Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

DracheSunwar
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Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DracheSunwar »

"Glaube nicht alles, was im Internet steht." (Albert Einstein)
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Dazu gibt es morgen eine Veranstaltung in München.
Eintritt ist frei.

https://wegweiser-betreuung.de/bayern-psychkhg" onclick="window.open(this.href);return false;
http://www.vdaeae.de/index.php/143-sp-2 ... 17-04-2018" onclick="window.open(this.href);return false;

Veranstalter:
Gesundheitsladen München e.V., Netzwerk Psychiatrie München e.V., Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) Oberbayern

Kaum zu glauben, das gibt ein ganz gehöriges Missbrauchsdpotenzial.

Ich denke ich gehe da morgen hin, und würde mich über weitere Teilnehmer freuen.
T Ally
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von T Ally »

Davon habe ich heute auch gelesen und bin total entsetzt.
Es sind dann u.a. für einen Zeitraum von fünf Jahren Diagnosen etc. für die Polizei und andere Behörden einsehbar. Das darf echt nicht wahr sein!
Zum Glück wohne ich am anderen Ende der Republik!
DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Ich habe es auch in der Zeitung gelesen und bin echt entsetzt!
Danke, Gertrud, für die Links. Ich finde die ersten beiden Stellungnahmen aus dem ersten Link sehr gut. Hoffentlich können die Stellungnahmen der Verbände etwas bewirken.
Ich kann leider nicht zu der Veranstaltung in München kommen. Leider zu weit weg und zu anstrengend für mich.
Zu der Unterbringungsdatei:
So wie ich das verstanden habe, werden dann alle psychisch Kranken registriert, wenn sie zwangseingewiesen werden, also unfreiwillig durch die Polizei gebracht werden, oder?
Also wenn man die Polizei oder den Notarzt ruft, weil ich als Depressiver nicht mehr leben will, und die mich in die Psychiatrie bringen, obwohl ich nicht hin will (weil ich z.B. weiß, dass es mir in ein paar Stunden wieder besser geht oder die anderen überreagieren/überbesorgt sind), werde ich dann in dieser Datei registriert. Hab ich das richtig verstanden?
Ich fand es schon im Fall Mollath krass, dass er allein durch das Gutachten, das der Psychiater lediglich anhand von Aussagen von Mollaths Frau schrieb, in die Psychiatrie gekommen ist...
DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Gibt es eigentlich auch irgendwelche (Online-)Petitionen, die man unterstützen kann?
Bellasus
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Bellasus »

Diese Petition haben innerhalb weniger Stunden schon fast 15000 Menschen unterzeichnet:
https://www.change.org/p/markus-soeder- ... triegesetz" onclick="window.open(this.href);return false;

Und die DDL hat eine Pressemeldung herausgegeben, schaut mal auf der Webseite und auf Facebook und verteilt sie fleißig.

Mir fehlen ehrlich gesagt wirklich die Worte angesichts dieses Gesetzesentwurfs .... und ich hoffe sehr, dass der Aufschrei dagegen laut genug sein wird, um es zu kippen.




www.depressionsliga.de

- Betroffene für Betroffene -
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Nun bin ich zurück.

Die Veranstaltung war dermaßen gut besucht, dass viele Leute noch im Flur zuhören mussten.
Und die Redebeiträge gingen alle in die Richtung wie bei der Pressemitteilung der DDL.
http://www.depressionsliga.de/aktuell-b ... erung.html" onclick="window.open(this.href);return false;
Seit dem der Artikel in der Süddeutschen erschienen ist, kommen Verbände und Vereine, und Ärzte nicht zur Ruhe.
Und die Bayern bekommen Anrufe und Mails aus ganz Deutschland mit der Frage, was denn hier los ist.

Der Schritt zur Aberkennung von Grundrechten und auch staatsbürgerlichen Rechten ist nicht weit. Letzteres gabs ja in der DDR.
Bayern darf nicht zu einer Demokratur werden.
Nicht nur meiner Meinung nach ist dieser Gesetzentwurf zusammen mit den Polizeigesetz zu sehen.
Und man möchte das Gesetz geräuschlos verabschieden, bis zu den Wahlen im Herbst. Das geht wohl jetzt nicht mehr geräuschlos ab.

Bemängelt wurde vor allem dass man regelrecht weg gesperrt werden kann, und sowohl die rechtliche Vertretung (Jurist) als auch die Hilfen seien mangelhaft ausgestaltet.

Es soll Facebookgruppen geben zu dem Thema.
Man kann seine Landtagsabgeordneten ansprechen.
Auch den Landtag selbst kann man anschreiben/antelefonieren.
Die bayrischen Psychiatrieerfahrenen haben ebenfalls Infos auf der Homepage, sagte man.

Am kommenden Dienstag gibt es 13-16 Uhr die Anhörung im Landtag, da kann man hingehen.
(Es wohnen ja welche direkt in/bei München).
Wer kommen möchte: Ich habe von MüPe erfahren, da geht Gottfried Wörrishofer mit der Frau, die heute auf dem Podium saß, Margarethe Blank von den bayerischen Psychiatrieerfahrenen. Ich werde denke ich auch hin gehen.
Wer hingehen möchte, soll sich vorher anmelden (wegen der Platzzahl).

Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.

Nächtliche Grüße
Gertrud
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Noch einige Links:

http://www.depressionsliga.de/aktuell-b ... erung.html" onclick="window.open(this.href);return false;

https://de.wikipedia.org/wiki/Psychisch-Kranken-Gesetz" onclick="window.open(this.href);return false;
Ja, jedes Land hat sein eigenes.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C ... _Betreuung" onclick="window.open(this.href);return false;
Ja, woanders sind die fortschrittlicher.

