Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

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haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

Hallo,
wir sind Eltern eines 23jährigen jungen Mannes, der in der Teenagerzeit (14) eine Schulangst entwickelte (ggfs. durch Dyskalkulie, Versagens- und Verlustängste begründet) und 3 Monate mit sehr gutem Erfolg in der psychosomatischen Abteilung einer Kinderklinik verbrachte. Er hat seinen Abschluss nachgeholt, ein Berufsvorbereitungsjahr gemacht und eine handwerkliche Ausbildung begonnen. Während der Ausbildung hat er plötzlich diffuse körperliche Symptome wie Reizdarm, Rückenschmerzen, Verspannungen an sich und Schlafstörungen entwickelt. Leider hat er die Abschlussprüfung (einmal hat er es versucht, obwohl Ausbildung verlängert) nicht bestanden, was für seine Psyche nicht förderlich war. Im Sommer letzten Jahres wollte er nicht nochmal verlängern und hat sich arbeitslos gemeldet. So richtig hat er sich dann nicht mehr um Arbeit bemüht. Er hatte einen Test am Flughafen als Luftsicherheitsassistent, diesen mit Bravour bestanden, dann leider bei der ärztlichen Untersuchung durchgefallen, da er wahrheitsgemäß angab, Serotonin-Hemmer zu nehmen (die ihm u. a. im Rahmen seiner Reizdarmgeschichte verschrieben worden war und da er eine Gesprächstherapie begonnen hatte). Danach kam arbeitsmäßig leider nix mehr. Schnell war 1 Jahr vergangen und das ALG1 abgelaufen und kein HartzIV-Anspruch. Um es kurz zu machen. Es ging ihm die ganze Zeit nicht gut aber er gab sich Mühe morgens aufzustehen, hatte eine Freundin, die ihn forderte (er tat Vieles ihr zuliebe auf das er eigentlich keine Lust hatte) hatte aber Angst davor eine Arbeit zu beginnen und diese "wieder" nicht zu beenden. Seine Versagensängste sind enorm. Vor ca. 4 Wochen hat sich auf Anraten seines Therapeuten in eine Tagesklinik begeben, fand die Ansprache mit anderen Patienten auch sehr gut und hilfreich aber die Therapiewege dort nicht so dolle, da er den Gesprächstherapeuten nur 1x die Woche für 30 Minuten sah und ihm Ergotherapie und Entspannungsübungen akut nicht halfen. Vor 2 Wochen hat seine Freundin die Beziehung (nach 1,5 Jahren) beendet, da sie sich von der Situation überfordert fühlte und mit ihm keine gesicherte Zukunft sah. Das hat ihm natürlich den Boden unter den Füssen gerissen. Die erste Woche hatte ich Angst um meinen Sohn. Er äußerte offen Selbstmordgedanken, schlief nicht mehr, liess sich in der Klinik Beruhigungsnotfalltabletten geben und ging letztendlich gar nicht mehr hin. Sie mussten ihn natürlich nun entlassen. Was klasse ist, ist, dass er zwischendurch immer wieder sagt, dass er aus der jetzigen Situation raus will. Die Tagesklinik hat ihm angeboten, sog. Hausbesuche von Therapeuten zu organisieren. Diese kämen wohl mehrmals die Woche für Gespräche. Ich hoffe, das klappt soweit. Gestern sagte er, er überlege, sich stationär in einer Klinik aufnehmen zu lassen, um die Heilung/Besserung zu beschleunigen. Früher haben mein Mann und ich vor Freunden und Familie seinen "Zustand" immer schön geredet und immer Ausreden gefunden, wenn gefragt wurde, warum er nichts macht aber heute haben wir uns entschieden offensiv mit dem Thema umzugehen und es als Krankheit endlich anzunehmen. Das fällt einen Tag leichter und am nächsten Tag könnte ich nur heulen. Darüber, dass ein körperlich gesunder junger Mensch voller Kreativität, Talenten und einem wunderbaren Charakter so leiden muss. Wir wünschen uns nichts sehnlicher als dass er auf eigene Füße kommt und ein eigenständiges Leben führen kann, wie er es sich vorstellt. Ich hatte schon über eine Familientherapie nachgedacht, da in meiner Vergangenheit und Familie leider auch einiges im Argen liegt, was sein Leiden ein Stück begründet (u. a. auch, dass ich meine Kinder unbewusst nicht los lassen kann) aber mein Mann ist dafür leider nicht zu haben. Ich bin schon froh, dass er sich überhaupt auf das Thema Depression einlässt und nicht mehr versucht, die Krankheit nicht wahrhaben zu wollen. Wir haben noch eine 20jährige Tochter, die uns in ihrer Pubertät bis ca. zum 19. Lebensjahr großen Ärger gemacht hat. Leider hat sie durch falschen Umgang etc. viele Chancen in ihrem Leben verbaut aber mittlerweile holt sie ihre mittlere Reife nach und hat Pläne für ihr Leben.
Entschuldigung, dass es so ein langer Text geworden ist. Ich weiss eigentlich selbst nicht, was ich damit bezwecken wollte. Ich bin trotz des guten Vorsatzes die Krankheit anzunehmen und trotz jahrelanger Erfahrung immer noch sehr unsicher und ängstlich. Ich gerate immer noch in Panik, wenn er mir sagt, es gehe ihm akut sehr schlecht, er sei unruhig etc.
Habt ihr vielleicht noch gutgemeinte Tipps, wie ich/wir sicherer werden im Umgang mit ihm und der Krankheit?
Ich wünsche euch allen alles Liebe und Gute!
haltaho
kaizer
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Registriert: 21. Jul 2016, 14:30

