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Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 18. Jan 2015, 21:19
von Lotusblume
Ich bin weiblich, Ende 20 und habe keine Depressionen. Allerdings gab in es in den vergangenen Jahren in meinem Freundeskreis mehrere Personen, die davon betroffen waren/sind. Auch die Beziehung zu meinem langjährigen Freund zerbrach letztes Jahr, weil er sich immer stärker von der Außenwelt abkapselte und niemanden mehr an sich ran ließ. Aktuell macht es mir zu schaffen, dass mein bester Freund sich seit geraumer Zeit total isoliert und ich nicht mehr an ihn rankomme.

In meiner Schulzeit interessierte ich mich hauptsächlich für Fremdsprachen und geisteswissenschaftliche Fächer. Nach dem Abitur hätte ich gerne etwas in dieser Richtung studiert, wollte aber auf keinen Fall Lehrerin werden und wusste nicht, was ich sonst mit diesen Fächern anfangen sollte. Also entschied ich mich für eine kaufmännische Ausbildung und wurde nach dem Abschluss von meinem Ausbildungsbetrieb übernommen. In diesem Unternehmen arbeite ich immer noch als kaufmännische Sachbearbeiterin. Mein Gehalt ist nicht allzu üppig, aber ich bin zufrieden.

Die meisten Leute in meinem Freundeskreis haben Geschichte, Anglistik, Germanistik, Philosophie, Romanistik, u. ä. studiert. Die Mehrheit ist jetzt mit dem Studium fertig, einige befinden sich in der Endphase ihres Studiums. Leider sieht es problematisch aus, was die Jobaussichten angeht. Einige tingeln von einem unbezahlten oder schlecht bezahlten Praktikum vom anderen, manche leben von Hartz IV oder von den Eltern, andere haben Minijobs, z. B. im Supermarkt. Viele haben sich total verändert, weil sie mit ihrer beruflichen Situation nicht klar kommen. Sie sind unzuverlässig geworden, melden sich kaum noch, einige schon seit längerer Zeit gar nicht mehr, antworten manchmal nicht, haben ständig schlechte Laune, sind leicht reizbar und pflegen kaum noch Kontakt mit anderen Menschen.

Wie geht man am Besten mit Menschen um, die wegen ihrer schwierigen beruflichen Aussichten depressiv geworden sind? Eine Freundin von mir hat auch einen depressiven Kumpel. Er ruft sie manchmal an und will dann stundenlang mit ihr reden. Sie hört ihm zu und ist gerne für ihn da. Meine Freunde wollen hauptsächlich ihre Ruhe haben und schotten sich von der Außenwelt ab. Das macht mir sehr zu schaffen, weil ich ein kontaktfreudiger Mensch bin und mein Freundeskreis Jahr für Jahr immer kleiner wird. Ich fühle mich zunehmend einsamer und bin oft traurig, wenn niemand mit mir Zeit verbringen möchte.

Was soll ich machen?

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 18. Jan 2015, 21:43
von Galaxis
Hallo Lotusblume,

ich denke, man soll mit den Leuten, die an Depressionen leiden, ganz normal wie mit jedem anderen Menschen umgehen. Ich habe auch jahrelang in einem Job gearbeitet, der mir überhaupt nicht lag. Es gab wenig Wertschätzung und groß entwickeln konnte ich mich in ihm auch nicht wirklich. Ich habe immer weiter gemacht, bis dann die Depression mich in die Knie gezwungen hat.

Danach war ich erst mal 9 Monate krankgeschrieben. Nach der Reha begab ich mich dann auf Arbeitssuche und war 9 Monate arbeitslos. Nach 9 Monaten habe ich dann in meinem Job wieder eine Stelle gefunden, wo alles sich wieder zu normalisieren begann. Leider habe ich seit dem Zusammenbruch mit meiner Belastung und ich sehe mich auch in meinem Beruf nicht als qualifziert an. Letztendlich wurde ich nach 5 Monaten Probezeit wieder gekündigt, obwohl sie mir meinen Urlaub und auch Fortbildungen für mich genehmigt haben. Danach fing der ganze Bewerbungsmarathon von vorne an. Viel Vorstellungsgespräche jedoch bekam ich nicht die Chance wieder einen Fuß in die Türe zu bekommen. Habe mich dann noch mal im ambulanten Pflegedienst versucht und bin dann total zusammen gebrochen. Seitdem bin ich wieder krank geschrieben und traue mir einfach nichts mehr zu, was ich machen könnte. Ich sehe mich auch in Hartz IV und fühle mich deshalb noch als Versagter!

Warum schreibe ich Dir das?

Einfach aus dem Grund, weil ich auch nicht ständig mit meinen Freunden oder Bekannten über dieses Probleme sprechen möchte. Am Anfang habe ich das ja noch getan. Wenn man Freunde oder Bekannte hat, die einen Job haben, können das einfach nicht verstehen. Man bekommt ständig irgendwelche Ratschläge, die ja auch nicht die verkehrten sein können, aber das ganze setzt einen noch mehr unter Druck, in dem man sowieso schon steckt.

Wer will immer nur über seine Probleme sprechen. Ich möchte nicht, dass Leute über mich sagen, die ist ja nur am jammern. Früher habe ich auch mit jedem darüber gesprochen aber mittlerweile habe ich einfach nicht dazu die Lust. Wenn ich mich mit Freunden treffe, dann will ich auch mal etwas positives berichten, dass es wieder bergauf geht, das eine Perspektive da ist. Diese sehe ich einfach im Moment nicht. Wenn man die nicht sieht, dann kann das schon oft so ausgelegt werden, dass man immer gereizt ist.

