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Angehörige und Fachperson - macht es nicht einfacher

Verfasst: 26. Mär 2017, 21:46
von ginger1
Hallo

Ich hab hier auch schon ein bisschen mitgelesen und möchte euch nun etwas zu unserer Geschichte erzählen. Seit 16 Jahren sind mein Mann und ich zusammen, die grosse Liebe, war immer der Meinung, das passiert nie uns, nur den anderen. Wie man sich täuschen kann. Ich erzähle das aus zwei Perspektiven, einmal als Betroffene eines depressiven Ehemannes und einmal mit dem fachlichen Wissen, da ich selbst therapeutisch arbeite. Das hilft mir aber nicht immer weiter bzw macht das Ganze manchmal so unendlich schmerzhaft und paradox ... Wir haben drei Kinder unter 10 Jahre und die letzten 8 Jahre waren sehr stressig für uns. Einmal die Kids, dann sehr viele beruflichen Veränderungen, Weiterbildung, Selbständigkeit, und natürlich wenig Zeit für uns als Paar. Nun könnten wir seit zwei Jahren etwas zurücklehnen und das Leben wirklich geniessen, aber da kam dann die Depression. Anzeichen gab es schon vorher einige, doch selbst ich als Fachperson schob sie zur Seite. Überarbeitung, Stress, das wird schon. Mein Mann wurde gereizter, machte immer mehr dicht, fing an, seine eigenen Dinger (Hobbies, Interessen) zu drehen und mich sukzessive emotional aus seinem Leben rauszuhalten. Ich kam nicht mehr an ihn ran. Emotional war er immer weniger spürbarer, ein längerer Urlaub brachte etwas Besserung. Zurück daheim brach dann das Burnout aus, Therapie und Psychopharmaka folgten. In dieser Zeit ging es etwas besser, aber mein Mann war nicht er selbst, sondern „emotional gepampert“ und gut drauf. Ich kenne das so von den Psychopharmaka nicht, er war also sicher nicht gut eingestellt. Aber damals dachte ich „alles eine Phase“, es kommt dann wieder gut. Zu diesem Zeitpunkt – und es war damals schon sehr schwierig – liebte er mich noch. Er hat dann eigenmächtig über eine längere Zeit die Medis ausgeschlichen, da er sexuell nichts mehr spürte. Und da wurde es von Monat zu Monat schlimmer, die darunter liegende Depression wurde voll spürbar. Er war emotional gar nicht mehr da, sehr introvertiert, aggressiv, und spürte sich selbst nicht mehr und auch nicht, dass er mich noch liebe. Ich dachte wenn er die Medis komplett ausgeschlichen habe, würde das bessern, es wären die Nebenwirkungen des Ausschleichens. Ein gemeinsamer Urlaub war der Horror, mit den Kids ging es noch einigermassen, bei uns war komplette Funkstille. Ich weinte, weil ich im Restaurant die anderen Pärchen sah, er verzog keine Miene. Im Herbst offenbarte er, ich würde immer versuchen, Nähe herzustellen, das würde ihn unter Druck setzen, er möchte eine „temporäre Trennung“ und zog aus. Für mich brach eine Welt zusammen, und gleichzeitig musste ich funktionieren wegen den Kinder. Seit Januar spüre er sich wieder, aber wisse nicht, warum er sich verloren habe. Und nun lebt er sein Leben, kommt zwar regelmässig zu den Kids nach Hause, aber macht emotional mit gegenüber komplett zu. Er muss zuerst sich selbst wieder finden und das kann er nicht mit mir, da er sich in den letzten 10 Jahren in unser Partnerschaft verloren hat und nicht weiss, was seins ist und was meins. Ich hab immer wieder das Gespräch gesucht, ihm eine Hand hingehalten, vorsichtig, ohne Druck, und er haut mir die Tür vor der Nase zu. Das tut so verdammt weh. Er hat es sicher nicht leicht, und ich kann mich bei anderen reinfühlen, wie es sich anfühlt, sich selbst zu verlieren, aber als Angehörige ist es ein Leiden auf Augenhöhe. Mittlerweile habe ich mich recht von ihm abgegrenzt und fahre sehr gut damit. Ich hab ihm gesagt, ich warte auf ihn und bin da, wenn er einen Schritt auf mich zu macht. Ansonsten versuch ich mit den Kids, unser Leben weiterzuleben, mir viel Gutes zu tun, auf mich achtzugeben, sorgsam zu mir zu sein. Es ist oft eine emotionale Achterbahnfahrt, und ich weiss nicht, wie ich mit den Verletzungen und dem Vertrauensbruch umgehen soll. Es gibt Momente, in denen ich sehr spüre, dass wir vielleicht wirklich eine Chance haben, ein „Reboot“, und dann gibt es Momente, in denen ich so zweifle, an ihm, an meiner Fähigkeit, ihm wieder vertrauen zu können. Er ist bei einem guten Therapeuten und ich merke, dass es bei ihm in seiner Therapie „läuft“, ich vertraue nun in seinen therapeutischen Prozess. Und wir sind in einer Paartherapie, das ist mein Stützpfeiler, und ich bin sehr froh, dass er sich darauf einlassen kann.

