Geheilt. Was nun?

music_is_life
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Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Beim 2. Anlauf konnte ich mein AD problemlos absetzen. Bevor ich groß "geheilt!" schrie, wollte ich ein paar Wochen AD-Abstinenz abwarten. Diese sind nun vergangen.

Die Depression war gruselig. Ich möchte sie kein zweites Mal er- bzw. durchleben. Aber sie war gleichzeitig eine Möglichkeit, mein Leben bzw. meine Psyche von Grund auf zu sanieren.

Mission erfolgreich.

Doch kaum habe ich Spaß am Leben, frage ich mich: "was nun?". Soll ich mein Leben glücklich und zufrieden mit mir selbst, einfach zu Ende vegetieren? Seit dem Absetzen der AD philosophiere ich täglich (aber glücklich) vor mich hin. Mal über den Sinn des Lebens, mal darüber, wie ich mein Leben gestalten möchte. Ich sehe die Gefahren des Kapitalismus, dieses tägliche Aufstehen und arbeiten gehen, damit Kapitalisten ihr Kapital ins unendliche steigern, ich meine Immobilie abbezahle und möglichs viel konsumiere, damit die Kapitalisten ihr unvorstellbares Kapital, noch unvorstellbarer machen. Bin ich damit wirklich frei? Naja, zumindest habe ich eine gewisse "Sicherheit", verhungere nicht und kann meinem teuren Hobby nachgehen.

Während der Depression hatte ich ein Ziel: gesund werden. Vor der Depression waren es die Ziele, die zur Depression führten. Will ich mir nun neue Ziele aufstecken, geht es mir doch ohne diesen "Zielen des Lebens" erheblich besser? Oder lebe ich einfach in den Tag hinein?
Ich möchte zwar mehr, aber ich brauche nicht mehr. Das "mehr" reizt und langweilt zugleich. Klingt paradox, aber wozu ist der Mensch in seiner natürlichsten Form, in seiner DNA und mit all den Erben der Evolution, gemacht? Ständiger Fortschritt und Verbesserung, schon klar, aber rein mental betrachtet?

Denn die Depression hat ja auch eine Schutzfunktion. Ist es so, dass wir gerade die "Überdosis" des Ständigen Fortschritts (innerlich, als auch von außen) zu spüren bekommen und dadurch erst depressiv werden?

Vielleicht beschäftigt sich jemand - unabhängig davon, ob geheilt - ja mit auch diesen Fragen.

Ich bin offen für einen Austausch. Muss aber nicht, da es im Grunde Luxusfragen eines Gesunden (bzw. Gesund-gewordenen) sind. Aber evtl. könnten andere Sichtweisen auch bei Leuten in einem Tief, was Positives anregen.

Grüße
M1971
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von M1971 »

Hallo, ich möchte Dich ja nicht demoralisieren, aber nach ein paar Wochen ohne AD von Heilung zu sprechen halte ich für etwas zu euphorisch. Es ist aber schön, dass Du gerade eine angenehme Phase erlebst.
Zu Deinem Themen nach dem Sinn des Lebens: da ist jeder für sich selbst verantwortlich und muss seinen Weg finden - fernab von Stammtischparolen
Gruß
M
Seide
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Seide »

Hallo, ich schließe mich M an.
Ein Professor , den Namen weiß ich leider nicht mehr, ist der
Meinung.
Wer Depressionen hat, hat sie immer. Mal mehr ,mal weniger.
Die Depressiven müssen lernen damit umzugehen.
qwertzuiopII
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 16:21, insgesamt 1-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
M1971
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von M1971 »

Es braucht keinen Experten, um zu wissen, dass Depressionen nicht heilbar sind. Ein Blick ins Forum reicht : die meisten User hier berichten von langen Krankheitsgeschichten. Aber wie bei jeder anderen Krankheit auch gibt es zumindest gute Phasen
Czarek
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Czarek »

:hello:
Zuletzt geändert von Czarek am 1. Feb 2017, 19:37, insgesamt 1-mal geändert.
"Liebe Dich selbst - dann können die andere Dich gern haben"
(Hirschhausen)
esperanto2015
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von esperanto2015 »

meinem teuren Hobby nachgehen

Was ist denn bitte damit gemeint??
Die grössten Menschen sind die, die anderen Hoffnung geben.
qwertzuiopII
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von qwertzuiopII »

...
Zuletzt geändert von qwertzuiopII am 8. Jan 2017, 16:21, insgesamt 1-mal geändert.
Wenn das Lichtspiel des Lebens keine Schatten mehr wirft
music_is_life
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Hallo, ich möchte Dich ja nicht demoralisieren
schaffst du nicht, womit denn, mit einer Meinung? ;)
aber nach ein paar Wochen ohne AD von Heilung zu sprechen halte ich für etwas zu euphorisch. Es ist aber schön, dass Du gerade eine angenehme Phase erlebst.
genau genommen geht es mir seit 1 Jahr konstant richtig gut. Und ja, natürlich ist das subjektiv, das sollte jetzt kein Befund "geheilt" sein. So viel dazu beigetragen haben die AD (Elontril) nicht, da sie kaum auf Serotonin, sondern sich hauptsächlich auf Noradrenalin- und Dopamin-Rezeptoren auswirken.

