Guten Abend, möchte mich vorstellen

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Sinnpflanze
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Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Sinnpflanze »

Liebes Forum,

gar nicht so einfach, den Anfang zu finden. Mehrfach schon habe ich begonnen, das Geschriebene gelöscht, neu angefangen, gelöscht... Lassen wir es einfach so stehen:

Ich, weiblich, 41, stieß beim Googlen nach besonders empfindsamen Pflanzen - keine Überraschung - auf die Mimose, auch, und das war neu: "Schamhafte Sinnpflanze" genannt. Was mich freute, und deshalb nenne ich mich jetzt so.

Es ist eine so lange Geschichte, die ich nur nach und nach erzählen kann. Ich hab es wirklich versucht - es wäre zuviel geworden, alles auf einmal zu schreiben. Fürs Erste soviel:

2017 war ein einziges Trauma. Depressionen habe ich schon seit meiner frühen Jugend. Seit Juli 2017 befinde ich mich in der Psychiatrie. Seit Ende Mai tagesklinisch. Nach der Trennung von meinem Lebenspartner zog ich im Januar zurück zu meinen Eltern. Es ist manchmal heftig. Die Trauer über den Verlust meiner Beziehung. Die Angst davor, was jetzt kommen mag. Oder dass überhaupt nichts mehr kommen mag. Arbeit, Wohnen, Freundschaften in meiner mir fremd gewordenen Geburtsstadt. 20 Jahre hatte ich anderswo gelebt.

Dennoch: Ich möchte mich aus diesem Loch herauskämpfen. Die lokale Selbsthilfegruppe, das erfuhr ich am Telefon, hat sich zerstritten. Schreiben hat mir schon immer gut getan. In den nächsten Wochen steht meine Entlassung an - auf eigenen Wunsch, weil ich langsam klinikmüde werde. Eine andere Form von Community, die mich auf meinem Weg begleitet, kann ich gut gebrauchen. Ich fand dieses Forum, und es gefällt mir.

Einen schönen Abend wünsche ich Euch.

Über Antworten freut sich
Sinnpflanze
Wiedererholtes Herz ist das bewohnteste.
Rainer Maria Rilke
Gertrud Star
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Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Sinnpflanze,

willkommen im Forum.
Da hast du ja einiges an Veränderung derzeit zu bewältigen.
Und ein Jahr Klinik ist doch sehr lange.

Ich wünsche dir hier einen guten Austausch,
schreibe ruhig weiter.

LG Gertrud
Lavendel64
Beiträge: 553
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo Sinnpflanze,
auch von mir ein herzliches Willkommen. Ja, die Klinikmüdigkeit kann ich verstehen. Es ist toll, wie du nach vorne schaust und die Zukunft angehen möchtest. Das wird ein langer und auch steiniger Weg, aber das, was du hinter dir hast, war sicherlich weitaus schlimmer.

Ich hoffe, dass du nach deiner Entlassung weitere ambulante therapeutische Hilfe bekommst.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Katerle
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Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Katerle »

@ Sinnpflanze

Auch von mir herzlich Willkommen hier im Forum.

Nein, einfach ist das nicht, den Anfang zu finden, aber du hast ihn bereits gemacht, hier zu schreiben und das ist einfach klasse.

Es ist gut, dass dir das Forum gefällt. Hier hast du die Möglichkeit, dich mit anderen auszutauschen und Hilfestellungen zu erhalten bzw. anderen zu geben.

Auch ich kann deine Klinikmüdigkeit verstehen.

Schade ist, dass deine Selbsthilfegruppe zerstritten ist. Dennoch hast du die Möglichkeit, dich einer neuen Selbsthilfegruppe anzuschließen und wünsche dir hierbei viel Erfolg.

Liebe Grüße
Katerle
wohin geht die reise
Beiträge: 349
Registriert: 16. Sep 2016, 11:44

Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von wohin geht die reise »

Hallo Sinnpflanze (ein ausgesprochen schönes Wort)
auch ich heiße dich herzlich willkommen hier im Forum und wünsche
dir einen guten Austausch.
Ich kann dich gut verstehen, dass du klinikmüde bist. Ich selber war von 2015 auf 2016 9 Monate in der Klinik.
Ich wünsche dir, dass du dich aus dem Loch herauskämpfen kannst.
Lore
Sinnpflanze
Beiträge: 184
Registriert: 9. Aug 2018, 17:17

Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Sinnpflanze »

Danke für den freundlichen Empfang!

