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Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 15:14
von etienne76
Hallo liebes Forum,

ich bin der neue.

Das Schreiben fällt mir schwer. Ich kann schon im real life nicht gut auf Menschen zugehen, geschweige denn um Hilfe bitten, doch auch hier fällt es mir unendlich schwer. Hoffentlich werde ich diesmal dieser Beitrag absenden.

Ich habe gefühlt 1000 Fragen, kann sie kaum ordnen, geschweige denn mich auf irgendetwas konzentrieren. Ich werde sie in einzelne Posts aufteilen, immer dann, wenn ich die Kraft dafür finde.

Hier meine erste: nach einigen Büchern über Depression/Selbsthilfe habe ich ausgerechnet in einem Buch mit dem Titel "Kognitive Verhaltenstherapie für Dummies" ein paar Anregungen gefunden, die ich für hilfreich halte. Leider befinde ich mich seit Monaten in einer Situation, in der ich es kaum schaffe, überhaupt darin zu lesen. Es ist eine zu große Hürde. Auf Seite 40 kann ich mich nicht mehr erinnern, was auf Seite 39 stand. Ich hatte bisher im Leben kaum etwas auf der Habenseite außer meinem Verstand, und nun das. Vielleicht würde es mich weiterbringen, das Buch weiterzulesen, aber es ist aus obigen Gründen einfach nur frustrierend, und so meide ich es.

Hat vielleicht jemand von euch das gleiche Problem gehabt und eine Strategie, es ein wenig zu mildern? Der schwarze Hund kommt immer öfter zu Besuch, dieses Nicht-sein ist schwer erträglich.

Mein Impuls sagt mir, jetzt noch ewig weiterzuschreiben, aber dann würde dieser Post sicher in der Tonne landen. Also nehme ich jetzt allen meinem Mut zusammen und sende ihn ab. Hoffentlich.

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 15:37
von Gertrud Star
Hallo Etienne,
willkommen im Forum, und einen guten Austausch wünsche ich.
Doch, das Problem ist bekannt. Konzentrations- und Merkschwierigkeiten gehören ja als Symptome dazu.
Und auch den Kopf als Einziges zu haben und dass der als Arbeitsmittel ausfällt, kennen viele.
Warst du schon beim Hausarzt, um körperliche Ursachen auszuschließen?
LG Gertrud

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 15:41
von etienne76
Hallo Gertrud,

danke für Deine Antwort. Zum Arzt zu gehen ist momentan eher schwierig. Ich habe mich leider in die (mittlerweile eigentlich unmögliche) Situation gebracht, nicht krankenversichert zu sein. Das zu ändern, braucht viel Kraft, ausgerechnet jetzt, wo schon die einfachsten Alltagstätigkeiten schwer fallen.

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 15:55
von Gertrud Star
Hallo Etienne,
dass du nicht versichert bist, das gibt es nicht. Es besteht mittlerweile Versicherungspflicht.
Die Krankenkassen entlassen einen ja erst auf Nachweis, dass eine ander Kk einen aufnimmt.
Eine Depression ist eine schwere Krankheit, und die muss behandelt werden.
Ich bin nur nicht im Bilde, ob die abrechnungstechnisch so gehandhabt wird wie lebensbedrohliche oder akute Schmerzzustände.
Das wird der Arzt wissen und einschätzen können, wenn du da bist. Denn eine Depression kann schwer sein bis hin zur Lebensbedrohlichkeit.
LG Gertrud

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 16:00
von etienne76
Hallo Gertrud,
dass du nicht versichert bist, das gibt es nicht
leider schon, wenn man die Krankenversicherung nach begonnener Selbständigkeit Anfang der 00er Jahre verloren hat und sich seither mit einem (zwangsabgemeldeten) Gewerbe über Wasser hielt. Meine Probleme fingen leider nicht erst gestern an.

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 16:56
von etienne76
Noch zu Deiner Frage bzgl. des Arztes: Ich war 1999, noch krankenversichtert, in Behandlung bei einer Hausärztin aufgrund von psychosomatischen Schmerzen und Panikattacken. Zwei Klinikaufenthalte (Lungenfachklinik, dann psychosomatische Klinik Bad Neustadt a. d. Saale) und Atosil haben langfristig keine Änderung des Zustands bewirkt. Dann kam halt die Selbständigkeit, die Kündigung der KV usw.

