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Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu hier

Verfasst: 10. Aug 2016, 12:29
von Sockenfee
Hallo,

ich freue mich, das ich dieses Forum gefunden habe.
Ich frage mich, wieso ich erst auf die Idee gekommen bin, nach so etwas zu suchen..

Bei uns ist das Thema Depression seit einem halben Jahr ganz akut.

In unserem Leben ist es aber seit Jahren, ohne das es einen Namen hatte.

Betroffen ist mein Mann. Ich kenne ihn seit 25 Jahren, seit 12 Jahren sind wir verheiratet, haben zwei Kinder.

Er hat immer viel gearbeitet, wollte immer viel erreichen und hat sich da sehr unter Druck gesetzt. Mit Niederlagen kann er nur schwer umgehen. Von seinen Eltern fühlte er sich in dem, was er erreicht hat, nie ausreichend bestätigt.

Seit einigen Jahren nun wurde sein Verhalten immer schwieriger. Von himmelhochjauchzend (Ich bin so geil! Ich kann alles!) hin zu Versagensängsten, Schlaflosigkeit und und und.

Er arbeitete immer mehr und wurde immer unerträglicher. Die Kinder und ich gingen zu Hause nur noch auf Zehenspitzen im übertragenen Sinne und ich war schon genervt, wenn ich abends das Auto gehört habe.
So etwas wie eine Beziehung gab es gar nicht mehr. Wenn ich gefragt habe "Wie war Dein Tag?" bekam ich nur eine unfreundliche Antwort nach dem Motto "schrecklich natürlich".
Therapien und Antidepressiva sind was für Weicheier.

Ich schob alles lange lange auf den Druck durch die Arbeit, zu viel Stress, zu wenig Freizeit.
Im Laufe des letzten Jahres wurden aber die erträglichen Phasen immer weniger.
Keine Zärtlichkeit mehr, ja sogar schroff abweisend wurde er. Keine Umarmung, Sex nur noch selten, später quasi gar nicht mehr.

Ich war soweit, mich zu trennen.

Anfang diesen Jahres nun der Knall - durch E-Mails erfuhr ich, das er seit Jahren eine Affäre mit einer ehemaligen Arbeitskollegin hat. Mir war bewusst, das diese schon immer irgendwie ein Auge auf ihn geworfen hat, aber da sie auch selbst verheiratet war, dachte ich, ein Flirt und nicht mehr.

So war es aber nicht. Jahrelang E-Mails mit Liebeserklärungen, Treffen zum Spazierengehen, Kaffeetrinken und irgendwann auch Sex.

Mein Mann war völlig aus der Bahn als es rausgekommen ist.

Aber er sprach endlich. Wie es ihm geht. Das er seit Jahren das Gefühl hat, weder mit mir noch mit den Kindern richtig "da" zu sein. Das er gesehen hat, das es mir schlecht geht mit seinem Verhalten, aber nicht aus seiner Haut konnte. Das sie sich immer um ihn bemüht hat, und als sie ihn das erste Mal geküsst hat war das eben so. Genauso ging der Sex von ihr aus, er habe quasi aus Höflichkeit nicht abgelehnt und wollte das Bild das sie von ihm hat (erfolgreich, eloquent, das ganze Paket) nicht zerstören. Er hat mehrmals Schluss gemacht zwischendurch, weil ihn der Betrug belastet hat, aber sie hat ihn immer wieder angeschrieben, zum Kaffee überredet und alles nahm wieder seinen Lauf...
Er sagt, er wollte nichts ändern aus Angst, das es ih dann noch schlechter geht.

Lange rede, kurzer Sinn: er hat das sofort beendet und nach einigen Wochen ist er auch zum Arzt gegangen. Er macht eine Therapie und nimmt Antidepressiva.
Er möchte unser Leben wieder auf die Reihe kriegen.

Sein Verhalten mir und den Kindern gegenüber ist tadellos, liebevoll.

Aber was mache ich? Wie gehe ich damit um? Kann man eine Affäre und jahrelangen Betrug mit Depressionen "entschuldigen"?

Er sagt, seine Kraft reicht für die Situation so wie sie jetzt ist.

Die Situation auf der Arbeit entspannt sich, auch dort hatte er in der kürzeren Vergangenheit gar nichts mehr im Griff, nun wird es wohl gerade besser. Angstattacken hat er zur Zeit keine oder nicht so heftig (früher hat er wohl oft einfach stundenlang irgendwo gesessen und hat sich nicht zur Arbeit getraut aus Angst vor dem Berg, der dort auf ihn lauerte).