Es ist einfach schlimm, wenn man studiert oder eine gute Ausbildung hat und trotzdem keinen Job findet, wovon man leben kann. Ich habe bei mir eher das Gefühl, dass ich mich zurück entwickle und mehr vorwärts komme. Das beschämt mich, weil ich mir die Frage stelle, warum schaffen es denn die anderen und nicht ich. Ich habe immer das Gefühl irgendwie in der Erklärungsnot zu stehen. Wenn ich weg gehe, dann muss ich auch Geld dazu haben. Es war und ist nicht mein Ding, wenn ich mich den ganzen Abend mit einem Glas Cola festhalten muss, nur um einen schönen Abend mit Freunden zu verbringen.

Man fühlt sich einfach ausgegrenzt und isoliert sich, weil man einfach nicht sich dazugehörig mit den Leuten fühlt, die ganz normal im Leben irgendwie funktionieren.

Ich frage mich auch ab und zu, warum schaffen das die anderen und nicht Du?

Sicher muss man Freundschaften pflegen; aber man hat auch nicht immer Lust, Leute mit den Problemen zu behelligen und runter zu ziehen. Früher habe ich auch immer gute Miene zum bösen Spiel gemacht, aber wenn mir nicht nach Gesellschaft zu mute ist, dann möchte ich auch sagen, dass ich einfach Ruhe brauche.

Vielleicht gibt es auch Jobs, die so anstrengend sind, dass man einfach nur noch am Wochenende seine Ruhe haben will. Selbst Telefonate können das schon einem zu viel sein.

Hoffe, ich habe das so für Dich verständlich geschrieben, wie ich es als Betroffene sehe.

Grüßle

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 18. Jan 2015, 22:43
von Lotusblume
Hallo Galaxis,

vielen Dank für die ausführliche Beschreibung deiner Geschichte. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen.

Es ist natürlich verständlich, dass du nicht ständig mit anderen Menschen über deine berufliche Situation reden willst. Ich verlange übrigens von meinen Freunden keineswegs, dass sie das tun. Wenn sie es wollen, dann bin ich gerne für sie da und höre ihnen zu. Und wenn sie es nicht wollen, dann akzeptiere ich das auch. Ratschläge gebe ich nur, wenn ich explizit darum gebeten werde und niemals ungefragt.

Wenn ich mich mit ihnen treffe, möchte ich diese Zeit mit ihnen unbeschwert genießen. Für mich ist das nicht schlimm, wenn jemand mal weniger Geld zur Verfügung hat. Ich bin ein großzügiger Mensch und lade meine Freunde gerne mal ein. Nur manche nehmen ungern etwas an, es ist ihnen unangenehm. Meinetwegen müssen die Treffen gar nicht immer in öffentlichen Locations stattfinden und Geld kosten, ich stelle gerne meine Wohnung für einen entspannten DVD-Abend zur Verfügung. Es muss auch nicht immer ein persönliches Treffen sein, ich freu´ mich auch über Anrufe und E-Mails. Und ich muss auch nicht von meinen eigenen Problemen erzählen, wenn das für die anderen eine Belastung ist.

Aber wenn ich selbst auf Nachrichten ohne die Erwähnung irgendwelcher beruflicher oder sonstiger Probleme keine Reaktion bekomme, macht mich das traurig.

Gruß
Lotusblume

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 00:30
von vanezzo
Hallo Lotusblume,

in deiner Schilderung lese ich verschiedene Punkte. Ich antworte mal etwas im Telegramm-Stil, nicht übel nehmen.

Umgang mit Depressiven allgmein:
Nimm es nicht persönlich! Nochmal: Nimm es bloß nicht persönlich! Und achte auf dich selbst, grenze dich ab. Wenn dir dieser Kontakt nicht gut tut, ist es dein gutes Recht den Kontakt abzubrechen. Wenn du um diese Freundschaft kämpfen willst, dann kann es sehr schwer werden, Ansprüche zu stellen. Diese Ansprüche - und sei es nur eine kurze Antwort auf eine Mail - kann von depressiven Menschen manchmal einfach nicht erfüllt werden. Sie können dir in dem Moment nichts geben.

Entwicklung von Freundschaften:
Aus meiner Beobachtung ist es (leider) normal, dass sich bei einem neuen Lebensabschnitt Freundschaften verändern, gerade beim Eintritt in den Beruf. Wie du schreibst, ist es bei einigen Freunden von dir unruhig, sie sind auf der Suche oder stehen einfach woanders als du. Du bist vielleicht schon etwas "gesetzter" im Beruf, hast ein geordnetes Leben, bei anderen sieht es anders aus und sie brauchen viel Kraft für Jobsuche, Einarbeitung und co.

Das ist nur meine Meinung, andere sehen das evtl. anders.

Wenn du die Kraft hast: Sei für deinen besten Freund da, aber sorg auch für dich selbst. Und erwarte - zumindest in der aktuen Phase - nichts von ihm.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 02:09
von Katerle
Hallo Lotosblume,

Mein Freundeskreis schrumpfte ebenfalls, aber ich muss auch ganz ehrlich sagen, zu viele Kontakte, das schaffte ich auch nicht mehr. Ich hatte mich auch mal ne Zeit lang ziemlich einsam gefühlt, auch in meiner Beziehung. Habe nur noch wenig Freunde, aber das reicht mir. Freunde, auf die man sich verlassen kann. Manchmal treffen wir uns und können über alles reden. Oder zu wissen, dass man sich gegenseitig hilft, ist auch viel wert.

Wenn dir deine Freunde am Herzen liegen, dann sage ihnen doch mal, wie du dich dabei fühlst, wenn keiner Zeit für dich hat. Wahre Freunde verstehen das und hören dir zu, sind auch für dich da. Ansonsten wäre es ratsam, dir einen neuen Freundeskreis aufzubauen.

Liebe Grüße

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 06:56
von Lotusblume
@vanezzo: Mir fällt es nicht schwer Kontakte abzubrechen, wenn mir Menschen nicht gut tun. Aber ich finde es ist schon ein Unterschied, ob sich die Freundschaft zu einem Menschen als nicht passend herausstellt, wenn man sich etwas näher kennengelernt hat oder ob es sich um eine Depression handelt.
Ich dachte eher, dass Freundschaften sich verändern, wenn manche heiraten und Kinder bekommen. Bei uns ist noch niemand in diesem Lebensabschnitt angekommen.