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von kaizer »

Aus meiner Sicht als Betroffener (33 Jahre) finde ich es sehr gut, dass ihr so hinter eurem Sohn steht und versucht, ihn zu unterstützen.

Am meisten hat mir im Umgang mit meinen Eltern geholfen, dass die psychische Erkrankung nach anfänglichem Verbergen und Ignorieren inzwischen recht offen besprochen werden kann und ich mich mit den damit verbundenen Einschränkungen einigermaßen verstanden fühle - auch wenn es für sie als Nicht-Betroffene natürlich mitunter kaum nachzuvollziehen ist.

Die meisten Kinder wollen ja auch im Erwachsenenalter ihre Eltern nicht enttäuschen, insofern ist es meiner Meinung nach am besten für euren Sohn, wenn ihr ihm signalisiert, dass ihr Verständnis für seine Situation habt und nicht mehr von ihm erwartet als er mit der Erkrankung leisten kann.
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

Vielen Dank für die freundliche Antwort. Es ist halt leider ein langer Lernprozess auch für uns, schliesslich soll er nicht das Gefühl haben, wir würden uns in irgendeiner Weise für ihn schämen.Wir versuchen weiterhin unser Bestes.
krimi56
Beiträge: 1920
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Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von krimi56 »

Für einen jungen Menschen ist es gut und wichtig zu wissen, meine Eltern akzeptieren, dass es eine Krankheit ist die mich ausbremst.
Ich weiß aus eigener Erfahrung als Eltern, es ist nicht leicht zu sehen wie sich das Kind verändert, massive psychische Probleme bekommt.
Wie du sagst, ein langer und anstrengender Lernprozess. Ich fühlte mich oft ohnmächtig nichts machen zu können.
Mein Kind hat bisher viel gemeistert und dein Sohn auch. Ihnen zu zeigen, dass wir auf sie stolz sind und auf das Erreichte gibt Ihnen Mut und Kraft weiter zu machen.

LG krimi
"Denk nicht daran, wie viel zu tun ist, welche Schwierigkeiten zu bewältigen sind oder welches Ziel erreicht werden soll, ...sondern widme dich gewissenhaft der kleinen Aufgabe, die gerade ansteht."
- Elisabeth Tova Bailey -
Katerle
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Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von Katerle »

Hallo haltao,

die Situation ist für alle nicht einfach und es ist auch wichtig, dass ihr weiterhin hinter eurem Sohn steht als Eltern. Deine Angst kann ich nachvollziehen, aber gut zu wissen, dass euer Sohn aus der Situation raus will und da könnt ihr ihn als Eltern dabei unterstützen. Das mit der Klinik wäre auch ne gute Möglichkeit für eine Besserung/Heilung. wichtig ist, das ihr auch weiter für ihn da seid, was natürlich auch nicht einfach wird.

Was auch positiv ist, dass ihr als Eltern seinen Zustand nicht mehr schön redet und als Krankheit versucht anzunehemen.

