Vorstellung AlterHase

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AlterHase
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Vorstellung AlterHase

Beitrag von AlterHase »

In Sachen Depression bin ich ein alter Hase mit meinen bald 52 Jahren, wie mein Nick schon sagt. Angefangen habe ich mit Minderwertigkeitsgefühlen und Versagensängsten in der Schulzeit. Einen nervlichen Zusammenbruch hatte ich mit 23 nach meinem Vordiplom, weil ich mit meinem Studium, der Liebe und mir nicht mehr klar kam. Die Diagnose meiner damaligen Psychoanalytikerin lautete, neurotische Depression. Nach einer von der KK bezahlten Analyse (über 200 Std.) und später einer Gestalttherapie konnte ich dann mein Studium regulär abschliessen. Es folgte eine Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen und schliesslich eine Trennung vor 5 Jahren. Ich hatte ein bürgerliches Leben mit allem Drum und Dran erreicht und eigentlich Alles um glücklich zu sein. Nichtsdestotrotz hat mich die Depression immer mal wieder eingeholt bzw. ständig begleitet. Nach einer VT vor 4 Jahren, nach meiner Trennung, bin ich soweit, dass ich die stille Hoffnung, einmal ganz ohne Depressionen zu leben, aufgegeben habe. Ich nehme meine Disposition zu Depressionen wie ein Handicap an und stelle mein Leben darauf ein. (Ich möchte damit aber niemandem die Hoffnung nehmen, dass seine Depression heilbar ist. Jede Depression ist anders!) Dies ist das eine Handicap, welches seine Ursprünge in einer manisch depressiven Mutter und der krankheitsbedingten Trennung von ihr im Alter von 4 Jahren hat.

Mein anderes seelisches Handicap ist meine sexuelle Orientierung, welche auf den väterlichen Zweig meiner Familie zurückführt. Nach der Trennung von meiner Mutter bin ich einige Jahre bei meinen körperbehinderten Grosseltern, meiner Oma fehlte der linke Unterarm, aufgewachsen. Aus dieser Zeit habe ich eine sexuelle Vorliebe für Frauen mit einer Arm- oder Beinamputation/en mitgenommen, die meine Partnersuche und Beziehungen immer erheblich behindert hat und auch noch behindert. Zu Beginn meiner psychotherapeutischen Erfahrungen hegte ich noch die Hoffnung und Therapeuten machten mir die Hoffnung (?), dass diese Neigung wegtherapierbar sei. Aber nach einer 15 jährigen Ehe mit einer nicht behinderten Frau und mehreren Therapeuten habe ich meine Neigung angenommen. Nach zwei Beziehungen mit beinamputierten Frauen in den letzten Jahren ist diese Sehnsucht eher noch stärker geworden, da ich dort die Erfüllung meiner Sexualität und Leidenschaft erlebt habe. Da eine Partnerschaft aber aus mehreren Aspekten besteht, waren die Beziehungen leider nicht von Dauer. Die Chance, eine zu mir passende Frau mit einer Amputation zu finden ist sehr klein, was für mich das eigentliche Handicap ausmacht.

Und jetzt beisst sich die Katze in den Schwanz, keine Partnerin, Frustration bei der Partnersuche, Lustlosigkeit bei der Arbeit, Arbeitshemmungen, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit usw. Die Meisten kenne diese Spirale sicherlich. Bis jetzt komme ich meistens mit den Techniken, die ich mit der Zeit gelernt habe, über die Runden. Aber manchmal … ??? Vielleicht finde ich hier ja einen Gesprächspartner oder -partnerin, mit dem/r ich meine Sorgen teilen kann. Ich beantworte auch gerne Fragen, u.a. zu meinen vielfältigen Therapieerfahrungen.
LG AlterHase
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tomroerich
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Re: Vorstellung AlterHase

Beitrag von tomroerich »