@Katerle: Mein Freundeskreis war nie sehr groß, ich brauche auch nicht viele Freunde. Aber die letzten paar Jahre war es echt heftig. Jedes Jahr ist mindestens eine Person "weggebrochen", und es werden immer mehr. Natürlich habe ich schon versucht, mit einigen Personen zu reden. Aber dann reagierten die Leute gereizt und machten mir den Vorwurf, ständig Aufmerksamkeit zu brauchen. Das stimmt definitiv nicht, weil ich auch mal Zeit für mich selbst brauche und gewisse Aktivitäten bewusst alleine pflege. Ich muss nicht jede Woche und schon gar nicht mehrmals in der Woche andere Leute treffen. Inzwischen habe ich nur noch alle 4-8 Wochen die Gelegenheit dazu, und das finde ich ganz schön wenig.

Mich würde mal interessieren, wie ich mit einem Menschen umgehen soll, der offensichtlich Hilfe braucht, aber das noch nicht gemerkt hat bzw. es verdrängt. Soll ich ihn drauf ansprechen oder muss er schon selbst aktiv werden und sich Hilfe suchen?

Ich hatte mal einen sehr guten Freund, der sich mitten im Studium befand. Auch er studierte ein Fach mit schlechten Berufsaussichten, beklagte sich aber nie darüber. Irgendwann machte er ein Auslandssemester. Wir blieben weiterhin regelmäßig in Kontakt und schrieben uns Mails, als er im Ausland war. Gegen Ende seines Aufenthalts gestand er mir, an Depressionen zu leiden. Ich hatte damals keine Ahnung davon und machte einen großen Fehler: Ich bot ihm an, nach seiner Rückkehr für ein Wochenende zu mir zu fahren und mit mir und meinem damaligen Freund eine Kneipentour zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen. Daraufhin bekam ich nur eine ausweichende Antwort und danach kam nichts mehr von ihm.

Vor über einem Jahr sah ich ihn das erste Mal seit langer Zeit auf einer Party wieder. Er war mir gegenüber sehr reserviert und schien sich gar nicht über das erste Wiedersehen nach so langer Zeit zu freuen. Das verletzte mich doch sehr. Ein paar Tage später schrieb ich ihm eine kurze Mail und fragte ihn ob ich was geschrieben hätte, was ihn verärgerte. Ich bekam keine Antwort und habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Er tauchte danach für über ein halbes Jahr komplett ab. Seit Mitte letzten Jahres pflegt er wieder - wenn auch nur selten - Kontakt mit seinen alten Freunden und Bekannten, aber das weiß nicht von ihm, sondern von den anderen. Nur mich meidet er nach wie vor komplett. Das tut weh. Soll ich mich vielleicht bei ihm entschuldigen?

Auch mein Leben war in den vergangenen Jahren nicht immer rosig. Ich hatte mehrere schwere Krankheiten und Todesfälle in der Familie. Außerdem habe ich zwar einen Job, aber auch bei mir lief es nicht immer prickelnd. Ich war immer in der gleichen Firma beschäftigt und bin jetzt in der 3. Abteilung. Hier fühle ich mich wohl. In der ersten Abteilung war das auch der Fall, in der zweiten Abteilung wurde ich gemobbt. Das war die Hölle, es war wirklich sehr schlimm. Trotzdem wäre es mir niemals in den Sinn gekommen, mich von der Außenwelt abzukapseln und meine Freunde zu ignorieren. Manchmal mache ich mir Vorwürfe. Ich habe meine Sorgen wegen der Familie und dem Mobbing mit meinen Freunden geteilt und ihnen ausführlich davon erzählt. Ich wurde so erzogen, dass man auch die schlechten Zeiten mit Familie und Freunden teilt und der gegenseitige Beistand einem die Kraft gibt, damit fertig zu werden. Jetzt frage ich mich, ob ich meine Freunde evtl. zu sehr damit belastet habe und sie auch deshalb mit Depressionen zu kämpfen haben.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 10:45
von Katerle
@ Lotosblume

Leute, die dir einen Vorwurf machen, wenn du auch mal das Bedürfnis hast, zu reden, sind nicht die richtigen Ansprechpartner. Und jeder braucht auch mal Zeit für sich.

Jemand, der Hilfe braucht und es noch nicht gemerkt hat bzw. verdrängt, würde ich ihn drauf ansprechen und dazu ermutigen, sich Hilfe zu suchen. Manchmal ist es auch hilfreich, den Betroffenen das Erstemal zum Arzt oder zum Psychologen zu begleiten. Betroffene sind manchmal nicht in der Lage, selbst aktiv zu werden und deshalb benötigen sie erstmal Unterstützung.

Für was willst denn dich bei ihm entschuldigen, wenn keine klare Antwort von ihm kam?


Da hast du ja auch schon ne Menge mitgemacht...
Mach dir keine Vorwürfe. Es sollte schon so sein, dass man auch die schlechten Zeiten mit Familie und Freunden teilt. Du hörst dir doch sicher auch die Probleme der anderen an und bist für sie da?
Es kann aber auch sein, dass deine Freunde erstmal nicht wissen, was sie dir am Besten raten könnten.

Alles Gute für dich.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 11:27
von Lotusblume
Im aktuellen Fall trau´ ich mich nicht, meinen besten Freund drauf anzusprechen und ihm den Gang zum Psychologen zu empfehlen. Er hat schon seit rund einem Jahr immer wieder längere Rückzugsphasen. Ich habe erst vor kurzem verstanden, dass er gerade Probleme hat und ihn leider in den Monaten zuvor manchmal angezickt, nachdem er sich mir gegenüber schlecht benommen hatte. Außerdem kapselt er sich gerade total ab, er hat mir auf meine letzte Mail von vor Weihnachten noch gar nicht geantwortet.

