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Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 17. Jun 2014, 21:58
von MUT65
Hallo Zusammen,

bin aus dem Angehörigenteil und wegen meines "Freundes" hier. Um zu verstehen und um
akzeptieren zu können, was ich nicht ändern kann.

Er ist jetzt fast ein Jahr lang krank geschrieben. Klinik, Tagesklinik, Medis und jetzt 1x wöchentlich Therapie. Laut seiner Therapeutin noch mitten in der Depression.

Es dauert wohl auch so lang, weil er zwei Jahre nicht krankheitseinsichtig war.

Immer wieder sagt er, dass er zurück ins Leben will - das heißt für ihn arbeiten können.
Er ist Handwerker und arbeitslos.
Jetzt hat er vllt. Ende des Jahres eine Anstellung in Sicht.
Neues Projekt eines Freundes, klingt alles ganz gut.

Nur wie soll das gehen, wenn er jetzt die meiste Zeit sich "müde+ kaputt" fühlt....?

Meine Frage genauer :

Wenn man ohne Struktur in den Tag hineinlebt - wie kann man daraus wieder heraus finden ?
Ist es nicht auch so, dass man an seinen Anforderungen wächst ? Wachsen muss?
Zwangsläufig, weil am Morgen der Wecker klingelt und weil der Tag durch Arbeit Struktur erhält?

Jetzt muss er nichts - außer ab und zu Zeitungen austragen und Termine wahrnehmen.
Das fordert ihn oft bis ans Limit.....

Ich wünsche ihm so sehr, dass er an sich glaubt und Zuversicht empfinden kann, nur wie, wenn da kaum etwas ist?

Was hat Euch nach VORN gebracht ?

Es geht jetzt zwei Jahre, ein Jahr lang ist er Zuhause - habe oft Angst, dass er einfach nicht zurück findet zu dem, was ihm immer Halt gegeben hat. Das war ein geregeltes Einkommen ( er muss noch durch eine gescheiterte Selbstständigkeit durch eine Privatinsolvenz)

Ich will hier nicht jammern, oder mich beklagen, aber als Angehörige habe ich oft das Gefühl ständig etwas falsches zu sagen. Mache ich ihm Mut, will er es nicht hören.......rede ich mal etwas kritischer, wird er unwirsch und kann mit Kritik kaum umgehen.

Es hilft mir, hier bei "Euch" zu leben, vielen Dank dafür.

Grüße
von
Mut

Re: Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 17. Jun 2014, 22:41
von qwertzuiop
vorneweg um deine frage zu beantworten: gar nicht

und auch wenn ich mich jetzt wieder unbeliebt mache: das mit der tagesstruktur wird überbewertet. ja es gibt eine reihe leute denen es hilft. warum auch immer.
letztendlich heißt das aber nur funktionern.
ich habe das 35 jahe durchgezogen, hat mir nicht geholfen, im gegenteil.

wenn dein freund freude an der arbeit hat dann sollte er es unbedingt tun wenn es nur pflicht zu geld verdienen ist, sollte er es lassen.
ein langsamer einstieg mit steigender stundenzahl wäre eine möglichkeit, um nicht gleich in die vollen zu gehen.

das mit den glauben an das wachstum ist gefährlich den der schritt zu überforderung ist schnell gemacht. angemessene anfordung heißt das stichwort wie immer die im einzelfall aussieht.

Re: Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 18. Jun 2014, 06:55
von Botus
Hallo Mut,

für mich liest sich die Geschichte, als hätte Dein Freund eine typische neuzeitliche Handwerker-Story hinter sich. Das mit dem Job lief nicht zufrieden stellend -> Also selbständig machen. Als die Selbständigkeit neu war, stieg die Lust, aber auch das Selbstbewusstsein in die eigenen Fähigkeiten. Die Pleite korrigierte sein Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, analog dazu ist auch die Lust auf dem Nullpunkt.

Um nach sowas wieder auf die Beine zu kommen, wäre ein MUSS notwendig gewesen. Sofort irgendeinen Job annehmen, egal welchen, damit man tanken kann, der Vermieter einem die Wohnung nicht kündigt und ein Zehner im Portemonnaie ist. Wenn die Möglichkeit besteht, dass das Minimum auch so gesichert ist, ist das ein Segen, aber es geht auch mit Nachteilen einher.

Dein Freund bekommt etwas. Er erhält Hilfe. Im Gegenzug dafür wird ihm etwas genommen. Die Fähigkeit zur Selbsthilfe. Wenn ein Selbständiger diese Fähigkeit verliert oder erfahren musste, dass er sie nie hatte, fühlt er sich folglich, als sei "alles" weg und nichts habe mehr Sinn. Du solltest Dich darauf einstellen, dass das möglicherweise so bleibt und die Linderung der Symptome das Hauptthema bleibt.

