"Geh Du vor", sagte die Seele zum Körper, "auf mich hört er nicht. Vielleicht hört er auf Dich."
"Ich werde krank werden, dann wird er Zeit für Dich haben", sagte der Körper zur Seele.
Hallo Kira,
man geht davon aus, dass sich eine psychische Störung auch rein körperlich zeigen kann, siehe dazu die somatoforme Störung (
https://de.wikipedia.org/wiki/Somatoforme_St%C3%B6rung) bzw. larvierte Depression (
https://de.wikipedia.org/wiki/Larvierte_Depression). Körper und Psyche sind untrennbar miteinander verschlungen, arbeiten aber innerhalb gewisser Grenzen dennoch autonom. Deine Psyche wird so gut wie möglich versuchen, dich vor Verletzungen zu schützen; wenn z.B. ein nicht ganz realitätsnahes Welt- und Selbstbild so verfestigt ist, dass ein (empfundener) Angriff darauf schwere Folgen haben könnte, dann wird die Psyche alles abwehren, was auch nur vage in die Nähe dessen kommt. Für die offensichtlichen Widersprüche zwischen Vorstellung und Realität wird sie mehr oder minder glaubwürdige Erklärungen suchen (kognitive Verzerrung), damit du so weitermachen kannst wie bisher.
Das geht so lange gut, wie dieses "bisher" dir nicht schadet. Tut es das aber, entsteht ein Spannungsfeld, das sich irgendwann entladen muss. Bleibt die Psyche eisern, geht es eben in den Körper. Vielfach ist dies eine "Sollbruchstelle", etwas wo man "schon immer" anfällig war.
In einer Psychotherapie kann bei einer vertrauensvollen Patienten-Behandler-Beziehung der eigentliche Zusammenhang aufgedeckt werden. Die Frage ist dann, was ist so schrecklich, dass lieber der Körper ausfällt als dass die Psyche zugibt, dass etwas anderes nicht stimmt? (Das muss nichts objektiv Schlimmes sein, kann auf den Verstand wie eine Lappalie wirken.) Oder eben: was möchte dein Körper dir sagen, was du dich bislang zu hören geweigert hast?
Ein Somatiker hat evtl. auch einfach gelernt, dass er nur so seine Bedürfnisse gestillt bekommt oder Ängste vermeiden kann. Stelle dir ein Kind vor, dass irrsinnig Angst vor der Mathearbeit hat. Zufällig bekommt es nun tatsächlich an genau diesem Morgen Fieber und muss nicht zur Schule. Und zufällig geschieht etwas Ähnliches auch ein zweites Mal. Ach so läuft das, denkt sich die Psyche und bleibt bei dieser Strategie.
Oder das Kind wünscht sich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mutter, die aber meist durch anderes abgelenkt ist. Als das Kind krank wird, hat sie auf einmal Zeit und kümmert sich liebevoll.
Das läuft nicht bewusst ab, weder das Angst-Fieber noch die Kümmere-dich-um-mich-Erkrankung ist vorgetäuscht, beides wird real empfunden, es wird real gelitten, es ist aber ggf. immer noch besser als die Alternative - zumindest aus Sicht der Psyche. Es ist eine Coping-Strategie, die zwar aus heutiger Sicht ungünstig ist, aber irgendwann mal in Ermangelung einer besseren entwickelt wurde und auch irgendwie funktioniert hat.
Nun ist es leider so, dass man nicht wirklich feststellen kann, in welchem Fall es wirklich so ist. Oder ob es bei dir so ist. Nur weil man keine körperliche Ursache finden kann, heißt das noch lange nicht, dass es keine gibt. Du solltest mal ganz ehrlich und aufrichtig in dich hineinhorchen: was sagt dein Gefühl?
Denn eigentlich, so meine ich, haben wir schon ein recht gutes Gefühl für uns selbst. Wenn man erstmal so weit ist wie du und den Gedanken schon mal zulässt, dass es eben vielleicht doch die Psyche sein kann und ja sogar auch bereit ist, in diesem Sinne Hilfe zu suchen, hat man schon einen Riesenschritt getan. Und jetzt lasse es mal wirken: ist es der Körper oder der Geist? Oder beides?
Neben der Schulmedizin gibt es noch die "Funktionelle Medizin", die hierzulande allerdings eher im Heilpraktiker-Bereich stattfindet. Etwas kann nicht oder nicht richtig funktionieren, obwohl es nicht im eigentlichen Sinne kaputt ist.
Man ist leicht verunsichert. Der Arzt sagt, er findet nichts, das muss die Psyche sein. Therapeuten finden IMMER irgendwas und sagen, jaja, das wird die Psyche sein. Aber manchmal nagt da diese Stimme im Hinterkopf, die einfach keine Ruhe gibt. Man geht brav zur Therapie, findet Baustellen und arbeitet dran, aber dieses leise Stimmchen bleibt, die sagt, alles schön und gut, aber das ist es nicht, da ist noch was anderes.
Falls dem so ist, kann ich dir nur raten, für alles andere offen, aber trotzdem am Körper dranzubleiben. Es ist keine "große" Krankheit, das ist ja schon mal gut. Organisch ist alles in Ordnung, prima. Aber vielleicht gibt etwas im Kleinen, das große Auswirkungen hat. Schmerzen im Kopf-/Halsbereich können sogar durch Störungen des Bewegungsapparates am anderen Ende des Körpers ausgelöst werden, eine Blockade z.B. oder muskuläre Dysbalance (ein Osteopath könnte das feststellen).
Nicht alles ist mess- oder sichtbar. Laborwerte sind außerdem immer etwas heikel in der Auswertung, weil sie auf der Basis von (zweifelhaften) Statistiken betrachtet werden, aber eigentlich höchst individuell sind. Falls du sie in Kopie hast (würde ich immer empfehlen), könntest du mal schauen, ob Werte sehr dicht am oberen oder unteren Grenzwert liegen (die von Labor zu Labor verschieden sind) - nicht hypochondrisch betrachten, aber halt kritisch.
Du kannst selber auf Recherche gehen. Was war bei anderen die Ursache, wie haben die es rausgekriegt und könnte es das auch bei dir sein? Es ist ein bisschen eine Gratwanderung, weil es natürlich nicht ausufern soll, aber du könntest dich mal selbst beobachten: sind die Schmerzen immer da? Falls ja, seit wann? Was ist zu dem Zeitpunkt passiert, situativ und emotional? Falls nicht, wann treten sie auf und wann nicht?
Sprich ruhig mit deiner Therapeutin über deine Zweifel, was die Symptome angeht. Und auch über deine Angst, in ein emotionales Tief abzurutschen. Eine Ferndiagnose ist genauso wenig möglich wie eine Vorhersage. Stelle alles auf den Prüfstand, irgendwann wird sich etwas auftun.
Viel Erfolg,
Salvatore