So viele junge Menschen ..

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Lavendel64
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So viele junge Menschen ..

Beitrag von Lavendel64 »

Seit einigen Tagen beschäftigt mich das ... es fiel mir auf, dass unter denen, die sich neu anmelden, so viele junge Menschen sind. Ich finde das erschreckend.

Liegt es daran, dass die Diagnosemöglichkeiten heute besser sind? Dass Depression ernst genommen wird, wo man früher sagte "Beiss die Zähne zusammen, denk mal daran, was wir im Krieg durchmachen mussten?"

Liegt es daran, dass die Welt so schnelllebig, der Leistungsdruck so hoch ist, dass dem nur noch wenige standhalten können? Liegt es daran, dass Sicherheit (sein Leben lang beim gleichen Arbeitgeber bleiben zu können), fester Wohnsitz (auch wegen der Arbeit) nicht mehr so gewährleistet ist? Dass ein Gehalt oft nicht für den Lebensunterhalt reicht und dass Orientierung so schwer geworden ist?

Nachdenkliche Grüße
von Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Peter1
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Peter1 »

Hallo Lavendel
Du hast mit all deinen Vermutungen, den Nagel auf den Kopf getroffen. Vielleicht liegt es aber auch daran, das viele ältere Menschen davor zurück schrecken, zum Psychiater zu gehen, weil es immer noch mit einem Stigma behaftet ist. Niemand will öffentlich zugeben, das er "schwach" ist, und mit seinem Leben nicht mehr klar kommt. Ich sehe es doch bei mir, einige meiner früheren Freunde(?) haben sich von mir abgewandt, als ich eine Betreuerin bekam. Sie sahen mich als verrückt, geistig behindert, als minderwertig an. Einige von ihnen sagten es mir sogar offen ins Gesicht. Mit solchen Menschen muß ich nicht weiter verkehren. Sie wurden umgehend von meiner Weihnachtsgrußliste gestrichen. Wer geht schon gerne zum Psychiater? Nur die, die wissen, das er ihnen helfen kann, wieder auf die Beine zu kommen.

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Katerle
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Katerle »

Ja da kommt vieles hin, was ihr geschrieben habt. Ich kann da auch ein Lied singen, in Bezug auf Vorurteilen...

Wenn es jungen Menschen hilft, sich hier anzumelden, dann ist es eine gute Sache. LG
Cinderella12
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Cinderella12 »

Hallo ihr,

zunächst mal Lavendel, welches Alter verstehst du unter jung?

Früher hatte man noch kein Internet, da war das Outing nicht so groß. Ob die früher eher zum Psychater gerannt sind, weiß ich nicht. Für Depressionen spielen etlich viele Gründe mit ein. Da ist es die individuelle Situation/viele Gründe. Zu Kriegszeiten hatte man keine Zeit zu schwächeln. Da ging es halt einfach hart zu. Die Gesellschaft wird auch immer egoistischer, Menschen immer einsamer, dauernd wird einem suggwriert, dass man immer überall Leistung zu bringen hat, ansonsten nichts verdient hat... Das geht eben nicht nur auf die älteren, sondern auf komplett jeden einzelnen Menschen. Je nach Charakter, Faktoren, Situation, Genetik, Umfeld etc. klappt man zusammen, oder auch nicht.

@Peter,

das sind keine Freunde, sei froh, dass du die los bist, da hat dir die Depression die Augen geöffnet!

Lg Cinderella
Lavendel64
Beiträge: 547
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Lavendel64 »

@Cinderella: hauptsächlich so die 20/30-jährigen.

Ja, die harten Kriegszeiten ... ein Beispiel, das ich mir in meiner Kindheit oft anhören musste. Nicht, dass ich es nicht zu würdigen weiß, ich darf mir kein Urteil darüber erlauben. Doch die Traumata schlagen offenbar bis in die heutigen Generationen durch. Mir ist durch die Bücher von Frau Bode einiges klar geworden.

Mit Vorurteilen habe ich wenig zu tun gehabt, obwohl ich offen mit den Depressionen umgegangen bin. Vielleicht habe ich nur Glück gehabt.

LG Lavendel
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Gertrud Star
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Gertrud Star »

Tja das spielt da alles mit hinein was du vermutest.
Bei mir war in jungen Jahren kein Psychiater verfügbar. Man war doch sehr stigmatisiert, vor allem noch auf dem Lande, wo jeder Facharztbesuch minimum einen halben Tag dauerte mit den Öffis.

