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Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 8. Jul 2015, 12:29
von Mustermann
Hallo,

meine berufliche Findung ist schon seit jeher ein leidiges Thema und mit der Depression verstrickt. Jedenfalls kann mich mich objektiv nicht beklagen: habe studiert, einen sicheren und ganz gut bezahlten Job, aber bin darin unzufrieden.
Gegen einen Wechsel spricht mein Alter und dass ich keine klare Alternative habe. Es kann aber auch sein, dass diese ständige Berufsfindung vielleicht auch eine Flucht vor mit selbst ist, so nach dem Motto: ich suche einfach so lange, bis ich das passende für mich habe und dann ist alles gut. Hinzu kommt, dass ich an einem Standort arbeite, der sehr abgelegen von meiner Beziehung oder Familie ist (jeweils über 400 km), dass ich hier kein Social Life aufbauen (Kleinstadt mit 35000 Einwohner) kann und zudem habe ich an diesem Standort keine Kollegen, mit denen ich mich austauschen könnte (ich würde mich nach einjähriger Einarbeitung und fast 2 jähriger Praxis noch als Anfänger bezeichnen).
Jetzt grübel ich darüber nach, soll ich noch mal was ganz anderes machen (Ausbildung/Fernstudium/Umschulung etc.) oder lieber versuchen zu schauen, was ich in meinem Job eigentlich alles positive gestalten und wie ich mich dort noch entwickeln kann. Auch profitiert ich ganz klar von der sicheren Struktur und dem Einkommen. In meinen Studium war ich mehrmals knapp bei Kasse und stecke hierdurch in schweren Existenzkrisen, sodass mein Sicherheitsbedürfnis am jetzigen Job festhält...

Gibt es vielleicht hier Personen, die ähnlich spät sich nochmal komplett neu orientiert haben oder eher davon abraten?

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 8. Jul 2015, 16:55
von ndskp01
Hallo Mustermann,

sicher gibt es die hier. Eine Userin schrieb vor ein paar Monaten ausführlich von ihrem Veränderungsprozess, der mit sehr viel Ausprobieren verbunden war und ein gutes Ergebnis hatte.

Erstmal: Mit dreißig gehörst du was berufliche Veränderung angeht zu den jungen Hüpfern. Es gibt Menschen, die sich mit 50 noch erfolgreich beruflich verändern.

Ich selbst habe mir zu dem Thema Unterstützung gesucht, bei der VHS und einem Coach. Ich stecke aber noch mitten drin und habe einen kardinalen Fehler gemacht, denn ich habe mir erst Unterstützung gesucht, als ich bereits in der Arbeitslosigkeit steckte. Aus einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis heraus ist es leichter, sich beruflich zu verändern. Also erstmal: Nicht kündigen.


Dann ist es sinnvoll, dass du dir bewusst machst, was dir an dem jetzigen Beruf fehlt. Wo sind die Stärken und Fähigkeiten, die du im Moment nicht zur Geltung bringen kannst, welche Bedürfnisse kommen derzeit zu kurz. Wir haben uns in dem Kurs an unsere ganz persönlichen Ziele und Werte erinnert, das war sehr anstrengend. Wir haben uns überlegt, was wir als Kind werden wollten, welche Tätigkeiten uns Vergnügen bereiten, was uns für unser Leben wichtig ist. Danach sind wir erstmal nach Hause. Aus dem Impulsen heraus haben wir uns zu Hause überlegt, wie ein Idealer Arbeitstag aussehen könnte (eine Vision entwickelt).

Und dann haben wir uns Strategien überlegt, wie wir diesem Ideal näher kommen können. Welche Möglichkeiten gibt es in der Realität?
Wo bekomme ich Informationen, wer kann unterstützen?
Wo gibt es Chancen, etwas anderes auszuprobieren?
Welche formalen Voraussetzungen brauche ich, um das zu tun,w as ich will?

Das war jetzt eine sehr grobe Zusammenfassung. Es gibt zu dem Thema auch einiges an Literatur, wenn du magst, kann ich mal suchen gehen. Jedenfalls: Du bist nicht allein und es gibt Menschen, die sich erfolgreich verändert haben.