Manche sehen es in Zusammenhang mit dem hier:
https://www.br.de/br-fernsehen/sendunge ... n-100.html" onclick="window.open(this.href);return false;
(Polizeigesetz)
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Ich habe noch die Infos aus dem bayerischen Landtag heraus gesucht.
Heute findet die erste Lesung statt.

Nächste Woche Dienstag findet die Sachverständigenanhörung statt.

https://www.bayern.landtag.de/webangebo ... ution=e1s1" onclick="window.open(this.href);return false;

https://www.bayern.landtag.de/webangebo ... ution=e2s1" onclick="window.open(this.href);return false;
81. Sitzung, Ausschuss für Gesundheit und Pflege einstellen, dann gibt es den konkreten Termin in dem kleinen pdf-Symbol.

Wer live ansehen will:
https://www.bayern.landtag.de/aktuelles ... en/web-tv/" onclick="window.open(this.href);return false;
Livestream sowie Archiv.

Die Lesung von heute:
http://www1.bayern.landtag.de/lisp/anze ... UNG_ID=403" onclick="window.open(this.href);return false;
Gesetzentwurf:
https://www.bayern.landtag.de/www/ElanT ... 014418.pdf" onclick="window.open(this.href);return false;
Vielleicht kommt noch ein Video der Sitzung.
Beim BR könnte man auch schauen/anfragen (der soll heute da gewesen sein laut Eröffnung der Ministerin).
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

update:

https://www.change.org/p/markus-soeder- ... cover_feed" onclick="window.open(this.href);return false;

Je mehr Öffentlichkeit im Anhörungssaal, umso weniger geräuschlos kann das über die Bühne gehen.

Ich gehe hin und weiß von weiterein, die kommen wollen. Man muss nix machen außer da sein (eher kommen wegen Kontrollen).
Dienstag 13-16 Uhr.
Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Drache Sumwar,

ich hoffe, es ist ok, wenn ich diesen Thread benutze?

LG
DracheSunwar
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DracheSunwar »

Gertrud Star hat geschrieben:Hallo Drache Sumwar,
ich hoffe, es ist ok, wenn ich diesen Thread benutze?
LG
Klar, das sind ja ergänzende Infos zum Thema.
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Succubus
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Succubus »

Hat sich hier jemand überhaupt den Gesetzesentwurf mal durchgelesen oder wird nur wegen Äußerungen der Leitmedien so reagiert?

Neben der Tatsache dass die Hälfte oder mehr des Gesetzentwurfs bereits jetzt schon Anwendung finden, wurde hier im Thema noch nicht erwähnt dass dieser Entwurf erst einmal nur Zwangseinweisungen betrifft und nicht alle stationären Aufenthalte. Auch gelten nochmals gesonderte Regelungen wenn es um Datenspeicherung geht und andere Maßnahmen, hier ist z.B eine gerichterliche Anordnung von Nöten.

Mich erschreckt lediglich die Nähe zur forensischen Psychiatrie bei einigen Maßnahmen.
Don't feed the troll :-)
DracheSunwar
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DracheSunwar »

Succubus hat geschrieben:dass dieser Entwurf erst einmal nur Zwangseinweisungen betrifft und nicht alle stationären Aufenthalte.
Wie schnell es zu einer Zwangseinweisung kommen kann sah man am Fall von Gustl Mollath. Und wie Du schon sagst, gilt das "erst einmal" für Zwangseinweisungen. Eine anschließende Ausweitung auf weitere Fälle ist dann aber keine große Sache mehr.
Was ich bedenklich, nein, inakzeptabel finde, ist der Grundgedanke, dass von depressiv erkrankten Menschen eine Gefahr für die übrige Bevölkerung ausgeht. Dieser Stigmatisierung muss man sich entgegen stellen.
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Gertrud Star
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Gertrud Star »

Oje der Gesetzentwurf ist ja superlang. Den muss ich ja dann bis Dienstag gelesen haben ;)


Succubus, dein Einwand ist natürlich gerechtfertigt. Man sollte sich selbst ein Bild machen.
Ich denke aber, wenn nicht nur die Leitmedien berichten, sondern auch viele kritische Worte von einigen Verbänden auf einer Veranstaltung waren, wird das wohl alles nich so verkehrt aufgefasst worden sein.

Für mich ist ebenfalls vorstellbar, dass die Überwachung ausgeweitet wird auf alle psychisch Kranken, später die Auffälligen.
Der nächste Schritt wäre, missliebige Personen (auch Gesunde) festzusetzen, nicht nur um sie an (vermeintlich) kriminellen Handlungen zu hindern. Man könnte auch damit andere Rechte von Personen beschneiden, die zu den Grundrechten der Demokratie gehören (beispielsweise Wahlen, Teilnahme an Veranstaltungen).

Für mich heißt es da, wehret den Anfängen. Wir hatten solche Geschichten schon 2mal während deutscher Diktaturen.

Hallo Drache Sunwar,
dann sind meine Befürchtungen aufglöst.

Wer in der Nähe wohnt, kann sich ja überlegen, am Dienstag zur Anhörung zu gehen.