Noch ein Wort zu den Menschen aus den neuen Ländern:
Die heute jungen Erwachsenen haben Eltern, denen durch die Wiedervereinigung oft genug ohne adäquaten Ersatz die Arbeitsplätze abhanden gekommen sind. Viele pendeln sehr lange Strecken viele Jahre lang. Viele fanden gar keine Arbeit mehr.
Wie gehen die wohl mit deren Kindern um?

Unsere Generation hat von den Eltern die Kriegs- und Nachkriegsnot irgendwie vererbt bekommen, die nach uns geborenen die Wiedervereinigungslasten. Die werden, weil unsere Generation so sehr mit sich zu kämpfen hatte, es nicht unbedingt leichter gehabt haben als Kinder/Jugendliche.

Wenn ich das mal in der Generationenabfolge sehe:
meine Oma: als Ledige im vorletzten Kriegsjahr geschwängert, von dem Mann sitzen gelassen.
meine Mutter: als Bastard in der Nachkriegsnot bei einer alleinstehenden "Hure" aufgewachsen. Keine von beiden war gut genug. In der Ehe hat sie sich aufgerieben, auch mit ihrem Mann, der zu früh starb und damit die Hoffnung auf das Ernten der finanziellen Früchte der Bemühungen.
ich: in der DDR noch Hoffnung gehabt, dass trotzdem etwas aus mir wird, studiert. Im "Westen" nur auf verlorenem Posten gekämpft bis zum Zusammenbruch. In jungen Jahren raus gekickt.
die Nachwendegeneratioen: Tja, die ist froh wenn jemand mit ihnen spricht über sowas, und über jeden, der ehrlich ist. Die muss damit leben, dass sich Bemühungen u.U. nie lohnen werden, trotz dass sie sich mehr abmühen müssen.

Mal ziemlich verkürzt dargestellt.

Das betrifft ein Fünftel der bundesdeutschen Bevölkerung, also keine Minderheit.
Cinderella12
Beiträge: 369
Registriert: 1. Mai 2018, 11:42

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Cinderella12 »

Juhuuu, ich zähle noch zu den jungen. Und das, obwohl ich mir jetzt schon öfter anhören durfte, dass ich alt bin (mit Ende 20).

Mein Opa hat auch viel über den Krieg geredet, meine Mutter (seine Schwiegertochter) war immer genervt davon, wollte nichts hören. Ich dachte, der hat Probleme/Traumas, will auch nur drüber sprechen, aber niemand hört zu, niemand interessiert es. Heute habe ich das selbe Problem, wie mein Opa-nicht das mit dem Krieg. Jeder guckt nur auf sich selbst. Man fängt an zu reden, aber der Gegenüber will nix hören. Vielleicht muss man dann eben doch den Weg der "Ich tu alles für die anderen" gehen, wenn man so doch sowieso unsichtbar ist, dann kann man sein Krams auch sein lassen. Als Nachwendegeneration weiß ich persönlich, was für die Depris und alles andere verantwortlich ist-Eine mega Krankheitskarierre, auf die weder die Gesellschaft noch die Familie Bock hatte. Ein eingetrichteter hoher Leistungswissen und die immer widerkehrende Erfahrung, dass Geld und Arbeit ja so viel wichtiger als die Familie ist, nur fühlt es sich irgendwie nicht richtig an. So im groben kommt das hin.

Lg Cinderella, die Unsichtbare
Peter1
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Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Peter1 »

Hallo
@Cinderella Es fühlt sich nicht nur nicht richtig an, es ist auch falsch. Wer nur auf Geld und Karriere schaut, verpasst das wichtigste im Leben, die Liebe!
Ich habe von Anfang meines Arbeitslebens an jede Überstunde mitgenommen, die ich bekommen konnte. Jeden Samstag, jeden Sonntag war ich am arbeiten. Es kam natürlich viel Geld aufs Konto, aber ich war nie auch nur im Ansatz glücklich. Als Carola bei mir einzog wurden die Überstunden viel weniger. Ich hatte wichtigere Sachen vor, als die Arbeit. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens. Als Carola nicht mehr da war, wurden die Stunden wieder mehr, denn ich hatte zu Hause nichts, das meine Anwesenheit erfordert hätte. Erst jetzt, mit Barbara habe ich wieder gemerkt, das Geld zwar beruhigt, aber es macht nicht glücklich. Ich weiss jetzt auch, das Karriere und Geld nicht alles sein können, denn ohne Liebe ist alles nichts. Das Leben ist ohne Liebe völlig wertlos.