Bei dem anderen Mann, der schon länger den Kontakt zu mir komplett meidet, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil er sich bei anderen Leuten sehr wohl noch meldet, wenn auch seltener als früher. Er war derjenige, der sich immer wieder bei mir über Leute beklagte, die ihn nicht so nah an sich ran ließen, ewig lang für eine Antwort brauchten, unzuverlässig waren, etc. Jetzt sind es genau diese Leute, zu denen er noch sporadisch den Kontakt sucht, aber mich ignoriert er seit über einem Jahr total.

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass so einige Menschen, mit denen ich befreundet bin/war, ihre Probleme schon immer komplett mit sich selbst ausgemacht haben. Sie waren für mich da, wenn ich reden wollte. Und ich habe es akzeptiert, dass sie nicht so viel über ihre Probleme reden wollten. Jetzt bereue ich es, dass ich ihnen meine ganzen Sorgen mitgeteilt habe. Wahrscheinlich hat sie das angestrengt. Ich habe mich bei dem Mann, der gar nichts mehr von sich hören lässt, am Ende schon zurückgehalten. Trotzdem bin ich die Einzige, der er komplett aus dem Weg geht.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 13:35
von EinHausAusStein
Hallo Lotusblume,

vielleicht ist es bei dem Mann, der den Kontakt mit dir meidet so, dass er sich dafür schämt sich dir gegenüber geöffnet zu haben und dir von seiner Depression erzählt zu haben. Er fühlt sich dir gegenüber jetzt angreifbar und verletzlich.
Weißt du denn, ob er seine Sorgen mit den wenigen Bekannten teilt, zu denen er ab und zu Kontakt hat?
Vielleicht ist es auch so, dass er dir gegenüber bestimmte Gefühle hat, die ihn überhaupt erst veranlasst haben, sich dir anzuvertrauen und vielleicht hat er vor diesen Gefühlen Angst und will sie nicht wahrhaben. Vielleicht mag er dich tatsächlich so sehr, dass er denkt, es ist besser sich von dir fernzuhalten, weil er dich nicht mit seinen Problemen runterziehen und belasten will. Deshalb meidet er jeden Kontakt mit dir. Er denkt vielleicht, dass es so für dich besser ist. Er handelt also gewissermaßen aus starker Zuneigung zu dir auf diese Art und Weise.
Oft schiebt man gerade die Menschen, die einem am wichtigsten sind, ganz weit von sich weg, wenn es einem schlecht geht. Weil man glaubt, ihnen damit etwas Gutes zu tun und sie zu schützen.

Alles Gute

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 14:46
von Lotusblume
Dass er sich angreifbar fühlt, ist durchaus möglich. Ob er mit den Leuten, die er sporadisch trifft, ebenfalls darüber geredet hat, weiß ich nicht. Ich trau´ mich nicht, sie drauf anzusprechen. Zwar versteh´ ich mich gut mit ihnen, aber das sind keine engen Freunde von mir. Außerdem will ich sie nicht "aushorchen".

Am Ende der besagten E-Mail, in welcher er mir von seinen Depressionen erzählte, schrieb er mir in der Tat, dass er mich nicht weiter damit belasten wollte. Aber warum muss den Kontakt dann gleich komplett abbrechen? Mich zieht das übrigens nicht runter, wenn andere Menschen aus meinem Umfeld Probleme haben. In meiner Familie wurde schon immer offen über sämtliche Themen geredet. Gut okay, Depressionen gab es noch bei niemandem, aber Krebs, Herzkrankheiten, etc. wurden bei uns ganz normal besprochen wie andere Dinge auch.

Ich möchte nicht, dass meine Mitmenschen mich "schützen" und sich deshalb nicht mehr melden. Da bekomme ich das Gefühl, wie ein unmündiges Kleinkind behandelt zu werden, welches mit Krankheiten nicht umgehen kann und deshalb rausgehalten werden soll.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 19:14
von Galaxis
Du schreibst, dass Dich das Verhalten von Deinen Bekannten verletzt. Kann es sein, dass Du zu viel von ihnen erwartest, dass sie sich nicht melden?

Ich kann Dich da gut verstehen, wenn man immer derjenige ist, der anruft oder eine Mail schreibt oder Treffen vorschlägt, da nichts zurück kommt. Das hatte ich schon selbst bei einigen Bekannten. Das habe ich mir eine Zeit lang angeschaut und habe mich dann auch zurückgezogen. Irgendwann kamen dann wieder Anrufe und Mails und es fanden dann auch wieder Treffen statt.

Es gibt ja immer das Sprichwort: Erwarte nichts, dann wirst Du auch nicht enttäuscht! Vielleicht fühlen die Leute sich auch von Dir etwas unter Druck gesetzt, wenn Du von ihnen erwartest, dass sie sich bei Dir melden.

Früher war das bei mir auch so. Wenn ich eine SMS geschrieben hatte, dann habe ich ständig auf mein Handy geschaut und auf eine Rückmeldung gewartet. Mittlerweile sage ich mir, wenn einer nicht sofort darauf antwortet, dann hat das vielleicht ein Grund, warum die Rückmeldung nicht gleich sofort da ist.

Vielleicht sind Leute auf der Arbeit und dürfen während ihrer Arbeitszeit nicht Simsen oder sie sind beim Einkaufen oder haben das Handy nicht regelmäßig eingeschaltet. Ich hatte auch früher mein Handy nur eingeschaltet, wenn ich mal telefonieren wollte. Wenn einer sein Handy nur benutzt, um zu telefonieren, da kann ich natürlich lange warten, bis ich dann eine Rückmeldung bekomme.