Viele Grüße, Puk

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 8. Jul 2015, 17:15
von Salvatore
Hallo Mustermann,

auch von mir willkommen im Forum!

Ich finde dich wie Puk auch weit entfernt von "zu alt" für einen Neuanfang... Ich bin so in etwa in dem gleichen Alter, leider zur Zeit arbeitsunfähig, aber ich gucke mich auch nach anderen Berufen um. Mein Mann hat letztes Jahr eine neue Ausbildung angefangen, weil er mit seiner ursprünglichen Wahl unzufrieden war. Auch ein Freund von uns hat seinen Filialleiterposten in einer Bank hingeschmissen und eine neue und komplett andere Ausbildung angefangen.
Du kannst dich ja mal nach neuen Möglichkeiten umschauen und gleichzeitig gucken, wie du deine derzeitige Arbeitssituation verbessern kannst - das eine schließt ja das andere nicht aus. Würde aber wie Puk sagt, erst kündigen, wenn was Neues im Visier ist.
Mustermann hat geschrieben:ich suche einfach so lange, bis ich das passende für mich habe und dann ist alles gut
Kann natürlich sein, in dem Fall wäre womöglich kein Job der Welt gut genug. Hast du das mal mit einem Therapeuten (Tiefenpsychologen) ergründet?

Mmmmhhh... Social Life... 35.000 Einwohner sind doch gar nicht soooo wenig...? Ihr dürftet ja trotzdem einen Sportverein haben, eine Volkshochschule, Hobbygruppen, Kirchentreffs etc. Ist da denn gar nichts dabei für dich?

LG, Salvatore

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 8. Jul 2015, 18:34
von Botus
Ich würde sagen, das hängt vom Typ ab und von den Ansprüchen.

Bei einem Menschen, für den Sachen wie Freundin / Familie / Sozialkontakte sehr wichtig sind, fällt ja schon mal vieles weg, das man so im Leben beruflich machen kann. Wenn die Zufriedenheit auch nach der Erreichung von hohen Zielen nicht da ist, spricht auch dieser Umstand gegen ein fortwährendes Weitersuchen.

Ich habe mich beruflich in diesem Alter komplett neu orientiert, ein Sprung ohne Netz. Das war aber nur möglich, weil mir zu diesem Zeitpunkt auch klar wurde, dass Beziehungen / Familie / Sozialkontakte mir nicht das geben konnten, was mich zufrieden, glücklich und erfüllt macht. Im Gegenteil sah dies als Bereiche, in denen ich kräftemäßig ausgelaugt werde. Sie geben nichts, aber sie wollen alles, narzisstische Gesellschaft halt. Ich brauchte ne Pause davon.

Für einen kompletten Neuanfang ist aus meiner Sicht ein gewisser Schnauze-Voll-Zustand erforderlich, ein möglichst genaues Bild dessen, was man statt dessen will und die Bereitschaft, viele Jahre in den Sand zu setzen, um später mal eine (noch ungewisse) Ernte einzufahren. Nichts für Leute, die Sicherheit bevorzugen, leben wollen und Sozialkontakte / Partner brauchen.

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 8. Jul 2015, 21:04
von Mustermann
Hi und vielen Dank soweit!

Die berufliche Orientierung gehört mit zu meiner Therapie, insofern, dass ich mir selbst erst einmal eine sichere Grundlage schaffe und mich leistungsunabhängig zu lieben lerne, sodass ich mich wieder "frei" fühle, mich aktiv nach neuen Alternativen umzusehen. Daher werde ich auch nicht einfach hinschmeißen.
Entsprechende Kurse gibt es an unserer VHS leider nicht und ich denke, ein klarer Kopf vorausgesetzt, bin ich auch selbst dazu in der Lage. Vielleicht fang ich erst einmal mit Ratgebern an, von denen es zig Tausende gibt. Könnt ihr diesbezüglich vielleicht Literatur empfehlen?
Es wäre ja auch mal interessant zu erfahren, ohne die genauen Details zu nennen, welche Berufswelten ihr durchwandert habt und wie ihr zu euren momentan hoffentlich guten Alternativen gekommen seid?