Das ist natürlich nur mein Eindruck.

Liebe Grüße vom Dobi

Re: Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 18. Jun 2014, 13:38
von Anicca
Hallo liebe Mut,

du fragst, "Was hat Euch nach VORN gebracht "?

Ich habe schon sehr früh verstanden, dass ich Eigenverantwortung übernehmen muß. Mein Klinikaufenthalt in der " Hochgrat Klinik in Wolfsried" hat mir das auch bestätigt.

Ich habe mir damals von selbst Hilfe geholt. Meine Angehörigen konnten und können auch heute nach einem Empfinden wenig an meiner Erkrankung verändern. Meine Angehörigen konnten und können nur für sich selbst sorgen. Sie können dafür sorgen, dass sie sich nicht in meine Erkrankung reinziehen lassen. Sie haben die Aufgabe sich abzugrenzen, und sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Sie können mich lieben und mich respektieren, aber sie können mich nicht von meinem Schicksal erlösen, das ist alleine meine Angelegenheit.

Wenn ich gesund werden will, dann muß ich das selbst in die Hand nehmen. Wenn ich unter Druck gesetzt werde, von wem auch immer, dann passiert bei mir überhaupt nichts. Erst dann, wenn ich meinen eigenen Zustand nicht mehr ertragen kann, dann werde ich aktiv.

So war das bei mir, und so ist es noch immer. Die beste Hilfe, die ich gefunden habe, ist, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. z.B. in den Selbsthilfegruppen vor Ort, oder wie hier im Forum Die Menschen die ein gleiches Schicksal teilen, sind zur Unterstützung, nach meinem Empfinden, geeigneter als die eigenen Angehörigen.

LG Anicca


"Wir sind hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor uns selbst gibt. Solange der Mensch sich nicht selbst in den Augen und Herzen seiner Mitmenschen begegnet, ist er auf der Flucht.

Solange er nicht zulässt, dass seine Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es für ihn keine Geborgenheit. Solange er sich fürchtet, durchschaut zu werden, kann er weder sich noch andere erkennen - er wird allein sein.

Wo können wir solch einen Spiegel finden, wenn nicht in unseren Nächsten? Hier in der Gemeinschaft kann ein Mensch erst richtig klar über sich werden und sich nicht mehr als den Riesen seiner Träume oder den Zwerg seiner Ängste sehen, sondern als Mensch, der - Teil eines Ganzen - zu ihrem Wohl seinen Beitrag leistet.

In solchem Boden können wir Wurzeln schlagen und wachsen; nicht mehr allein - wie im Tod - sondern lebendig als Mensch unter Menschen."

Richard Beauvais (1964):

Re: Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 19. Jun 2014, 13:16
von Zarra
Liebe MUT65,

das "Problem" ... und manchmal auch die Hoffnung ;) ... ist, daß Depressionen doch ganz unterschiedliche Ausmaße und Spezifika haben; ... und daß manchmal auch "Behandlungserfolge" zumindest teils auch vom glücklichen Zufall abhängen.

Mir selbst haben die stationären in guten psychotherapeutischen Kliniken schon immer ein gutes Stück weitergeholfen - auch wenn danach nicht alles gut war. Ambulant hatte ich weniger Glück, denn irgendwie muß es "passen".
Antidepressiva wirken bei manchen fast durchschlagend, bei anderen gar nicht, bei manchen (wie mir) zumindest lindernd.
Auch kleine Dinge können stabilisierend wirken, die "heilen" natürlich nicht an sich, verhindern aber, daß man noch mehr "abrutscht"; bei mir war das z.B. eine langjährige Freizeit-Kurs-Gruppe, und daß das auch noch mit etwas Bewegung verbunden war, war gut, weil ich so etwas Bewegung plus Gesellschaft hatte, ohne daß das zu aufdringlich war.
Die äußere Situation wird Deinen Freund auch nicht motivieren, was verständlich ist; doch da hilft wohl nur - mit Hilfe der Psychotherapie hoffentlich - da größtmögliche Akzeptanz, "Verarbeitung" des Erlebten, und eine lebbare Perspektive zu finden.
MUT65 hat geschrieben:Wenn man ohne Struktur in den Tag hineinlebt - wie kann man daraus wieder heraus finden ?
Ist es nicht auch so, dass man an seinen Anforderungen wächst ? Wachsen muss?
Zwangsläufig, weil am Morgen der Wecker klingelt und weil der Tag durch Arbeit Struktur erhält?

