Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln
Verfasst: 16. Apr 2018, 17:03
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Klar, das sind ja ergänzende Infos zum Thema.Gertrud Star hat geschrieben:Hallo Drache Sumwar,
ich hoffe, es ist ok, wenn ich diesen Thread benutze?
LG
Wie schnell es zu einer Zwangseinweisung kommen kann sah man am Fall von Gustl Mollath. Und wie Du schon sagst, gilt das "erst einmal" für Zwangseinweisungen. Eine anschließende Ausweitung auf weitere Fälle ist dann aber keine große Sache mehr.Succubus hat geschrieben:dass dieser Entwurf erst einmal nur Zwangseinweisungen betrifft und nicht alle stationären Aufenthalte.
Und noch einmal, hast du es dir überhaupt selber durchgelesen?DracheSunwar hat geschrieben:Wie schnell es zu einer Zwangseinweisung kommen kann sah man am Fall von Gustl Mollath. Und wie Du schon sagst, gilt das "erst einmal" für Zwangseinweisungen. Eine anschließende Ausweitung auf weitere Fälle ist dann aber keine große Sache mehr.Succubus hat geschrieben:dass dieser Entwurf erst einmal nur Zwangseinweisungen betrifft und nicht alle stationären Aufenthalte.
Was ich bedenklich, nein, inakzeptabel finde, ist der Grundgedanke, dass von depressiv erkrankten Menschen eine Gefahr für die übrige Bevölkerung ausgeht. Dieser Stigmatisierung muss man sich entgegen stellen.
Es ist nur DEINE Interpretation dass ich dem ganzen so locker gegenüber stehe. Ich schrieb bereits dass ich die Nähe zur forensischen Psychiatrie bedenklich finde.Salvatore hat geschrieben:Hallo in die Runde,
dachte ich mir doch, dass das Thema hier diskutiert wird
Ich habe den Gesetzesentwurf gelesen, bin absolut entsetzt und kann nur schlecht nachvollziehen, @Succubus, wie man diesem Vorhaben gelassen gegenüberstehen kann. Ja, es betrifft Zwangseinweisungen aufgrund von Eigen- und Fremdgefährdung, aber warum eigentlich der Zusatz "nur"? Das ist doch schlimm genug...?
Stigmatisierung ist auch heute noch ein riesiges Thema, psychische Erkrankungen werden versteckt und (auch) von Angehörigen geleugnet, Behandlungen erfolgen aus Angst immer noch viel zu spät. Das wird ja nicht besser, wenn Leute Angst haben, auf einer ominösen Liste zu landen, auf die wer-weiß-wer alles Zugriff hat und die wer-weiß-wie-gut geschützt ist. Wenn man mal ehrlich ist, ist nur ein Bruchteil der Menschen gut informiert und wird auch noch ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes (so es denn dazu käme) den rechtlichen Unterschied erinnern zwischen Einweisung auf eigenen Wunsch und Zwangseinweisung. Psychiatrie ist Psychiatrie und Psychiatrie bedeutet Liste. Das ist das, was hängen bleibt.
Wenn ich entscheide, dass ich mein Leben beenden möchte, es geht schief und ich lande in der Psychiatrie - was geht das denn bitteschön irgendwen etwas an, von meinen Behandlern abgesehen? Warum um alles in der Welt muss die Polizei das wissen? Und noch schlimmer, was geht das denn überhaupt die Kreisverwaltung (!) an? Wo bleibt die Schweigepflicht? Datenschutz? (Artikel 27, Absatz 4 und Seite 55)
Man kann ja mal schauen, wer in der Bevölkerung eine Gefahr darstellt: das sind in der Hauptsache Männer unter Alkoholeinfluss. Im Grunde sind also alle Alkohol kaufenden und konsumierenden Männer mögliche Gefährder. Dafür wird aber kein Register gefordert. (Natürlich nicht und glücklicherweise!)
Eine Fremdgefährdung durch psychisch Kranke ist dagegen vor allem subjektiv ein Problem, weil die spektakulären Fälle (Amok) in der Presse breitgetreten werden. Die halten jedoch kaum als Rechtfertigung her, denn für sie gibt es ja bereits Möglichkeiten der Justiz und im Vorfeld verhindern kann man das ohnehin nicht, auch nicht mithilfe einer wie auch immer gearteten Liste.
Zurück zum Gesetzesentwurf: Wenn ich vergeblich versucht habe, mein Leben zu beenden und daraufhin gegen meinen Willen eingewiesen wurde, kann die Klinik entscheiden, mir jeglichen Besuch zu untersagen oder diesen zu überwachen und aufzuzeichnen (offenbar allerdings ohne Ton). Außerdem darf sie den Besuch auch dann untersagen, falls dieser sich weigert, sich durchsuchen zu lassen. Der Kontakt zur Außenwelt kann von der Klinik sehr stark eingeschränkt, überwacht sowie Briefe gelesen werden (zum Nachlesen: Artikel 23, Absatz 2 ff.) Die Entscheidung darüber trifft die "fachliche Leitung", die Befugnisse würden mit diesem Gesetzesentwurf im Vergleich zu früher erweitert (s. Seite 49). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass "das Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung" gelte.
Bei "erheblichem Verdacht auf Missbrauch" [was heißt das?] können "sonstige Gegenstände" vom Besuch zur Herausgabe eingefordert werden, darunter auch Gegenstände, die einen "gedanklichen Inhalt" verkörpern, explizit "Abbildungen" [Fotos!!!] und "Tonträger" (s. Seite 50).