Die Vermittlerin für Selbsthilfegruppen setzte mich auf die Warteliste. Wenn sich genügend Teilnehmer gefunden haben, wird es eine neue Gruppe geben.

Eine Warteliste mehr. Worauf ich momentan noch so warte:

1. Auf meine Entlassung. Heute erfuhr ich: Am 29., also heute in zwei Wochen.
2. Auf einen Platz in der klinikinternen Buchbinderei, zu der ich ambulant gehen werde, wenn der eigentliche Aufenthalt vorbei ist - einfach, um etwas zu tun.
3. Auf einen Psychotherapieplatz (noch 1-3 Monate)
4. Auf einen Platz in einer therapeutischen Wohngemeinschaft. Das kann dauern. Bei meinen Eltern zu wohnen ist keine Dauerlösung. Die Vorstellung, allein zu wohnen, macht mir Panik (noch). Eine normale WG kann ich mir (noch) nicht vorstellen. Zuviel müsste ich erklären.

In einer Zeit des Wartens tut es gut, zumindest darüber zu schreiben. Etwas, das man TUN kann. Und das im Schlafanzug.

Dennoch verbringe ich die meiste Zeit des Tages nicht mit Planen. Sondern allgemein, meine Verzweiflung in den Griff zu bekommen. Über den Verlust meines Freundes. Wir waren 16 Jahre lang ein überwiegend glückliches Paar und haben zwölf davon zusammen gewohnt. Trotz der Depressionen. Meine Schuldgefühle und auch meine Scham darüber, dass es mit mir dermaßen den Bach heruntergegangen ist, sind immens. Dass ich deswegen einen aktiven und lebensfrohen Partner verloren habe, der mir immer geholfen hat - mir aber am Ende nicht mehr wirklich helfen konnte. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, das zu beweinen, tue ich es. Auch einjährige Therapie konnte nicht helfen, darüber wirklich hinwegzukommen. Wahrscheinlich werde ich das nie.
Wiedererholtes Herz ist das bewohnteste.
Rainer Maria Rilke
Laura7
Beiträge: 22
Registriert: 30. Jul 2018, 22:38

Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Laura7 »

Hallo Sinnpflanze,
Du warst so lange mit Deinem Freund zusammen, wurdest verlassen - so etwas kann einen seelisch völlig aus der Bahn werfen.
Jeder Mensch verarbeitet anders. Bei Dir scheint es ja so zu sein, dass Du darüber reden willst. Und jedes Mal, wenn Du darüber redest, verarbeitest Du wieder ein Stück.
Und wenn Du es am Ende 1000 x erzählen musstest - so war das Dein individuell richtiger Weg.
Solange Du dieses innere Bedürfnis spürst, würde ich dem folgen.

Erzähle hier in absoluter Anonymität, was Dir passiert ist. So viel oder wenig, so oft oder selten wie es Dir gut tut.
Spürst Du, dass Dich Kommentare verletzen oder Dir nicht gut tun, so bleibt auch noch die Möglichkeit eines Blogs.

Mich selbst hatte ein Mann einmal derart tief verletzt - es ist jetzt (nachdenken...) schon etwas über 20 Jahre her - es hat mich völlig umgehauen. Viele, viele Jahre... Sehr extrem. Ich konnte an fast nichts anderes denken. Es war wie eine große tiefe Wunde - aber eben unsichtbar für andere.
Mein Leben ist aus den Fugen geraten und es hat meine berufliche Karriere zerstört...

Ich verarbeite sehr über Gespräche und erzählte meiner Umgebung davon. Sie hörten zu - neugierig. Und deshalb leider auch nur ein einziges Mal... Und ich, ich steckte fest. Es war wie bei den alten Langspielplatten, die sich verhakten. Jahrelang war die Verletzung derart frisch und groß, als wäre alles gestern passiert.
Die Zeit schien still zu stehen.
Ich musste realisieren, keine wirklichen Freunde zu haben. Denn die hätten mir ja mehr als ein Mal zughört und wären beim 2. Mal nicht gleich genervt gewesen oder sogar aggressiv geworden...