Ich erlebe natürlich auch heute noch Situationen, die mich früher in eine tiefes Loch geführt hätten. Nur habe ich mit der Therapie Werkzeuge erhalten, mit denen ich mir auch noch in aussichtslosen und belastenden Situationen rational behelfen kann. Es fällt mir schwer, in ein Tief zu fallen, da ich immer eine Lösung parat habe. Die Situation auf der Arbeit und in meiner sozialen Umgebung hat sich ja nicht verändert, sondern ich war es bzw. meine Sicht auf die Dinge.
Zu Deinem Themen nach dem Sinn des Lebens: da ist jeder für sich selbst verantwortlich und muss seinen Weg finden - fernab von Stammtischparolen
Gruß
M
darum geht es mir nicht, für mich ist Philosophieren eine Form der Entspannung. Ich suche nicht den Sinn des Lebens! Natürlich bin ich selbst verantwortlich und ich habe meinen Weg bereits gefunden. Es geht mir darum, den Weg genauer zu betrachten. Das bedeutet nicht, zwangsläufig etwas ändern zu wollen. Ich möchte lediglich wissen, ob andere sich auch überhaupt Gedanken darüber machen.
music_is_life
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

M1971 hat geschrieben:Es braucht keinen Experten, um zu wissen, dass Depressionen nicht heilbar sind. Ein Blick ins Forum reicht : die meisten User hier berichten von langen Krankheitsgeschichten. Aber wie bei jeder anderen Krankheit auch gibt es zumindest gute Phasen
Das sehe ich ganz anders. Bei mir war es nunmal ein Kindheitstrauma, das dazu führte und mit dem ich abgeschlossen habe.
music_is_life
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Klasse. Dann freu dich doch darüber - so einfach
Vermutlich habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich freue mich ja darüber.
Glaub mir - Komune war auch "nicht der Bringer" :P
Ich weiß. Ich hinterfrage und zweifle den Kapitalismus lediglich an. Wie gesagt, er bringt mir ja auch Vorteile. Ich sehne mich ja nicht nach einem anderen System, ich sehe nur, dass wir mehr daraus machen könnten und dieses System noch massig Verbesserungsmöglichkeiten bietet.
Wer zwingt dich "Überdosis" zu leben ? Wie wäre es mit : ZUFRIEDENHEIT ? ;)
Auch hier: ja, ich bin zufrieden. Was nicht heißt, dass ich mein Hirn damit auf Standby-Modus schalten möchte. Ich könnte. Aber ich denke gerne über Dinge nach.
Mit "Überdosis" meine ich: die Entwicklung der Menschheit ist im Grunde positiv. Wir schaffen gesunde Lebensweisen, wir versuchen unsere Fehler zu korrigieren, forschen in der Medizin, wir leben dank dieser länger. Doch auch im Sozialwirtschaftlichen Bereichen versuchen wir aus Mitarbeitern, das Beste raus zu quetschen. Alles ist so schnell geworden, Globalisierung, Pakete bei Amazon werden noch schneller geliefert, bei geringerem Lohn, bei schlechteren Arbeitszeiten. Mein Vater (Ü50) muss dank einer großen Supermarktkette nun Nachtschicht arbeiten, was ihn körperlich komplett auslaugt. Im Angestelltenbereich sind plötzlich Burnout und psychische Beeinträchtigungen ein Problem unserer Zeit.
Das alles, Dank "Überdosis" des Fortschritts. Das meinte ich damit.
Wie wäre es mit : öfters lächeln (weil man doch alles nötige hat, nichts entbehren muß (in physischen Sinne) und weil man in Frieden lebt !!!
Eins hab ich selbst erlebt und gesehen : in armen Ländern gibt es kaum Depressionen, weil man mit : ÜBERLEBEN beschäftigt ist (hab ich Morgen was zu Essen etc... )
Das waren so meine spontane Gedanken ;)
LG: Czarek
Und mir gefällt es sehr, andere Meinungen und Ansichten zu lesen! :-)
Ich denke aber schon, dass in ärmeren Ländern Menschen an Depressionen genauso - wenn nicht sogar häufiger - erkranken.
Nur ist eben in armen Ländern die ärztliche Versorgung katastrophal, sodass es dort wohl kaum zur Diagnose kommt. Und wenn Depression schon hier von so vielen noch als Tabu-Thema gelebt wird (es wird ja erst so langsam), wie soll man in Ländern, in denen diese kaum diagnostiziert wird, überhaupt offen darüber sprechen? Überall dort, wo Menschen keine Wahl haben, wo sie sich Situationen ausgeliefert fühlen, birgt sich die Gefahr der Depression.
Botus
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Botus »

Es gibt Betroffene, die immer wieder von depressiven Stimmungen und Gedanken heimgesucht werden. Wann das das nächste mal der Fall sein wird, weiß niemand vorher. Es passiert einfach. Die Krankheit ist drin und sie bahnt sich immer wieder auf`s Neue ihren Weg.

Ich finde aber nicht, dass man daraus die allgemein gültige Regel basteln kann, "alle sind so und so". Das zeigt sich doch schon an den unterschiedlichen Verhaltensweisen. Manche ziehen sich komplett zurück, sie reagieren apathisch, andere wiederum sind liebebedürftig, harmoniebedürftig, mitteilungs- und austauschbedürftig, andere hingegen wirken streitlustig, sie brauchen jemanden, mit dem sie auf persönlicher Ebene rumstreiten können.

Daran sieht man doch schon, dass es eine Regel "alle Betroffenen sind so und so" nicht gibt.

Das gilt auch für die Krankheit. Wenn bestimmte Dinge die depressiven Phasen auslösen, können beschwerdefreie Phasen (logischerweise) unbegrenzt lange dauern. Aber plötzlich geschieht irgendwas... sofort werden gleich drei Tage hintereinander rabenschwarz... so als wäre derjenige entgleist und umgekippt. Ohne die kurz zuvor erfolgte Begegnung mit dem Auslöser wären diese drei Tage schön gewesen. (So ist das bei mir).