LG Gertrud
Succubus
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Succubus »

DracheSunwar hat geschrieben:
Succubus hat geschrieben:dass dieser Entwurf erst einmal nur Zwangseinweisungen betrifft und nicht alle stationären Aufenthalte.
Wie schnell es zu einer Zwangseinweisung kommen kann sah man am Fall von Gustl Mollath. Und wie Du schon sagst, gilt das "erst einmal" für Zwangseinweisungen. Eine anschließende Ausweitung auf weitere Fälle ist dann aber keine große Sache mehr.
Was ich bedenklich, nein, inakzeptabel finde, ist der Grundgedanke, dass von depressiv erkrankten Menschen eine Gefahr für die übrige Bevölkerung ausgeht. Dieser Stigmatisierung muss man sich entgegen stellen.
Und noch einmal, hast du es dir überhaupt selber durchgelesen?

Es geht nicht um Depressive sondern um das Thema Fremd-und Eigengefährdung.
Wie gesagt, es ist durchaus kritisch zu betrachten aber dennoch kein Grund Panik zu schieben oder Katastrophendenken an den Tag zu legen.
Don't feed the troll :-)
DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Hallo ihr,

ja, ich habe das Gesetz gelesen, zumindest in größeren Teilen und vorhin auch mal stichprobenartig den Gesetzesentwurf mit dem aktuellen Unterbringungsgesetz und dem Maßregelvollzugsgesetz verglichen. Hm... jetzt schwirrt mir der Kopf.

Ich habe gestern mal nachgelesen, was es mit den verschiedenen Unterbringungen und Gesetzen auf sich hat. Ich schreibe euch meine Ergebnisse mal auf, allerdings ohne Gewähr auf Richtigkeit. ;) Wer sich besser auskennt, kann mich gerne korrigieren.

Also, es gibt drei verschiedene Arten von Unterbringungen, die drei verschiedene gesetzliche Grundlagen haben. Diese wären:

1. Zivilrechtliche Unterbringung
- Gesetzliche Grundlage: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Voraussetzung für Unterbringung:
a) die Person hat einen rechtlichen Betreuer oder Bevollmächtigten
b) Es besteht eine erhebliche Eigengefährdung oder ein drohender erheblicher gesundheitlicher
Schaden soll abgewehrt werden. Es geht nur um Eigengefährdung, Fremdgefährdung
spielt hier keine Rolle. Bei der Unterbringung zur Abwehr gesundheitlichen Schadens muss
immer auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden.
- Unterbringungsort: Psychiatrisches Krankenhaus

2. Öffentlich-rechtliche Unterbringung
- Gesetzliche Grundlage: die Psychisch-Kranken-Gesetze der einzelnen Ländern. In Bayern nennt
es sich Unterbringungsgesetz (UnterbrG), soll aber jetzt reformiert und auch in ein Psychisch-
Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) umgewandelt werden.
- Voraussetzung für Unterbringung: Es besteht eine Selbst- oder Fremdgefährdung.
Fremdgefährdung bedeutet, dass bedeutende Rechtsgüter (wie Leib und Leben, keine
"Bagatellen") Anderer gefährdet sind. Es liegt keine Straftat vor.
- Unterbringungsort: Psychiatrisches Krankenhaus

3. Strafrechtliche Unterbringung
- Gesetzliche Unterbringung: Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG / Strafrecht)
- Voraussetzung für Unterbringung: Es liegt eine Straftat vor, der Straftäter ist aber aufgrund
seiner psychischen Krankheit schuldunfähig. Die Begehung weiterer Straftaten ist
wahrscheinlich.
- Unterbringungsort: Forensische Psychiatrie

Hier ist zu unterscheiden zwischen Maßregelvollzug und Sicherungsverwahrung.
Sicherungsverwahrung bedeutet:
- Es liegt eine besonders schwere Straftat vor.
- Der Täter hat seine Haftstrafe abgesessen
- Er bleibt nach der Haft weiterhin in der Justizvollzugsanstalt, da weitere schwerste Gewalt- und
Sexualstraftaten wahrscheinlich sind.
- die Maßnahme ist rein präventiv und dient dem Schutz der Allgemeinheit.

Allgemein zum aktuellen Entwurf des BayPsychKHG:
1. Grund für die Reformierung des Gesetzes (Entwurf, S. 1):
- hohe Zahl an gerichtlichen Unterbrinungen
- die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und
- die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Selbstbestimmungsfähigkeit von
psychisch kranken Menschen, zu Zwangsmaßnahmen und zur Übertragung hoheitlicher
Befugnisse (Beleihung) im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung
- Das aktuelle Unterbringungsgesetz enthält keine Regelungen zur Stärkung der
psychiatrischen Versorgung.

2. Ziele des Gesetzes (Entwurf, S.1)
- Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen soweit wie irgend möglich vermeiden
- die Prävention von psychischen Krisen stärken
- Menschen in psychischen Krisen noch stärker als bislang wirksam unterstützen
- Neuregelung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung, deren rechtliche Ausgestaltung sich am
Schutzniveau für zivilrechtlich und im Maßregelvollzug untergebrachte Personen orientiert
- Maßnahmenbündel, mit dem die psychiatrische, psychotherapeutische, psychosomatische und
psychosoziale Versorgung in Bayern nachhaltig verbessert wird. Der zentrale Baustein ist die
Einführung eines landesweiten Krisendienstes.
- Leistung eines Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen
- Herstellung eines sachgerechten Ausgleichs zwischen den Belangen psychisch kranker
Menschen und den Interessen des Staates (öffentliche Sicherheut und Schutz der Bürger)
- Stärkung der Rechtsstellung psychisch kranker Menschen, ihrer Teilhabe an der Gesellschaft
und ihrer selbstständige Lebensführung
- Einführung von Präventionsstellen „Stopp die Gewalt in Dir“