Jetzt muss er nichts - außer ab und zu Zeitungen austragen und Termine wahrnehmen.
Das fordert ihn oft bis ans Limit.....
Du beschreibst ja selbst schon die beiden (!) Pole. - Manchmal geht halt nichts. Manchmal geht noch etwas, aber nicht alles, "wenn der Kaiser von China kommt" (es sehr wichtig ist). - Und das andere ist, daß man schon Gefahr läuft, schnell zu versacken, wenn da eben gar keine Anforderungen sind. Und daß man sich, depressionsbedingt, völlig unterschätzt und sich gar nichts mehr zutraut - und davon gilt es, sich dann schon Stückchen für Stückchen oder eben soweit möglich zu lösen. Mir hat auch geholfen, daß mal ein Arzt oder Gruppentherapeut meinte, daß man, auch wenn man krank sei, dennoch etwas tun könne, daß man nicht durchgängig komplett handlungsunfähig sei; da ging es mehr um Allgemeines, nicht um Erwerbsarbeit, aber das eine greift ja in das andere über. Es geht nicht alles; aber es geht etwas.

Ich denke, daß es oft leider eine Gratwanderung ist, ein ungewisses Ausprobieren.

Mein Zustand (?) und meine Ärzte (!) sprachen nie für eine langdauerende Krankschreibung; und mein inneres Pflicht-, "Schuld"(?)-Gefühl garantiert auch nicht. Ob das gut oder schlecht war, weiß ich im nachhinein nicht. Einerseits hatte ich so immer Struktur, sobald es nur halbwegs ging; manchmal war es mir sehr recht, manchmal war es sicher auch unangenehm und superanstrengend; andererseits fehlte vielleicht etwas anderes, wobei ich offen lassen würde, ob man das dann wirklich hat, ob ich nicht einfach vor schlechten Gefühlen vergangen wäre und mich keineswegs erholt hätte. Ob ich heute weniger angeschlagen wäre und mehr Kräfte hätte (inzwischen halbe EM-Rente) oder ob ich dann völlig "abgesumpft" wäre, wenn ich damals vor Jahren weniger "getan" hätte - ich weiß es nicht, es ist wohl nicht zu beantworten.

LG, Zarra

Re: Wie habt Ihr zurück gefunden.........?

Verfasst: 29. Jun 2014, 16:14
von MUT65
Lieben Dank für Eure Antworten !

Für mich als Angehörige, ist es schwer zu unterscheiden was Depression,
oder was sein vllt. neues ICH ist.

Durch die Arbeitslosigkeit ist sein Zustand immer schlimmer geworden,
er hat sich sehr über "arbeiten können" definiert, auch gern gearbeitet
nicht als Leistungsbeweiß, sondern eher als "eine Aufgabe haben".
Zudem sieht es finanziell natürlich besser aus, als wenn man nur von
ALG2, bzw. Krankengeld leben muss.

Da er sich auch nur sehr wenig mitteilt, weiß ich nicht genau wie hoch sein innerer
Leidensdruck wirklich ist. Aus meiner Sicht wechselt es des Öfteren. Seit er
sein Venlafaxin reduziert hat, um die Nebenwirkungen zu reduzieren, wirkt er
auf mich in einer "alles-scheiß-egal- Stimmung", irgendwie stumpf und teilnahmslos.

Ich frage ihn immer wieder, ob er wirklich mit mir Kontakt haben möchte, weil es aus
meiner Sicht gar nicht so wirkt ( er frag selten, sondern reagiert eher auf meinen Wunsch)
Ich habe Angst, dass er es aus einer Art "Schuldbewusstsein" tut, da ich nun schon recht
lange ihm signalisiere, dass er auf mich bauen kann.
Wir hatten eine 2,5 jährige enge und liebevolle Beziehung.

Dieses Stumpfe und sein ständiger Wunsch allein sein zu wollen, verunsichern mich
immer wieder. Ich kann nur hoffen, dass es sich wieder ändern wird.
Von Jan-März diesen Jahres war er wesentlich kontakbedürftiger.
Es stört ihm, dass er mir immer wieder sagen "muss" dass es nichts mit mir zu tun
hat, er auch keine anderen Menschen um sich "ertragen" kann.

Für mich ist es sehr schwer zu verstehen - sind unsere Treffen doch fast immer wirklich
schöne Stunden in denen wir gemeinsam etwas unternehmen. Auch er sagt dass es schön ist,
wieso er sich dann nicht häufiger dannach sehnt, verstehe ich halt nicht.
Er war vor der Depression sehr kontakbedürftig und allein sein, war überhaupt nicht sein Ding.

Die Depression bringt eine völlig andere Seite an ihm hervor, ich erkenne ihn manchmal
kaum wieder, auch das macht mir Angst.

Da ich ihn liebe, muss ich mich damit auseinander setzen mich genügend abzugrenzen,
was mit häufig nicht in genügenden Maße gelingt.

Ich lese hier weiter viel und danke nochmal, dass ihr so offen schreibt.

Herzlicher Gruß
von
Mut