Freund mit Depressionen - wir stehen vor einem riesigen Berg

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Herbsti
Beiträge: 1
Registriert: 4. Okt 2017, 19:53

Freund mit Depressionen - wir stehen vor einem riesigen Berg

Beitrag von Herbsti »

Hallo zusammen,

ich weiß, dass ihr mir nicht helfen könnt. Allerdings reicht es mir schon, wenn ich mich mit anderen Betroffenen austauschen kann.

Ich (24) bin seit über einem Jahr mit meinem Freund zusammen. Wir kennen uns schon mehrere Jahre, haben uns irgendwann angefreundet und sind nach einem guten halben Jahr Freundschaft zusammen gekommen. Unser Timing war damals ziemlich schlecht, weil er genau zu dem Zeitpunkt umgezogen ist – wir führen also eine Fernbeziehung. Trotzdem hatten wir von Anfang an eine sehr innige und intensive Verbindung und es war für uns beide seit langer Zeit wieder die erste wirklich ernste Beziehung.
In den ersten Monaten war alles problemlos, im Winter kam dann der erste Schub: er wollte mich nicht sehen, brauchte Zeit für sich. Da wusste ich noch nichts von seiner Krankheit, er erzählte mir aber kurz darauf von seiner wirklich schlimmen Kindheit und Jugend, der Erkrankung an Depressionen und einiger therapeutischer Behandlungen als Jugendlicher. Das musste ich erstmal verdauen, aber es stellte für mich kein Hindernis dar. Diese Phasen wurden häufiger, äußerten sich so, dass er sich anfangs mal ein, zwei Tage nicht meldete oder nur dürftig antwortete. Er konnte es zu der Zeit im Nachhinein immer erklären und mit mir darüber reden. Irgendwann wurden diese schlechte Phasen aber länger, vor allem, wenn er Probleme hatte (z.B. seinen Job verlor). Es war teilweise sehr schwer für mich einzuschätzen, ob sein Verhalten an seiner Krankheit lag oder ob es etwas mit mir zu tun hatte. Gleichzeitig gab es aber auch immer wieder Abschnitte, in denen er viel Kontakt gesucht hat, mich so oft wie möglich sehen wollte und vor allem, wenn wir uns getroffen haben, war alles wie am Anfang. Wir haben die gemeinsame Zeit beide sehr genossen und er hat mir häufig gesagt, dass er z.B. nicht wollte, dass ich wieder fahre. Dann wäre er wieder alleine. In einem langen Gespräch hat er mir mal erzählt, wie er sich fühlt. Dass es manchmal Tage gibt, an denen er denkt, das ganze Leben ist scheiße. Dass er sich immer wieder neu sortieren muss und das unglaublich viel Energie kostet. Dass er Ziele braucht, auf die er hinarbeiten kann. Er hat auch mal zugegeben, dass ich eine schwierige Position habe.
Ein großes Problem ist, dass er nicht weiß, was er will. Er hat immer wieder Probleme im Job, hat so gut wie keine sozialen Kontakte, keine Familie, also nichts, was ihn irgendwie stärkt oder bindet. Es gibt keinen Ort, der für ihn Heimat bedeutet. Er weiß nicht, was er in Zukunft möchte – er träumt in schlechten Phasen vom Auswandern und davon, umher zu reisen. Das erscheint ihm als Ausweg aus seinem Dilemma. Eine erneute Therapie zu machen lehnt er komplett ab. Wir wollten zusammenziehen und haben unglaublich viele Dinge geplant. Aber wir können uns nicht auf einen Ort einigen, weil er seine Pläne und Wünsche manchmal von einem Tag auf den anderen ändert. Ich habe mich immer wieder irgendwie damit arrangiert, war aber auch stets eingeschränkt in meinen eigenen Plänen. Das habe ich aber gerne in Kauf genommen, immerhin ist er der Mann, mit dem ich meine Zukunft verbringen wollte.
Nun ist leider alles ganz anders gekommen. Wir haben uns seit fast vier Monaten nicht mehr gesehen, haben kaum noch Kontakt. Es fing mit einer Diskussion an, bei der es um unsere weitere Planung ging (das hoch sensible Thema!). Seitdem haben wir uns beide immer mehr zurückgezogen. Nach einigen Wochen habe ich ihm gesagt, dass ich sauer war und was mich gestört hat. Aber es ist nichts davon bei ihm angekommen, alles wurde abgeblockt. Wir machten das nächste Treffen aus – er sagte es ab. Ein erneuter Streit folgte, aber auch ein neuer Termin, der wieder von ihm abgesagt wurde. Daraufhin schickte ich ihm einen langen Brief, auf den allerdings nur eine sehr abgeklärte Nachricht folgte: er wüsste nicht, was er will und wir würden komplett andere Prioritäten haben und verfolgen. Allerdings würde es ihm gefühlstechnisch so gehen wie mir. Als ich ihn fragte, ob er Schluss machen wollten würde, kam zurück, dass er es nicht wüsste. Eine neue Nachricht von mir, eine ebenso kalte Antwort. Es frustriere ihn und er würde sich nicht mehr damit auseinandersetzen wollen. Ich war mir sicher, er wollte nicht mehr. Wochenlang wieder kein Kontakt, lediglich kurze Nachfragen, ob wir mal skypen und uns irgendwann noch mal sehen könnten. Ich bin kaum darauf eingegangen, zu verletzt war ich. Nachdem erst einmal wieder nichts zustande gekommen war, folgte endlich ein Skype-Gespräch – das erste nach zwei Monaten. Auf den Ablauf war ich nicht vorbereitet: er tat, als wäre alles in Ordnung. Wir wären Sturköpfe, er würde sich wünschen, dass wir uns sehen und mal wieder quatschen – und er hätte nicht Schluss gemacht. Ich war komplett überfordert. Als er merkte, dass für mich nicht alles okay ist, wurde er wieder komisch. Irgendwie ablehnend und schlussendlich wurde auch das vorher ausgemachte Treffen abgesagt. Ich habe ihm geschrieben, dass ich nicht mehr kann und er sich überlegen muss, ob ich ihm etwas bedeute und er bereit ist mit mir an unserer Beziehung zu arbeiten. Und wenn er das nicht ist, er mich verlieren wird. Das ist über zwei Wochen her und ich habe noch nichts gehört.

