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Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 20. Nov 2015, 08:00
von neuermorgen
Hallo,
bin hier eher seltener Gast, wäre aber froh, Eure Meinung zu folgender Frage zu erfahren:
Mein Partner leidet unter Depressionen und ist seit knapp 20 Jahren mit kleineren Unterbrechungen in psychotherapeutischer Behandlung. Mittlerweile ist er beim fünften Therapeuten, hat schon verschiedene Formen (Gesprächstherapie, VT, Analyse) probiert sowie vergangenes Jahr einige Monate in einer ambulanten Tagesklinik verbracht. Er sagt immer, dass ihm die Behandlungen zwar gut tun, aber offensichtlich an den Kern seiner Probleme nicht herankommen. Nach außen hin ist häufig nicht viel zu merken, so dass viele unserer Bekannten nicht darauf kämen, dass ein so "funktionierender" Mensch Probleme hat. Auch im Umgang mit unseren Kindern gelingt es ihm meist, viel Energie zu aktivieren und gemeinsam Spaß zu haben... Wenn wir allerdings zu zweit sind, kommt dann die Erschöpfung, die Antriebslosigkeit, die Traurigkeit über seine starken Arbeitsstörungen sowie eine ständige Müdigkeit, die aus massiven Schlafstörungen resultiert. Auch diese hat er schon medizinisch überprüfen lassen, um andere Ursachen auszuschließen.
Mich selbst verunsichert und frustriert die Situation natürlich sehr, obwohl er wiederholt beteuert, dass es nichts mit mir zu tun habe - er allenfalls genervt sei, wenn ich ständig versuche, ihm Hilfe anzubieten. Ich weiß auch, dass er selbst sehr darunter leidet, mich immer wieder so vor den Kopf zu stoßen - aber manchmal packt mich einfach die Wut und Verzweiflung, weil wir z. B. unter der Woche nicht mal mehr im gleichen Zimmer schlafen können wg. der Schlafstörungen. Ich merke, dass ich selbst zeitweise mehr auf Distanz gehe (auch körperlich), gleichzeitig macht mir diese Entwicklung Angst, da ich mit ihm zusammenbleiben möchte und nicht will, dass wir uns immer weiter auseinanderleben.
Eine Behandlung mit Medikamenten lehnt er ab, hat noch nie welche genommen. Das liegt natürlich zum einen an den üblichen Befürchtungen bzgl. Nebenwirkungen, Abhängigkeit etc., zum anderen daran, dass er ein sehr reflektierter Mensch ist, der überzeugt ist, dass mit Nachdenken und Gesprächen viel lösbar ist. Seine Therapeuten haben wohl auch noch nie auf Medikamente gedrängt - ein einziges Mal hat ein Arzt schon beim Erstgespräch so schnell zum Rezeptblock gegriffen, dass mein Partner dort nie wieder hingegangen ist.
Allmählich verliere ich die Hoffnung, dass nach so einer langen Zeit die Psychotherapie noch etwas bewirken kann - aber ich will ihn nicht gegen seinen Willen zu etwas drängen, zumal mit dem Unterton: "Jetzt nimm endlich was, damit Du wieder funktionierst und ich nicht weiter leiden muss!"
Hat jemand ähnliche Erfahrungen?
Was habt Ihr in dieser Situation getan?
Vielen Dank im Voraus
neuermorgen

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 20. Nov 2015, 13:02
von Zarra
Hallo neuermorgen,

ich hoffe, daß es okay ist, wenn ich mich hier als Betroffene auch zu Wort melde; zumindest zu ein paar Aspekten, zu anderen kann ich natürlich nichts sagen.