Hallo AlterHase,

danke für deine sehr offene Schilderung deiner Lebensgeschichte. Mir ist daran vor allem wieder einmal klar geworden, wie sehr wir geprägt werden in frühen Jahren. Ich meine deine Vorliebe für amputierte Frauen, die ja wohl sehr klar auf die Beziehung zu deiner Großmutter zurückgeht. Mir stellt sich dann die (philosophische?) Frage, wie frei ein Mensch überhaupt sein kann angesichts solcher Prägungen.
Ich höre auch heraus, dass die Dame in Schwarz zwar nicht unbedingt ein gern gesehener Gast bei dir ist, du ihren Besuch aber doch in dein Leben eingebaut hast. Und ich finde, damit nimmt man dem Problem schon recht viel von seiner Schärfe.

Gruß von

Thomas
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AlterHase
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Re: Vorstellung AlterHase

Beitrag von AlterHase »

Hallo Thomas,

schön, dass Du auf meine Vorstellung reagiert hast. Es ist schade, dass es hier im Forum keine Querverweise zu anderen Beiträgen eines Posters gibt. So ist es für einen Neuling sehr mühsam, sich ein Bild vom Anderen anhand seiner Beiträge zu machen.

Im Hinblick auf meine sexuelle Prägung habe ich mich nach vielen Jahren des Philosophierens ganz pragmatisch für meine Neigung entschieden. Wahrscheinlich bleibt uns nur die Freiheit, ja zu dem zu sagen, was nicht änderbar ist und niemandem schadet. Diesen Pragmatismus anzunehmen, habe ich aber erst während einer VT in den letzten Jahren gelernt. Früher habe ich mir Knoten über Knoten in den Kopf gemacht mit Gedanken über was wäre wenn, kann ich oder will ich etc.

Bei wem ist die Dame in Schwarz schon ein gern gesehener Gast? Nun, so abwegig ist die Frage gar nicht einmal. Zeitweise habe ich die Melancholie regelrecht gesucht und die bitter-süssen Stunden beim Blues Hören genossen und mich im Selbstmitleid gesonnt. Heute gehe ich den Ansätzen zu diesen Stimmungen eher aus dem Wege, so wie der trockene Alkoholiker auch versucht abstinent zu bleiben.

Nein, ich habe die schwarze Dame nicht in mein Leben eingebaut. Ich versuche ihr so gut wie möglich aus dem Wege zu gehen. Aber wenn sie dann doch mal da ist, und das ist nicht weniger als früher, vielleicht kürzer, dann gestehe ich mir eher zu dass ich ko, fertig und hoffnungslos sein darf. Hinzu kommt die Erfahrung, dass ich bisher noch immer wieder aus den Tiefs heraus gekommen bin.

Ja, und schliesslich muss ich die Verhaltenstherapie loben, die mir einige Techniken gezeigt hat, wie ich besser mit depressiven Stimmungen umgehen bzw. ihnen vorbeugen kann. Das ist u.a. ein Manko der psychoanalytischen Therapien, wie ich sie kennengelernt habe.

LG vom alten Hasen
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tomroerich
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Re: Vorstellung AlterHase

Beitrag von tomroerich »

Hallo AlterHase,

das finde ich schon allerhand und tiefschürfend, wie du deine Einstellungen deinen Neigungen anpassen konntest. Und obwohl du es nicht ausdrücklich gesagt hast nehme ich trotzdem an, dass dein Wunsch, diese Neigung wegtherapieren zu wollen, einer ungünstigen Bewertung durch die Umwelt und so auch durch dich entspringt.

Darin liegt eben der Fortschritt, trotzdem mit etwas zu leben, das den Rahmen der Normalität zu sprengen scheint.

Übrigens habe ich auch eine analytische Therapie gemacht, ganze 3 1/2 Jahr habe ich damit zugebracht und ich habe es nicht bereut. Ich gebe dir aber Recht, dass sie von ihrem Ansatz her nicht die erste Wahl für die aktive Bewältigung der Depression ist. Ich allerdings hatte den Vorzug einer Therapeutin, die sich traute, die reine Lehre auch mal zu verlassen und pragmatisch vorzugehen. Sie konnte den Gedanken zulassen, dass Depr. auch auf organischer Ebene wirken und eben nicht durch Erkenntnis alleine zu besiegen ist.

