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Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 01:44
von WinniPooh
Eine blöde Frage?
Vielleicht nicht.

Mein Umfeld sagt, ich habe mich verändert.
Meine Familie und mein Arzt sagen, ich bin "Krank".

Der Begriff "Krank" bedeutet aber auch, das es ein "Gesund" gibt und das man "Heilbar" ist.
(Meine Frau erwartet seit über 3 Jahren eine Wunderpille, die ich schlucke und "Gesund" bin)
Wenn ich die Krankheit aber nicht mehr als Krankheit sehe, sondern als menschliche Veränderung?

Nach der langen Zeit des Kampfes gegen das "Krank" sein und gegen die Folgen der "Behandlung" (die bei mir vieles nur schlechter machten), habe ich irgendwann (in den Augen der anderen) Kapituliert.

Was habe ich gemacht?
Ich habe irgendwann gesagt, ich bin nicht "Krank", sondern ich habe mich verändert, so wie man sich vom Kind zum Mann verändert, nur in schnellerer Zeit.
Ich fing an mich mit meiner Veränderung zu arrangieren und paßte mein Leben an.
Ich gab den Kampf auf.

OK, meine Welt ist heute klein geworden (ich gehe kaum noch aus dem Haus), aber ich kann wenigstens besser überleben wie zu der Zeit, wo jeder versucht hat mich zu heilen.

Früher war ich eine Denkmaschine, heute bin ich Mensch, sage ich.
Andere sagen, früher war ich normal und heute übersensibel.

Wer hat Recht?
Was ist richtig oder falsch?
Was bedeutet es "Krank" zu sein?
Sollte man gegen Veränderungen ankämpfen oder diese als gegeben annehmen?
War es ein Fehler die "Krankheit" als gegeben anzunehmen oder hätte ich weiter einen für mich zerstörerischen Kampf durchziehen sollen?

Winni

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 08:14
von DepriXX
hall winni
du schreibstDer Begriff "Krank" bedeutet aber auch, das es ein "Gesund" gibt und das man "Heilbar" ist.

das stimmt nicht, jeder mensch der eine erkrankung hat kann heilbar sein, aber nicht immer. es gibt erkrankungen, die einfach nicht heilbar sind.

für dich ist es doch ein vorteil,wenn du offiziell krank bist! du hast anspruch auf therapie und krankengeld u s w.

jeder kann nur selber entscheiden, wie er mit einer erkrankung umgeht. ob das für dich ein fehler war, kannst nur du selber entscheiden.

aber ich denke, es hilft dir nicht,wenn du dir einredest, dass du nicht krank bist.

nur wegen einer "veränderung" geht wohl kaum jemand zum arzt und macht therapie und schluckt psychopharmaka, du lügst dich selber an!

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 09:53
von Caroline1
Hallo Winni

Ich sehe diese Dinge folgendermaßen: die meisten Leute schließen aus dem Begriff "krank", dass es auch wieder ein "gesund" gibt, wobei für viele "gesund" mit "wieder der/die Alte sein" gleichgesetzt wird. Und da hakt es eben. Und du spürst diesen Haken selbst. Deine Frau erwartet von dir, dass es eine Pille XY gibt, du die nur zu nehmen brauchst, und schon funktionierst du wieder in gewohnter Art und Weise, will heißen in der alten und vom Umfeld bekannten Art.

Für mich bedeuten meine Depressionen ( ich schlage mich schon jahrelang damit herum ) ganz klar ein Prozess, während dem ich mich verändere. Ich sehe es weniger so, dass ich krank bin und wieder genesen werde. Es gibt wohl auch kranke Anteile daran, die akzeptiere ich auch, und auf dieser Logik gründet sich zB auch meine Einnahme von Medikamenten. Und es gibt sicher immer wieder Phasen, in denen ich mich sehr krank fühle und es den medizinischen Normen nach auch bin, ich bin gerade erst jetzt dabei, mich wieder aus einer solchen Phase heraus zu arbeiten.