So weit so gut. Aber ich kann aus meinem Kopf nicht streichen, das er unsere Familiensonntage nicht - was schon schlimm war - oft genug der Arbeit geopfert hat, sondern sie ihn dort besucht hat.
Das er bis nachts im Büro war - auch um ihr noch E-Mails zu schreiben.

Es fällt mir schwer, diese persönlich unsere Beziehung betreffenden Dinge als Symptom der Erkrankung zu sehen.
Ich denke manchmal wenn ich ehrlich bin, er nutzt die Krankheit als Entschuldigung dafür.

Ich sage ihm, er muss in meinem Empfinden etwas wiedergutmachen, er empfindet die Normalität als ausreichend (oder zumindest ist es das, was er maximal "schafft").

Ich laufe selbst Gefahr, in eine merkwürdige seelische Verfassung zu geraten... ich kriege gerade auch gar nichts auf die Reihe, surfe im Internet, lenke mich mit sinnlosen Dingen ab oder stalke im Internet seine Affäre und ihre Familie. So kenne ich mich nicht und gefalle mir auch nicht.

Ich bin hin und hergerissen zwischen dem Einsehen, das er nun etwas tut und ich das anerkennen muss und der Tatsache, das ich einen Menschen, der sich so verhalten hat, eigentlich nicht in meinem Leben haben will.

Wie kommt ihr damit klar, das das Verhalten durch die Krankheit Euch persönlich verletzt? Wieviel kann/muss man akzeptieren?

Wie verliert man sich nicht selbst? Die eigene Selbstachtung, die eigenen Werte?

Gedankensammelsurium...

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 10. Aug 2016, 13:06
von Mike78
Hallo Sockenfee,

schön dass du hier her gefunden hast.

Ich denke das Schreiben des langen Textes hat erst Mal gut getan, mir geht es nach dem Schreiben jedenfalls immer so.

Meine depressive Frau ist nicht fremdgegangen, worüber ich sehr froh bin. Ich glaube nicht, dass man die Depression als Entschuldigung für das Fremdgehen akzeptieren muss, vorallem nicht, wenn die Affäre so lange läuft. Aber das muss jeder für sich ausmachen, in wie weit man dem Partner solche Fehltritte verzeihen kann!

Positiv ist, dass sich dein Partner dir mitteilen kann und auch mit der Therapie angefangen hat! Das sind doch gute Zeichen.

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 10. Aug 2016, 13:08
von Schwarzwaldmädel
Hallo Sockenfee,

willkommen in unserer Runde.
Deine Geschichte liest sich wirklich alles andere als schön, das tut mir sehr leid.
Aber viele Punkte kenne ich persönlich nicht von depressiven.
Mein Partner hat sich auch immer mehr von mir entfernt. Es gibt keine Nähe mehr, keine Zuneigung, keine Aktivitäten, kein Sex.
ABER! Auch nicht mit anderen!
Also normalerweise hat ein Depressiver ja Probleme damit Gefühle zu empfinden, daher finde ich es seltsam, dass er diese bei einer anderen Frau hat.
Und Sex nur zulassen... das hört sich für mich ehrlich gesagt schon seltsam an.

Ich kann nur schwer damit leben, dass sich mein Partner mir entzieht und unsere Beziehung steht deswegen auch auf der Kippe, aber ich könnte nicht damit Leben, wenn er eine andere hat/gehabt hätte.

Darum kann ich dir dazu leider keinen rat geben.

Ich wüsche dir auf jeden Fall viel Kraft für alles was auf euch zu kommt.

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 10. Aug 2016, 13:26
von evergreen
Hallo Sockenfee,
herzlichen Willkommen hier im Forum.

Deine Geschichte tut mir leid und hört sich ganz grausam an. Wenn du hier die Beitrage liest wirst du merken dass jede Geschichte anders ist, aber sich vieles doch immer ähnelt.