Es ist nun ca. 20 Jahre her und: Es ist besser geworden. Es ist auch schon länger besser. Ich denke nur noch selten an den Vorfall. Aber manchmal google ich den Mann noch. Ich sah ein Foto von ihm mit attraktiver blonder Frau und Kind... Ich frage mich dann, ob sie wohl weiß, wie extrem boshaft dieser Mann sein kann?

Im Nachhinein - wie hätte ich es besser, schneller verarbeiten können?
Richtige Freunde hätten mir sicherlich sehr helfen können. Menschen, die mir anbieten, dass ich immer wieder über diese Verletzung sprechen kann. Aktivitäten, die eine Ortsveränderung mit sich bringen. Häufige Ortsveränderungen, zB Urlaube mit völlig anderen Eindrücken (Ich reise sehr gerne.) Natürlich schleppt man die Trauer mit sich. Aber sie wird bekämpft... Neue Kontakte an anderen Orten - die nichts mit diesem Vorfall zutun haben.

Ich habe nie eine Therapie gemacht. Der Aspekt, dass jemand bereit ist, mir nur gegen Bezahlung zuzuhören, störte mich sehr. An eine fachliche Überlegenheit konnte ich nicht glauben. Wären die Antworten/Ratschläge eines Therapeuten wirklich qualitativ hochwertiger als die von Laien?
Ein Laie, der mir zuhört, würde mir - jedenfalls beim 2. Mal - aus ehrlicher Anteilnahme zuhören. Ein Therapeut würde sich mit mir im wahren Leben vlt. noch nicht mal befreunden wollen.
Es kam für mich nicht infrage.

Psychopharmaka: Ich wusste damals nur grob, dass man nicht nur mit Nebenwirkungen, sondern vor allem langfristig mit Schäden rechnen müsste.
Mittlerweile habe ich mich mit diesem Thema sehr intensiv auseinandergesetzt. Leider sehe ich es immer noch sehr kritisch. Das Internet ermöglicht eine sehr gute Recherche. Die Zahl von Menschen mit dauerhaften Schäden ist enorm. Und wird von Ärzten (nicht Psychotherapeuten!) - natürlich - verschwiegen. Psychiater (ohne gesprächstherapeutische Zusatzausbildung) leben schlichtweg davon, Medikamente zu verschreiben. Neutral Auskunft geben über Gefahren werden sie nicht. Viele Studien gibt es auch nur auf Englisch. Und selbst Studien werden leider oft nur veröffentlicht, wenn sie zum gewünschten positiven Ergebnis kommen.

Nun gibt es eine Fülle von Medikamentengruppen und sehr unterschiedliche Risiken...

Allerdings kann man seelisch eindeutig an seine Grenzen stoßen und nach intensiver Abwägung vlt. doch anders entscheiden. Dafür habe ich nicht nur Verständnis. Es könnte mir eines Tages auch so ergehen.

Hat nicht jeder mal ein einer Krise Alkohol getrunken und war froh, für einen Moment seinen Problemen zu entfliehen?
Allerdings habe ich den Eindruck, dass Alkohol bei mir meist nur die vorhandenen Gefühle verstärkt:
Habe ich also Probleme, so verstärkt Alkohol zB traurige Gefühle also. Aber das war manchmal auch schön.
Oft kamen traurige Gefühle so an die Oberfläche, brachen aus mir heraus und ich konnte intensiv weinen...
Ich weinte mich einfach aus, alles - alles weinte ich aus mir heraus...
Und es tat gut. Es hat mich in der Verarbeitung wieder ein Stück weitergebracht.

Ich werde nie vergessen, was mir dieser Mann - Rechtsanwalt - angetan hat. Noch vor 5-6 Jahren kamen mir die Tränen, als ich im Zug saß und meine Geschichte einem Sitznachbarn "auf's Auge drückte".
Ich konnte gar nicht mehr aufhören und weinte bis zur Ankunft.

Seitdem nicht mehr. Ich hatte auch nicht mehr das Bedürfnis, jemandem etwas darüber zu erzählen.

Wer weiß, vlt. bleibt es jetzt ja so.

Ich will Dich nicht entmutigen. Es kann bei Dir viel schneller gehen als bei mir. Besser wird es in jedem Fall. Das kann ich garantieren.