Alles Gute für euch,
Katerle
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

Vielen lieben Dank, Katerle. Es tut gut zu lesen, dass wir als Eltern in die richtige Richtung gehen. Weiterhin für dich auch alles alles Gute!
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

@krimi, ja, diese Ohnmacht macht einen manchmal fertig. Ich sage mir oft, wie toll er schon alles gemeistert hat in seinem jungen Leben. Aber die Gesellschaft und ihre eingefahrene Meinung, wie jemand zu funktionieren hat macht mich unglaublich wütend. "Sei wie du bist aber bloss nicht zu dick, homosexuell oder depressiv. Aber sei wie du bist". Aber ich werde diese öffentliche Meinung in diesem Leben nicht mehr ändern also versuche ich es in unserem kleinen Umfeld.
Auch für dich, krimi, noch viel Kraft. Ich bin sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben.
Katerle
Beiträge: 11307
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von Katerle »

Danke haltaho. Achso was ich noch schreiben wollte, mit unterstützen meine ich, dass ihr euren Sohn darin ermutigt, das Angebot von der Tagesklinik anzunehmen bzw. sich stationär behandeln zu lassen.
esperanto2015
Beiträge: 208
Registriert: 4. Apr 2015, 13:46

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von esperanto2015 »

Ich denke ihr macht das schon sehr gut. Ich habe selber so lange versucht meine Eltern für das Thema Depression zu sensibilisieren, bis meine Therapeutin meinte aufhören, es ist zwecklos. Am wichtigsten ist bedingungslos zu lieben.
Die grössten Menschen sind die, die anderen Hoffnung geben.
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

esperanto2015: ja, du hast recht und das tun wir, manchmal denke ich, sogar einen Tick zuviel. Schade, dass deine Eltern das Thema nicht so annehmen konnten, wie es für dich gut gewesen wäre aber man kann leider nichts erzwingen. Weiterhin alles Gute!
krimi56
Beiträge: 1920
Registriert: 25. Dez 2011, 11:45

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von krimi56 »

Danke haltaho, Kraft ist das was wir - Eltern und Kind - brauchen. Für evtl. Rückschläge und wegen der Unsensibilität mancher Leute aus unserem Umfeld.
Euch als Familie alles Gute.
krimi
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- Elisabeth Tova Bailey -
Inertia
Beiträge: 200
Registriert: 8. Mär 2015, 02:14

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von Inertia »

Hallo haltaho,

ich habe keinen wirklichen Ratschlag für dich, aber ich muss dir sagen dass ich es super finde wie du damit umgehst. Meine Mutter hat da anders reagiert ("willst du mich ins Grab bringen, magst du mich denn gar nicht mehr, mit dir habe ich immer nur Probleme, ...")

Ich denke viel mehr kannst du gar nicht tun, ein Wundermittel gibt es nunmal nicht.
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

Ich danke euch allen sehr für euren positiven Zuspruch. Das tut ehrlich gut. Ich habe noch eine kleine Frage und bitte nicht lachen oder so aber mich beschäftigt das doch sehr: mein Mann und ich wollen Mitte Oktober für eine Woche in den Urlaub fliegen, da wir Silberhochzeit haben. Ich mache mir Sorgen, ob es gut ist, ihn allein zu lassen. Seine Schwester ist zwar auch da aber sie geht weitaus rigoroser mit ihm um und streitet auch viel mit ihm, wenn er z. B. es nicht schafft, wie versprochen, morgens mit dem Hund raus zu gehen. Ich weiss zwar, dass wir diesen Abstsnd brauchen aber ein kleiner Zweifel bleibt.
Lieben Dank schonmal vorab.
Pummelchen
Beiträge: 1629
Registriert: 2. Sep 2015, 17:21

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von Pummelchen »

Hallo halthaho,

Ich denke wenn seine Schwester da ist würde ich auf alle Fälle fahren. Es tut euch sicherlich sehr gut mal eine Woche abschalten. Oder könnte er vielleicht in der Verwandtschaft die Woche unterkommen, vielleicht habt ihr einen verständnisvollen liebevollen Menschen den euer Sohn auch gerne mag? Aber ich denke die zwei schaffen es schon miteinander, unter Geschwistern geht es halt manchmal rauer zu aber das muss nicht unbedingt schaden.

Alles Gute für euch! LG Pummelchen
haltaho
Beiträge: 8
Registriert: 19. Sep 2016, 12:05

Re: Als Eltern lernen mit Krankheit umzugehen

Beitrag von haltaho »

Danke, Pummelchen. Wir haben zwar eine grosse Familie aber das würde er nicht wollen. Für dich auch alles Gute!
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