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 9. Jul 2015, 13:00
von ddd
Hallo,,

ich hatte ein sehr aehnliches Problem wie du. Hab viel rumprobiert, wusste ueberhaupt gar nicht was ich werden sollte. Hatte keinen Zugang zu mir ich denke das war das Problem.
Bis kurz vor meinem 31. Geburtstag mein langjähriger Partner mich knall auf Fall verlassen hat u ich noch am gleichen Tag auszog. Konnte es mit ihm keine sekunde laenger aushalten.
Mein Kumpel, zu dem ich erst ma hin bin, hat mich am gleichen Tag noch gezwungen mein Studium aufzugeben da ich damit ueberhaupt nicht zurande kam u dieses auch nix für mich war. Wofuer ich ihm im Nachhinein sehr dankbar bin. Haette noch ewig so weitergemacht.
Ausbildungsplätze hab ich nicht gefunden. Ich hatte das Gefühl es ist wohl mein Alter..Das ich zu alt bin für ne Ausbildung.

Hab dann ne Umschulung gemacht. Die einzige Alternative die ich noch hatte.
Und jetzt?
Laeufts.. Ich hab mein Steckenpferd gefunden.

Vielleicht brauchts manchmal nen ordentlichen Arschtritt vom Schicksal bis man klarer sieht. Mir gings damals auf jeden Fall so u daran bin ich letztendlich gereift und hab mich gefunden..

Ich versteh dass man sich an Sicherheiten festhaelt u es ist ja von der Logik her richtig so..ich bin da ja auch nicht freiwillig aus meiner wohlfuehlzone raus.

Aber ich hab festgestellt dass Krisen immer eine grosse Chance sind wirklich etwas zu veraendern..


Nur ein kleiner Erfahrungsbericht wie man da rauskommt aus diesem Kreisel indem man sich zeitlebens fragt was will ich?

Vielleicht solltst du bisschen weniger auf deine Sicherheit acht geben u mehr Risiken wagen. Nur eine Idee von mir. Damit kannste jetzt machen was du willst.

LG und drueck Dir die Daumen dass du berufliche Zufriedenheit erfaehrst.

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 9. Jul 2015, 14:42
von Mustermann
@ddd: Wie und wo bist du denn dann auf ein passende Umschulung gestoßen? Der Bildungsmarkt ist ja riesig. So viele Möglichkeiten... :roll:

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 9. Jul 2015, 14:59
von ddd
Hallo,

da gabs nur die Möglichkeit sich arbeitslos zu melden. Die beraten dich dann und finanzieren dir alles. Kostet naehmlich ne stange geld für. Meine hat 12000 gekostet. Wenn du das selbst tragen kannst dann brauchst du dich auch nicht arbeitslos melden. Informiere dich dann wegen passendes vielleicht im Internet was bei dir in der naehe angeboten wird.

Hast du denn schon ne ungefaehre richtung wo es hingehen KOENNTE?

Lg u halt die Ohren steif.

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 9. Jul 2015, 18:24
von ndskp01
Hallo ddd, deine Information ist veraltet, das Arbeitsamt finanziert derzeit keineswegs alles. Ne Umschulung z. B. nur, wenn du bei deinem ursprünglichen Beruf berufsunfähig bist.

Re: Mit Anfang 30 noch einmal neu anfangen?

Verfasst: 14. Jul 2015, 23:40
von Zarra
Hallo Mustermann,

Du vermengst in Deine eigentliche Frage - Neuanfang bzw. "Ausbildung/Fernstudium/Umschulung etc." - auch noch eine Menge hinein.

Wie wichtig ist Dir denn die Nähe zu Familie/Verwandten? Wie sicher/wichtig ist Dir Deine Beziehung?