Ich weiß nicht mehr weiter. Ich liebe ihn und ich kann mir keinen anderen Mann vorstellen. Wir vertrauen uns, haben denselben Humor, ähnliche Interessen, können so sein, wie wir sind. Es war schon durch unsere Freundschaft eine sehr enge Bindung zwischen uns, irgendetwas hat uns trotz aller Probleme zusammengehalten. Ich bin mittlerweile an meiner Belastungsgrenze angekommen und mir geht es gar nicht mehr gut. Ich habe das Gefühl, mir sind die Hände gebunden. Ich kann nichts mehr tun, komme gar nicht mehr an ihn heran. Ich habe manchmal das Gefühl, er ist gar nicht mehr der, in den ich mich verliebt habe. So kalt und abweisend wirkt er dann. Ich weiß manchmal gar nicht mehr, ob es wirklich an seiner Depression liegt oder ob er einfach so ist.
Ich möchte, dass wir es schaffen. Aber ehrlich gesagt bin ich mir nicht mehr sicher, wie wir das machen sollten (abgesehen davon, dass er vielleicht eh schon abgeschlossen hat und es eigentlich gar keine Hoffnung mehr gibt).
cinderella58
Beiträge: 17
Registriert: 21. Okt 2017, 10:19

Re: Freund mit Depressionen - wir stehen vor einem riesigen

Beitrag von cinderella58 »

Hallo Herbsti,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Es wird Dir nicht helfen, dass es mir mit meinem Freund ganz ähnlich geht, aber ich bin total erleichtert dass ich dieses Forum gefunden habe und gleichfalls Betroffene. All das von Dir Geschilderte erlebe ich gleichfalls - die Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, dazu oft zuviel Alkohol, Beleidigungen, Abwendung. Freude an nichts mehr, keine Beachtung von freundlichen Worten, kleinen Geschenken usw. Und ich kann sehr gut verstehen, dass Du am Ende Deiner Kräfte angekommen bist, da sehe icj mich inzwischen auch. Mein Partner ist seit 7 Monaten krank geschrieben, also kein regelmäßiger Tagesablauf mehr, die Medikation hat er eigenmächtig abgesetzt. Icj gebe zu, dass ich manchmal denke, dass ich was Besseres verdient hätte, ein einfacheres Leben, in dem ich auch vorkomme, mit meinen Wünschen und Befürfnissen. Wir sind auch nicht immer stark, aber die schwachen Rollen sind besetzt.

Ich geb aber die Hoffnung noch nicht auf, seit einer Woche geht er in eine Tagesklinik. Alles sehr ambivalent. :-(

Ich sende liebe Grüße und freue mich von Dir zu lesen.

Cindy
Nicht aufgeben!
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