Es muss raus ...

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boppel
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Registriert: 13. Sep 2016, 12:27

Es muss raus ...

Beitrag von boppel »

Hallo zusammen!

Eigentlich wollte ich hier nur lesen. Eigentlich wollte ich hier nicht schreiben. Und eigentlich müsste ich mich vorstellen, bevor ich es doch tue. Und trotzdem muss ich einfach hier loswerden, was mich bedrückt – und seht mir bitte nach, wenn es zusammenhangslos ist. Es muss einfach raus.

Mir fehlen Freunde, seit es mir schlecht geht sind sie weg. Ich nehme seit 4 Wochen Tabletten und warte, dass es besser wird. Was heißt aber „besser“? Mal denke ich sie wirken … ich habe 4 Tage mit meine Schwiegereltern am Stück überlebt und blieb einfach ruhig. Mal denke ich sie wirken noch nicht … ich sitze an der Arbeit und kann mich nicht konzentrieren.

Schwiegereltern, die mich regelmäßig auf die Palme bringen, lassen mich kalt, meine Panikattacken morgens im Auto sind weg oder nur leicht vorhanden. Arbeit, die ich vor Jahren gerne erledigt habe und die mir leicht von den Fingern ging … heute eine Zumutung, ein Kampf. Ein Kampf mit Konzentration und Abneigung und Langeweile. Ablenkung durch das Internet. Bei Facebook abgemeldet …. es tat so gut.

Meine beiden Kollegen neben mir … das „Schweigen der Lämmer“. Das Büro des Schweigens. Ich weiß, sie sind einfach so. Aber nur das Tippen und Klicken und keine menschlichen Regungen. Einfach Schweigen. Guten Morgen!, Mahlzeit!, Hat es geschmeckt?, Schönen Feierabend! Bis morgen! … das muss reichen. Die Kommunikation ließe sich sicherlich noch reduzieren.

Aus der Nase ziehen … mühsam. Gespräch beginnen, schon 100 mal gemacht. Dann nicht. Meine Vorgesetzte seit Wochen im Urlaub und krank. Kein direkter Ansprechpartner. Erzähle ich von meiner Diagnose? Oder besser nicht. Angst um den Arbeitsplatz. Ein gutes Unternehmen … aber auch so gut? Erzählen oder nicht?

Mein Therapeut: super, die Kasse will ihn nicht zahlen, weil er keine Kassenzulassung hat. Ich kenne ihn, er kennt mich, er hat mir schon einmal geholfen. Ich könnte einfach da weitermachen, wo ich bei Kassenwechsel geendet habe. Also erst mal selbst bezahlen und Kostenerstattungsverfahren durchpauken … zittern, 15 Therapeuten angerufen. Ein Tag gebraucht, bis ich die erste Nummer gewählt habe.

Ekel, weil ich das tun musste, sinnlos, weil ich nur Absagen haben wollte und lügen musste. Was ein Quatsch. Und wofür … nun warten. Sorge, dass es nicht klappt. Dann einen neuen Therapeuten von der Kasse? Nochmal von vorne erzählen? Kann ich das? Will ich das? Widerwille in mir. Geht das gut?

Mein bester Freund … weg … ich brauchte meine Zeit als Papa starb. Ich sagte es ihm. Nach zwei Jahren wiedergetroffen, dazwischen keine Kontakte. Das Treffen? Einfach kalt. Eine liebe SMS … sie wurde ignoriert. Er ist weg.

Leer, einsam, ängstlich … so geht es mir im Moment. Aber auch verwirrt. Was, wenn die Tabletten einfach wirken? Ist dann alles einfach normal? Will ich das? Ich muss doch gesehen werden, dass es mir schlecht geht. Wie soll ich der Kasse beweisen, dass mir mein Therapeut super helfen kann, wenn es mir doch optisch gut geht. Top die Maske sitzt ….

Weinen geht nicht … Also bin ich doch gar nicht so depressiv. Alles nur eingebildet. Gespielt. Ich müsste am Boden liegen und heulen, schreien. Die Rollos runter lassen. Mich einigeln, nicht rausgehen. Aber trotzdem geht es irgendwie weiter. Morgens zur Arbeit, abends nach Hause, jeden Tag die Leier. Irgendwie an der Arbeit verstecken, dass ich nicht kann, wie ich müsste. Mein Gehalt bin ich nicht wert.

Trotzdem schreit es, trotzdem weint es, trotzdem trauert es … in mir. Und nur in mir. Wie weiter. Einfach wie es immer weiter geht? Ja, nein, egal … was soll ich denken? Nimm mich an der Hand und führe mich dahin, wo es wieder einfach gut ist.

