Nestwärme

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Bellasus
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Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Nestwärme

Beitrag von Bellasus »

Hallo Ihr Lieben,

die Burghof-Klinik Rinteln, in der ich von Anfang März bis Mitte Mai war, ist alles andere als ein steriles Krankenhaus. Sie ist ein Schutzraum, in dem es einem schlecht gehen darf, in dem immer ein offenes Ohr da ist. Von Ärzten, Psychologen, Krankenschwestern, Mitpatienten. Es ist aber auch hart, mitnichten ein „Kur-laub“. Es ist harte Arbeit, die mitunter an die Grenze des Erträglichen geht, Kampf mit sich selbst, mit Erkenntnissen, Kampf ums Überleben. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, gehört zu werden, wenn ich mich mitgeteilt habe.

Ich hatte riesige Angst, dorthin zu gehen, obwohl ich keine Wahl hatte, ich hätte es zu Hause nicht mehr geschafft. Und dann, nach 11 Wochen, hatte ich Angst, wieder nach Hause zu fahren, das Nest zu verlassen. Die ersten Tage alleine waren furchtbar, aber dann merkte ich, dass ich doch etwas gelernt hatte, stabiler war, mir selber helfen konnte. Ich habe den Anfang eines roten Fadens gefunden, an dem ich mich jetzt entlang hangele. Heute, sieben Wochen nach meiner Entlassung und mit der Unterstützung einer gerade begonnenen ambulanten Therapie, habe ich erstmals seit ewigen Zeiten das Gefühl, dass mein Weg doch noch weitergehen könnte. Der Boden dreht sich nicht mehr so schnell, wenn ich an die Zukunft denke.

Gestern war das jährliche Sommerfest und Ehemaligentreffen in Rinteln. Wie würde es sein, die Menschen wiederzutreffen, mit denen man viele Wochen verbracht hat, ihr Alltagsleben nicht kennt, aber vielleicht mehr von ihrem Innersten weiß als ihre besten Freunde? Es war aufregend, viele waren da, die ich kannte und liebgewonnen habe. Ich habe eine intensive Wärme empfunden, es waren so herzliche Begrüßungen und Umarmungen, viele kurze und lange, aber keine oberflächlichen Gespräche. Es hatte etwas von Nach-Hause-Kommen, sich sicher und gut aufgehoben fühlen. Der Chefarzt begrüßte jeden persönlich.

Das sind meine Empfindungen, anderen geht es vielleicht anders. Ich habe jedenfalls aus dem Klinikaufenthalt und auch dem gestrigen Treffen sehr viel mitgenommen. Ich fühle mich angenommen, verstanden, und es sind Freundschaften entstanden, die mir sehr wichtig sind.

Es geht mir absolut nicht immer gut. Meine Grenzen zu Überforderung sind sehr eng gesteckt, die Angst kriecht immer wieder hoch, die Depression sorgt dafür, dass ich sie nicht vergesse, mich noch krank fühle, aber immer wieder auf mich besinne, und ich setze mich mit vielen Dingen aus meiner Lebensgeschichte auseinander, die nicht witzig sind, mir ein normales Leben mit arbeiten usw. noch unmöglich machen. Aber ich hoffe wieder und konzentriere mich immer auf den nächsten Schritt, den nächsten Tag, nur das, was für mich wichtig ist.

Ich hätte mir das alles ersparen können, wenn ich schon vor Jahren auf Warnsignale gehört hätte. Aber da ich wohl kaum die einzige bin, der das passiert, wollte ich hiermit zeigen, das es auch dann noch eine Lösung gibt, wenn „nix mehr geht“.

Annette




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Seila
Beiträge: 149
Registriert: 21. Mär 2003, 17:57

Re: Nestwärme

Beitrag von Seila »

Schön zu lesen.
Weiterhin alles Gute!

Das gibt doch Mut!!!
Kia koe koa
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