In so einem Fall finde ich es falsch, den Betreffenden vollständig zerlegen und neu wieder zusammen bauen (sprich einen vollkommen anderen Menschen aus ihm zu machen), nur damit er künftig die Begegnungen mit dem Auslöser übersteht.

Ich habe sinngemäß derartige Tipps erhalten. Ich folge ihnen nicht, denn mein Leben ist genau so, wie ich es haben wollte. Es ist sogar ein bißchen besser geworden als beabsichtigt. Dem entsprechend freue ich mich. Das schmeisse ich doch nicht alles weg, nur um mich künftig erfolgreich von den Auslösern abgrenzen zu können.

Statt dessen tue ich, was ich schon immer gemacht habe. Ich versuche, mein Leben zu verbessern, dass ich mit den Auslösern möglichst nicht konfrontiert werde. Eine Wohnsituation, in der es nur liebe, nette Nachbarn gibt, die sich gegenseitig wohlwollend betrachten und sich auch gegenseitig helfen, wäre ein Beispiel dafür. Diese Situation habe ich mir vor etlichen Jahren bereits geschaffen. Oder eben das Berufliche. Auch hier ist es so eingerichtet, dass weit und breit nur nette, entspannte, sehr freundliche Leute sind. Es kommt somit nicht zu dem, was ich "Streit wegen Nichts" nenne.

Völlig vermeiden lässt sich die Konfrontation mit sowas natürlich nicht. Im Straßenverkehr kann es zum Beispiel jederzeit passieren, dass irgendwer wegen "Nichts" aggressiv wird oder sogar explodiert. Ein anderes Beispiel wären Beziehungen. Wenn ich ne Freundin hatte, gab es gratis dazu immer einen Ex, der im stetigen Wechsel endlos anrief, bettelte, weinte, schimpfte, pöbelte, aggressiv war (alles Durcheinander) und das Ganze dauerhaft. Statt zu leben, verbringen die ihre Lebenszeit mit sowas. Ich soll dabei auch noch mitmachen oder werde sogar als Auslöser genannt und am Ende soll ich auch noch schuld dran sein. Na schönen Dank.

Sorry für den langen Post. Ich habe versucht, das kurz zu halten und ggf. auch schon gekürzt / geändert. Ich will eigentlich sagen, dass die Gefahr niemals vollkommen gebannt ist. Aber...man kann auf sich aufpassen, Dinge vermeiden, Situationen vermeiden, Menschen vermeiden, die einem nicht gut tun. Und... sich selbst gezielt Gutes tun.
Zuletzt geändert von Botus am 23. Mai 2016, 06:13, insgesamt 1-mal geändert.
RezDep
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von RezDep »

Hy,

schön, dass es dir schon etwas länger gut geht!!
Das mit dem rumphilosphieren kenn ich auch, grad such ich irgendeinen Sinn im Leben. Ich vermute, wenn ich da irgendwas für mich greifen kann, wird sich auch an der Symptomatik etwas bessern.

Ich finde es erstaunlich, dass du dir über die ganzen Dinge Gedanken machen kannst, OHNE in Depressionen zu versinken ;). Ich denk darüber bewußt nicht weiter nach, weil es halt oft Dinge sind, die ich nicht ändern kann und halt lernen muss, zu akzeptieren.
Auch, wenn ich es grad auch nicht besser hinkriege: ich glaub, das Leben kann man weniger durch Nachdenken drüber als durchs Handeln und Ausprobieren "erleben".

Ansonsten bin ich bei vielem eher auf mich bezogen: was kann ich tun, damit die Welt etwas besser wird? Was nützt es mir, mich über (z.B. Politik, manche Zeitgenossen, whatever) aufzuregen, wenn ich die (Personen oder Umstände) eh nicht ändern kann? Ich versuch also mehr drauf zu schauen, wie ich für mich das beste raus hole/das Beste aus den Umstaänden machen kann/das beeinflusse, was ich im kleinen beeinflussen kann. Leider gelingt mir das nur in den guten Phasen. Grad hab ich so gar keine Meinung zu nix geschweige denn die Energie, mich damit auseinanderzusetzen oder was zu ändern.

Ich hoffe, das gehört hier rein, werd grad etwas konfuselig...

LG
Kessy
Luna1966
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Luna1966 »

Guten Morgen, Musik is life.

Herzlichen Glückwunsch, dass du es beim zweiten Versuch geschafft hast, dein AD abzusetzen. Das war dir ja schon etwas länger ein Bedürfnis. Gut, dass es jetzt "erledigt" ist und es dir gut damit geht.

Grundsätzlich teile ich die Meinung der Meisten hier, dass Depressionen nicht heilbar sind. Allerdings gebe ich dir auch recht, dass man damit gut leben lernen kann.
Auch ich habe vor einigen Jahren eine schwere Episode gefolgt von zwei mittelschweren Episoden ertragen müssen und habe mich nicht damit abfinden können, dass es nun ewig so sein solle.
Mit entsprechenden Werkzeugen lerne ich immer besser, anbahnende depressive Episoden "abzupuffern".
Dazu gehört auch eine entsprechende Ernährung, denn Neurotransmitter lassen sich auch durch bestimmte Lebensmittel beeinflussen (ich meine aus deinen Posts herauslesen zu können, dass dir dieser Zusammenhang auch klar ist).

Demzurfolge unterstütze ich deine These, dass in ärmeren Ländern Depressionen weiter verbreitet sind , denn die Ernährung dort ist infolge von Armut sehr einseitig. Natürlich kommen noch mehr Faktoren hinzu (dazu gibt es übrigens auch Statistiken im Inernet zu finden, die das belegen).