Vor allem aber sehe ich Depressionen als einen Veränderungsprozess in mir. Wenn ich auch sehr krank werden musste, um diesen Prozess überhaupt erst in Gang bringen zu können. Und ich auch viele Schmerzen erleiden muss auf diesem Weg, was wieder zum Teil ins Schema krank-gesund passt. Aber dieses ist einfach zu schwarz-weiß, als dass es stimmig sein könnte. Ich kann aber gut verstehen, dass es für die Umwelt leichter wäre, wenn es denn so wär.

Herzliche Grüße von

Caroline

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 11:19
von QqE3zumawS
Ein tolles Thema, Winni! Und kluge Überlegungen, wie ich finde. Es erleichtert mich fast Eure Schlußfolgerungen zu lesen, Winni und Caroline. Sie decken sich ziemlich mit meinen Erfahrungen.

Ich fasse heute meine Depression auch eher als einen Fußtritt des Schicksals auf, der mich zu einem Veränderungsprozeß auffordert. Ich kann mich auf diesen einlassen oder krampfhaft versuchen auszuweichen. Oder ich kann mich betäuben, so dass ich die Schmerzen des Tritts nicht mehr so deutlich fühle.
Nach vielen Jahren mit vergeblichen Psychotherapieansätzen habe ich heute auch ein ganz anderes Verhältnis zur Therapie. Ich nehme Psychotherapie heute als Begleitung für meinen inneren Veränderungsprozess, als Anregungsquelle und Kontrollelement. Ich sehe die Therapie auch nicht mehr als Mittel zur "Heilung meiner Krankheit". Gerade bei Langzeitdepressiven führt die Zielsetzung "Krankheit heilen" nach meinem Dafürhalten zu fatalen Orientierungsverlusten. Es kann die nötigen inneren Entwicklungsprozesse völlig unterbinden und die eigene innere Wahrnehmung stark verunsichern.

Ich habe irgendwann gesagt, ich bin nicht "Krank", sondern ich habe mich verändert, so wie man sich vom Kind zum Mann verändert, nur in schnellerer Zeit. Ich fing an mich mit meiner Veränderung zu arrangieren und paßte mein Leben an.
Ich gab den Kampf auf.


Dies ist der Weg, den ich auch für mich sehe. Ich versuche ebenfalls meinen Platz im Leben zu finden, der mit den Veränderungen in meiner Persönlichkeit am besten vereinbar ist. Mir scheint, dass viele andere hier im Forum auch an diesem Punkt gelandet sind. Korrigiert mich, wenn ich mich irre, Data und Schnarchi.
Ich sehe in dieser Haltung kein Aufgeben. Im Gegenteil, ich habe eher den Eindruck es ist ein Entwicklungsstadium, dass mir mehr Gelassenheit gibt und eine bessere Aufnahmefähigkeit für Anregungen. Und ich habe das deutliche Gefühl, dass der Prozess derzeit in eine gesunde Richtung und in Übereinstimmung mit meiner innerlichen Befindlichkeit verläuft. Ganz im Gegensatz zur Psychotherapie der ersten Jahre.

Es gibt wohl auch kranke Anteile daran, die akzeptiere ich auch, und auf dieser Logik gründet sich zB auch meine Einnahme von Medikamenten. Und es gibt sicher immer wieder Phasen, in denen ich mich sehr krank fühle und es den medizinischen Normen nach auch bin

Dieser differenzierten Sichtweise von Caroline schließe ich mich voll und ganz an.
Die Sichtweise "Depression als Krankheit" hat natürlich auch ihre Berechtigung, insbesondere für organisatorischen Vorgänge in unserem Gesundheits- und Sozialsystem und für die Meinungsbildung unseres Umfeldes. Ohne die Freiräume, die uns hier zur Verfügung gestellt werden, hätten die meisten von uns wohl kaum die Möglichkeiten,
sich in effektivem Maße auf ihre Selbstfindungsprozesse einzulassen.