Mein Schwiegereltern sagten: „Oh depressiv … das ist aber nicht gut. …“ Dann ging die Leier mit deren eigenen Themen weiter. Ich hasse es, nie gefragt zu werden, wie es mir oder meiner Frau geht. Vielmehr als Abfalleimer der Sorgen von dritten – nicht mal deren eigenen – Missbraucht zu werden. Selbst erzählen … schon x mal versucht … wird übergangen. Kein Rückhalt.

Einsam, alleine, meine Frau tut wahnsinnig viel für mich und ist immer da … trotzdem: es schreit und weint und ist traurig … und keiner sieht es. Es passiert in mir und ich weiß nicht wohin damit. Im Moment traurig und dem Umstand ergeben. Es einfach geschehen lassen. Kraftlos.

Danke für's Innehalten und Lesen!!
Mike78
Beiträge: 52
Registriert: 15. Jul 2016, 06:53

Re: Es muss raus ...

Beitrag von Mike78 »

Das Schreiben hat dir bestimmt gut getan!?

Allerdings kann ich dir jetzt nichts hilfreiches schreiben, da ich selbst nicht betroffen bin....
kaizer
Beiträge: 79
Registriert: 21. Jul 2016, 14:30

Re: Es muss raus ...

Beitrag von kaizer »

Toll geschrieben, Talent zum Schriftsteller scheint vorhanden zu sein, vielleicht der zweite Berufsweg. ;)
Laufa25
Beiträge: 47
Registriert: 5. Sep 2014, 17:26

Re: Es muss raus ...

Beitrag von Laufa25 »

Hallo Boppel!
Ich kann dich sehr, sehr gut verstehen! Man fühlt sich kraftlos, leer und traurig. Bei mir ist es das gleiche. Ich bin auch in einem Prozess der Vereinsammung gefangen, und es scheint keinen Ausweg zu geben... Aber glaube mir, es kommen wieder Tage an denen es einem wieder deutlich besser geht und man sagt ,,Das Leben ist schön"
Das mit dem Therapeuten ist natürlich blöd aber leider auch Normalität. Was die Rückenschmerzen vor 15 Jahren waren, sind jetzt die Depressionen der heutigen Zeit. Sprich: Es gibt so viele Menschen mit Depressionen in Deutschland, dass einfach alle Therapeuten und psychiatrische Einrichtungen völlig überfüllt sind. Die Kasse interessiert sich natürlich nicht für die Gesundheit denn da zählt eben nur der Umsatz. Lass nicht locker und kontaktiere mehrere Therapeuten, irgendwann findest du einen richtigen/ eine richtige.
Worüber du dir aber im klaren sein musst. Tabletten können keine Depressionen heilen, sondern sie lindern nur die Symptome aber nicht dir Ursachen!! Also das heißt wenn du dich jetzt einfach hinsetzt und hoffst dass dich die Tabletten gesund machen, wird das auf lange Sicht nichts. Antidepressiva sollen dir die nötige ,,Kraft" geben damit du die Ursachen bekämpfen kannst. Das kann man nur durch eine Therapie erreichen.
Fazit: Lass den Kopf nicht hängen, du bist garantiert nicht alleine und es ist nicht schlimm, dass du an Depressionen erkrankt bist. Habe den Mut zu einem Therapeuten zu gehen und deine Probleme zu schildern und halte dich an die schönen Seiten des Lebens, wie zum Beispiel deine Frau
Du schaffst das!!! ;)

Beste Grüße
Laufa25
Lepidoptera
Beiträge: 11
Registriert: 1. Nov 2016, 22:01

Re: Es muss raus ...

Beitrag von Lepidoptera »

Hey Boppel,

Ich fühle mit dir. Bin auch neu hier im Forum und wollte zunächst auch nur lesen. Genau wie du bekomme ich nun seit gut einem Monat Medikamente. Ich weiß nicht ob sie wirken und falls ja dann mag ich die Wirkung nicht besonders. Meine Ängste und Sorgen haben sich in Lustlosigkeit und Langeweile gewandelt. Was vollkommen kontraproduktiv für mich ist, da mir alles egal wird.
Freunde treffen und immer wieder die gleichen Gespräche führen? - Uninteressant.
Scheiß Teilzeitjob? - Hmm eigentlich gar nicht so schlimm denn das Geld stimmt.
Studium beenden? -Wozu wenn ich nicht vorhabe in diesem Beruf Fuß zu fassen?
Rechnungen pünktlich zahlen? - Ach dann dann zahl ich halt die Mahngebühren.
Geht es mir denn wirklich so schlecht, wenn ich gute Freunde habe und mich die meisten für einen fröhlichen Menschen halten? Maske sitzt perfekt!