Wie kommt es also, dass Depressionen jetzt auch bei uns so weit verbreitet sind? Ich denke ähnlich wie du, dass der "Kapitalismus" ein Grund dafür ist. Heute haben viele Menschen Zukunftsängste, Geldsorgen, die Arbeit ist zu einem notwendiges Übel geworden und kaum einer kann sich individuell nach seiner Persönlichkeit selbst verwirklichen

Auch ich habe mich nach meiner Therapie gefragt:
Und jetzt?
Denn als ich aus dem dunklen Nebel auftauchte, sah ich das Leben mit anderen Augen. Was mir zuvor einen Sinn gegeben hat, wurde sinnlos - Arbeit, Geld, Freunde
und es war schwer, mich neu zu sortieren und zu sehen, wo ich stehe.

Dafür bin ich einige Monate alleine ins Ausland gegangen. Ich habe mich meinen Gedanken hingegeben, in den Tag hineingelebt, mich mit "Aussteigern" angefreundet und deren Leben betrachtet/ein Stück weit begleitet.
Dann kam der Zeitpunkt, dass ich "nach Hause" zurück wollte. Heute arbeite ich wieder in dem gleichen Job, habe meine "alten" Freunde wieder in mein Leben gelassen, zahle mein Haus ab und genieße die Zeit mit meiner Familie.

Ich bin in dem Alter deines Vaters und auch wenn ich manchmal nach der Arbeit altersbedingt "kaputt" bin, lohnt sich all die Anstrengung wieder, denn ICH bin glücklich damit. Und Glücklichsein ist für mich das beste Mittel GEGEN Depressionen und macht mein Leben wieder sinnvoll und lebenswert.

Wer welchen Sinn im Leben hat, entscheidet jeder einzelne ganz alleine für sich. Manchmal dauert es etwas, um Faktoren zu entdecken, die einen Sinn im eigenen Leben geben. Die kann einem auch keiner vorsagen, denn für den einen ist es Geld, der andere favorisiert Liebe ein dritter Arbeit etc. Aber wenn man diese erst wieder entdeckt hat, dann kann man m.E. auch glücklich und zufrieden leben und von "geheilt" sprechen.

Dir einen weiterhin guten Austausch zu diesen spannenden Themen und eigene Erkenntnisse zum Sinn deines Lebens.
Herzlichst
Luna
Sonnenblume14
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Sonnenblume14 »

Hallo,

ich gehöre ja auch zu denen, denen es seit geraumer Zeit besser geht, daher sprach mich dein Thread an.

Zum einen stimme ich meinen Vorschreibern zu - geheilt würde ich nach meinen Erfahrungen nicht sagen. Ich ahne, dass eine schwere Lebenskrise mich wieder in ein Loch werfen könnte. Nur: ich weiß jetzt damit umzugehen bzw wo ich Hilfe bekomme. Damit bin ich weiter als vorher und es schreckt mich nicht mehr so sehr.

Außerdem merke ich durchaus, wie unterschiedlich das Leben ist. Mal fühle ich mich gut, mal schlechter, ich geniesse es, das so intensiv wahrnehmen zu können. Auch die Bedürfnisse nach Ruhe, nach Action - je nachdem. Ich freue mich darüber, dass ich die Bedürfnisse jetzt erkennen kann , ihnen nachzugeben bedeutet innere Zufriedenheit. Ein schönes Gefühl.

Der Sinn des LEbens ... ist womöglich das Leben selbst. Gegenfrage: muss alles einen Sinn haben?

Ich lebe. Und beeinflusse das Leben anderer - ein kleines Sandkorn in der Wüste. Ohne das die Wüste nicht exisiteren würde.

LG Sonnenblume
"Depressionen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern dafür, dass jemand zu lange zu stark sein musste" (Johnny Depp)

"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts." Sören Kierkegaard
FönX
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von FönX »

Hallo music_is_life,

gratuliere, dass es dir besser geht!

Ich habe nicht jede Antwort auf dein Originalposting gelesen. Aber das Wort "Ziel" schrieb bisher niemand. Setze dir Ziele, und zwar S.M.A.R.T.e Ziele. Siehe auch hier.

Was Konsum und Geld angeht - Das Leben besteht aus mehr als Geld verdienen und ausgeben. Und so bald man die notwendigen Dinge (Kleidung, Obdach, Nahrung) hat, bringt dich kein weiterer Euro deinem Lebensglück näher.

Dein Nick lässt mich ahnen, dass Musik dein Leben bist. Aktiver Musiker? Dann mach Musik. Viel Musik. Schreib Musik, produzier Musik. Das ist heute technisch so günstig wie noch nie. Es muss kein Nr.1 Hit sein. Ich bin auch Musiker, spiele aber fast nur für mich und meine Frau und gelegentlich für Gäste.

Gruß&Blues
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
music_is_life
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Danke euch allen für die inspirativen Antworten! Auch wenn ich mich "geheilt" sehe, komme ich immer wieder gerne hier her zurück. Die Qualität der Antworten hier im Forum empfand ich schon immer sehr hoch.