Antidepressiva ausprobieren: "Überreden" ist schlecht, "überzeugen" ist besser. ;-) :-) Und ich frage mich, "warum" Dein Partner mehr leiden "will" als nötig. Nein, ich bin keine totale Verfechterin von Psychopharmaka und bei mir hat es auch ein gewisses Leidensmaß gebraucht, bis ich sie ausprobiert habe. Sie helfen auch nicht allen. Ich glaube, man kann so grob sagen, daß Antidepressiva bei einem Drittel toll wirken, bei einem Drittel zumindest etwas verbessern (dazu würde ich mich zählen) und bei einigen halt eigentlich gar nichts Positives bewirken. Und ehrlich: Ich habe gerade hinsichtlich der Schlafstörungen vielleicht auch einfach sogar von den Nebenwirkungen profitiert. Dann: Eigentlich kann man erst über etwas urteilen, wenn man es kennt. Antidepressiva machen nicht abhängig, - Beruhigungsmittel wie Benzodiapine schon. Und wenn ihm das sympathischer ist, kann er natürlich auch erst mal hochdosiertes Johanniskraut (Laif 900; kann auch verschrieben werden) ausprobieren. Baldrian wird er schon durch haben, oder? Ein möglichst passendes AD (dazu braucht es auch einen guten Psychiater, der gut schätzen kann und nicht immer das gleiche verschreibt) zumindest ausprobieren, einschleichen, damit Nebenwirkungen nicht so viele Chancen haben oder minimal bleiben, ggf. Nebenwirkungen zumindest ein paar Tage tolerieren. Absetzen kann man auch wieder! Dann hat man es aber wenigstens probiert. Und es muß/soll ja keine Dauerlösung sein. Doch etwas Entspannung durch besseren Schlaf tut den meisten gut. ADs ersetzen ggf. auch keine Entspannungsmethoden. Oft sind Kombinationen und das Angehen von verschiedenen Seiten die beste Lösung.

Und aus eigener Erfahrung: Wenn Probleme eine lange Zeit angedauert haben, und das scheint bei Deinem Partner auch der Fall zu sein, wird nicht alles plötzlich von jetzt auf nachher verschwinden; doch Besserung und Veränderung ist möglich. (Ich schlafe inzwischen wieder ohne beruhigendes AD, doch das war einige Jahre nicht denkbar.)
Er sagt immer, dass ihm die Behandlungen zwar gut tun, aber offensichtlich an den Kern seiner Probleme nicht herankommen.
Tja, ich kenne leider auch viel "nichtsbringende", irgendwie unpassende Therapie, - aber glücklicherweise auch andere. Keine Ahnung, wie man die findet: Ein bißchen Glück gehört dazu. Und: Auf das eigene Gefühl hören, ob es einem wirklich was bringt, ob es eine innere Veränderung in Gang setzt, "nur nett" oder leicht den Druck nehmend reicht nicht. Hat er denn eine Ahnung vom "Kern" seine Probleme?

Liebe Grüße, Zarra

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 20. Nov 2015, 15:02
von neuermorgen
Liebe Zarra,
Zarra hat geschrieben:ich hoffe, daß es okay ist, wenn ich mich hier als Betroffene auch zu Wort melde
Natürlich :) ... und ich danke dir sehr dafür....
Zarra hat geschrieben:Und ich frage mich, "warum" Dein Partner mehr leiden "will" als nötig.
Das frage ich mich auch :? :? Vielleicht typisch für Menschen, die gewohnt sind, alles im Griff zu haben? Ich hatte selbst vor ca. 15 J. kurzzeitig mit Depressionen zu tun (nach dem Tod meiner Eltern ist viel "aufgebrochen") - mir hat glücklicherweise eine lange und intensive Therapie gut geholfen. Seitdem ist "es" nicht wieder aufgetaucht (toitoitoi). Was ich allerdings getan hätte, wenn alle Gespräche nichts geholfen hätten, weiß ich nicht. Denke aber, tendenziell hätte ich es auch eines Tages mit Medikamenten versucht - ich hätte mir nicht vorstellen können, auf Dauer in so einem Tal zu leben und für meine Familie dasein zu können.
Schwierig ist einfach, dass er es absolut abblockt, wenn er den Eindruck hat, dass ich ihm Ratschläge geben möchte. Empathisch zuhören ja, aber bitte keine Argumentation.
neuermorgen hat geschrieben:Hat er denn eine Ahnung vom "Kern" seine Probleme?
Tja... wenn er die hätte, wäre er der Lösung vermutlich schon näher. Vermutlich etwas Familiäres (sehr autoritäre Strukturen, Vater früh verstorben, sehr "klammernde" Mutter, Konflikte wurden meist verdrängt). Vielleicht auch Veranlagung - in der Elterngeneration hat man über so etwas nicht geredet, aber auch die Geschwister haben mit psychischen Problemen zu kämpfen, tun sich aber ebenfalls schwer damit, das offen anzugehen.
Zarra hat geschrieben:"Überreden" ist schlecht, "überzeugen" ist besser.
Sehr schön ;) Ich hoffe, ich finde noch den passenden Schlüssel ...
Liebe Grüße und nochmals danke für den Beitrag
neuermorgen