Mit E-Mails denke ich, wenn Leute im Büro arbeiten, dann schalten sie nach Feierabend nicht gleich den PC an, um dann private Mails noch zu beantworten. Wie ich noch feste gearbeitet habe, war ich froh, dass ich in der Freizeit mich mit keinem PC beschäftigen muss.

So schön ja Internet ist, aber ab und an nervt es einfach, ständig erreichbar sein zu müssen. Früher hat man nicht viel geschrieben. Man rief an und hat sich unterhalten und dann ein Treffen ausgemacht. Viele setzen halt voraus, dass man rund um die Uhr erreichbar sein muss. Da liegt wahrscheinlich auch oft der Hase begraben, dass die Leute einfach alles ausschalten, um mal Luft zu holen.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 20:13
von EinHausAusStein
Aber warum muss den Kontakt dann gleich komplett abbrechen?
Ich möchte nicht, dass meine Mitmenschen mich "schützen" und sich deshalb nicht mehr melden. Da bekomme ich das Gefühl, wie ein unmündiges Kleinkind behandelt zu werden [...]
Ich kann durchaus verstehen, dass du dich nicht angemessen behandelt fühlst. Weißt du denn, ob er auch unter einem niedrigen Selbstwertgefühl leidet? Wenn du an eure Freundschaft zurückdenkst, gibt es da Dinge, die auf so etwas schließen lassen? Sollte er ein niedriges Selbstwertgefühl haben (und gleichzeitig eine starke Zuneigung zu dir), dann denkt er, zumindest im Moment (oder wenn es ihm schlecht geht), nicht so wie du. Seine Gedanken könnten z.B. eher sein: "Ich bin es gar nicht wert, ich habe es nicht verdient, dass sich so ein lieber Mensch wie Lotusblume überhaupt mit mir abgibt. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen um mich macht. Ich will, dass sie glücklich ist."

Und weil er zu sehr in seinem Schmerz und Denken gefangen ist kann er nicht sehen, dass sein Verhalten dir noch mehr Schmerz zufügt. Genau das Gegenteil also von dem, was er beabsichtigt hat. Er denkt: "Ich halte mich von ihr fern. Dann wird sie mich ganz schnell vergessen und dann geht es ihr gut."
Aber natürlich machst du dir weiterhin Gedanken um ihn. Noch mehr, als wenn ihr weiterhin regelmäßig Kontakt hättet und er dich teilhaben ließe an sich und seinen Problemen.
Und er tut alles um sich in seinem Denken zu bestätigen. Er meidet Kontakt mit dir, er antwortet nicht auf deine Nachrichten. Und wenn ihr einander begegnet, dann ist er distanziert und abweisend. Und wie jeder andere Mensch auch, gibst du dann irgendwann auf (immer) den ersten Schritt zu tun und auf ihn zuzugehen. Du lässt ihn in Ruhe. Und er hat seine Bestätigung: "Ich bin kein guter Mensch. Jetzt hat sie das auch eingesehen. Ist sowieso besser so."
Mich zieht das übrigens nicht runter, wenn andere Menschen aus meinem Umfeld Probleme haben.
Weiß er das?

Das ist natürlich sehr spekulativ, was ich hier schreibe. Das kommt alles auch darauf an, wie eng eure Freundschaft, wie tief euer Vertrauensverhältnis, wie stark eure Verbindung war (oder ist). Ich versuche dir nur einen Einblick zu geben, was so alles in einem Meschen, der unter Depression leidet, vorgehen kann. So kommt es eben, dass Betroffene oft genau die Menschen wegstoßen, deren Nähe sie sich eigentlich wünschen.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 21:03
von Lotusblume
@Galaxis: In meiner Familie ist es tatsächlich so, dass ständige Verfügbarkeit erwartet wird. Mein erstes Handy habe ich von meinen Eltern zum 18. Geburtstag geschenkt bekommen. Sie wollten, dass ich immer für sie erreichbar bin. Mich hat das niemals wirklich gestört, ich habe mich daran gewöhnt. Bei uns war das ganz normal, dass man immer ans Telefon geht, bei Anrufen in Abwesenheit schnell zurückruft und Mails/SMS etc. immer beantwortet. Meine ganze Verwandtschaft macht das so, und die Freunde von meinen Eltern auch.

Als ich noch etwas jünger war, hatte ich mein Handy ständig bei mir und checkte meine Mails ganz schön oft. Wenn ich auf eine Antwort wartete und nichts kam, wurde ich immer ungeduldiger und machte auch mal Druck. Im Laufe der Jahre habe ich es mir abgewöhnt, ständig erreichbar sein - andere sind es schließlich auch nicht. Auf der Arbeit bleibt das Handy aus, Mails werden nicht mehr dauernd geprüft. Manchmal gehe ich aus dem Haus, z. B. in den Supermarkt oder sonstwohin und vergesse das Handy in der Wohnung. Ich schreibe auch nicht mehr immer sofort oder nach wenigen Stunden zurück, sondern wenn ich Zeit und Lust habe. Manchmal merk´ ich erst am nächsten Tag, dass ich eine SMS bekommen habe.

Aber ich antworte immer, weil ich Ignoranz einfach sehr unhöflich finde. Wenn ich gerade nicht über ein bestimmtes Thema reden will, sage ich offen und ehrlich, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Andere schweigen im direkten Gespräch oder tun so, als ob sie meine Frage nicht gehört haben... oder sie antworten einfach nicht auf meine Nachrichten. Ich habe gelernt, dass auf jede Frage eine Antwort geben muss. Und wenn ich über etwas nicht reden will, dann ist das okay, aber ich sollte zumindest so höflich sein und das den Leuten mitteilten. Ich erwarte sicher nicht, dass meine Mitmenschen jederzeit und sofort verfügbar sein müssen. Sie können sich gerne die Zeit nehmen, die sie brauchen. Wenn ich nach einem Treffen frage und die andere Person keine Zeit oder Lust, nehm´ ich das locker und mache bestimmt keinen Stress. Aber ich komme nicht damit klar, wenn jemand gar nicht auf mich reagiert.