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Sinnpflanze
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Re: Guten Abend, möchte mich vorstellen

Beitrag von Sinnpflanze »

Guten Morgen,

danke für Deine Antwort. Eins muss ich klarstellen: Wir haben uns getrennt, die gemeinsame Wohnung aufgegeben, wohnen jetzt 100 Km voneinander entfernt.

Verlassen wurde ich aber nicht. Wir sind noch in Kontakt, telefonieren einmal die Woche, jeden dritten Sonntag verbringen wir zusammen. Es war vielmehr so, dass wir im letzten Sommer beschlossen haben, fortan getrennte Wege zu gehen, weil wir einfach nicht mehr wussten, was wir als Paar meinen Zuständen noch entgegensetzen sollen. Er hat - wie gesagt - 16 Jahre lang versucht, zu helfen, wo es nur ging.

Konnte aber meinem Absturz am Ende nichts mehr entgegensetzen. Ich hatte mich den größten Teil des Tages gehen lassen, aber bis zum Schluss versucht, mich zusammenzureißen, mit ihm Radtouren zu unternehmen, ins Kino und essen zu gehen, schön zu kochen... mich aktiv und lebensbejahend zu geben, wenn er da war.

Unterschwellig merkte er dennoch, dass es mir immer schlechter ging. Dass ich mich immer mehr von der Welt zurückzog.

Gleichzeitig verliebte er sich in eine Frau, die so ganz anders ist als ich. Ich kann es ihm nicht verübeln, möchte aber gar nicht so genau wissen, wie sie jetzt zueinander stehen. Es tut zu weh.

Nachdem ich das erfahren hatte, versuchte ich im Frühjahr 2017 das Ruder herumzureißen, glaubte aber nicht wirklich daran, es zu schaffen. Kurz vor meiner Einweisung versuchte ich mich - ich war jahrelang arbeitslos gewesen - noch in einem Bürojob. Schon in der Einarbeitung scheiterte ich grandios, ich war tierisch unsicher, und konnte mich nicht konzentrieren - alles raste an mir vorbei. Ich fühlte mich wie ein Volltrottel. Mit massiven sozialen Ängsten.

Irgendwann nachts hörte ich ihn weinen - meinetwegen. Weil er keine Perspektive mehr für mich, für uns sah. DAS hat mir den Rest gegeben, und so ging ich in die Klinik. Ich verkündete noch feierlich, dass sich jetzt, ab heute, alles für uns beide zum Besseren wenden würde.

Meine Therapeutin hat immer versucht, Wut gegenüber meinem Expartner zu schüren - sie kann einfach nicht glauben, dass er wirklich so perfekt gewesen sein kann, wie ich ihn immer darstelle. Auch meine beiden Freundinnen versuchen mir gegenüber, ihn zu ent-idealisieren. Nach dem Motto: Zum Scheitern einer Beziehung gehören immer zwei. Aber mir fällt absolut nichts ein, was ich ihm zum Vorwurf machen könnte - außer, dass ich diese Erkrankung habe, und er nicht.

Gruß, Sinnpflanze
Wiedererholtes Herz ist das bewohnteste.
Rainer Maria Rilke
Sinnpflanze
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Registriert: 9. Aug 2018, 17:17

Bin jetzt entlassen - nach gut einem Jahr

Beitrag von Sinnpflanze »

... und es fühlt sich komisch an. Obwohl ich auch demnächst noch Termine in der Klinik haben werde - drei Mal die Woche Arbeitsdiagnostik, dazu kommen ab nächster Woche Termine bei der fachpsychiatrischen Pflege. Morgen bin ich bei meiner Hausärztin (neu) und hab ein Zweitgespräch mit einer Verhaltenstherapeutin.

Die Depression ist noch da. Darum war die Verabschiedung in der Gruppe heute morgen seltsam - einerseits wollte ich keinen entmutigen - viele haben große Erwartungen an ihren Aufenthalt - , andererseits wollte ich nicht unaufrichtig sein. Ob der Aufenthalt für mich gut oder schlecht war - ich kann es nicht sagen, muss es sacken lassen. Auf jeden Fall habe ich viel über mich erfahren, und hab mich meistens gut betreut gefühlt.

Ob ich wirklich Freundschaften in der Klinik geschlossen habe - wird die Zeit zeigen.
Wiedererholtes Herz ist das bewohnteste.
Rainer Maria Rilke
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