Alles eigentlich nicht so schlimm, morgen ist auch noch ein Tag und dann kommt noch einer und noch einer.... und AARRGGHHHH (!) es geht immer so weiter, Tag ein Tag aus. Pfff, kein Bock mehr! Aber wozu die ganze Mühe?
Wenn das die Medikamente machen, dann habe ich lieber Angst vor dem Versagen und vor dem Leben, weil mich die Angst (ab und zu) dazu bewegt irgendwas zu machen. Und nun...nix!

In einem Monat habe ich nochmal ein Gespräch mit dem Psychiater. Ich hoffe bis dahin stellt sich etwas um, ansonsten Tschüs Venla! Ich drück dir die Daumen für die Theraphie und die Medikation. Fände es schön wenn du uns auf den laufenden hälst, falls sich bei dir doch noch etwas umnstellt.

LG
boppel
Beiträge: 10
Registriert: 13. Sep 2016, 12:27

Re: Es muss raus ...

Beitrag von boppel »

Hallo zusammen und danke für Eure lieben Worte!

Ja, das Schreiben hat mir gestern gut getan. Für ein paar Minuten war alles einfach mal raus aus dem Kopf – es war Ruhe.

Vielleicht sollte ich mir wirklich überlegen, als Schriftsteller zu arbeiten ;-) Mein aktueller Job ist für mich seit Jahren ein rotes Tuch und ich muss mich jeden Morgen überwinden, dorthin zu fahren. Würde ich mit meiner Frau nicht jeden Morgen den Arbeitsweg teilen, so wäre ich sicherlich schon zu Hause "gestrandet".

Da mir aber die Alternative fehlt - bei der Alternativen-Suche macht mein Kopf nach 5 Minuten dicht (kann ich nicht, will ich nicht, die nehmen mich nicht, Ende der Suche) - fahre ich jeden Morgen.

Einzig seit der Diagnose vor einigen Wochen hat es sich ein wenig gewandelt. Ich sehe nicht mehr nur die Arbeit als Auslöser für mein "Unwohlsein", sondern frage mich halt auch, ob es nicht an der Krankheit liegt, dass mir meine Arbeit nicht mehr gefällt - die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen und beides wird sich sicherlich bedingen.

Problematisch ist mein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht mehr den ganzen Tag konzentrieren kann. Gut ist: ich glaube, die Tablette bewirken, dass ich wieder mehr auf das ein oder andere Gefühle bzw. Bedürfnis achten kann, weil ich nicht mehr nur im Grübeln gefangen bin und nicht mehr einfach nur funktioniere. Mir wird bewusst, wann ich müde werde bzw. wann ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Ich glaube, dass ich diese Zustände früher einfach übergangen habe. Kennt jemand von Euch diesen Effekt?

@Laufa25 - danke nochmal für Deinen Hinweis, dass Tabletten nicht das Wundermittel sind. Ich sehe auch die Tablette nur als Ergänzung, um mit dem Therapeuten arbeiten zu können und um das Gedankenkreisen abzustellen; allzu leicht tappe ich gleichzeitig gerne in die Falle und warte auf die überaus positiven Gefühle, die auf Grund der Tabletten ja bald einsetzen müssen ;-)

@Lepidoptera - ich bin mir auch nicht sicher, ob meine Tabletten wirken. Mir fehlt einfach die Erfahrung, was es bedeutet, wenn meine Ärztin sagt "Es wird Ihnen besser gehen." Ich sehe schon hier und da Lichtblicke, z.B. wenn ich nach dem Aufstehen meine Schwiegereltern lauthals mit "Guten Morgen, liebe Schwiegereltern!“ begrüße" - vorher undenkbar ;-)

Gleichzeitig weiß ich nach all den Jahren irgendwie nicht mehr, wann es mir gut / besser geht. Ich habe scheinbar verlernt, auf meine Gefühle zu achten, was passiert mit mir. Versteinert, ein Klotz, ein Hüllenmensch.
Lepidoptera hat geschrieben: Alles eigentlich nicht so schlimm, morgen ist auch noch ein Tag und dann kommt noch einer und noch einer.... und AARRGGHHHH (!) es geht immer so weiter, Tag ein Tag aus.
Du schreibst mir aus der Seele. Ich warte, dass es besser wird, weil … dann kann ich mich ja um Dinge kümmern (neuer Job, ...) und nur dann! Und so warte ich und warte und ..... warte :-(

Dass ich hier nicht alleine bin, ist ein gutes Gefühl, wenngleich mein schlechtes Gewissen mir gleich wieder einredet: "Ey, oben beklagst Du Dich, als Mülleimer für die Sorgen anderer verwendet zu werden - hier kotzt Du dich aus und missbrauchst die anderen ..." Ich hoffe aber, dass es nicht so ist.

Wenn ich nicht jeden Punkt in Euren Antworten aufgegriffen und beantwortet habe, so bin ich Euch für jeden einzelnen dankbar. Euch einen guten Tag!!
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