Ich kann deine Gedanken verstehen. Persönlich ist mir ein Betrug mit einer anderen erspart geblieben, zumindest habe ich bisher nichts anderes gehört, und ich denke das ist tatsächlich eine Sache die du nur ganz persönlich mit dir ausmachen kannst.
Ob dein Mann seine Krankheit als Entschuldigung nutzt oder ob es der Wahrheit entspricht, letztendlich ist es egal. Du solltest dir selber ein paar Fragen beantworten: kann ich damit leben seine Erkrankung als Entschuldigung für diesen Betrug zu akzeptieren? kann ich ihm verzeihen und das Kapitel zu schließen?
Wenn du das mit Ja beantworten kannst, wirst du wohl für dich eine wichtige Entscheidung getroffen haben. Denn wenn du weißt, dass du diesen Betrug niemals verzeihen kannst, ob die Krankheit daran Schuld war oder nicht, dann hat eure Beziehung wohl keine gemeinsame Zukunft.

Zu der Situation deines Mannes kann ich nur sagen, es hört sich sehr nach dem an was man hier auch so liest. Er ist wenigstens bereit sich helfen zu lassen, dass hier leider doch wenige anfänglich bereit sind. Evtl. habt ihr die Möglichkeit eine Paartherapie zu machen, wenn es deinem Mann besser geht. Wo du für dich nochmal auf den Betrug eingehen kannst, evtl. versuchen das traurige Kapitel gemeinsam zu verarbeiten.

Und für dich selber, mach die Dinge die dir Spaß machen. Überlege für dich, was dir gut tut. Versuche dir darüber klar zu werden, was du in Zukunft willst, wie dein Leben aussehen soll. Aus persönlicher Erfahrung, es ist schlimmer für Kinder mit Eltern zu leben die sich nicht lieben und ständig streiten als einmal den Schmerz des Auszugs eines Elternteils zu erleben. Da ich aber keine eigenen Kinder habe, kann ich dir da leider keinen Rat geben.

Liebe Grüße
evergreen

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 10. Aug 2016, 18:23
von Hlfe123
Hallo Sockenfee,

ja, das kenne ich auch, das Gefühl, durch die Krankheit persönlich verletzt zu werden. In unserem Fall nicht durch Fremdgehen, aber durch Anschuldigungen, Vorwürfe zu Sachen, die lange her sind (und vielleicht nicht einmal einen Vorwurf verdienen). Eine Weile war es mir möglich, das mit seiner Depression zu begründen, aber das Verständnis hört, denke ich, irgendwann einmal auch auf. Leider kann ich dir nicht mehr sagen, außer mein Mitgefühl....

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 11. Aug 2016, 11:09
von Sockenfee
Hallo,

vielen Dank für die Reaktionen.

Ich persönlich kann mir schon vorstellen, das eine Beziehung gleich welcher Art zu einer aussenstehenden Person, die nichts von den Problemen weiß, eine Art Flucht darstellen kann.
Das ist keine Entschuldigung für so ein Verhalten, ich will nur sagen ich kann es mir vorstellen.

Auch Menschen ohne Depressionen können in Krisen, bei Sorgen oder Problemen ja anfällig sein für so etwas, wenn sie dann Anerkennung bekommen, gelobt werden, alle Probleme ausblenden können.

Soviel nur dazu.

Es fällt mir auch schwer, ein Ventil als mehr verletzend anzusehen als ein anderes.

Wenn ich mir vorstelle, mein Mann wäre stattdessen zB einfach ausgezogen oder hätte beim Broterwerb gesagt "scheiss drauf" wäre meine Verletzung und die Konsequenzen für mich zwar andere, aber teilweise noch dramatischer (da er Hauptverdiener ist zum Beispiel).

Der Schock, den das Auffliegen ausgelöst hat, hat ja dazu geführt, das er endlich eingesehen hat das er Hilfe braucht und sich diese auch gesucht hat - vorher undenkbar.
Jetzt, ein halbes Jahr später, sind unter Gesprächstherapie und Medikament deutliche Fortschritte zu sehen. Die Kinder haben endlich einen Vater, der diesen Namen verdient und ich hätte einen Mann, mit dem es sich lohnt den Weg zu gehen - wenn diese persönlichen Verletzungen nicht wären.
Es gibt noch viel, viel, viel zu tun auf seinem Weg, es ist jetzt nicht plötzlich alles wundervoll, aber der Weg scheint richtig zu sein.
Soll ich da jetzt alles hinwerfen?
Hier lese ich oft, die von der Krankheit betroffenen ziehen sich zurück lassen niemanden an sich heran - über diesen Zeitraum sind wir ja aktuell hinweg.

Da hätte ich schon das Gefühl, ihn und die Kinder im Stich zu lassen wenn ich jetzt sage "klar, Du strengst dich doll an aber nein, Du hast ja und deshalb war das alles umsonst"

Nicht leicht. Aber was ist schon leicht in diesem Zusammenhang.

