Ratlos.

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Brinchen91
Beiträge: 1
Registriert: 24. Jan 2018, 17:35

Ratlos.

Beitrag von Brinchen91 »

Hallo zusammen,
Zu mir: ich bin w/26, und meine Mutter (geschieden und alleinlebend/52) hat seit ca. 15 Jahren Depressionen, welche Sie auch regelmäßig zum Alkohol greifen lässt.
Sie nimmt seit mindestens dieser Zeit Antidepressiva, hat zwischendurch auch mal das Präparat gewechselt.
Seit ich denken kann, wachse ich mit dem Gefühl der Angst auf. Die Angst um meine Mutter, das Gefühl verantwortlich für sie zu sein.
Mein Alltag bevor ich mit 16 Jahren auszog (meine Mutter war alleinerziehend) war relativ trostlos: Meine Mutter blieb morgens immer öfters im Bett liegen statt zur Arbeit zu gehen, ich machte mich selbst für die Schule fertig, schmierte mir Brote, als ich zurück kam kochte ich für meine Mama und mich Abendessen und spielte dann vor mich hin, bis ich schlafen ging. Freunde brachte ich so gut wie nie mit heim.
Alleine zu Klassenfahrtstreffen zu laufen und nicht abgeholt zu werden war für mich völlig normal. Normal im Sinne von = ich habe mich daran gewöhnt.
Mein Vater (bei dem ich sehr viele Jahre alle 14 Tage am Wochenende war) wusste wie es mir zuhause geht und hat weggesehen ("das wird schon wieder").

Als ich nun vor 10 Jahren beschloß auszuziehen, dachte ich „dann bin ich frei“ …dem war nicht so. Alle 2-3 Monate hat meine Mutter eine schwere Depression. Abgesehen von Lügen und Manipulationen, schottet sie sich völlig ab. Sie ist mittlerweile Frührentnerin und liegt von morgens bis abends auf der Couch oder im Bett. Trinkt im Durchschnitt 2 Flaschen Rotwein pro Tag.
Sobald solch eine Phase angefangen hat, kommt es mir vor als würde sich auch mein Alltag komplett verändern. Meine Mutter wohnt zwar fast 30km von mir entfernt (ich wohne mit meinem Freund zusammen), jedoch denke ich ununterbrochen daran, was sie gerade macht, ob ihr was passiert und denke mir im allgemeinen die schlimmsten Dinge aus die passieren könnten (und bereits passiert sind). Ich kann mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren und schleppe mich selbst so durch den Tag.

Meine Mutter ist meiner Meinung nach nicht suizidgefährdet – ich habe mir mal die Variante „passiv lebensmüde“ überlegt. Wenn meine Mutter eine Depression hat, isst sie nichts. Sie isst über 2 Wochen nichts. Sie trinkt ausschließlich Alkohol und nimmt ihre Tabletten nicht (sie hatte vor 6 Jahren einen Herzinfarkt), rauchen tut sie dafür umso mehr. Somit liegt es meiner Meinung nach gar nicht nur in ihrer Hand, ob da etwas passiert. Sie ist schon häufiger in der Wohnung umgekippt – klar, dass macht kein Kreislauf lange mit. Sie kann eigentlich nur von Glück reden, dass sie bisher nie mit dem Kopf aufgeschlagen ist.

Gestern nun habe ich sie mittlerweile zum fünfzehntenmal „gerettet“. Ich habe sie gezwungen einen erneuten Entzug zu machen (10x bisher), und habe sie mit den 2,6 Promille irgendwie in die Klinik gehievt (was nicht leicht war!)
Meine Mutter hat über all die Jahre mehrere Therapien gemacht, stationäre über Monate, Tageskliniken, ambulante Therapeuten – und wenn es ihr gut geht, geht sie auch 1x pro Woche zu ihrer Therapeutin.