@EinHausausStein: Dieser Mann hat mir tatsächlich mal im direkten Gespräch erzählt, dass er ein sehr niedriges Selbstwertgefühl hat. Das überraschte mich, weil ich ihn anders eingeschätzt hatte. Das hab´ ich aber schon oftmals erlebt, dass ein Mensch, dem es meiner Ansicht nach nicht an Selbstwertgefühl mangelte, mir so ein Geständnis machte und ich dann völlig baff war.
Mein bester Freund, mit dem ich aktuell dieses Rückzugsproblem habe, bezeichnete sich vor einigen Jahren als starke, selbstbewusste Persönlichkeit mit einem gesunden Selbstwertgefühl. Und das war auch wirklich der Fall. Ist es denn möglich, dass der Selbstwert eines Menschen in einer Krise dermaßen sinkt?

Meine Freunde wussten schon immer, dass es mir nichts ausmachte, über ihre Probleme Bescheid zu wissen. Nur haben viele ihre Sorgen trotzdem lieber für sich behalten.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 21:43
von Gerbera
Hallo Lotusblume,

ja, das Selbstwertgefühl geht in der Krise gegen Null, eindeutig. Ist auch nicht verwunderlich. Man kann plötzlich nicht mehr all das, was man früher konnte, das Denken ist mühsam, die Kontakte aufrechtzuerhalten, strengt an, alles wird zur Last, selbst der Haushalt ist eine unüberwindbare Hürde. Woher soll man da Selbstwertgefühl nehmen?

Ich habe Deine Geschichte bis jetzt nur mitgelesen, und möchte Dir sagen, dass es mir sehr leid tut für Euch Beide, dass Eure Freundschaft momentan so schwierig ist. Der beste Tipp, den ich Dir als Betroffene geben kann: nicht drängen, schreib ihm gelegentlich mal ein paar nette Worte und hab Geduld. Er wird sich Dir öffnen, wenn ER den Wunsch dazu hat. Das kann dauern. Nicht jeder Depressive ist in der Lage, über seine Krankheit/sein Befinden zu reden. Das kann viele Gründe haben, u.a. den, dass es ihm nicht möglich ist, seine Gedanken zu bündeln, das, was er sagen möchte, auf den Punkt zu bringen. Ging mir z.B. in der Krise so.

Auch wenn Du kein Problem damit hast, über schwierige Themen zu reden, seine Krankheit z.B., hat er vielleicht Schwierigkeiten damit, krankheitsbedingt oder erziehungsbedingt oder... Es ist sinnlos, das zu diskutieren, in Frage zu stellen oder was auch immer. Versuche zu akzeptieren, dass Dein Freund derzeit nicht der Mensch ist, den Du gekannt hast, als er noch gesund war.

Alles Gute für Dich!

Gerbera

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 19. Jan 2015, 22:21
von EinHausAusStein
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Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 05:51
von Lotusblume
@Gerbera: Ich bedränge ihn auf gar keinen Fall. Am Ende unseres letzten Treffens Mitte November hab´ ich ihn kurz angezickt. Ich ärgerte mich über sein Verhalten, war etwas angetrunken, und so kam eins zum anderen... Ich hab´ mich gleich am nächsten Tag nach meiner Rückkehr bei ihm entschuldigt. Eine gemeinsame Freundin meinte, er hätte die Entschuldigung angenommen. Mir gegenüber hat er kein Wort darüber verloren. Erst Mitte Dezember bekam ich eine nette E-Mail von ihm. Ich war im Vorweihnachtsstress und antwortete nach einer Woche, das war kurz vor Weihnachten. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Wenn irgendwelche Leute sich nicht bei mir melden und meine Nachrichten nicht beantworten, denke ich, dass sie ihre Ruhe wollen und melde mich dann auch nicht. Sonst hätte ich das Gefühl, ich würde sie stalken.

@EinHausAusStein: Das sehe ich auch so.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 08:16
von Botus
Hallo Lotusblume,

es gab aus meiner Sicht auch verschiedene Veränderungen, die gewissermaßen vorprogrammieren, dass viele früher oder später Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein bekommen können. Selbstvertrauen hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften ist nicht wie früher an entsprechende Ergebnisse gekoppelt. Man darf es auch "einfach so" haben, bzw. man soll es sogar haben. Dem entsprechend wachsen die Leute auf. Sie verinnerlichen es. Irgendwann müssen sie dann tatsächlich etwas leisten. Prompt wird das als Überforderung wahrgenommen und führt zur ersten Kollision mit dem Selbstvertrauen. Das ist nicht so selten.

Es gibt auch andere Aspekte, wie z.B. den Arbeitsmarkt, der für Studienabsolventen mehrheitlich atypische Beschäftigung, gering bezahlte, befristete Verhältnisse oder ein Praktikum nach dem anderen bedeutet. Du hast das ja bereits geschrieben. Die Absolventen verlassen die Schule in dem Glauben, sie seien besonders befähigt und dann das. Es werden gut ausgebildete Leute dringend gesucht. Trotzdem kriegen sie keine Stelle. Das ist natürlich ein Schock für Menschen, die bis vor kurzem noch glaubten, besonders befähigt zu sein.

Ich glaube, dass Du Deinen Freunden bereits damit hilfst, indem Du arbeitest, Steuern zahlst und somit überhaupt erst ermöglichst, dass andere sich viele Gedanken machen können, was sie später irgendwann mal arbeiten werden. Das sollte man anerkennen. Ich finde das toll.

Liebe Grüße vom Dobi.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 09:51
von ndskp01
Liebe Lotusblume,

in Zeiten des Umbruchs ist es besonders schwer, regelmäßig Freundschaften zu pflegen. Die Unsicherheit zieht sich durch alle Lebensbereiche. Sei nicht traurig, wenn Reaktionen auf sich warten lassen, das hat ganz sicher nichts mit der Wertschätzung für deine Person zu tun. Es kann sein, dass du manche von den Freunden verlierst. Das tut weh.