Re: Angehörige und Fachperson - macht es nicht einfacher

Verfasst: 26. Mär 2017, 21:56
von ginger1
Der Beitrag ist nun doch länger geworden und doch hab ich das Gefühl, nur einen Bruchteil von dem, was in mir abläuft, geschrieben zu haben. Das Schlimmste ist, dass er mir gegenüber absolut dicht macht, Wenn er "nur depressiv" wäre, aber mir sich zeigen, zumuten könnte, wäre es um ein vielfaches einfacher für mich. Manchmal hab ich das Gefühl, von Depressionen bei gar nichts zu verstehen ....

Liebe Grüsse
Ginger

Re: Angehörige und Fachperson - macht es nicht einfacher

Verfasst: 27. Mär 2017, 11:45
von klaus53
Hallo Ginger, so wie ich das ganze aus der distanz beurteilen kann moechte ich einfach mal sagen das ihr euch in eurerer gemeinsamen Vergangenheit zuviel zugemutet habt. Drei Kinder, viele Lehrgaenge, dann noch die Selbststaendigkeit, wo bittenschoen soll denn da noch Platz gewesen sein sich zu erholen, neue Kraefte zu sammeln um die Probleme einer Beziehung in eine richtige Bahn zu lenken? Ich denke das ihr euch lange Zeit etwas vorgemacht habt. Man kann nicht alles in seinem Leben verwirklichen, auch wenn der Druck von aussen sicher nicht unerheblich war. Ich denke das ihr euch waehrend euerer Beziehung nicht darueber im Klaren ward das man auch sehr viel Zeit fuer sich selber braucht um richtig zu funktionieren. Ich will hier nicht denn Besserwisser haraushaengen lassen, ich bin auch nicht viel besser dran mit meiner Familie, aber damit will ich dich nicht belasten..

Re: Angehörige und Fachperson - macht es nicht einfacher

Verfasst: 28. Mär 2017, 20:48
von ginger1
hallo klaus

vielen dank für deine antwort. ja es mag sein, dass es zuviel war. für mich habe ich immer mehr oder weniger schauen können, dass ich meine Inseln hatte, in denen ich entspannen konnte. sonst hätte ich das gar nicht durchgestanden. mein mann hat die zeit, die er übrig gehabt hätte, eher in Computerspiele oder noch mehr arbeiten gesteckt. und da begann die abwärtsspirale ... ich hoffe nur dass er sich wieder davon erholt. ich vermisse ihn sehr und hoffe, dass wir wieder zueinander finden. mein lieblingsspruch hilft mir manchmal, wenn der schmerz manchmal unerträglich wird:

das leben ist nicht warten, bis der Sturm vorbei ist, sondern lernen im regen zu tanzen

ich wünsche dir klaus viel kraft und viele "regentänze"

ginger