VlG Peter

Ps. Cinderella, mit Ende 20 bist du noch fast ein Küken! :lol:
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Arpeggio
Beiträge: 78
Registriert: 30. Okt 2017, 17:34

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Arpeggio »

Guten Abend Forianer,
mich hat der erste schwere Schub mit 19 J. ´heimgesucht‘ (1984!) , für mich eine verstörende Erfahrung!Totaler (Biographie)Lebensbruch, erster Aufenthalt in der Geschlossenen , das Entsetzen meines Umfeldes und in! mir selber!
Krankheit (und damit verbundenes Schicksal)kennt kein Alter!Auf Station seinerzeit waren mehrere junge Menschen (18 _ 25 J.].Vielleicht gibt es Sxhweregrade (Anfangsstadium?)in denen es sich durch Durchhalten / Willen kaschieren (überspielen)lässt.Oder wie in früheren Zeiten häufig einfach nicht zur Kenntniss genommen zu werden ??
Wenn die Krankheit voll zuschlägt und zum Zusammenbruch führt,ist nichts mehr mit ‚dosierter Auswirkung‘.Dann
dreht der Betroffene innerlich durch und es wird lebensgefährlich.
Für mich steht außer Frage,dass unsere modernen gesellschaftlichen Lebensumstände ein stramme Herausforderung für uns als Seelen (soziale)wesen darstellen.Inklusive der völlig geänderten Ernährungsgewohnheiten.

In Verbundenhiet mit allen Betroffenen,
heilende Grüße an alle,
Arpeggio (Jürgen)
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Zarra »

Liebe Lavendel,

vermutlich werden sich junge Menschen heute EHER - aber nicht locker etc. etc. etc. - dazu bekennen oder in diese Richtung forschen, auch: sich selbst erforschen als in den 1980er oder 1990er Jahren oder gar noch früher. Und wahrscheinlich werden viele Hausärzte viel aufgeschlossener reagieren oder zumindest kritisch hinschauen.

Trotzdem würde ich für Deine "Statistik" einen ganz anderen Punkt für nicht unrelevant halten: Das Depressionsforum hier ist nicht das genaue Abbild der Krankheit Depression;

vor allem aber: Ich glaube, daß sogenannte "Digital Natives" anders mit "Social Media" umgehen als die meisten Älteren, - die melden sich viel lockerer hier an als Du (das ist eine "Unterstellung", ich weiß es ... und es muß nicht stimmen!) und ich und viele, die ich kenne.

Außerdem gibt es immer wieder mal "Wellen" - es melden sich mehrere Ältere an ... es melden sich mehrere Mütter an ... es melden sich mehrere junge Menschen an ... es melden sich ... ... ...

LG, Zarra

P.S. Ja, gesellschaftliche Bedingungen tragen sicher ggf. auch zu Depressionsauslösern bei - Du hast einige genannt (Mobilität u.a.). Ich würde allerdings sagen: Früher waren es halt andere - mehr gesellschaftlicher Druck z.B., weniger Freiheit, d.h. weniger Möglichkeiten, zu machen, nach was einem der Sinn steht, was einem liegt, da war viel mehr vorgegeben - in positiver wie aber auch in negativer Weise. Je nach Person (!) kann eher das eine oder eher das andere zu Depressionen beitragen.
Dirk72
Beiträge: 96
Registriert: 18. Mär 2018, 20:48

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Dirk72 »

Meiner Meinung gab es Depressionen früher in gleichem Maße, es wurde nur nicht darüber gesprochen.
Bei vielen Menschen, so auch bei mir, gibt es eine familiäre Häufung und die Krankheit bestand schon in den vorhergehenden Generationen.
Ich denke, dass das Leben in den vorhergehenden Generationen härter war als heute. Es gab keine Grundsicherung und keinerlei Hilfsangebote.
Der Umgang mit Depression und die Wahrnehmung ist heutzutage jedoch anders.
Schöne Grüße
Dirk
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Bittchen »

Hallo liebe Lavendel,liebe Mitleser,

ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten,denn ich bin auch jung erkrankt.
Die ersten Phasen mit etwas über 20 Jahren gingen irgendwie wieder vorbei.
Trotz zwei Suizidversuchen wurde nicht viel darüber gesprochen ,vielleicht hatte ich auch Glück nicht in der damaligen Psychiatrie gelandet zu sein.
Ich selbst wusste nicht warum es mir phasenweise so schlecht ging.
Erst nach der Geburt meiner jüngsten Tochter,da war ich 36 Jahre alt,hat mein Frauenarzt in die Wege geleitet,dass ganz schnell zur Psychiaterin in Behandlung kam.
Da gab es dann Tabletten,welche weiß ich gar nicht mehr.
Dann habe ich wieder funktioniert.
Wie es mir dann immer öfter, immer schlechter ging,war ich dann in der Instituts Ambulanz in Behandlung.
Nicht durch behandelnden Hausarzt überwiesen,der spritzte mir nur einmal im Monat eine Imap -Spritze,sondern auf Empfehlung einer Freundin,die da arbeitete.
Wieder Ads,dieses Mal Aurorix, das sind Maohemmer.
Die habe ich dann geschluckt bis zum Zusammenbruch und ersten Klinikaufenthalt.
Erst danach wurde mir dringend eine Psychotherapie empfohlen,da war ich 54 Jahre alt.
Dann immer wieder andere Ads,nichts hat die Rückfälle verhindert.
Ich kann nicht sagen ,ob meine Geschichte für meine Generation typisch ist,aber so selten ist sie nicht.