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 20. Nov 2015, 20:46
von Zarra
Liebe neuermorgen,
Schwierig ist einfach, dass er es absolut abblockt, wenn er den Eindruck hat, dass ich ihm Ratschläge geben möchte. Empathisch zuhören ja, aber bitte keine Argumentation.
... ich befürchte, ich kann das verstehen. ;-) Ich lebe zwar in keiner Partnerschaft, aber ich glaube, ich hätte da auch gerne eher "fragloses Angenommensein" als "Hinterfragen" (selbst wenn das eben auch mal angebracht ist!), weil das schon "draußen in der Welt" immer passiert. Obwohl gerade zwischen näheren Personen ein kritischer Stups schon auch mal gut und hilfreich sein kann; denn nur da werden manche Dinge wahrgenommen. "Diplomatisch" formulieren und versuchen, Dich in ihn hineinzudenken?!? Vor allem: Keinen Druck ausüben! Druck ist z.B. etwas, was ich überhaupt nicht ab kann; und viele Depressive sind da ähnlich gestrickt. Eher so mal "anbieten". Oder wie sieht es mit Humor bei Euch aus?!? Wenn man über sich selbst lachen muß, wird manches zumindest etwas leichter. Ich glaube, einer meiner Therapeuten hat das teilweise geschafft, indem er mir meine giftigen Worte aus dem Mund nahm und selbst das Ganze so formulierte, daß ich bei aller Aufgebrachtheit in gewisser Selbsterkenntnis lachen mußte.

Falls je Veranlagung, dann würde ich erst recht einen medikamentösen Versuch wagen. Wobei man sich ja immer auch streiten kann, was genetisch und was sozial (Strukturen, "abgeschaut" u.a.) ist.
Vermutlich etwas Familiäres (sehr autoritäre Strukturen, Vater früh verstorben, sehr "klammernde" Mutter, Konflikte wurden meist verdrängt).
Das reicht ja eigentlich. Und da ist er mit seinen bisherigen Therapien nicht weitergekommen, hat nicht mehr Verständnis für sich selbst etc. entwickeln oder auch neue Verhaltensweisen, z.B. im Umgang mit Konflikten, lernen können?

LG, Zarra

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 13:16
von Jojoko
Hi Neuermorgen,

das kommt mir doch leider alles sehr bekannt vor!
Mein Freund verausgabt sich für seinen Sohn so sehr, dass er sich nicht mehr richtig um sich selbst kümmern kann. Das Ganze ist allerdings nicht so offensichtlich. Wir haben fast ein halbes Jahr gebraucht, um das zu kapieren und zu verstehen, auch wenn es nichts Neues ist, dass sich Depressive für andere aufopfern, sich selbst damit überfordern und übergehen. Demnach würde ich Euch mal empfehlen, die Kinder für zwei Wochen zur Oma oder in ein Ferienlager zu geben, einfach mal zum Ausprobieren. Besonders weil Du meintest, wenn Ihr alleine seid, kann er die Erschöpfung erst zulassen.