Was die Dame in Schwarz und ihre zweifelhaften Besuche betrifft muss ich aber sagen, dass ich sehr viel von ihr gelernt habe. Niemand hat mir im Leben so viel beigebracht wie sie und nichts anderes hat mir so geholfen, in meiner persönlichen Entwicklung voranzukommen.

Einen Gruß von

Thomas
Betroffene für Betroffene

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AlterHase
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Normalität

Beitrag von AlterHase »

Hallo Thomas,

normal zu sein, gesund zu sein, was auch immer das heissen mag, das hatte ich immer gesucht. Und in diesem Punkt setzt auch meine grösste Kritik an der Psychoanalyse an. Ich glaube, dass die PA, wie ich sie erlebt habe, bewusst oder unterschwellig ein sehr normatives Bild von seelischer Gesundheit hat. Man ist sich heute noch nicht einig, ob Freud Homosexualität als eine Krankheit oder eine möglich zulässige Variante der menschlichen Sexualität ansah. Wie viel schlimmer musste dann meine sexuelle Deviation sein? Die einzige Bemerkung, die meine Psychoanalytikerin zu meiner Vorliebe zu Frauen mit einer Amputation machte, war „Frauen fehlt ja auch ein Glied.“, was bei mir weder einen Aha-Effekt auslöste noch meine Scham ob dieser Neigung linderte. Ähnliche Reaktionen erfuhr ich auch bei anderen analytisch orientierten Kollegen. Keine/r sagte zu mir vor dreissig und auch noch fünf Jahren „Ja, dann suchen sie sich doch eine Frau mit einer Amputation.“, obwohl man schon bei Krafft-Ebing in der Psychopathia sexualis etwas Vergleichbares lesen konnte, aber das war vor Freud.

Als ich vor einigen Jahren dann einen Verhaltenstherapeuten aufsuchte, war dieser zunächst auch verunsichert, weil er die Neigung nicht kannte und von sozial schädlichen Neigungen, wie beispielsweise Pädophilie, abgrenzen konnte. Nachdem er sich bei einem Kollegen an einer Universität rückversichert hatte, arbeitete er mit mir in dem Sinne, dass es meine Entscheidung sei, ob ich die Neigung ausleben wolle oder nicht. Ja, so macht die Bewertung der Umwelt auch vor den Türen der Psychotherapeuten nicht halt.

Aus deinen Ausführungen entnehme ich, dass deine Depressionen organische Ursachen haben. Ich habe jahrelang in meiner ersten PA mit der Frage gerungen, ob ich endogen depressiv wie meine Mutter sei oder nicht. Endogene Depressionen waren damals für mich sehr negativ besetzt. In den siebziger Jahren glaubte man sogar, dass man Schizophrenie mit Psychotherapie heilen könne. So glaubte ich damals auch, meiner Mutter noch mit Psychoanalyse helfen zu können, was aber zum Scheitern verurteilt war. Sie ist dann auch 57 Jahren leider recht früh verstorben. Heute sehe ich, dass beide Ansätze ihre Berechtigung haben und sowohl die psychiatrischen als auch die psychotherapeutischen Methoden Fortschritte gemacht haben.

Du sagst, dass deine Depressionen dich in deiner Persönlichkeitsentwicklung vorangebracht haben. Hattest du eine einmalige, aber intensive Begegnung mit der Dame in Schwarz? Hat sie dich vor einer oberflächlichen Lebensweise bewahrt? Bei mir ist sie eher eine ständige Begleiterin, auf die ich gerne verzichtet hätte und verzichten würde. Ich habe zwar etwas Distanz zu ihr gewonnen, die Grauschleier der frühen Jahre sind verschwunden, aber sie ist hinterhältig. Der Kampf ist noch nicht zu Ende und ich bin immer auf der Hut.

Ich wünsche dir einen schönen Sonntag,
der alte Hase
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