3. Zielgruppe: Es geht schon um Depressive, aber nicht nur, sondern allgemein um Menschen mit folgenden psychischen Störungen (Entwurf, S. 31):
"Unter den Begriff der psychischen Störung fallen danach u.a.: Demenz, Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises, schizoaffektive Störungen, affektive Störungen, Angststörungen, schwere Persönlichkeitsstörungen, schwere Anpassungs- und Verhaltensstörungen, Suchtmittelmissbrauch und Abhängigkeitserkrankungen, relevante Intelligenzminderung und damit im Zusammenhang stehende Verhaltensstörungen, Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, nicht näher bezeichnete psychische Störungen.
"Der Begriff der psychischen Störung orientiert sich an international anerkannten Diagnoseklassifikationssystemen, wie beispielsweise dem ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der Weltgesundheitsorganisation,"

Da ich in das UnterbG nur reingespitzt habe und in das BGB gar nicht, kann ich nicht sagen, wo genau die Unterschiede sind, aber aufgrund der Aussage, dass sich "die rechtliche Ausgestaltung am Schutzniveau für zivilrechtlich und im Maßregelvollzug untergebrachte Personen orientiert", rückt der Gesetzesentwurf schon nahe an die Regeln der Unterbringung in der Forensik.
Ich kann verstehen, dass es ein riesen Spagat ist zwischen dem Anspruch die Gesellschaft zu schützen und gleichzeitig ein humanes Gesetz für psychisch Kranke zu schaffen, das ihnen genug Freiheit lässt. Aber es macht natürlich schon generell einen bestimmten Eindruck, wenn man sich für das neue Gesetz an der Forensik orientiert und sich deren Regelungen bedient. Das allein würde schon den gesellschaftlichen Aufschrei erklären und die Stigmatisierung der Psychisch Kranken.
Im Prinzip werden aber, so wie ich es verstehe, nicht einfach alle psychisch Kranken mit psychisch kranken Straftätern in einen Topf geworfen, das Maßregelvollzugsgesetz für Straftäter bleibt ja bestehen. Es werden "nur" die Regelungen aus dem UnterbGS u.a. dem BayMRVG angepasst.

Und ich sehe es wie Gertrud. Ich denke nicht, dass ich ein Panikmacher bin, aber ich sehe auch ein großes Missbrauchsrisiko und bin der Meinung, dass man wirklich bei den Anfängen aufpassen muss. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung (rechtes Gedankengut verbreitet sich mehr und wird gesellschaftsfähiger, massenhafte Sammlung von Daten, das neue Polizeigesetz in Bayern, etc.) finde ich es auch angebracht, das Gesetz nicht einfach unbeachtet durchkommen zu lassen, sondern es auch zu kritisieren und einen Neuentwurf (ganz oder teilweise) zu fordern.
Ich wohne übrigens in Bayern und fühle mich vielleicht auch deshalb mehr betroffen als Leute in anderen Bundesländern.
Meine Erfahrungen in den letzten Jahren mit der Bürokratie haben mir gezeigt, dass der Teufel oft im Detail von Gesetzestexten liegt und in schwammigen Begriffen, in die jeder reininterpretieren kann, was ihm gerade passt. Und ich habe vor allem auch selbst erlebt, dass man nicht immer Recht bekommt, obwohl man eindeutig im Recht ist. Das fand ich eine sehr krasse Erfahrung, weil ich eigentlich nicht gedacht habe, dass es das in Deutschland gibt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass jemals ein Sachbearbeiter seinen Ermessensspielraum auch nur ansatzweise ausgenutzt hat, obwohl er laut Gesetz dazu verpflichtet wäre.
In den Kliniken, in denen ich war, habe ich auch erlebt, dass ich in irgendwelche Schubladen gesteckt wurde und mir abgesprochen wurde, dass ich selber denken kann.
Ich habe mich auch mal eine Zeit lang etwas näher mit dem Umgang mit Psychisch Kranken während der +++-Zeit beschäftigt und auch das fing erschreckend harmlos an. Damals wurde mir auch erstmals so richtig klar, dass ich auch dabei gewesen wäre, wenn ich damals schon gelebt hätte...
Ich denke, solange demokratisch eingestellte Kräfte an der Macht sind, kann man solche Gesetz noch lockerer sehen. Aber wir haben es auch schon anders erlebt und ich finde, man sollte schon aufpassen, in welche Richtung sich Staat und Gesellschaft entwickeln.

So, und jetzt verabschiede ich mich, ich gehe jetzt einkaufen. Und muss wieder abschalten von der ganzen Gesetzes-Denkerei...

Liebe Grüße,
DieNeue


...Sorry für den langen Text. Ich hoffe, ich überfordere euch damit nicht total... :?
Salvatore
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Salvatore »

Hallo in die Runde,

dachte ich mir doch, dass das Thema hier diskutiert wird ;)

Ich habe den Gesetzesentwurf gelesen, bin absolut entsetzt und kann nur schlecht nachvollziehen, @Succubus, wie man diesem Vorhaben gelassen gegenüberstehen kann. Ja, es betrifft Zwangseinweisungen aufgrund von Eigen- und Fremdgefährdung, aber warum eigentlich der Zusatz "nur"? Das ist doch schlimm genug...?