Dobi, du schreibst, dass du dir die Dinge selbst zurecht legst bzw. gelegt hast:
Eine Wohnsituation, in der es nur liebe, nette Nachbarn gibt, die sich gegenseitig wohlwollend betrachten und sich auch gegenseitig helfen, wäre ein Beispiel dafür. Diese Situation habe ich mir vor etlichen Jahren bereits geschaffen. Oder eben das Berufliche. Auch hier ist es so eingerichtet, dass weit und breit nur nette, entspannte, sehr freundliche Leute sind.
Das ist natürlich etwas, dass wir alle gerne haben. Das wäre ja das Optimum. Aber gestattest du es (rein innerlich, rein von deiner Haltung her) den anderen auch mal nicht nett und entspannt zu sein? Ich meine, wir, die eben die Erfahrung mit negativen Gemütszuständen gemacht haben, müssten doch am besten wissen, dass der Mensch nicht immer diesem "Optimum" entspricht? Dann ist es doch ok, wenn ein Nachbar mal nicht entspannt und nicht freundlich ist..? Oder dass Kollegen auch mal gestresst sind? Im Grunde geht es doch darum, sich ja nicht abhängig machen von äußeren Faktoren wie z. B. dem Streßlevel der Kollegen oder dem "Freundlichkeitsfaktor" der Nachbarn. Oder?

Kessy, Danke für die Antwort! Du schreibst:
Ich finde es erstaunlich, dass du dir über die ganzen Dinge Gedanken machen kannst, OHNE in Depressionen zu versinken ;). Ich denk darüber bewußt nicht weiter nach, weil es halt oft Dinge sind, die ich nicht ändern kann und halt lernen muss, zu akzeptieren.
Früher hätten mich diese Gedanken depressiv gestimmt/gemacht. Seit Therapie-Ende fühle ich mich, als würde ich die Welt verstehen. Damit fällt es mir sehr leicht, Problematiken objektiv zu bewerten, mich nicht als Opfer oder der Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sehen.
Ich fühlte mich vor der Therapie Menschen oft unterlegen. Nun ist es umgekehrt. Ich habe mir während der Therapie quasi psychologische Lektüre wie süchtig jeden Abend "rein gezogen". Ich wollte alles wissen. Nun habe ich das Gefühl, anderen (was die Psyche angeht) überlegen zu sein. Eine Freundin sagte mir kürzlich, die Gesprächen mit mir brächten sie weiter, als ihre Therapie. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so positiv dem Leben gegenüber gestimmt.
Daher würde ich schon bei kleinsten Anzeichen einer Rückfälligkeit schnell entgegensteuern. Zumindest bin ich der Ansicht, dass man - in meinem Fall - schon von "Heilung" sprechen kann.

Luna, im Grunde triffst du es richtig, ich denke es sind die Werkzeuge und die Qualität der Werkzeuge, die eine depressive Episode ggf. schon vorher "abfangen" können.
Mit entsprechenden Werkzeugen lerne ich immer besser, anbahnende depressive Episoden "abzupuffern".
Dazu gehört auch eine entsprechende Ernährung, denn Neurotransmitter lassen sich auch durch bestimmte Lebensmittel beeinflussen (ich meine aus deinen Posts herauslesen zu können, dass dir dieser Zusammenhang auch klar ist).
Ernährung ist bei mir seit Jahren im Grunde schlecht. Auch herrscht seit 2 Jahren Bewegungsmangel. Mir geht es damit nicht schlechter. Ich denke aber, dass das schon noch eine Schraube ist, an der ich drehen kann, um eben das absolute Optimum an Lebensqualität zu erreichen.

Hallo Sonnenblume14! Es muss natürlich nicht alles einen Sinn haben. Ich denke auch, dass ganz oft produktive Gedanken erst kommen, wenn wir nicht nachdenken, wenn wir dem Hirn Ruhe gönnen. Quasi dem Unterbewusstsein Vorrang geben. Denn genau das Gegenteil beobachte ich um mich herum: Menschen, die dem Beruf nacheifern, als sei das der Sinn des Lebens. Ständig konzentriert, ständig mit dem Ziel vor Augen, möglichst Leistung, Leistung und nochmal Leistung zu erbringen mit der Absicht, Gewinn zu optimieren, Kosten zu senken, sich Materielles leisten zu können. Sich Dinge zu kaufen, die glücklich machen sollen. Das funktioniert! Kurzfristig. Aber man gewöhnt sich schnell an den Mercedes. Man gewöhnt sich schnell an Wohlstand. Und merkt dann, dass man kein Stück glücklicher ist, als zuvor.
Dieses System macht krank. Es wurde uns aber bereits in der Kindheit eingetrichtert "wenn aus dir was werden soll, musst du was leisten". Die Schule untersützt dieses System, in dem Sie nach Leistung bewertet. Und ich denke nicht, dass Depression ein Problem unserer Zeit ist. Ich denke, sie war schon immer da. Nur erkennt man erst jetzt so langsam die Wichtigkeit der Psychologie. Gerade jetzt ist der therapeutische Bedarf auch am höchsten, da wir ja mittlerweile eine Dienstleistungs-Gesellschaft geworden sind.

Und ich denke, dass es wichtig ist, genau darüber zu reden. Ich denke, es ist wichtig, dass gerade depressiv Erkrankte erkennen, welche Faktoren aktuell Einfluss nehmen können auf unsere Gesundheit. Und da gehört das "du musst was leisten"-Denken unserer Zeit für mich dazu.
Botus
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Botus »

music_is_life hat geschrieben:
Das ist natürlich etwas, dass wir alle gerne haben. Das wäre ja das Optimum. Aber gestattest du es (rein innerlich, rein von deiner Haltung her) den anderen auch mal nicht nett und entspannt zu sein? Ich meine, wir, die eben die Erfahrung mit negativen Gemütszuständen gemacht haben, müssten doch am besten wissen, dass der Mensch nicht immer diesem "Optimum" entspricht? Dann ist es doch ok, wenn ein Nachbar mal nicht entspannt und nicht freundlich ist..? Oder dass Kollegen auch mal gestresst sind? Im Grunde geht es doch darum, sich ja nicht abhängig machen von äußeren Faktoren wie z. B. dem Streßlevel der Kollegen oder dem "Freundlichkeitsfaktor" der Nachbarn. Oder?
Die Menschen haben ja in Übereinstimmung miteinander / untereinander gewisse Grenzen definiert. Und das hat seinen guten Grund. So lange die einigermaßen eingehalten werden, kratzt mich sowas nicht. Ich (oder jemand anders) wäre erst dann beeinträchtigt, wenn diese Grenzen überschritten werden.