Normalerweise (!?) müßte sich längerfristig ja schon eine deutlich nähere Stelle finden lassen. Bei einer Beziehung könnte u.U. auch der andere Teil längerfristig ..., wenn das für beide zusammen als die bessere Option erscheint. Doch so lange Du eh haderst, ist das sicher keine Option.

Zumindest meine eigene Erfahrung war so, daß es im Berufsleben mit den Kontakten nicht mehr so einfach wie zu Studienzeiten ist (da hat man halt oft schon mal teils ähnliche Interessen). Später auch, daß es länger dauert, bis man sich an einem neuen Ort eingewöhnt hat etc. etc.

Dann: War das Studium auch schon "nicht Deins"? Oder ist es jetzt erst der Beruf, die konkrete Stelle? Falls letzteres, dann müßte sich ja eine andere Ausrichtung finden lassen.

Man kann mit Anfang 30 "neu anfangen", doch ich glaube, daß man sich relativ sicher sein sollte (außer es ergibt sich zwangsläufig so wegen Berufsunfähigkeit o.ä., dann muß man ja handeln, zur Not experimentieren). Deine Worte klingen erst mal nicht so. "Ich wollte schon immer ...", wäre sicher keine so ganz schlechte Voraussetzung.

Wenn Du wirklich was ganz anderes machen im Sinne von neuer Ausbildung oder einem weiteren Studium machen wolltest: Da stellt sich dann ja sofort die Frage der Finanzierung. - Gegen Fernstudium spricht natürlich nichts in dieser Hinsicht. Da muß Dir aber klar sein, daß das eine nicht unbeträchtliche Belastung neben der Arbeit wahrscheinlich darstellt, ... und das vor allem vermutlich für Dein "social life" nicht förderlich sein dürfte.

Es hängt ja manchmal auch davon ab, wohin man sich orientiert. Manchmal kann ein etwas höheres Lebensalter durchaus positiv sein, Lebenserfahrungen das reine Berufsalter etwas aufwiegen.

Eine Bekannte hat in den 30igern erst studiert - da haben aber die Eltern das - lange - Studium mehr oder weniger finanziert.

Eine andere Bekannte hat zu 40 % in ihrem ersten Beruf gearbeitet und den Rest der Zeit an einer FH studiert. Sie hat einige Jahre in beiden Berufen gearbeitet, ist dann aber doch wieder ganz zu ihrem ersten zurückgekehrt. Da schätze ich aber, daß sie nichts bereut und das einfach als ihren Weg sieht .

Ich selbst habe mein erstes Studium mangels Berufsperspektiven und wegen mangelnder Unterstützung durch meine Eltern abgebrochen. Lange hatte ich die Frage, ob ich glücklicher geworden wäre, wenn ich da doch versucht hätte weiterzugehen ... oder wenn ich noch etwas ganz anderes gemacht hätte ..., ob mich die Krankheit dann nicht in diesem Ausmaß erwischt hätte. - Solch eine Frage kann einen schon umtreiben. Und wenn mir das zu gewissen Zeiten jemand versprochen hätte, dann hätte ich gerne alles liegen und stehen lassen. Doch das kann einem keiner ernsthaft versprechen ...
Der Therapeut, der mich gut kannte, hat auf meine diesbezügliche Frage mal geantwortet, daß es wohl darauf angekommen wäre, war mir begegnet wäre. Und damit dürfte er recht haben. Ich hätte grandios scheitern können. Und mir hätte natürlich auch plötzlich dies und das und die passenden Menschen zufliegen können - ... das ist nur in dem notwendigen Ausmaß unwahrscheinlich, wenn das im gesamten bisherigen Leben kaum so war. Also eher Wunschtraum.

Und ich habe mich mit dem, was ich nach dem abgebrochenen Studium gemacht habe, schon auch für eine gewisse regelmäßige Sicherheit entschieden, was bei mir aber an sich garantiert nicht depressionsfördernd gewirkt hat, sondern schon stabilisierend. Es reicht, wenn die Gefühle unsicher sind; da muß es nicht auch noch der Rahmen sein.

LG, Zarra