Ich habe Respekt vor Deinem Mann, dass er so hartnäckig bleibt und trotz der geschilderten Situation eine Medikamente nehmen Möchte. Alle Achtung! Ich denke, das ist der einzig richtige Weg. Ich habe mich sehr, sehr ausgiebig mit Psychopharmaka beschäftigt (und u.a. auch als Krankenschwester in der Psychiatrie gearbeitet) und komme zu dem Entschluss: Das sind Monster! Oder wie ein depressiver Freund einmal gesagt hat: "Was mir die Antidepressiva gebracht haben? 40kg und nen schlaffen Dödel!"
Ich verstehe Deine Hilflosigkeit und den Anker, den Du in den Medikamenten vielleicht siehst. aber ich würde Dir Dringen davon abraten! Ich hätte hier einen anderen Vorschlag zum Festhalten: Das Buch "Depression ist heilbar: Das Sechs-Schritte-Programm ohne Medikamente" von Stephen S. Ilardi. Alleine schon die Tipps gegen Schlafstörungen waren diesen Kauf wert! Dabei geht es um sehr leicht umzusetzende "Kleinigkeiten", die in ihrer Summe gesunde Schlafgewohnheiten hervorbringen. (Am besten hat mir geholfen, kein helles Licht oder gar Fernseher/Computer/Smartphone eine Stunde vor dem Zubettgehen zu nutzen, ich hab mir eine dicke Kerze gekauft, man denkt nicht, wie effektiv das sein kann!) Das ist natürlich auch nur unterstützend und hauptsächlich symptomatisch behandelnd gedacht. Wenn Dein Mann die Depressiven Überforderungsmuster bekämpft (Verhaltenstherapie), werden die Schlafstörungen auch besser werden.

„Selbsttherapieren“ ist leider nicht möglich. Depressive Menschen können ihre Depression nicht begreifen, sie sind ihre depressiven Verhaltensmuster nicht nur gewohnt, sie kennen keine anderen. Ohne professionelle Hilfe gibt es keinen Ausweg. Neue Muster müssen erstmal erlernt werden und das dauert Jahre, erfordert Training und Kooperation, was nicht einfach zu erreichen ist, da ein typisch depressives Verhalten das Aushalten (anstatt das Lösen von Problemen) und die Überzeugung, alles alleine schaffen zu müssen und sich mit selbst zu überfordern (anstatt Aufgaben abzugeben und sich einzugestehen, dass es einem zu viel ist, weil man es gar nicht selbst merkt, oder erst, wenn es zu spät ist, wie Du ja bei Deinem Mann auch geschildert hast).
Wie sollen Medikamente dagegen helfen?!

Zudem belegen zahlreiche Studien, dass Sport mindestens genauso viel Erfolg erzielt wie Antidepressive angeblich, die Hälfte dieser Studien sprechen sogar von anderthalbfacher Wirkung im Vergleich zu Medikamenten. (Hierzu mehr in besagtem Buch, mit Vorschlägen für Sport und Untersuchungen wie viel und welcher Sport bereits genügt.)

Ich wünsche Euch sehr viel Erfolg als Familie und vor allem als Paar! Ihr beide dürft in Eurer Partnerschaft nicht zu kurz kommen vor lauter Depression und Schlafstörungen und Familie. Daher noch ein paar Kleinigkeiten aus der Paartherapie, die uns auch zusammenhalten:
Je mehr Rituale ein Paar hat, desto fester und stabiler ist ihre Beziehung. Wir habend zu eine Übung vom ersten Klinikaufenthaltes meines Partner „zweckentfremdet“: Das letzte am Tag, direkt vor dem Einschlafen ist eine Positivliste. Dabei geht erst der eine seinen Tag durch und dann der andere und erwähnt nur, was er schön fand. Eine andere Möglichkeit wäre es z.B. Tagebücher zu führen: Jeder schreibt den Tag über in ein Tagebuch, was ihn beschäftigt und was er dem anderen gerne sagen möchte, am Abend werden die Bücher getauscht. Euch fällt bestimmt auch was eigenes ein.