Stigmatisierung ist auch heute noch ein riesiges Thema, psychische Erkrankungen werden versteckt und (auch) von Angehörigen geleugnet, Behandlungen erfolgen aus Angst immer noch viel zu spät. Das wird ja nicht besser, wenn Leute Angst haben, auf einer ominösen Liste zu landen, auf die wer-weiß-wer alles Zugriff hat und die wer-weiß-wie-gut geschützt ist. Wenn man mal ehrlich ist, ist nur ein Bruchteil der Menschen gut informiert und wird auch noch ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes (so es denn dazu käme) den rechtlichen Unterschied erinnern zwischen Einweisung auf eigenen Wunsch und Zwangseinweisung. Psychiatrie ist Psychiatrie und Psychiatrie bedeutet Liste. Das ist das, was hängen bleibt.

Wenn ich entscheide, dass ich mein Leben beenden möchte, es geht schief und ich lande in der Psychiatrie - was geht das denn bitteschön irgendwen etwas an, von meinen Behandlern abgesehen? Warum um alles in der Welt muss die Polizei das wissen? Und noch schlimmer, was geht das denn überhaupt die Kreisverwaltung (!) an? Wo bleibt die Schweigepflicht? Datenschutz? (Artikel 27, Absatz 4 und Seite 55)
Man kann ja mal schauen, wer in der Bevölkerung eine Gefahr darstellt: das sind in der Hauptsache Männer unter Alkoholeinfluss. Im Grunde sind also alle Alkohol kaufenden und konsumierenden Männer mögliche Gefährder. Dafür wird aber kein Register gefordert. (Natürlich nicht und glücklicherweise!)
Eine Fremdgefährdung durch psychisch Kranke ist dagegen vor allem subjektiv ein Problem, weil die spektakulären Fälle (Amok) in der Presse breitgetreten werden. Die halten jedoch kaum als Rechtfertigung her, denn für sie gibt es ja bereits Möglichkeiten der Justiz und im Vorfeld verhindern kann man das ohnehin nicht, auch nicht mithilfe einer wie auch immer gearteten Liste.

Zurück zum Gesetzesentwurf: Wenn ich vergeblich versucht habe, mein Leben zu beenden und daraufhin gegen meinen Willen eingewiesen wurde, kann die Klinik entscheiden, mir jeglichen Besuch zu untersagen oder diesen zu überwachen und aufzuzeichnen (offenbar allerdings ohne Ton). Außerdem darf sie den Besuch auch dann untersagen, falls dieser sich weigert, sich durchsuchen zu lassen. Der Kontakt zur Außenwelt kann von der Klinik sehr stark eingeschränkt, überwacht sowie Briefe gelesen werden (zum Nachlesen: Artikel 23, Absatz 2 ff.) Die Entscheidung darüber trifft die "fachliche Leitung", die Befugnisse würden mit diesem Gesetzesentwurf im Vergleich zu früher erweitert (s. Seite 49). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass "das Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung" gelte.

Bei "erheblichem Verdacht auf Missbrauch" [was heißt das?] können "sonstige Gegenstände" vom Besuch zur Herausgabe eingefordert werden, darunter auch Gegenstände, die einen "gedanklichen Inhalt" verkörpern, explizit "Abbildungen" [Fotos!!!] und "Tonträger" (s. Seite 50).
Das ist Nähe zur forensischen Psychiatrie und das ist Nähe zum Maßregelvollzug und es ist in höchstem Maße eine Beschneidung von Grundrechten - ohne eine Straftat begangen zu haben. Und man darf dabei nicht den Fehler machen zu glauben, dass Klinikpersonal ohne Fehl und Tadel ist und jederzeit nur das Beste des Patienten im Sinn hat. Es gibt auch unter Psychiatern schlechte Menschen, die ihre Macht über andere nur allzu gerne ausnutzen. Gerät man als Zwangseingewiesener an einen solchen, ist man ihm nach dem Gesetzesentwurf noch hilfloser ausgeliefert als bislang, denn man kommt im Zweifel nicht an Beistand von außen und wer kennt schon einen Richter und hat den Mut, ihn kommen zu lassen?

Es ist gängige Methode, unliebsame Entscheidungen vor der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verstecken. Sei es unter Regelungen, die bereits bestehen und angewandt werden, unter Regelungen wie sie gut und wünschenswert wären oder wenn gerade andere Themen im Fokus stehen. Die Fussball-WM steht ja an und ich kann nur empfehlen, insbesondere der Presse, den Bundestag in dieser Zeit genau im Auge zu behalten: gerne werden nämlich gerade hier unliebsame und unpopuläre Gesetze verabschiedet. Das macht es aber nicht weniger brisant und empörenswert.

Ich war bereits in einer Situation der Fremdbestimmung und es ist fürchterlich. Obwohl ich immer darauf geachtet habe, mich von meinen Suizidgedanken ausdrücklich zu distanzieren, fand mein Therapeut einen Klinikaufenthalt unumgänglich. Er sagte zu mir, ich zitiere wortwörtlich: "Entweder Sie gehen freiwillig oder ich weise Sie ein." Er hat es ernst gemeint und er hätte es getan. Aus der Psychiatrie wollte ich mich selbst entlassen, was rechtlich möglich gewesen wäre, da ich mich ja nun eben doch selbst eingewiesen hatte. Das wurde abgelehnt, Zitat: "So, wie es Ihnen momentan geht, können wir Sie nicht entlassen." Als ich bemerkte, dann ginge ich eben einfach so, die Tür sei ja offen, hieß es vom Oberarzt: "Das können Sie machen. Dann bringen wir Sie zurück oder die Polizei und dann ist die Tür nicht mehr offen."
Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder halbwegs Vertrauen in Sachen Suizidalität zu meinen Behandlern aufbauen konnte; bestünde die Gefahr einer echten Zwangseinweisung und damit verbunden mein Name plus Diagnose in einem von doch recht vielen Personen einsehbaren und zumindest fragwürdig geschützen Register - ich würde mich niemandem mehr anvertrauen.