Im Beispiel Straßenverkehr weisen sämtliche Statistiken darauf hin, dass immer mehr Leute schon bei Kleinigkeiten austicken, jedes Maß und jeglichen Blick für Grenzen verlieren. Das selbe bestätigen Einsatzkräfte auch im häuslichen Bereich. Auch müssen sich Gerichte mit einem regelrechten Tsunami aus Nachbarschaftsstreitigkeiten beschäftigen, die aus Nichtigkeiten entstehen und dann eskalieren. Eine weitere Bestätigung finden wir bei Jugendämtern, die sich heute tgl. mit Erwachsenen beschäftigen müssen, die sich wegen Nichts im Krieg miteinander befinden. Die Liste der Beispiele könnte endlos weiter geführt werden.

Wenn Du als Mensch so nicht bist, so auch nicht werden möchtest, schon gar nicht mit sowas leben möchtest (sprich: gesund bleiben möchtest...), musst Du Dich wohl oder übel mit derartigen Trends beschäftigen. Auch muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese Neigung bereits vor den jeweiligen Ereignissen in den Beteiligten veranlagt ist. Der Mensch muss eine entsprechende Veranlagung haben, um sowas zu machen oder bei sowas mitzumachen. Damit ich einen Bogen um Leute mache, muss nicht erst was passieren. Mir reicht es schon, wenn ich bei einem Menschen die Veranlagung erkenne.

Übel gelaunte Nachbarn oder Kollegen oder Verkehrsteilehmer oder Exfreunde der Partnerin (etc.) wären mir völlig schnurz. Sowas hat mich noch nie gekratzt. Ich werde erst nervös, wenn es sich um Leute handelt, die schon bei Kleinigkeiten kein Maß mehr kennen. Die typischen Merkmale kann man ganz einfach erkennen. Darüber hinaus bildet diese Veranlagung auch in den Biografien der Betreffenden ab. Man muss nur hingucken und das tue ich halt. Es geht schließlich darum, gesund zu werden, bzw. gesund zu bleiben. Die Empfindlichkeit ist natürlich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Es gibt auch Menschen, für die sowas als ganz normal ansehen. Das respektiere ich, nur möchte ich halt nicht deren Leben haben. Ich möchte ein anderes. Sich das Leben selbst auszusuchen, ist das Recht eines jeden Menschen, wie ich finde.
Zuletzt geändert von Botus am 6. Jun 2016, 13:47, insgesamt 2-mal geändert.
Zwiebelchen
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Zwiebelchen »

Hallo music is life,

ich sag mal so - sich allen Anderen überlegen zu fühlen, statt unterlegen - klingt für mich nicht rein "gesund", sondern eher nach dem anderen Extrem. Denn alle Menschen sind ja gleich viel wert. Man darf sich aufwerten/toll fühlen, das heißt ja nicht, dass man andere abwertet (auch wenn manche diesen Glaubenssatz in sich tragen).

Aber da musst du aufpassen dich nicht immer als etwas "Besseres" zu fühlen/darzustellen, sonst wird der Kontakt mit den Anderen evtl. auch schwierig. Wenn man früher nur Leistung erbrachte, unter enormem Druck stand (bzw. sich selbst setzte), dadurch krank wurde und jetzt meint genau das Gegenteil tun zu müssen. Irgendwo ist meist die goldene Mitte, das Maß, was ich auch oft schwer zu finden finde. ;)

Wer in sich ruht
"Wer in sich ruht,
braucht niemandem etwas zu beweisen.
Wer um seinen Wert weiß, braucht keine Bestätigung.
Wer seine Größe kennt, lässt anderen ihre!

Wenn Du beginnst, mit dem Herzen zu denken,
mit der Seele zu lieben und mit dem Geist zu fühlen,
wirst Du die Welt mit anderen Augen sehen!

Folge Deinen Impulsen, solange sie Dich inspirieren!
Verwirkliche Deine Ideen, solange sie Dich begeistern!
Lebe Deine Gefühle, solange Sie in Dir sind!

Erst wenn wir uns von den Stimmen
in uns und um uns herum nicht mehr
vorschreiben lassen, wer wir sein
sollen, werden wir wissen, wer wir
sind und können gehen, wohin wir wollen! " Hans Kruppa

Aber ich freue mich für dich, dass du dich generell besser fühlst! Pass gut auf dich auf.