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 15:25
von Catrina
Hallo zusammen,
Ich möchte meiner Vorrednern entschieden widersprechen!

Meine Freundin ist so glücklich und ausgeglichen, aktiv und wie früher, seitdem sie auf das zu ihr passende AD eingestellt wurde.

Als sie es dann einmal absetzten, weil sie dachte, sie bräuchte sie nicht mehr, rutschte sie recht schnell wieder in die Depression.

Man kann nie und nimmer verallgemeinern, wer wie worauf reagiert.

Schönes Wochenende an alle,
LG

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 19:39
von Zarra
Hallo,
Jojoko hat geschrieben:Zudem belegen zahlreiche Studien, dass Sport mindestens genauso viel Erfolg erzielt wie Antidepressive angeblich, die Hälfte dieser Studien sprechen sogar von anderthalbfacher Wirkung im Vergleich zu Medikamenten. (Hierzu mehr in besagtem Buch, mit Vorschlägen für Sport und Untersuchungen wie viel und welcher Sport bereits genügt.)
Das wird ja immer wieder mal gerne geschrieben! - Sorry, dann müßte sich Robert Enke nicht umgebracht haben, dann dürfte es keine depressiven Sportler geben. ... gibt es aber!

Richtig ist: Eine halbwegs gesunde Lebensführung inklusive ausreichend Bewegung stabilisiert - alle, nicht nur Depressive -, etwas mehr Bewegung und Sport schaden nicht, tragen zu mehr gesundem Körper- etc. Gefühl bei.

Ein Haken bei Krankheit Depression ist allerdings, daß nur ein paar von agitierter Depression betroffen sind, die vielleicht locker joggen etc. gehen können und sonst halt nicht zur Ruhe kommen, daß die Mehrheit unter Antriebslosigkeit und Erschöpfung leidet - dann kommt man erstens schon mal nicht oder nicht so locker zum Sporttermin und zweitens macht er keinen Spaß, selbst wenn man dort ist, sondern man steht es maximal durch - und nichts ist besser, außer daß vielleicht die Muskeln ihre Form behalten.

Zarra

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 21:14
von riverflow
Sorry, dann müßte sich Robert Enke nicht umgebracht haben,

Sorry, dieses Argument habe ich schon soooooooooo oft gelesen.
Ich denke, es ist etwas ganz anderes, ob man für sich Sport treibt oder unter immensem Leistungsdruck steht. Außerdem gibt es in seiner Biografie den Tod eines Kindes und das muss erst mal verkraftet werden. M. E. ist das eine der schlimmsten Erfahrungen, die man machen kann.

Robert Enke hat Antidepressiva genommen. Warum sagt hier keiner: Wenn die so toll helfen würden, hätte er sich nicht umgebracht haben müssen?

Ich kann es verstehen, wenn man keine Antidepressiva nehmen möchte. Informieren und als "mündiger Patiente" selbst entscheiden ist meine Devise. Und persönlich habe ich wohl auch den "schwereren Weg" gewählt, von dem ich aber überzeugt bin, wenn ich sehe, was da alles an Nebenwirkungen und Absetzproblematiken geschweige denn Langzeitschäden, die mangels Lobby gar nicht untersucht sind, auf einen zukommen kann.