Seither lebe ich in Vermeidung beängstigender Situationen. Erst vor zwei Jahren konnte ich (nach vielen Jahren) einmal die 200 Meter in den Aldi laufen, ohne mit Herzrasen und Atemnot umzukehen. Was wie ein gutes Zeichen aussah, war aber keines: was übrig blieb, war einfach nur Leere.

Die Angst ist nicht weg, ich habe einfach nur gelernt, diese Situationen zu meiden. Und jetzt bin ich leer, freudlos, laufe wie ein Zombie durch meine kleine Welt.

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 18:30
von Peter1
Hallo Etienne
Habe ich richtig verstanden, das dein Gewerbe abgemeldet wurde, dann bist du arbeitslos, und dir steht wenigstens Hartz 4 zu, so wie eine gesetzliche KV.

VlG Peter

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 23:05
von etienne76
Hallo Peter1,

das ist etwas kompliziert: nach der (Zwangs-)Gewerbeabmeldung wußte ich nicht, was ich tun sollte. Eine Festanstellung hätte ich aufgrund der Schmerzen und der Panikattacken nicht gepackt, eine erneute Arbeitslosigkeit wollte ich um jeden Preis vermeiden, da die Arbeit mich stabilisierte. Also setzte ich die selbständige Tätigkeit fort, jahrelang. Genauer gesagt bis jetzt. Dieser furchtbare Zustand quält mich jeden Tag, der Weg in ein geregeltes und legales Leben wurde mit jedem Jahr schwerer.

Nun bereite ich mit einem Anwalt die Selbstanzeige vor in der Hoffnung, dass - wie immer es ausgehen wird - sich hierdurch zumindest dieser Knoten von meiner Seele lösen wird. Auch wenn ich nicht weiß, wie ich diesen Weg schaffen soll, wenn es selbst an den einfachsten Alltagstätigkeiten scheitert.

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 22. Jan 2019, 23:49
von Gertrud Star
Hallo Etienne,
dann gehörst du zu den ganz wenigen Leuten, die tatsächlich nicht pflichtversichert sind.
Du weißt, dass man auch mit einer Erwerbsminderungsrente krankenversichert sein kann, oder auch das Sozialamt die Krankenkosten zahlen kann (als Beitrag oder Behandlungskosten).
Erst einmal würdest du im Jobcenter landen (bis alles weitere in der Tüte ist), und da kämst du tatsächlich in die KV.
Es gäbe dann die gesetzliche KV und den Basistarif der PKV, der auch übernommen werden muss und so in etwa die Leistungen der GKV umfasst. Ob da Psychotherapie dabei ist, weiß ich nicht.
Ich bin nicht mehr im Bilde, wie das alles im Detail ist. Dein Anwalt wird dich da beraten können.
Wie lange dauert denn so eine Selbstanzeige?
LG Gertrud

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 00:04
von etienne76
Hallo Gertrud,

vielen Dank für Dein Feedback. Ich kenne mich mit diesen Dingen wenig aus. Der Weg zurück in ein geregeltes Leben wird sehr schwer werden, gerade aufgrund meiner vielen Fehler. Im Grunde bin ich nur noch ein schlechtes Gewissen, und das seit mittlerweile über 15 Jahren.

Seit ein paar Monaten geht es mir richtig schlecht, aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, mit der Selbstanzeige mein Leben wieder in die Spur zu bringen. Aber es fehlt mir die Kraft für diesen Weg. Und erst recht für alle anstehenden Behördengänge.

Vorgestern hatte ich das erste Mal seit Jahren wieder eine Panikattacke, die sich scheinbar nach fast 20 Jahren endlich rausgewachsen hatten. Dachte ich. Das war bisher das highlight des Jahres, ich fühlte zumindest einmal wieder Angst. Ansonsten fühle ich seit Jahren nichts mehr, nur meine diversen Schuldempfinden kommen einem Gefühl noch am nächsten.

Entschuldigt bitte all diese Gedankensprünge. Ich kann meine Gedanken nicht ordnen. Ich freue mich über jedes offene Ohr.

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 00:08
von etienne76
Wie lange dauert denn so eine Selbstanzeige?
Mein Anwalt sagte, das hängt in erste Linie davon ab, wie stark das Gericht ausgelastet ist. Es sollte aber noch dieses Jahr beendet werden.