Mein größtes „Problem“ an der Sache ist, ich kann meiner Mutter nicht mehr helfen. Abgesehen davon, dass ich mittlerweile selbst völlig erschöpft bin, habe ich einfach alles versucht. Ich habe sie so viel unterstützt, ihr alle Hilfe angeboten, und überhaupt irgendwie alles aus meinem eigenen Leben vernachlässigt. Ich bin auch einfach über den Punkt hinaus, bei dem ich denke :“Ich möchte ihr gerne helfen!“, weil es mich auch ärgert, dass die ganze Last an mir alleine hängen bleibt. Sobald meine Mutter den Entzug und die depressive Phase überwunden hat, wird nichts mehr davon thematisiert. Die Lügen, die gemeinen Worte, die Enttäuschung – nichts. Ich bleibe dann damit zurück – natürlich weil ich auch will das es ihr gut geht und meine Vorwürfe es bisher immer schlimmer gemacht haben.
Wie gesagt bin ich mittlerweile selbst erwachsen, und es kann nicht sein das ich kein eigenes Leben habe. Das sagt mir auch jeder aus meinem familiären Kreis – auch wenn es sich jeder aus meiner Familie leicht macht: „Du machst das schon! Du bist immer so toll da wenn die Mama dich braucht!“
Wenn es nur nach mir ginge – ist mittlerweile so viel passiert, dass ich den Kontakt komplett abbrechen möchte, kann mich allerdings absolut nicht mit dem Gedanken anfreunden, der meiner Meinung nach dann passieren wird (irgendwann): ich bekomme ein Anruf, dass meine Mutter leblos in der Wohnung gefunden wurde. Sie hat sonst keinen – und das setzt mich seit so langer Zeit unglaublich unter Druck.

Mein Freund und meine beste Freundin raten mir immer wieder, mich auf mich selbst zu konzentrieren, weil ich sonst daran kaputt gehe - aber meine Mutter aufgeben? das geht auch nicht.
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: Ratlos.

Beitrag von Bittchen »

Liebe Brinchen,

deine Mutter ist suchtkrank,wenn sie sich selber nicht hilft ,bist du als Angehörige machtlos.
Rette dich selbst ,sonst gehst du daran kaputt.
Das nennt man Co-Abhängigkeit und schadet dir sehr.
Deine Mutter muss sie sich freiwillig Hilfe suchen,sie weiß sehr gut in welche Klinik sie gehen muss und danach eine lange Reha beantragen und auch durchhalten.
Du selbst kannst dir eine Selbsthilfegruppe suchen,von den Anonymen Alkoholikern gibt es Gruppen für Angehörige.
Angehörige können nicht helfen,nur wenn deine Mutter um Hilfe bittet ,kannst du sie unterstützen in eine Klinik oder Beratungsstelle zu gehen..
Das passiert wenn sie ihren Tiefpunkt erreicht hat, doch manchmal gibt es leider keine Rettung.
Suchtkranke Menschen entwickeln sehr oft eine Depression oder waren schon depressiv und bekämpfen mit Alkohol ihre schlechten Gefühle.
Deine Mutter ist leider sehr schwer erkrankt aber nur sie selbst kann sich retten.
Da sie schon so oft in der Klinik war,kennt sie den Weg.

Alles erdenklich Gute für dich und deine Mutter,aber du kannst jetzt nur an dich denken.
Dir ist in der Vergangenheit schon genug Schaden zugefügt worden.

Liebe Grüße Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Antinous
Beiträge: 34
Registriert: 24. Jan 2018, 18:12

Re: Ratlos.