Ja Dirk,die Wahrnehmung ist heute GsD anders und jungen Menschen kann sehr viel früher geholfen werden.
Da kann oft ein chronischer Verlauf verhindert werden,weil die Krankheit früh behandelt und auch ausheilen kann.
In der Therapie können junge Menschen lernen was sie ändern und sich der depressiven Störung entsprechend verhalten können.
Die Veranlagung erneut zu erkranken bleibt nach meinem Wissenstand bestehen.
Heute weiß ich,dass meine Mutter auch schon Probleme hatte.
Darüber sprach man nicht ,das war Tabu.
Auch meine antriebslosen Zeiten,mit dunklen Gedanken, wurde bei meinen Eltern verständnislos tot geschwiegen.
Was solls,sie wussten es nicht besser,da hege ich keinen Groll mehr.
Auch Hausärzte sind heute sensibilisiert und überweisen sehr viel schneller an Fachärzte oder Therapeuten.
Sehr viel öfter wird bei jungen Menschen bei körperlichen Beschwerden auch an die Psyche gedacht.
Es hat sich schon viel getan,aber immer noch nicht genug.
Ich glaube nicht,dass die Zahl der Menschen die an Depression erkranken, so sehr viel mehr
geworden ist.
Eher gehe ich davon aus,dass die Pharmaindustrie ein großes Interesse daran hat,dass wir das glauben,denn da ist ja auch viel Profit zu erwirtschaften.
Das heißt nicht,dass Medikament nicht auch ein Segen sein können.
"So viel wie nötig und so wenig wie möglich"sollte aber doch in unseren Köpfen bleiben.
Wenn das Leben zur Last wird,auch bei jungen Menschen,da helfen keine Pillen,du muss man an die Ursachen gehen.

Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Dirk72
Beiträge: 96
Registriert: 18. Mär 2018, 20:48

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Dirk72 »

Liebe Bittchen, danke schön. Das hast Du so treffend formuliert. Danke auch, dass Du die Pharmaindustrie ansprichst. Denen ist offensichtlich daran gelegen möglichst früh Medikamente zu verkaufen.
Das sehe ich bei meinem Bluthochdruck. Früher wurden etwas höhere Werte ohne Medikamente behandelt und heute rezeptiert der Arzt schon bei geringer Erhöhung ein Medikament. Aber auch da darf man die Eigenverantwortung des Patienten nicht vergessen
Seitdem ich keinen Alkohol mehr trinke und öfter mal spazieren gehe ist mein Blutdruck gesunken. Ich nehme nur noch eine kleine Dosis Arzneimittel und habe daher auch weniger Nebenwirkungen
Schöne Grüße Dirk
Lavendel64
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Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo Bittchen,

rückblickend gesehen, lief es auch bei mir nicht viel anders, allerdings weitaus gemäßigter ab. Ich erkrankte nach meiner Ausbildung und keiner wusste, woran. Als alle Untersuchungen durch waren, hiess es "ist psychisch". Ich begann eine ambulante Therapie, die gut anschlug und erhielt eine Reha. Dort (1989)nahm ich nach drei Tagen Reißaus, weil die Diagnose Magersucht vorne und hinten nicht paßte. Aber sie war grad in Mode. Der Psychologe machte die Diagnose von sexuellen Aktivitäten abhängig ... unglaublich, vor allem, wenn man bedenkt, dass es vielen sehr viel schlechter ging und ihnen das Verlassen der Klinik sowie sämtlicher Kontakt zu Angehörigen verboten wurde.

Es folgte die Kündigung des Jobs (wegen der Rückkehr aus der Reha - offiziell wegen Umstrukturierungen), einige Jahre "Ruhe", nach der Geburt der ersten Tochter die nächste Krise, damals massiv. Die Therapeutin fing mich auf. Die Diagnose "Depression" erhielt ich erst vor vier Jahren - nach knapp 30 Jahren Leben mit auf und ab. Rückblickend waren es immer depressive Phasen, aus denen ich irgendwie wieder rauskam. Hätte ich die Behandlung von heute schon vor 30 Jahren in besagter Klinik erhalten ... es wäre vieles anders gewesen. Aber gut, dass sich alles weiter entwickelt und heutzutage andere Möglichkeiten bestehen.

