Seite 1 von 1

Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 8. Sep 2013, 20:07
von Maya2
Hallo an alle,
Meine Mutter, die 73 Jahre ihres Lebens sehr fröhlich und aktiv war, ist vor zwei Jahren schwer erkrankt. Vorangegangen war eine Phase schwerer Schmerzen (Arthrose in allen Gelenken, OPS, wieder Schmerzen, etc). Erst hatte sie eine agitierte Form der Depression, war in zwei Kliniken, und dann ging es ein halbes Jahr etwas besser (sie bekam Seroquel und Gesprächstherapie).
Seit einem halben Jahr ist eine schwere Angstsörung und eine Art Pseudodemenz hinzugekommen, sie redet 16 Stunden am Tag zwanghaft über ihre Ängtse und Sorgen, nimmt jetzt zum wieder erhöhten Seroquel noch Lorazepam (das macht mir Angst, weil ich weiß dass Benzodiazepine schwer anbhängig machen), und hat gleichzeitig vor den Medikamenten große Angst: jede Pille braucht eine halbe Stunde Überedung. Ohne Medikamente ist sie aber entscheidungs- und funktionsunfähig und bekommt gar nichts mehr hin. Mit Medikamenten geht wenigstens ein Teil des Haushaltes und kleinere Dinge wie Spaziergänge (wenn ihre Knie das zulassen). Sie ist immer müde und taumelig. An den Therapien in den Kliniken konnte sie kaum teilnehmen, sie hat nicht die Konzentrationsspanne. Man hat sie dann irgendwann mit Medikamenten entlassen, weil es wirklich keinen Sinn machte.

Mein Vater kann bald nicht mehr. Er ist ein intelligenter, geselliger Mensch mit großem Interesse an Reisen, Kultur, Theater, Sport - er hat sein ganzes Leben darauf eingestellt, mit Mutter den Alltag zu bewältigen und lässt sich immer wieder auf diese endlosen, kreisenden Diskussionen um Medikamente, Krankheit, die düstere Zukunft, und die Horrorszenarien ein, die meiner Mutter den ganzen Tag im Kopf herumgehen.

Sie tut mir unendlich leid, aber ich möchte derzeit vor allem meinen Vater davor retten, auch krank zu werden. Ich selbst arbeite über 60 Std die Woche und habe einige othopädische Probleme, kann auch nicht so viel entlasten.

Vielleicht finde ich hier ja Ideen und Anregungen dazu, was meinen Vater vor der Co-Krankheit retten könnte.

Was mir auch sehr schwer fällt, ist, dass ich für meine Mutter nur noch Zuneigung empfinden kann, wenn sie wirklich weint unhd tief traurig ist, dann schmilzt mir das Herz. Meistens - wenn sie ihre ewigen endlosen Ketten von Jammereien (meist mit ausdruckslosem, starren Gesicht) von sich gibt, fühle ich nur noch Genervtheit, manchmal regelrecht Wut!, und eine große Entfremdung. Das tut mir sehr weh. Sie war eine ganz tolle Mutter, kreativ, lustig, fürsorglich, intelligent, politisch und kulturell interessiert. Immer für andere da! Und das ist immer noch irgendwie in ihr drin (das merkt man manchmal, wenn die Enkel bei ihr sind, da taucht soe ganz kurz aus der Versenkung auf, minutenweise). Ich kann sie trotzdem derzeit kaum ertragen.

Und ich weiß nicht wie lange das mein Vater noch kann.

Vielleicht gibt es hier ja Ideen und Hilfe.

Danke für's Zuhören...