Beitrag von Antinous »

Hallo Brinchen,

nein, deine Mutter aufgeben musst du nicht - aber dein eigenes Leben auch nicht!
Ich kann Bittchen bezüglich der Co-Abhängigekit nur beipflichten - deine Mutter verlässt sich immer wieder auf dich und du, sorry für die harten Worte, wirst immer wieder weich und hilfst ihr, worauf sie sich verlässt. Aber sie muss lernen zu aktzeptieren, dass ihre Tochter sich nicht kaputt machen darf/muss, damit sie ihr kaputtes Leben immer wieder neu aufrollen kann.
Ich kann mir vorstellen, wie es dich innerlich zerreißst, aber du brauchst dringend Hilfe und zwar professionelle. D.h., du brauchst Zeit für dich, Abstand und du solltest deine physischen und psychischen Batterien auftanken. Was du beschreibst klingt nach Burnout bzw. der Autobahn Richtung Burnout!
Sprich mit einem Arzt über eine Therapie, damit du lernst deine Grenzen zu finden und sie auch einzuhalten.
Wahrscheinlich spielen auch Selbstvorwürfe mit à la "ich hab es nicht geschafft, ihr zu helfen". Lass dir helfen, davon runter zu kommen.
Deine Mutter kannst du wahrscheinlich nicht mehr ändern, aber du kannst etwas tun, damit dein Leben wieder von dir selbst bestimmt wird.

Ich wünsch dir Kraft

Gruß
Antinous
Bine85
Beiträge: 14
Registriert: 12. Nov 2017, 19:41

Re: Ratlos.

Beitrag von Bine85 »

Hallo Brinchen,

ich würde das was Bittchen geschrieben hat, so unterschreiben.
Rette Dich selbst!

Deine Mom kann nur sich selbst helfen. Auch wenn ich es sehr gut verstehen kann, dass du sie damit nicht alleine lassen möchtest! wer möchte das denn schon..

Ich habe auch ein Thema mit meiner Mutter, jedoch ist es da kein Suchtthema, sondern kann sie schlecht alleine sein und baut ihr Lebens auf meins auf.
Mein Therapeut meinte mal zu mir, ausgehend davon, dass sich jeder Mensch nur selbst helfen kann, fördere ich durch mein Verhalten, immer da zu sein, nur den Stillstand und verwehre ihr damit zu erkennen, dass sie ihr Leben in die Hand nehmen muss.

Auch wenn die Themen bei deiner Mom andere sind, könnte der Rat doch auch eventuell für deine Situation passen...

Du darfst auch für dich sorgen und im Grunde sind Mütter Mütter und Kinder sollten die Kinder sein, egal wie alt man ist...

Ich wünsche dir viel Kraft deinen Weg in dieser Situation zu finden!
LG
Bine
Jeder Tag ist es wert ein Neuanfang zu sein. Jeder Tag!
momadome
Beiträge: 610
Registriert: 2. Aug 2009, 15:03

Re: Ratlos.

Beitrag von momadome »

Hallo Brinchen,

ich kann mich den Worten von Bittchen und Antinous nur vorbehaltlos anschließen.

Du bist weder undankbar noch verantwortungslos Deiner Mutter gegenüber, wenn Du Dich aus der Co-Abhängigkeit lösen möchtest.

Deine Mutter ist depressiv krank und sie ist suchtkrank, aber sie ist ein erwachserner Mensch und muß für sich selbst Verantwortung tragen. Solange sie sich darauf verlassen kann, daß Du sie immer wieder auffängst wird sie nichts, aber auch gar nichts an ihrem Verhalten ändern. Ganz provokativ gesagt: mit Deiner andauernden Hilfe unterstützt Du sogar ihre Sucht.

Ich wünsche Dir viel Kraft....für Dich selbst!

jojoma
ßßßß

Re: Ratlos.

Beitrag von ßßßß »

@Brinchen91
"aber meine Mutter aufgeben? das geht auch nicht."
Doch das geht!
Katerle
Beiträge: 11311
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Ratlos.

Beitrag von Katerle »

Hallo Brinchen,

kann mich da den anderen nur anschließen. Als mein Vater alkoholabhängig war, hatte ich später erstmal keinen Kontakt mehr. Er machte einen Entzug oder mehr, und war dann gottseidank trocken. Nach ein paar Jahren kam dann wieder Kontakt zustande. Leider wurde er später wieder rückfällig...

Wünsche dir ganz viel Kraft und vor allem Mut, dir professionelle Hilfe zu suchen.

LG Katerle
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