Wie du dich verhalten sollst, dafür kann man dir keinen generellen Rat geben. Solange du die Kraft dafür hast, würde ich sagen: Melde dich weiterhin und sage auch, wenn du verletzt bist, weil keine Reaktion kommt.

Viele Grüße, deine Puk

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 17:03
von Lotusblume
@Dobermann: Ich habe schon einige junge Leute kennengelernt, die von ihren Eltern total unter Leistungsdruck in Schule, Studium und Beruf gesetzt wurden. So nach dem Motto: Wer wenig oder gar nichts erreicht, der ist ein Versager. Diese Einstellung gefällt mir nicht. Insbesondere Kinder aus Akademiker-Familien haben oft damit zu kämpfen. Da kann ich wohl froh sein, dass meine Eltern "einfache" Arbeiter sind.

Es ist verständlich, dass hoch qualifizierte junge Menschen unglücklich sind, wenn sie jahrelang hart gearbeitet und sich immer weitergebildet haben, aber nach dem Studium keine oder eine schlecht bezahlte Stelle bekommen.

Ich kann dir versichern, dass sie bei der Wahl ihrer Studienfächer nicht gedankenlos waren. Nicht jeder hat die Fähigkeit, ein Studium mit Fächern wie Mathematik, BWL, usw. zu packen. Ich hätte das auch nicht geschafft. Manchmal ist eine Ausbildung die bessere Alternative für das spätere Berufsleben. Aber viele Leute meinen, wenn sie schon mal Abi gemacht haben, dann wollen sie auch studieren. Sonst hätten sie den einfacheren Weg über die Mittlere Reife nehmen können.

@Puk: Ich sage nicht mehr, wenn mich ausbleibende Reaktionen verletzen. Die meisten Leute interpretieren das als Vorwurf, selbst wenn man in Ich-Botschaften kommuniziert.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 18:36
von Galaxis
Liebe Lotusblume,

die Eltern wollen für ihre Kinder ja immer das Beste; dass es ihnen noch besser geht als ihnen. Was früher Hauptschüler gemacht haben, das machen heute Realschüler, was Realschüler früher gemacht haben machen beruflich die Abiturienten. Es fängt ja schon im Kindergarten an, dass die Streu vom Weizen getrennt wird. Der Kampf geht dann in der Schule weiter und im Beruf bis zur Rente. Leistung, Leistung und noch mal Leistung. Wie Du schon schreibst, man reißt sich die ganzen Jahre den Popo auf und muss dann einen Job machen, der einem gar nicht liegt. Auch wenn man noch jung ist, weiß man doch noch gar nicht, ob man den Beruf sein ganzen Leben ausführen kann. Es ist schon traurig, dass viele junge Leute nach der Schule arbeitslos sind und keine Perspektive haben.

Aber das sprengt hier das Thema und ist ja auch nicht das Thema.

Ich kann es total verstehen, dass es nicht schön ist, wenn keine Rückmeldung von den Leuten kommt. Da gebe ich Dir vollkommen recht. Wenn ich über etwas nicht sprechen will, dann sage ich das auch höflich und das wird dann auch respektiert.

Die meisten Leute sind heute ziemlich oberflächlich. Früher gab es noch richtige Freundschaften. Aber heute kocht jeder sein Süppchen alleine. Das empfinde ich genau so wie Du. Ob das an der schnelllebigen Zeit und dem ganzen Konsum liegt? Die ganze Woche arbeitet man wie verrückt und dann will man natürlich das Wochenende auch die ganze Freizeit, die man in der Woche nicht hat nachholen. Das schlägt irgendwann seine Tribute.

Ich bin auch bis 42 jedes Wochenende weggegangen. War immer gerne mit Menschen zusammen. Tanzen gehen und alles was so dazu gehört hat. Aber als ich dann 43 war, habe ich mir immer vorgenommen am Wochenende lasse ich es mal so richtig krachen und war dann, wie es soweit war, einfach zu müde, um mich noch mal für das Tanzen oder zum Weggehen aufzuprezzeln. Ich wollte einfach nur in mein Bett und meine Ruhe haben.

Das hat mir sehr erschreckt, da ich das früher so überhaupt nicht gekannt habe. Habe in dieser Zeit viel hinterfragt z.B. wirst Du jetzt alt? War es das jetzt?

Bis dann die Depression diagnostiziert wurde und ich mich da reingelesen habe, war mir alles klar, warum das so war in dieser Zeit.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 21:25
von Lotusblume
Das mit der Oberflächlichkeit empfinde ich auch so. Ich kannte schon einige Leute, die sich immer nur dann bei mir meldeten, wenn sie etwas brauchten. Die habe ich mit der Zeit aussortiert.

Ich bin noch keine 30 und gehe trotzdem nicht mehr jedes Wochenende täglich weg. Manchmal brauche ich auch ein ganzes Wochenende für mich selbst. Das liegt daran, dass ich viel mehr arbeiten muss als noch vor einigen Jahren. Ich habe einen 35-Stunden-Vertrag, bin aber manchmal 45-50 Stunden pro Woche auf der Arbeit. Nach einer anstrengenden Woche bin ich froh, wenn ich am Freitag meine Ruhe habe und früh ins Bett gehen kann.

Au weia... habe gerade meine alten Mails angeschaut. Ich wollte wissen, wie ich damals auf das Geständnis des Mannes reagiert habe, der sich gar nicht mehr bei mir meldet. Ich habe ihm geschrieben, dass es mir sehr leid tat, wie es ihm ging.... aber dass er sich auch nicht hängen lassen und ab und zu etwas unternehmen sollte, um auf andere Gedanken zu kommen. Inzwischen habe ich mir einige Seiten zum Thema Depressionen angeschaut. Das ist eine der schlechtesten Aussagen, die man gegenüber Betroffenen von sich geben kann. Ich hatte damals fast keine Ahnung von der Krankheit und befürchte, ich bin total falsch auf ihn eingegangen...