LG Lavendel
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Peter1
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Peter1 »

Hallo Lavendel !
Bei mir begann es schon im Kindergarten. Die Nonnen, die ihn führten, sagten zu meiner Mutter, das sie mit mir zum Psychologen gehen sollte. Mein Erzeuger schrie nur, was sollen die Nachbarn von uns denken? Vermutlich wollte er damit nur seine Unfähigkeit verschleiern, mit der Situation klar zu kommen.
In der Schule ging es weiter, mal stand ich in fast allen Fächern auf 2, einen Monat später auf 4-5.
Die Klassenlehrerin konnte sich das nicht erklären, und vereinbarte für mich einen Termin beim Schulpsychologen. Der fragte mich tatsächlich im Beisein meiner Mutter, nach den Verhältnissen zu Hause. Hat der Schwachkopf wirklich eine ehrliche Antwort erwartet?
Daheim kam dann von meinem Erzeuger wieder die gleiche Frage an mich, "Was sollen die Nachbarn sagen, wenn unser Sohn bekloppt ist"?
Soviel Ignoranz habe ich seitdem nie mehr erlebt. Auch alle Ärzte, die mich untersuchten, in der Schule, auf der Arbeit, und auch privat, haben die deutlichen Anzeichen der Depressionen übersehen. Sei es durch Unkenntnis, oder fehlende Sensibilisierung.
Darum bin ich heute hier.

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
somebody
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von somebody »

Hallo zusammen,
ich zähle dann wohl auch zu den jungen Menschen. Und ich denke, dass das so multikausal ist, dass sich gar nicht alles erfassen lässt.
Zum einen gehe ich davon aus, dass Depressionen heute früher erkannt werden und etwas mehr darüber gesprochen wird.
Des weiteren ist es leichter, sich im Internet zu öffnen, vor allem denke ich mal als digital native.
Die gesellschaftlichen Entwicklungen mit Leistungsdruck und Unsicherheit bei abnehmenden sozialen Netzen im realen Leben sind für viele sicherlich auch eine große Belastung.
Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es eine Generationenfrage ist. Die Generationen vor mir haben unter Traumata zu leiden gehabt. 1. WK, 2.WK(Kriegskinder, Kriegsenkel...) Die sogenannten Kriegsenkel sind die Elterngeneration vieler noch junger Menschen. Und ich denke, dass auch das noch zu Belastungen bei den Kriegsurenkeln führen kann.
Meine Großeltern hatten sehr schwierige Lebensumstände. Meine Eltern ebenfalls. Meine Eltern versuchten "ihr Bestes", während sie eigentlich keine Ahnung davon hatten, was das sein könnte. Selbst psychisch belastet gaben sie einiges auch an mich weiter. Doch erst in der Generation meiner Eltern kam das Thema Psyche überhaupt ansatzweise zur Sprache.
Es gibt so vieles...
Das waren jedenfalls meine Gedanken dazu.
Viele Grüße,
Somebody
Lavendel64
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Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo Somebody,
ich zähle zu den Kriegsenkeln - seitdem ich das Buch von Sabine Bode gelesen habe ist mir manches klar geworden - viele Strukturen, viele Ängste können tatsächlich über die Eltern und Großelterngeneration auf unsere und auch natürlich auf die nachfolgenden Generationen übertragen worden sein und jetzt - in einer friedlichen, sicheren Zeit (alles ist relativ) zum Ausdruck kommen. Ich sehe - und höre - auch vieles von meiner Mutter, sehr Belastendes, was sie als Kind im Krieg erlebte.

Insofern bin ich da völlig bei dir. Die schnelllebige Zeit, die oft fehlende Empathie, der Leistungswahn tun ein Übriges.

LG Lavendel
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Cinderella12
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Re: So viele junge Menschen ..

Beitrag von Cinderella12 »

Das Buch mit den Kriegskindern und Kriegsenkel habe ich nun auch bestellt. Bin zwar jünger, als die Jahrgänge, die Frau Bode beschreibt, aber mein Großvater hat noch im Krieg gedient. Vieles der weitergegebenen Wunden erkenne ich auch so. Aber da kann ich
Vielleicht die Beweggründe der vorherigen Generationen besser nachvollziehen, ist bestimmt sehr wertvoll.

Lg Cinderella
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