Ich wusste seinerzeit übrigens nicht über meine Rechte Bescheid und hatte keine Möglichkeit (z.B. Internet), mich darüber zu informieren. So wusste ich auch nicht, dass die Drohungen allesamt leere waren. Ich wusste auch nicht, dass ich einen Richter einbestellen kann und ich bezweifle, dass ich mich das zu der Zeit und in dem Zustand getraut hätte. Erst zurück zu Hause habe ich mich umfassend informiert, aber da nützte mir das nichts mehr.

Bestürzte Grüße aus dem sonnigen Norden,
Salvatore

@DieNeue: Hat sich überschnitten.
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Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Succubus
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Succubus »

Salvatore hat geschrieben:Hallo in die Runde,

dachte ich mir doch, dass das Thema hier diskutiert wird ;)

Ich habe den Gesetzesentwurf gelesen, bin absolut entsetzt und kann nur schlecht nachvollziehen, @Succubus, wie man diesem Vorhaben gelassen gegenüberstehen kann. Ja, es betrifft Zwangseinweisungen aufgrund von Eigen- und Fremdgefährdung, aber warum eigentlich der Zusatz "nur"? Das ist doch schlimm genug...?

Stigmatisierung ist auch heute noch ein riesiges Thema, psychische Erkrankungen werden versteckt und (auch) von Angehörigen geleugnet, Behandlungen erfolgen aus Angst immer noch viel zu spät. Das wird ja nicht besser, wenn Leute Angst haben, auf einer ominösen Liste zu landen, auf die wer-weiß-wer alles Zugriff hat und die wer-weiß-wie-gut geschützt ist. Wenn man mal ehrlich ist, ist nur ein Bruchteil der Menschen gut informiert und wird auch noch ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes (so es denn dazu käme) den rechtlichen Unterschied erinnern zwischen Einweisung auf eigenen Wunsch und Zwangseinweisung. Psychiatrie ist Psychiatrie und Psychiatrie bedeutet Liste. Das ist das, was hängen bleibt.

Wenn ich entscheide, dass ich mein Leben beenden möchte, es geht schief und ich lande in der Psychiatrie - was geht das denn bitteschön irgendwen etwas an, von meinen Behandlern abgesehen? Warum um alles in der Welt muss die Polizei das wissen? Und noch schlimmer, was geht das denn überhaupt die Kreisverwaltung (!) an? Wo bleibt die Schweigepflicht? Datenschutz? (Artikel 27, Absatz 4 und Seite 55)
Man kann ja mal schauen, wer in der Bevölkerung eine Gefahr darstellt: das sind in der Hauptsache Männer unter Alkoholeinfluss. Im Grunde sind also alle Alkohol kaufenden und konsumierenden Männer mögliche Gefährder. Dafür wird aber kein Register gefordert. (Natürlich nicht und glücklicherweise!)
Eine Fremdgefährdung durch psychisch Kranke ist dagegen vor allem subjektiv ein Problem, weil die spektakulären Fälle (Amok) in der Presse breitgetreten werden. Die halten jedoch kaum als Rechtfertigung her, denn für sie gibt es ja bereits Möglichkeiten der Justiz und im Vorfeld verhindern kann man das ohnehin nicht, auch nicht mithilfe einer wie auch immer gearteten Liste.

Zurück zum Gesetzesentwurf: Wenn ich vergeblich versucht habe, mein Leben zu beenden und daraufhin gegen meinen Willen eingewiesen wurde, kann die Klinik entscheiden, mir jeglichen Besuch zu untersagen oder diesen zu überwachen und aufzuzeichnen (offenbar allerdings ohne Ton). Außerdem darf sie den Besuch auch dann untersagen, falls dieser sich weigert, sich durchsuchen zu lassen. Der Kontakt zur Außenwelt kann von der Klinik sehr stark eingeschränkt, überwacht sowie Briefe gelesen werden (zum Nachlesen: Artikel 23, Absatz 2 ff.) Die Entscheidung darüber trifft die "fachliche Leitung", die Befugnisse würden mit diesem Gesetzesentwurf im Vergleich zu früher erweitert (s. Seite 49). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass "das Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung" gelte.

Bei "erheblichem Verdacht auf Missbrauch" [was heißt das?] können "sonstige Gegenstände" vom Besuch zur Herausgabe eingefordert werden, darunter auch Gegenstände, die einen "gedanklichen Inhalt" verkörpern, explizit "Abbildungen" [Fotos!!!] und "Tonträger" (s. Seite 50).
Das ist Nähe zur forensischen Psychiatrie und das ist Nähe zum Maßregelvollzug und es ist in höchstem Maße eine Beschneidung von Grundrechten - ohne eine Straftat begangen zu haben. Und man darf dabei nicht den Fehler machen zu glauben, dass Klinikpersonal ohne Fehl und Tadel ist und jederzeit nur das Beste des Patienten im Sinn hat. Es gibt auch unter Psychiatern schlechte Menschen, die ihre Macht über andere nur allzu gerne ausnutzen. Gerät man als Zwangseingewiesener an einen solchen, ist man ihm nach dem Gesetzesentwurf noch hilfloser ausgeliefert als bislang, denn man kommt im Zweifel nicht an Beistand von außen und wer kennt schon einen Richter und hat den Mut, ihn kommen zu lassen?