Das ist Nähe zur forensischen Psychiatrie und das ist Nähe zum Maßregelvollzug und es ist in höchstem Maße eine Beschneidung von Grundrechten - ohne eine Straftat begangen zu haben. Und man darf dabei nicht den Fehler machen zu glauben, dass Klinikpersonal ohne Fehl und Tadel ist und jederzeit nur das Beste des Patienten im Sinn hat. Es gibt auch unter Psychiatern schlechte Menschen, die ihre Macht über andere nur allzu gerne ausnutzen. Gerät man als Zwangseingewiesener an einen solchen, ist man ihm nach dem Gesetzesentwurf noch hilfloser ausgeliefert als bislang, denn man kommt im Zweifel nicht an Beistand von außen und wer kennt schon einen Richter und hat den Mut, ihn kommen zu lassen?
Es ist gängige Methode, unliebsame Entscheidungen vor der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verstecken. Sei es unter Regelungen, die bereits bestehen und angewandt werden, unter Regelungen wie sie gut und wünschenswert wären oder wenn gerade andere Themen im Fokus stehen. Die Fussball-WM steht ja an und ich kann nur empfehlen, insbesondere der Presse, den Bundestag in dieser Zeit genau im Auge zu behalten: gerne werden nämlich gerade hier unliebsame und unpopuläre Gesetze verabschiedet. Das macht es aber nicht weniger brisant und empörenswert.
Ich war bereits in einer Situation der Fremdbestimmung und es ist fürchterlich. Obwohl ich immer darauf geachtet habe, mich von meinen Suizidgedanken ausdrücklich zu distanzieren, fand mein Therapeut einen Klinikaufenthalt unumgänglich. Er sagte zu mir, ich zitiere wortwörtlich: "Entweder Sie gehen freiwillig oder ich weise Sie ein." Er hat es ernst gemeint und er hätte es getan. Aus der Psychiatrie wollte ich mich selbst entlassen, was rechtlich möglich gewesen wäre, da ich mich ja nun eben doch selbst eingewiesen hatte. Das wurde abgelehnt, Zitat: "So, wie es Ihnen momentan geht, können wir Sie nicht entlassen." Als ich bemerkte, dann ginge ich eben einfach so, die Tür sei ja offen, hieß es vom Oberarzt: "Das können Sie machen. Dann bringen wir Sie zurück oder die Polizei und dann ist die Tür nicht mehr offen."
Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder halbwegs Vertrauen in Sachen Suizidalität zu meinen Behandlern aufbauen konnte; bestünde die Gefahr einer echten Zwangseinweisung und damit verbunden mein Name plus Diagnose in einem von doch recht vielen Personen einsehbaren und zumindest fragwürdig geschützen Register - ich würde mich niemandem mehr anvertrauen.
Ich wusste seinerzeit übrigens nicht über meine Rechte Bescheid und hatte keine Möglichkeit (z.B. Internet), mich darüber zu informieren. So wusste ich auch nicht, dass die Drohungen allesamt leere waren. Ich wusste auch nicht, dass ich einen Richter einbestellen kann und ich bezweifle, dass ich mich das zu der Zeit und in dem Zustand getraut hätte. Erst zurück zu Hause habe ich mich umfassend informiert, aber da nützte mir das nichts mehr.
Bestürzte Grüße aus dem sonnigen Norden,
Salvatore
@DieNeue: Hat sich überschnitten.
Für mich fällt das noch nicht unter Katastrophendenken. Wenn ich z.B. auf den 30-jährigen Krieg anspielen würde, das wäre für mich übertrieben, weil das schon ewig her ist. Und als Katastrophendenken ordne ich eher so Sachen ein wie "Wir werden alle an der Pest sterben / ganz Deutschland wird von Hurricanes und Erdbeben zerstört werden / wenn ich in den Wald gehe, werde ich irgendwann von einem wilden Tier gefressen, weil irgendwann der Wald vor lauter gefährlichen Tieren nur so wimmeln wird / Ich gehe nicht mehr aus dem Haus, mir könnte ja ein Klavier auf den Kopf fallen", also eher seeeehr unrealistische Dinge.Succubus hat geschrieben:Auch dass hier bereits auf den Umgang mit psychisch Kranken in der Vergangenheit(Thema Nazis)hingewiesen wird, ist in meinen Augen übertrieben(Katastrophendenken).
Ich habe gestern gelesen, dass "öffentliche Sicherheit" nicht nur die Fremdgefährdung beinhaltet, sondern auch die Eigengefährdung:fatrate hat geschrieben:Mit dem Gesetz wird ein sachgerechter Ausgleich zwischen den Belangen psychisch kranker Menschen und den Interessen des Staates, der die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und seine Bürger zu schützen hat, hergestellt.
Hier reduzieren sich die offenbaren Interessen des Staates nämlich lediglich auf die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, zum Schutz seiner Bürger. "Schützen" vor wem? Vor den psychisch Kranken??
AHA!
Genau das ist mir eben aufgefallen, als ich mich mit dem +++-Thema beschäftigt habe. Als ich noch nicht krank war, gehörte ich noch nicht zu der damaligen Zielgruppe. Aber seit ich krank bin, hat sich das plötzlich verändert. Da ist mir klar geworden, dass man schneller von irgendetwas (ganz unabhängig von was) betroffen sein kann.Bittchen hat geschrieben:Keiner kann sicher sein,ob er selbst nicht einmal zu den Betroffenen zu gehört.