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 22:02
von Pummelchen
Hallo ihr Lieben,

ich habe es jahrelang ohne Antidepressiva versucht weil ich einfach große Angst hatte diese zu nehmen. Ich habe mich oft wirklich sehr gequält und habe gelitten, das möchte ich nie wieder erleben!!
Nach einem sehr guten Gespräch mit einem Arzt habe ich mich schweren Herzens durchgewrungen ein AD zu versuchen. Nach leichten anfänglichen Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Schwitzen) habe ich nach ca. 2 Wochen eine leichte Besserung verspürt, und nach einer weiteren Zeit hatte ich fast wieder meinen "Normalzustand". Meine Befürchtungen waren wirklich unbegründet, ich war halt wieder wie vorher. Das war so ein schönes Gefühl, und ich bereue es im Nachhinein sehr das ich mich solange umsonst gequält habe. Noch zur Ergänzung ich habe es zuvor mit Johanniskraut, Tryptophan, Psychotherapie, Sport,... usw. versucht, das hatte aber nie eine ausreichende Wirkung. Sport ist mit Sicherheit zur Unterstützung gut gar keine Frage, aber bei mir hat leider nur das AD mir wirklich geholfen.

Aber ich denke bei jedem ist es anders und es gibt keine für alle gültige Regelung. Jedenfalls wünsche ich jedem das er egal wie es schafft aus dieser wirklich schrecklichen Krankheit wieder herauszukommen.

Liebe Grüße Pummelchen

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 30. Apr 2016, 22:03
von Inertia
riverflow hat geschrieben:Robert Enke hat Antidepressiva genommen. Warum sagt hier keiner: Wenn die so toll helfen würden, hätte er sich nicht umgebracht haben müssen?.
Das habe ich mir auch gleich gedacht, als ich den Beitrag von Zarra gelesen habe. Solche Argumente kommen immer viel zu schnell, egal um was es geht. "Also willst du sagen, dass [Verallgemeinerung]?" oder "ich mache auch dies und das, und bin trotzdem (nicht) depressiv".

Einzelfälle beweisen gar nichts.

Ich weiß nicht ob Sport tatsächlich besser wirkt als ADs, und es ist mir auch egal. Aber das Wichtigste ist doch, dass man da nichts Verallgemeinert. Ein Wundermittel gegen Depressionen gibt es nicht, dem einen hilft dies, dem anderen das. Und meistens hilft gar nichts. :)

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 1. Mai 2016, 00:49
von ullkich
Also wenn ich die Wahl hätte: Ein nicht lebenswertes Leben durch Depression und ohne Medikamente oder ein lebenswertes gefühlvolles aber kürzeres Leben würde ich mich für Letzteres entscheiden.

Aber eigentlich war doch die Frage ob man den Partner dazu überreden sollte.
Ich denke nein solange er es ohne schaft ist es doch in Ordnung und wenn es nicht mehr ohne geht wird er sie annehmen.

Ich persönlich bin sowohl Angehöriger als auch Betroffener kenne also beide seiten.Ich brauchte meine Frau die viele Jahre keine Medikamente genommen hat nicht überreden welche zunehmen. Es ging nicht mehr anders.
Ich konnte meine Medikamente nach einiger Zeit reduzieren nehme aber ähnliche da ich unter RLS leide

Ich wünsche dir und deinem Partner viel Kraft

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 1. Mai 2016, 01:48
von Zarra
riverflow hat geschrieben:es ist etwas ganz anderes, ob man für sich Sport treibt oder unter immensem Leistungsdruck steht
Ja, das stimmt.

Trotzdem finde ich Sport als DAS Mittel etwas übertrieben.

Und Druck erfahren diejenigen, die "nur für sich" Sport treiben, dann halt u.U. in anderen Bereichen.
riverflow hat geschrieben:Robert Enke hat Antidepressiva genommen. Warum sagt hier keiner: Wenn die so toll helfen würden, hätte er sich nicht umgebracht haben müssen?
Das stimmt auch.

... inzwischen ist es wohl so, daß realistische Menschen sagen, daß sie bei ca. einem Drittel toll helfen, bei einem Drittel etwas (keine Ahnung, ob Robert Enke dazugehörte) und bei einem Drittel gar nicht.
riverflow hat geschrieben: Informieren und als "mündiger Patiente" selbst entscheiden ist meine Devise.
Dem kann ich auch zustimmen. Denn es läßt auch die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Situationen zu.