Es ist gängige Methode, unliebsame Entscheidungen vor der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verstecken. Sei es unter Regelungen, die bereits bestehen und angewandt werden, unter Regelungen wie sie gut und wünschenswert wären oder wenn gerade andere Themen im Fokus stehen. Die Fussball-WM steht ja an und ich kann nur empfehlen, insbesondere der Presse, den Bundestag in dieser Zeit genau im Auge zu behalten: gerne werden nämlich gerade hier unliebsame und unpopuläre Gesetze verabschiedet. Das macht es aber nicht weniger brisant und empörenswert.

Ich war bereits in einer Situation der Fremdbestimmung und es ist fürchterlich. Obwohl ich immer darauf geachtet habe, mich von meinen Suizidgedanken ausdrücklich zu distanzieren, fand mein Therapeut einen Klinikaufenthalt unumgänglich. Er sagte zu mir, ich zitiere wortwörtlich: "Entweder Sie gehen freiwillig oder ich weise Sie ein." Er hat es ernst gemeint und er hätte es getan. Aus der Psychiatrie wollte ich mich selbst entlassen, was rechtlich möglich gewesen wäre, da ich mich ja nun eben doch selbst eingewiesen hatte. Das wurde abgelehnt, Zitat: "So, wie es Ihnen momentan geht, können wir Sie nicht entlassen." Als ich bemerkte, dann ginge ich eben einfach so, die Tür sei ja offen, hieß es vom Oberarzt: "Das können Sie machen. Dann bringen wir Sie zurück oder die Polizei und dann ist die Tür nicht mehr offen."
Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder halbwegs Vertrauen in Sachen Suizidalität zu meinen Behandlern aufbauen konnte; bestünde die Gefahr einer echten Zwangseinweisung und damit verbunden mein Name plus Diagnose in einem von doch recht vielen Personen einsehbaren und zumindest fragwürdig geschützen Register - ich würde mich niemandem mehr anvertrauen.

Ich wusste seinerzeit übrigens nicht über meine Rechte Bescheid und hatte keine Möglichkeit (z.B. Internet), mich darüber zu informieren. So wusste ich auch nicht, dass die Drohungen allesamt leere waren. Ich wusste auch nicht, dass ich einen Richter einbestellen kann und ich bezweifle, dass ich mich das zu der Zeit und in dem Zustand getraut hätte. Erst zurück zu Hause habe ich mich umfassend informiert, aber da nützte mir das nichts mehr.

Bestürzte Grüße aus dem sonnigen Norden,
Salvatore

@DieNeue: Hat sich überschnitten.
Es ist nur DEINE Interpretation dass ich dem ganzen so locker gegenüber stehe. Ich schrieb bereits dass ich die Nähe zur forensischen Psychiatrie bedenklich finde.
Und ich schrieb "nur" weil hier u.A. behauptet/befürchtet wurde es betrifft ALLE die sich in Behandlung begeben.

Auch dass hier bereits auf den Umgang mit psychisch Kranken in der Vergangenheit(Thema Nazis)hingewiesen wird, ist in meinen Augen übertrieben(Katastrophendenken).
Don't feed the troll :-)
DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Hallo,
Succubus hat geschrieben:Auch dass hier bereits auf den Umgang mit psychisch Kranken in der Vergangenheit(Thema Nazis)hingewiesen wird, ist in meinen Augen übertrieben(Katastrophendenken).
Für mich fällt das noch nicht unter Katastrophendenken. Wenn ich z.B. auf den 30-jährigen Krieg anspielen würde, das wäre für mich übertrieben, weil das schon ewig her ist. Und als Katastrophendenken ordne ich eher so Sachen ein wie "Wir werden alle an der Pest sterben / ganz Deutschland wird von Hurricanes und Erdbeben zerstört werden / wenn ich in den Wald gehe, werde ich irgendwann von einem wilden Tier gefressen, weil irgendwann der Wald vor lauter gefährlichen Tieren nur so wimmeln wird / Ich gehe nicht mehr aus dem Haus, mir könnte ja ein Klavier auf den Kopf fallen", also eher seeeehr unrealistische Dinge.
Natürlich ist das +++-Thema das Thema, das irgendwann immer rausgezogen wird, und ich glaube auch nicht, mal ganz platt gesagt, dass die AfD in den nächsten Jahren anfängt KZs zu bauen und alle psychisch Kranken auszurotten. Als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, ist mir eben aufgegangen, dass es da nicht um Andere ging, die wegen Eigenschaften verfolgt wurden, die ich nicht habe, sondern dass es um Leute wie mich ging.
Und aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit Bürokratie/Psychiatrie und auch durch die Erfahrungen mit der Bürokratie/Politik in unserem Flüchtlings-Unterstützerkreis vor Ort sehe ich einfach schon potenzielle Gefahren. Es muss ja nicht wieder genau das gleiche passieren wie früher, ansatzweise reicht ja auch schon.

Viele Grüße und gute Nacht,
DieNeue
DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Hallo Salvatore,

danke für deine Ausführungen. Ich glaube, wenn man schon Ahnung vom aktuellen UnterbG hat, dann ist der neue Gesetzesentwurf wahrscheinlich einfacher zu verstehen. Ich hatte vorher null Ahnung davon und musste mich erst mal in das Thema einlesen. Als (Noch-)Nicht-Betroffener wäre es ein riesen Aufwand, die Gesetze in ihren Einzelheiten miteinander zu vergleichen.