Liebe Grüße
Viele Grüße,
Zwiebelchen
music_is_life
Beiträge: 140
Registriert: 9. Nov 2014, 16:31

Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Ok, ich habe das zu pauschal ausgedrückt. "Mich überlegen fühlen" ist keineswegs auf den Wert bezogen. Das wäre nicht nur ein anderes Extrem, sondern die selbe Form der Selbstunsicherheit. Da wäre ich kein Stück weitet. Überlegen fühle ich mich beim Angehen von Lösungswegen für Dinge, die die Psyche betreffen. Ich kann Menschen, denen es schlecht geht, gut helfen, sich wieder gut zu fühlen. Natürlich ist das keine 100 % Sache und manchmal braucht der Mensch ja auch die Trauer, die Wut und eben alle Emotionen, die von Natur aus da sind. Ein weiteres Beispiel sind Emotionen. Männern, die an ihrer Männlichkeit zweifeln, weil sie Emotionen zulassen, fühle ich mich überlegen. In dem Sinne, da sie noch in Ihren Kindheitsmustern fest hängen ("ein Mann weint nicht", "sei stark, sei nicht sanft" und der ganze Quatsch). Seitdem fühle ich mich eben eher als ganzer Mann, mit all meinen sanften Seiten, als zu vor, als ich noch dachte, ich müsse immer Stark sein und immer wissen, was zu tun sei. Und "der harte Kerl" ist in 100 % der Fälle nur eine Rolle. Genau solch eine Fasade wie der Macho oder "Alpha-Typ". Das sind auch nur gespielte Rollen, um sich männlicher zu fühlen während man im Inneren seine Männlichkeit anzweifelt. Ich bin davon befreit. Darum fühle ich mich Männern, die diese Rolle spielen, nun mal überlegen. Heisst aber nicht, dass ich mich über sie stelle. Sie haben einfach nur noch nicht gelernt, was ich ja auch erst lernen musste. Das ist nur ein Beispiel.
Zwiebelchen
Beiträge: 601
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Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Zwiebelchen »

Hallo music is life, :hello:

das Problem ist wenn du dich Anderen überlegen fühlst, weil du meinst du wärst einen Schritt weiter, kann das schon so rüber kommen als wärst du etwas Besseres, empfindest dich so.

Ich weiß was du meinst bzw. kenne das von mir. Die Realität ist aber: Jeder Mensch und jeder Weg ist verschieden.
Du hast das Gefühl du bist in der psychischen Entwicklung weiter - aber manche Männer werden sich gar nicht so weiter entwickeln wie du es als zwangsläufig notwendig ansiehst. Evtl. sogar sehr viele nicht.

So lange dich das dann nicht stört, ist es ja egal. Wenn du trotzdem mit allen gut klar kommst, auch wenn sie sich ggf. nicht weiter entwickeln. Wenn du sie so lassen kannst wie sie sind, sein wollen oder gerade halt nur sein können.

Bei mir war das Problem ich habe dann auch von Anderen erwartet sie sollten sich doch weiter entwickeln, müssten doch sehen, dass das notwendig ist - damit kann man sehr anecken, siehe hier im Forum.

Natürlich meinte ich es nur gut, aber eine Art Hilfe geben wollen wo der Andere gar nichts ändern möchte, kann sehr übergriffig sein. Bei dir klingt es als geht es ein wenig in die Richtung, aber vllt. hast du es ja besser im Griff. Bisher hast du ja noch keine Probleme dadurch wie du schreibst. :)

Also akzeptieren können, dass Personen aus dem Umfeld evtl. ihr ganzes Leben in ihren kindlichen Mustern (wie du es auch nennst) festhängen und sie trotzdem dauerhaft so akzeptieren wie sie sind - oder sich von manchen trennen - ist hier die Devise, die mir oft schwer fällt.

Ich frage mich wieso du das dich anderen überlegen fühlen brauchst, aber wahrscheinlich möchtest du da nicht drüber nachdenken?

Ich glaube für Andere könnte das Problem sein, du wendest deinen Weg auf ihre an, meinst sie müssten das gleiche Ziel haben wie du, weil das das einzige Richtige ist. In Wirklichkeit bleiben viele in ihrer Rolle und gehen andere Wege als du, entwickeln sich in anderen Bereichen weiter, die dir evtl. nicht so wichtig sind z. B. Beruf oder Spiritualität oder oder oder... ;) .

Der Sinn im Leben bzw. das was als Ziel angesehen wird ist ja bei jedem anders.

Wenn du das akzeptieren kannst, dass dein Weg nicht der Beste oder du nicht am Weitesten bist

(als wäre es ein Wettstreit -> das wäre ja auch wieder männlich in der Rolle des "Starken"), sondern alle gleich viel wert sind und ihre ganz persönlichen, eigenen Strategien haben im Leben. Das wäre für mich eine gesunde Einstellung. Ich versuche sie zu leben, es ist aber oft nicht einfach.

Wer mit sich zufrieden ist, braucht sich nicht über andere zu stellen, egal in welcher Hinsicht. :!:
Er kann sie lassen wie sie sind, weil er sich so lassen kann wie er ist. Er hat seine eigenen Schwächen und blinden Flecke wirklich akzeptiert. Braucht keine ständige Bestätigung von Außen, sondern hat sie in sich selbst, eine Art Sicherheit, Glauben an sich.

Mit allem Anderen belügt man sich selbst, meiner Meinung nach. Man geht dann mit seinen Problemen nur anders um als vorher in der Depression. Also: "Ich bin weiter als die Meisten" statt "ich bin schlechter als so ziemlich alle".
Viele Grüße,
Zwiebelchen
Birko
Beiträge: 501
Registriert: 20. Apr 2015, 13:33

Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Birko »

Hallo zwiebelchen

Du bringst es mal wieder auf den punkt. Einfach klasse.
Ich bin ein fan von dir.

Gruss birko
Luna1966
Beiträge: 784
Registriert: 15. Dez 2015, 09:38

Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Luna1966 »

music_is_life hat geschrieben: ... Und "der harte Kerl" ist in 100 % der Fälle nur eine Rolle. Genau solch eine Fasade wie der Macho oder "Alpha-Typ".
Veto ;)
Aus meiner Sicht ist es genauso verkehrt, einem Mann zu sagen:"du darfst nicht weinen"
wie ihm zu sagen:"du musst weinen".