Mein bester Freund gehört zu den Kontakten in meiner FB-Liste. Jetzt frage ich mich ob es ihm was ausmacht, wenn er mein Geschreibsel mit anderen Leuten liest und merkt, dass es mir gut geht... oder ob ihm das gerade Recht ist. Weil er dann nicht das Gefühl bekommt, sich um mich kümmern zu müssen.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 20. Jan 2015, 22:14
von Galaxis
Was ich noch sehr belastend empfinde ist, wenn man Bewerbungen schreibt und nicht mal eine Absage bekommt. Ich finde einfach, dass das zum guten Ton gehört, Absagen zu erteilen. Dann weiß man wenigstens, woran man ist und hängt nicht ständig in der Luft!

Ich habe es früher auch immer so gehalten, wenn ich zwei Firmen hatte, wo ich anfangen kann, dann abzusagen. Aber so gar nicht? Ist schrecklich; ist aber heute oft so!

Auch in der Arbeitswelt hat sich viel geändert. Eine 35 Stunden-Woche und 45 bis 50 Stunden zu arbeiten ist wirklich krass! Wer hält das auf die Dauer aus. Personaldecke dünn, egal wie man die Arbeit schafft. Wo soll das eigentlich alles noch hinführen?

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 21. Jan 2015, 09:04
von Botus
Ich bin die doppelte Zahl an Stunden in der Firma, im Schnitt 72 Stunden pro Woche. Das ist nicht alles Arbeitszeit, sondern die Gesamt-Aufenthaltszeit. Wie das geht ? Ganz einfach, es gefällt mir hier, ich mag das alles. Ich habe alles so eingerichtet, wie es mir gefällt.

Die Stunden sind egal, wenn man etwas liebt und gerne irgendwo ist.

Als Student bin ich viele Jahre lang jede Nacht Taxi gefahren. Das waren 12 Std. Schichten, oft 7 Tage die Woche. Es hat mir Spaß gemacht, in einem nagelneuen Mercedes zu sitzen. Das Fahren durch die Nacht fand ich geil. Ich habe das 5 Jahre lang gemacht. Es war spannend und erholsam zugleich.

Ich habe auch schon Sachen gearbeitet, die keinen Spaß machten. Dabei habe ich alle 10 Minuten auf die Uhr geschaut. Es war schrecklich. Selbst 25 Std / Woche wären mir zu viel gewesen.

Arbeit ist nicht gleich Arbeit. Man sollte etwas arbeiten, das einem Spaß macht. Das ist eines der wichtigsten Dinge im Leben

Wenn das gelingt, sind die Tage trotz Arbeit schön und man braucht keine teuren und vielfach nicht wirkliche Befriedigung bringenden Ersatzbefriedigungen. Bei der Suche nach einer für einen selbst geeigneten Arbeit, die man auch lebenslang mit Spaß machen kann, ist es aus meiner Sicht nicht ratsam, auf andere zu vertrauen. Niemand wird einem das "geben", dazu ist der freie Markt zu brutal und zu egoistisch. Ich denke, dass man sich sowas schon selbst aufbauen muss. Das ist möglich, kostet aber (nach meiner Schätzung) ungefähr 10 Jahre der eigenen Lebenszeit, die quasi "weg" ist. Diese Zeit muss man einsetzen, wenn man nichts hat. Mit finanzieller Unterstützung kann die Zeit deutlich kürzer sein.

Liebe Grüße vom Dobi.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 21. Jan 2015, 17:31
von Galaxis
Hallo Dobermann,

das sehe ich auch so. Arbeit muss einen ein Sinn geben und Spaß machen. Zumindest muss man sich mit der Arbeit identifizieren. Auch in dem Umfeld, in dem man sich bewegt, muss einen annähernd gefallen.

Re: Wie geht man mit Betroffenen um?

Verfasst: 22. Jan 2015, 07:21
von Lotusblume
@Galaxis: Ich hab´ zwei interne Stellenwechsel hinter mir. Insgesamt habe ich mich in den letzten Jahren 8x intern beworben, aber nur 3x eine Antwort bekommen. Gut okay, ich habe sämtliche Bewerbungen online verschickt und nicht so viel Geld investiert wie Leute, die es über den Postweg versuchen. Das hat mich aber trotzdem überrascht, dass mir manche Bereiche nicht mal eine Absage geschickt haben.

@Dobermann: Mir ist der Spaß an der Arbeit auch sehr wichtig. Trotzdem hätte ich keine Lust, so viel Zeit in der Firma zu verbringen wie du. Mein Privatleben ist mir heilig. Auch hier ist es mir manchmal echt zu viel, obwohl ich einen interessanten Job habe. Dass es auf der Arbeit auch mal stressig sein kann, finde ich ganz natürlich. Aber ich hab´ keinen Nerv für täglichen Dauerstress. Dann geht der Spaß irgendwann verloren, wenn ich vor jedem Arbeitstag weiß, dass es die ganze Zeit hektisch sein wird.

Mir ist eingefallen, dass der Mann, mit dem ich keinen Kontakt mehr habe, sich früher manchmal negativ über einen Typen aus seinem Bekanntenkreis (der auch keinen halbwegs normal bezahlten Job findet) ausgelassen hat. Da fielen Sätze wie: "Das ist ein wirklich netter Kerl, aber der ist total depressiv, lässt sich nur hängen und hat mit Mitte 20 schon zwei Alkohol-Entziehungskuren hinter sich." Und jetzt hat er selbst Depressionen (aber keine Probleme mit Alkohol, er verträgt kaum was). Ich glaube, so richtig nachvollziehen kann man das erst, wenn man selbst in dieser Lage steckt. Und ich denke, dass es jeden Menschen treffen kann.