Danke auch, dass du deine persönlichen Erfahrungen erzählst. Krass, was du da erlebt hast :shock: ... Das muss echt furchtbar gewesen sein und ich kann gut verstehen, dass du danach lange kein Vertrauen mehr aufbauen konntest. Ich war zwar nie zwangseingewiesen in der Klinik, aber in der letzten Klinik haben sich die Therapeuten und Ärzte mir gegenüber so seltsam verhalten, dass ich irgendwann angefangen an meiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Nehme ich das alles falsch wahr oder sind die tatsächlich so seltsam? Ich habe immer wieder mal mit meiner ambulanten Therapeutin telefoniert und sie gefragt, was sie von dem Verhalten hält, weil ich eine neutralere Sichtweise haben wollte. Aber für sie war das Verhalten der Therapeuten auch nicht nachzuvollziehen, genauso wenig wie für meine Mitpatienten. Wenn ich nicht eine Meinung von außen einholen hätte können, wäre ich wahrscheinlich kaputt gegangen. Mich hat das Verhalten und die Sachen, die mir gesagt wurden, in meiner Wahrnehmung so verunsichert, dass ich erst jetzt nach vier Jahren langsam merke, wie ich anfange wieder mehr Vertrauen in meine Wahrnehmung zu haben. Das kam allerdings auch erst nach sehr vielen intensiven Gesprächen mit meiner Betreuerin vom Ambulant betreuten Wohnen.
Nach der Klinik war ich Therapeuten / Psychiatern gegenüber auch sehr misstrauisch und ich habe, wenn ich von den Erfahrungen in der Klinik erzählt habe, manchmal fast angefangen zu weinen. Im Vergleich zu dir ist das ja aber fast noch harmlos. Aber selbst das hat schon viel Schaden angerichtet...

Liebe Grüße,
DieNeue
fatrate
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von fatrate »

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fatrate
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von fatrate »

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Zuletzt geändert von fatrate am 27. Aug 2019, 05:52, insgesamt 1-mal geändert.
Bittchen
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von Bittchen »

Hallo,

ich finde diesen Thread sehr wichtig und auch dass das Vorgehen in Bayern diskutiert und kritisiert wird auch.
Wenn ich die politische Entwicklung in der BRD so betrachte wird mir Angst und Bange.
Wir sollten uns gut überlegen wo wir bei den Wahlen unser Kreuz machen,zu schnell landet man wieder bei unwerten Leben.
Keiner kann sicher sein,ob er selbst nicht einmal zu den Betroffenen zu gehört.

LG Bittchen
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DieNeue
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Re: Bayern will Depressive wie Straftäter behandeln

Beitrag von DieNeue »

Guten Morgen zusammen,
fatrate hat geschrieben:Mit dem Gesetz wird ein sachgerechter Ausgleich zwischen den Belangen psychisch kranker Menschen und den Interessen des Staates, der die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und seine Bürger zu schützen hat, hergestellt.

Hier reduzieren sich die offenbaren Interessen des Staates nämlich lediglich auf die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, zum Schutz seiner Bürger. "Schützen" vor wem? Vor den psychisch Kranken??
AHA!
Ich habe gestern gelesen, dass "öffentliche Sicherheit" nicht nur die Fremdgefährdung beinhaltet, sondern auch die Eigengefährdung:
"Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn Rechtsgüter anderer Personen bedroht sind (Fremdgefährdung), aber auch Rechtsgüter des Betroffenen (Eigengefährdung)."
(wikipedia, "Unterbringung", Absatz über Unterbringung nach Landesgesetz)

Definition der "öffentlichen Sicherheit" laut Wikipedia:
"Die öffentliche Sicherheit umfasst nach allgemein anerkannter Definition die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen und die Funktionsfähigkeit von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. [...] Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird heute in den Polizeigesetzen der Bundesländer in Deutschland neben der öffentlichen Ordnung regelmäßig verwendet."

Definition der "öffentlichen Sicherheit" laut Bundeszentrale für politische Bildung:
Der Schutz der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz vor Schäden, die entweder Gemeinschafts- oder Individualgütern drohen. Zu den Gemeinschaftsgütern zählen die verfassungsmäßige Ordnung, besonders der Bestand des Staates und seiner Einrichtungen und dessen rechtmäßiges Funktionieren, sowie die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit. Zu den Individualgütern rechnen insbesondere Leben, Gesundheit, Freiheit und das allg. Persönlichkeitsrecht des Einzelnen.
http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/r ... nd-ordnung" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;

Da auch psychisch Kranke zu den Bürgern gehören und der Staat sich um alle Bürger kümmern muss, muss der Staat sie notfalls vor sich selbst schützen (siehe Suizid) und nicht nur andere. Naja... ich wäre nie darauf gekommen, öffentliche Sicherheit mit Schutz vor Selbstgefährdung gleichzusetzen. :? Ist aber auch ein unbestimmter Rechtsbegriff, für den es, soweit ich das verstanden habe, im Gesetz keine genaue Definition gibt. Und für Nichtjuristen klingt der Begriff halt auch nur nach Sicherheit von Anderen.
Bittchen hat geschrieben:Keiner kann sicher sein,ob er selbst nicht einmal zu den Betroffenen zu gehört.
Genau das ist mir eben aufgefallen, als ich mich mit dem +++-Thema beschäftigt habe. Als ich noch nicht krank war, gehörte ich noch nicht zu der damaligen Zielgruppe. Aber seit ich krank bin, hat sich das plötzlich verändert. Da ist mir klar geworden, dass man schneller von irgendetwas (ganz unabhängig von was) betroffen sein kann.

Liebe Grüße,
DieNeue
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