Siggi

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 13:22
von triste
Hallo Winni,


ich glaube schon, daß die Depression eine Krankheit ist. Aber ich sehe heute, daß diese Krankheit ein Zeichen war/ist, das mir meine "Seele" gezwungen war aufzuerlegen, weil ich meine innere Stimme über einen langen Zeitraum nicht mehr gehört habe, meine Gefühle ignoriert habe. Also über den Weg von Krankheit zwang mich meine Psyche auf den Weg zu kommen, mich wieder zu finden und damit wieder im Einklang mit mir zu sein. Das ist natürlich ein langer Prozess und ich bin weit entfernt vom Ziel...villeicht ist auch der Weg das Ziel und es dauert ein Leben lang.
Dabei hätte es vielleicht auch nicht die Depression sein müssen. Vermutlich ist jede schwere Krankheit, je nach Disposition, Ausdruck eines solchen Signals.

Ich empfinde es ebenso wie Du und Caro, daß das dagegen Kämpfen, die Erwartung, daß man wieder wird wie vor der Krankheit, falsch ist und daß man die Depression als Teil akzeptieren muß, der zu einem gehört und einen sogar zu sich selbst führt, nachdem man sich verloren hat.
Du fragst, ob man die "Veränderung" annehmen sollte.
Sagt es Dir nicht schon Dein Gefühl?
Ich lese zwischen Deinen Zeilen, daß Dein emotionales Gehirn die Veränderung Deines Lebens und Deiner Selbst bereits als wohltuend empfindet, als r i c h t i g e Entwicklung?
Bei mir ist es so, daß ich es als ganz sicher und richtig empfinde, meine neu erlernte Sichtweise von mir selbst praktisch umzusetzen. Beispiel: Erkennnen, wenn ich eine Pause brauche und diese dann auch machen. (früher habe ich diesen Moment, wo man merkt, daß man müde ist, gar nicht mehr bewußt wahrgenommen!). (...und mich nicht innerlich dafür fertigzumachen, daß ich jetzt eben nicht soviel leisten kann, wie ich meinte, es zu müssen).

Also: Recht hast Du und nicht die anderen. Wenn Du fühlst, daß es Dir besser geht, so wie Du jetzt bist und lebst.
Ich habe übrigens auch irgendwann aufgehört, gegen die Krankheit zu kämpfen. Ab da ging es aufwärts. Seit kurzem gehe ich wieder raus ins Leben. Noch nicht in allem. Aber ich passe mein Leben an das Draussen an, finde Kompromisse. Und dabei ist mein Befinden maßgebend. Und nicht die Anforderungen!
Also: bleib bei Dir!

Liebe Grüße,
Virginia

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 13:26
von Captain Kirk
Da kommt mir "Depression als Chance" in den Sinn.Manchmal denke ich bei mir, die D. zwingt den Menschen zu seinem Glück. Nämlich so zu sein wie er gemeint ist. Von der Natur aus gemeint ist. Selbst wenn es die Umgebung nicht gutheißt.

Wenn der Mensch Zeit seines Lebens eine Idee von sich lebt,- eine Idee, die aus allerlei Außeninformationen zusammengesetzt war aber seiner Natur nicht entspricht, dann kommt irgendwann die große Krise. Ein moderner Mensch, flexibel, sportlich, heterosexuell, gesellig, allzeit bereit, anpassungsfähig aber zugleich selbstbewußt, strebsam, reisefreudig, fleißig, karrierebewußt und und und steht plötzlich da und spürt...das bin ich ja gar nicht..

Wenn der Mensch eigentlich ganz anders ist?

Und wenn dieses ganz anders sein so ganz anders von seiner bisherigen und von der Gesellschaft anerkannten Idee ist? Was wenn der Mensch gar nicht karrierebewußt ist, sondern lieber so vor sich hin werkelt und daraus sein Glücksgefühl entwickelt? Was, wenn er gar nicht reisefreudig ist, sondern lieber aus dem eigenen Fenster guckt und den Vögeln am Himmel zusieht und damit glücklich ist? Was, wenn er lieber alleine ist anstatt unter Menschn smalltalk zu betreiben? Was, wenn er nicht flexibel ist, sondern langsam und Situationen lieber plant als sich hineinzustürzen? Und wenn er plötzlich merkt, dass er doch lieber Karl Moiks volkstümliche Hitparade sieht als ein Technodancetrancefestival zu besuchen? Ist das krank? Naja, schlechtes Beispiel aber ihr wißt, was ich meine.


c.

Re: Sind wir "Krank"?

Verfasst: 19. Jun 2004, 15:32
von MPo