Ich habe einen Alpha-Rüden zum Schwiegersohn, der sich in der heutigen Zeit immer sagen lassen muss, er "darf" schwach sein. Aber genau DAS das will er ja gar nicht ;)

Meine Tochter beklagte sich jüngst bei mir, warum ihr Mann bestimmte Sachen nur mit mir berede - meine Antwort:

Bei mir darf er sein, wie er will. Ich AKZEPTIERE seine Sichtweisen und Ansichten, weil sie IHM wichtig sind, auch wenn ich nicht alles gut heiße oder allem zustimme.
music_is_life
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Registriert: 9. Nov 2014, 16:31

Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von music_is_life »

Es ist sehr spannend hier :)
Ich weiß nicht, ob ich die "Überlegenheit" tatsächlich brauche. Ich kann nur sagen, dass es mir damit erheblich besser geht und ich - natürlich subjektiv - weitaus mehr Toleranz anderen "Wegen" ggü. empfinde, als im Unterlegenheitsgefühl. Ich drücke meine Sicht den Leuten nicht auf. Sie kommen auf mich zu, da sie sehen, dass ich glücklich und zufrieden bin. Und dann teile ich ihnen gerne mit, was MIR geholfen hat. Es ist dann ihnen überlassen, es anzunehmenoder Teile davon raus zu picken oder meine Sicht komplett in Frage zu stellen. Aber es ist dann nunmal mein Standpunkt, meine Sicht zu genau diesem Zeitpunkt. Der kann sich natürlich später ändern, ich lerne ja dazu und hinterfrage meine Sichtweisen oder erlange neue Erkenntnisse.

Die Sache mit der "Männlichkeit" hatte ich in der Thera eben oft durchgekaut. In meiner Kindheit wurde nun mal jede Emotion mit Liebesentzug bestraft, Kälte und emotionslose Rationalität wurde als positiv empfunden. Und auch ich wollte eben nie schwach sein. Mein Bild eines richtigen Mannes war eben ein Held, der nie weint und nie verliert. Diese Sicht finde ich schrecklich. Für mich hat es funktioniert, eben genau dieses Muster als solches zu erkennen. Und ich drücke das keinem Mann auf, aber ich sehe nun mal wie sehr andere Männer darunter Leiden. Ich sehe "Alpha-Rüden", deren Partnerinnen fremd gehen, weil ihnen die Nähe fehlt, "Alpha-Rüden" die Probleme im Job haben, weil sie sich durch Autoritäre bedroht fühlen, "Alpha-Rüden", die ihren Selbstwert mit teuren Autos aufwerten müssen usw. usw.. Aber wie gesagt, jeder ist frei und kann und darf sein Leben so gestalten, wie er es für richtig hält. Ich habe eben diesen Standpunkt und diese subjektive Sicht. Es ist meine Erfahrung bisher. Und ich finde, man muss auch nicht mit jedem Weltbild harmonieren. Ich finde, man darf auch andere Weltbilder kritisieren. Auch meine eigene. Hier empfinde ich weitaus mehr Authentizität, als ein priorisiertes Harmoniebestreben. Man muss ja auch nicht einen absoluten Gleichklang mit seiner Umwelt erzielen. Das sehe ich sogar als unmöglich. Es ist natürlich hilfreich, auch mal ohne diesem ständigen Bewerten, inne zu halten. Aber die meiste Zeit sind wir Menschen doch in unserer Natur nunmal bewertende Wesen. Dazu gehört auch die Bewertung anderer Verhaltensweisen und der Vergleich mit den eigenen.
Zwiebelchen
Beiträge: 601
Registriert: 16. Jan 2016, 09:09

Re: Geheilt. Was nun?

Beitrag von Zwiebelchen »

Halo birko,

danke für das Kompliment, aber da werde ich ja ganz rot. :oops:
music_is_life hat geschrieben: Aber die meiste Zeit sind wir Menschen doch in unserer Natur nunmal bewertende Wesen. Dazu gehört auch die Bewertung anderer Verhaltensweisen und der Vergleich mit den eigenen.
Hallo music is life,

ja es ist leichter zu bewerten, deshalb tun es die meisten viel. Einige macht genau DAS aber krank, also zusammen mit der persönlichen Vorgeschichte "Du darfst nicht schwach sein" o. Ä.

Dann genau das Gegenteil zu sagen "jeder muss Schwäche zeigen", nur weil einem selbst das fehlte, kann natürlich auch nicht unbedingt für alle gelten.

Ich glaube wenn man selbst so unter diesen Klischees aus der Kindheit gelitten hat, reagiert man sehr sensibel bei anderen darauf, die vielleicht nicht darunter leiden sich ein teures Auto zu kaufen, sondern Spaß daran haben ohne die Alpha-Gedanken dahinter (zufriedene Menschen die schnelle Autos mögen soll es ja auch geben?).

In der Depression fühlt man sich anderen unterlegen im Vergleich. Wenn man sich so ziemlich allen immer überlegen fühlt, ist das ein auch nicht ganz gesundes Phänomen, nur anders herum. Dabei bleibe ich, auch wenn es sich besser anfühlt, wie ich selbst auch finde und es kenne. ;)

Ich glaube gesund ist immer der Mittelweg. Aber so lange du andere so sein lässt wie sie sind, dich nicht über sie und ihre vermeintlichen Fehler aus deiner Sicht aufregst, ist es doch gut - es ist ja wertvoll, wenn Menschen verschiedene Meinungen haben, statt gleich geschaltet zu sein, finde ich.
Viele Grüße,
Zwiebelchen
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