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 10:01
von Bittchen
Liebe etienne,

es liest sich tatsächlich sehr kompliziert,was du so erlebt hast.
Aber jetzt bist du auf dem richtigen Weg.
Da wünsche ich dir sehr viel Kraft,hast du einen Freund oder ein Familienmitglied, das dich begleiten kann.?
Vielleicht solltest du dich an den VDK wenden.
Oder liege ich da ganz falsch?
Der Sozial Psychiatrische Dienst fällt mir noch ein,es muss doch eine Möglichkeit geben,dass du
aufgefangen wirst.
Ich wünsche dir alles Gute und es ist richtig,dass du dich hier einbringst,herzlich willkommen.
Hier fragt keiner wie konzentriert du schreiben kannst,wir Betroffenen kennen deine Schwierigkeiten auch.

Ganz liebe Grüße
Bittchen

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 10:48
von etienne76
Liebe Bittchen,

ich danke Dir für Deine aufmunternden Worte. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich so etwas brauche.
hast du einen Freund oder ein Familienmitglied, das dich begleiten kann.?
Ich habe eine eigene Familie, nach oben hin (Eltern etc.) dagegen gibt es da niemanden mehr. Meine Lebensgefährtin hat gerade innerhalb weniger Wochen ihre beiden Eltern verloren und benötigt eher meine Unterstützung, die ich aber kaum geben kann. Und unser Sohn ist 16 und hat damit genug eigene Probleme. Auch er benötigt viel Verständnis, aber auch ein wenig Orientierung. Auch das kann ich nicht mehr leisten, wenn ich es je konnte.

Danke für den Tipp mit dem VDK, von dem habe bisher noch nichts gehört und werde mich gleich mal auf dessen Website umschauen. Die größte Hürde ist für mich, raus in die Welt zu gehen und irgendwo um Hilfe zu bitten, denn mein ständiger Begleiter - neben dem schwarzen Hund - ist das schlechte Gewissen, viele Jahre selbst nicht in die Sozialkassen eingezahlt zu haben. Es kommt mir einfach falsch vor, ich schaffe es nicht, mir selbst zu sagen, dass hier meine Wahrnehmung verzerrt ist; ich fürchte, das ist sie einfach nicht.

Ebensowenig weiß ich, woher ich momentan die Kraft für all das nehmen soll. Der Moment des größten Leidensdrucks und der geringsten Energie selbst für die einfachsten Dinge fällt grausamerweise zusammen mit dem der größten Herausforderungen.

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 11:00
von Peter1
Hallo Etienne
So wie du dich beschreibst, bist du ein Fall, für eine rechtliche Betreuung. Auch ich habe, als ich merkte, das es so nicht mehr weiter gehen kann, beim Amtsgericht eine Betreuung beantragt. Ich war durch die Depressionen so stark beeinträchtigt, das ich Obdachlos wurde. Seit dem ich Betreut werde, geht es mit mir wieder aufwärts. Ich habe eine neue Wohnung, eine Partnerin, und auch die Depressionen haben sich irgendwo versteckt. Nächsten Monat beginnt meine ambulante Psycho Therapie. Mal schauen, was daraus wird.
Ich kann dir nur empfehlen, zum Amtsgericht zu gehen, denn meine Betreuerin hilft mir immer wieder durch den Ämter Dschungel, wo ich allein verloren wäre.

VlG Peter

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 11:35
von etienne76
Hallo Peter1,

vielen Dank für Deine Nachricht.

Dein Ratschlag klingt absolut naheliegend, vollkommen logisch und: bitte sei mir nicht böse, aber er trifft mich wie ein Schlag in die Magengegend! Er klingt nach dem Verlust der Kontrolle, die ich tatsächlich schon lange nicht mehr habe. Nach Ausgeliefertsein, was ich aber sowieso schon bin. Vielleicht fehlt es mir einfach an Demut.

Es fällt mir schwer, diesen Rat zu akzeptieren, aber ich weiß auch, dass er sich in meinem Hinterkopf einnisten wird. Es braucht vielleicht einfach nur ein wenig Zeit. Wenn ich den Gedanken akzeptiert habe werde ich mal google anwerfen und sehen, was das genau für mich bedeuten würde.

Es freut mich zu hören, dass Du langsam wieder in's Leben zurückkehrst, die Dinge sich so gut entwickeln. Das gibt mir Hoffnung.

Ich wünsche Dir alles Gute!

lg

Re: Zwischen furchtbar neutral und tiefschwarz

Verfasst: 23. Jan 2019, 12:01
von Peter1
Hallo Etienne
Gib einfach BGB 1896 in die Suchmaske ein, und es erscheint das Betreuungsgesetz in leicht verständlicher Sprache, also keine schwierigen Fremdwörter.

Peter