Ich habe es eher so erlebt, daß z.B. Psychotherapie und ADs "unterschiedlich ansetzen". ... und ich hatte lange nur "schlechte", da für mich unpassende Psychotherapie. ADs haben halt bei Schlafstörungen und anderen Körpersymptomen geholfen, beim Rest nur graduell. - Und ich habe ADs, die nichts brachten oder mit denen ich mich komisch fühlte, auch schnell wieder abgesetzt. (Glücklicherweise war das nicht das erste; sondern erst später.)

LG, Zarra

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 12. Jun 2016, 17:25
von Jojoko
Nach den ganzen Abschweifungen, wer alles "glücklich" mit ADs ist und wer nicht, würde ich nochmal gerne zurück zur Frage schwenken. Ich habe das so evrstanden, dass es nicht um die Erfahrungen geht, die der einzelne gemacht hat, sondern um die Frage, ob man den Partner überreden kann oder das tun sollte.
Die Schwierigkeit, der wir Angehörige uns immer wieder stellen müssen, sehe ich vor allem in der Gradwanderung an unsterstützen (also positiv) und Coabhängigkeit (negativ). In wieweit unterstütze ich meinen Partner noch und ab wann nehme ich ihm zu viel ab? Ab wann helfe ich ihm noch, ab wann kämpfen wir also gemeinsam gegen die Depression und ab wann rede ich ihm nur noch gut zu, nichts tun zu müssen, vielleicht auch Probleme Kleinzureden. Ich vermute, das ist das Eigentliche Thema hinter der Frage. Denn man ist oft anderer Meinung als der Depressive selbst. Das kann gut sein, weil man eine andere Sicht auf die Dinge hat und automatisch immer mehr Abstand als der Depressive selbst, es kann aber auch schlecht sein, da man noch so viel Empathie aufbringen kann, man wird trotzdem nie fühlen können, was der andere fühlt.
Die gut gemeinten Ratschläge kommen von allen Seiten. Und sie können einen sicher ganz schön unter Druck setzen, besonders, wenn man depressiv ist. Wenn man sich also auch noch gegen den Partner wehren muss, der einen versucht, zu etwas zu überreden oder gar etwas aufzuzwingen, kostet das noch mehr Kraft, dann kannd er Partner wieder sagen, aber se geht Dir doch noch schlechter, probiere es doch mal! - ein Kreis entsteht. Je näher ich er Person stehe, desto höher ist auch der Druck, den ich dadurch auslöse.
Ich darf anderer Meinung sein, ich darf das auch erwähnen, aber ich kann meine Meinung niemandem aufzwingen. Wenn der depressive Partner, dem es eh schon nicht so gut geht, auch noch gegen meine Ansichten ankämpfen muss, leidet die Beziehung darunter und bestimmt auch der Allgemeinzustand meines Partners.

Re: Partner zu medikamentöser Behandlung überreden?

Verfasst: 12. Jun 2016, 19:54
von RezDep
Hy,

wie steht dein Partner denn z. B. zu Selbsthilfegruppen o. ä? Ich komm grad darauf, weil da ja viele Betroffene sind, sowohl welche mit ADs als vermutlich auch ohne. So würde er jeweils von Betroffenen die Wirkung oder Nichtwirkung erfahren und könnte sich daraufhin vllt. eine andere Meinung bilden (wäre aber komplett seine Entscheidung).

Ich hab im Kopf: bei leichten Depressionen können Psychotherapie und Sport, evtl. Johanniskraut reichen, bei mittlerer wäre es sinnvoll (aber fallabhängig), ADs zu nehmen (grade bei Antriebslosigkeit und zur Stimmungsaufhellung) und parallel zur Psychotherapie. Bei schwerer auf jeden Fall. Häufig sind da Pat. auch sonst gar nicht therapiefähig, so dass die ADs erstmal zur "Therapiefähigkeit" verhelfen.

LG
Kessy