hilflos neben mir sitzen konnten. Ich glaube, ich habe in der Klinik endlich gelernt, zu vertrauen. Anderen und mir selbst.
6.) Abstand: Die Zeit in der Klinik hat mir geholfen, Abstand zu finden. Abstand zum Alltag mit all seinen Problemen, Abstand zu den Dämonen meiner Vergangenheit, Abstand zu meiner Familie und zu meinem Berg an to-do-Listen. Durch diese Distanz war es viel leichter, zu verstehen, was alles schiefgelaufen ist und zu erkennen, was anders werden muss, um gut werden zu können. Insgesamt war der Klinikaufenthalt der Cut, den ich gebraucht habe, um neu anfangen zu können. Denn jetzt gibt es ein Leben vor der Psychiatrie und ein Leben danach. Und das danach gefällt mir eindeutig besser.
7.) Zeit: Mit 12-13 Jahren habe ich angefangen, meine Probleme durch Hyperaktivität zu verdrängen. Ich war ständig am rödeln. Hauptsache nicht nachdenken, hauptsache nicht fühlen. Auf Station habe ich endlich Zeit gehabt, zur Ruhe zu kommen. Langsamer zu werden. Und ich hatte gleichzeitig ein sicheres Umfeld, in dem die ganzen negativen Gefühle hochkommen konnten, ohne mich völlig kaputt zu machen. Ich habe mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein bisschen unbeschwert und frei fühlen können. Und erkannt, dass ich jahrelang vor Dingen davongelaufen bin, die längst vorbei sind.
8.) Ende des Versteckspiels: Das war vielleicht das härteste. Aber auch das Beste. Dadurch, dass ich in der Klinik war, konnte ich nicht mehr tun, als wäre alles okay. Ich habe meinen Eltern endlich mitgeteilt was los war und auch meinen Freunden und Leuten von der Hochschule. Das war ein Schritt, vor dem ich sehr viel Angst hatte. Aber es tat gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Und die meisten Leute aus meinem Umfeld (abgesehen von meiner Familie), haben darauf wirklich ziemlich gut reagiert. Obwohl viele auch überrascht und geschockt waren. Meine Mittbewohnerin z.B. hatte zwar von anderen erfahen, dass ich in der Klinik war, war aber trotzdem geschockt, als ich ihr erzählte warum. Und sie meinte dann: "Ich dachte, du hättest da gearbeitet!"
Viele Leute waren überrascht, weil sie nur mein Pokerface kannten, weil sie dachten, ich wäre nur die junge, erfolgreiche Studentin. Aber es haben mir plötzlich auch viele Leute von ihren eigenen Schwierigkeiten erzählt, fast, als ob sie froh wären, das jemand endlich mal das Schweigen bricht.
9.) Anker für die Zukunft: Ich weiß jetzt, wo ich zuflucht finden kann, sollte es mir noch mal so schlecht gehen. Das ist auch ein extrem beruhigendes Gefühl.
Alles, was ich damit sagen will: An den Horrorvorstellungen, die in manchen Spielfilmen zum Thema Psychiatrie herumgeistern, ist nichts dran! Ein stationärer Aufenthalt kann ziemlich gut tun, auch wenn es vielleicht erst mal Überwindung kostet.
LG und euch alles Gute, Lena