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 25. Aug 2016, 06:53
von ullkich
Hallo sockenfee,
Es hört sich gut an wenn du die fortschritte deines Mannes beschreibst.
Was mir aber fehlt ist wie geht es dir dabei?
Was ist mit deinen Gefühlen?
Hast du die Kraft weiter an seiner Seite zustehen?
Selbstschutz und Selbstfürsorge ist eine wichtige Sache.
Du kannst deinen Mann nur zur nur helfen wenn du stark bist.
Ich wünsche dir die Kraft eine Entscheidung für dich zu treffen

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 30. Aug 2016, 11:31
von Luna1966
Hallo Sockefee.

Du hast in der Tat gerade eine sehr schwere Situation zu bewältigen, darum wird dich hier keiner beneiden. Ob das Fremdgehen deines Mannes eine Auswirkung von Depressionen ist, wage ich aber abzuzweifeln. Schlüssig scheint mir aber der Gedanke, dass sich dein Mann mit einer anderen Frau von all den Alltagssorgen/Alltagsstress ablenken wollte. Sowas kann passieren,

wenn eine Beziehung nicht stabil ist!

In der Tat hast du viele Dinge, die du gerade beleuchten musst. Da ist eine lange Ehe, 2 Kinder, eine gemeinsame Zukunftsplanung, deine finanzielle Abhängigkeit ...

Aber auch dein Mann hat gerade viele Entscheidungen zu treffen. Da ist eine "fremde" Frau, die zwei Jahre lang seine Anvertraute und Geliebte war, die aber ist ebenfalls gebunden - könnte es damit einen Neuanfang für ihn geben? Da ist eine Familie, die im Falle einer Trennung sehr viel kosten wird, könnte er sich ein eigenes, finanziell eingeschränktes Leben leisten bzw. vorstellen?

Auch wenn du deinem Mann die letzten Jahre verzeihen kannst, vergessen wirst du dieses Betrug nie. Es hat und wird lebenslange Spuren hinterlassen.
Hast du schon einmal an eine gemeinsame Paartherapie gedacht? In eurer Ehe ist etwas nicht stimmig, was genau ist es? Nur wenn ihr gemeinsam diesen Punkt findet und aufarbeiten könnt, habt ihr meiner Meinung nach eine Chance auf einen Neubeginn.
Eine Therapie wegen der Depressionserkrankung deines Mannes ist die eine Sache, eine gemeinsame Paartherapie wegen der Beziehungsprobleme eine ganz andere. Es sind absolut unterschiedliche Themenbereiche, die sich kreuzen können aber keine der beiden Therapien ersetzt die nötige andere.

Ich war selber über 20 Jahre verheiratet. An einer Ehe und auch an Liebe, Vertrauen und dem Gefühl der Loyalität muss stetig gearbeitet werden, sonst verliert man sich im Dickicht des Alltags. So erging es zumindest mir.

Ich wünsche dir das deine Lebensgeschichte wie auch immer einen positiven Ausgang für dich nimmt, Pass gut auf dich auf. Deine Kinder brauchen eine gesunde, fröhliche Mutti.

Es grüßt

Luna

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 21. Sep 2016, 15:50
von Gehrke Jürgen
Hallo,
bin neu hier im Forum.Eine etwas ausführlichere Erzählung schreib ich noch bei Gelegenheit,im Moment vermisse ich etwas die Ruhe dazu..wegen Umzug.
Ganz kurz erzählt,meine Freundin leidet an schwerer Depression.Die Zeiten in denen es ihr gut geht werden immer seltener,seit Monaten hängt sie im Tief.
Schafft kaum noch ihren Haushalt und das tägliche Leben.
Jetzt meine Frage,in ihren Haushalt..helfen?..einfach mal anfangen?.. oder abwarten?
LG Wufdal

Re: Wie kommt man als betroffener Angehöriger zurecht? -neu

Verfasst: 27. Sep 2016, 16:39
von RezDep
Hy Wufdal,

herzlich willkommen!
vllt. wäre es gut, wenn du einen eigenen Thread eröffnest, sonst vermischt sich alles und es findet keiner :)
Und ein paar mehr Infos wären vllt. gut. Spontan: warum nicht im Haushalt helfen? Durch abwarten wird der Haushalt nur noch schlimmer und es sammelt sich alles an (spreche aus Erfahrung...ARGH).

LG
Kessy