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 8. Sep 2013, 23:00
von Taiga
Liebe Maya2,
ich komme gerade nach Hause und habe die Eindrücke eines schönen Tages noch nicht verarbeitet. Daher weiß ich nicht, ob ich jetzt die passenden Worte finde.
Ich wollte Dir nur sagen, dass ich Dich gelesen habe. Was du mit Deinen Eltern erlebst, erlebe ich fast genau so mit meinen. Mein Vater ist der Betroffene (der eine mehrfach angeratene stationäre Aufnahme kategorisch ablehnt, der in 5 Monaten bereits den 5. Psychiater aufgesucht hat, weil die anderen nur so lange taugen, bis auch sie einen Klinikaufenthalt vorschlagen). Meine Mutter ist die Co-Depressive, ob sie es hören will oder nicht.
Mit der Zeit habe ich mit Unterstützung des Sozialpsychiatrischen Dienstes und des Forums verstanden und verinnerlicht, dass ich eben nicht die Verantwortung habe, weder für meinen Vater, noch für meine Mutter.
Retten kann sich Dein Vater vor der Co-Depression nur allein. Vielleicht kannst du ihm aber helfen, wenn er sich helfen lassen will.
Sieht Dein Vater, in welcher Gefahr er sich befindet? Würde er Hilfe annehmen? Wenn ja, könntest Du ihn zu einem Gespräch beim Sozialpsychiatrischen Dienst begleiten oder auch zu einer Angehörigengruppe. Oder mit ihm zusammen den Hausarzt aufsuchen. Hat er Freunde, Bekannte, mit denen er gemeinsame Unternehmungen machen könnte?
Dein Posting klingt so, als ob Dein Vater das Alles auf Null runtergefahren hat. Und da liegt ja der Hase im Pfeffer, ich weiß das.
Letztendlich ist es wichtig, dass Dein Vater auf sich selber Acht gibt. Und das genau tut meine Mutter auch nicht. Sie braucht keine Hilfe, meint sie und geht kaputt. Nachdem sie
alle Hilfsangebote in den Wind geschlagen hat, von mir aber erwartete, dass ich allzeit und überall zur Verfügung stehe, so dass ich fast selbst krank geworden bin, habe ich die Reißleine gezogen.
Ich gehe auf ihr "Gejammer" über die Situation (aus ihrer Sicht ja zu Recht) in diese Richtung nicht mehr ein und verweise lediglich auf die professionelle Hilfe, die es für sie gibt.
Wenn sie die nicht will, muss sie eben die Konsequenzen tragen.

Ich hätte vor einigen Monaten nicht geglaubt, dass ich einmal solch hart anmutenden Worte schreiben würde. Als ich Ähnliches hier zum ersten Mal las und von einer Psychologin hörte, dachte ich nur: Oh Mann, ganz schön heavy!

Ich wünsche, ich könnte Dir ein Mittel oder eine Methode an die Hand geben, irgendeinen Strohhalm.

So wünsche ich Dir, dass sich Dein Vater helfen lassen will und Euch allen viel Kraft.

Liebe Grüße, Taiga

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 9. Sep 2013, 20:12
von Maya2
Hallo Taiga, vielen Dank schonmal für deine Worte, ich bin froh zu hören, dass du nicht denkst, dass ich verroht bin, wenn ich mich von der Krankheit meiner Mutter distanziere(n) muss.

Was kann denn der sozialpsychiatrische Dienst tun? Stationäre Auenthalte hat meine Mutter ja schon hinter sich, die kommen ja auch nicht weiter und die Medikamente helfen nur begrenzt. Was bieten die denn an - häusliche Betreuung? Ich kenne mich damit gar nicht aus.

Ich denke schon, dass mein Vater lanfsam an den Punkt kommt, wo er versteht, dass er es nicht mehr packt. Ich weiß nur nicht, inwieweit er sich auf Angebote einlassen kann...

Und ich weiß auch nicht, wie weit ich mich rausnehmen kann. Meine Mutter tut mir so leid, auch wenn sie mich bis an die Grenze nervt...

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 10. Sep 2013, 10:08
von Reve
Hm, Maya2
Ich versuchs mal.
Auf meine Situation vor 8 Jahren übertragen, ich war nie in einer Klinik, bin nach einer Diagnose d. geworden, hab mich nochmals fangen können, als meine 3 quirligen Kinder im Herbst wieder in die Schule gingen bzw. ein älteres Zivildienst, wars aus.

Kein Job als Hausfrau und Mutter, schlechte Aussichten, da baldiger Verlust meines Arbeitsplatzes (kinder aus dem Haus), Horror auf der ganzen Linie.

Medikamente haben nicht geholfen, denn ich wollte einen (richtigen) Job. Um jeden Preis…
Das zur Vorgeschichte. Was hat mir geholfen? Was könnte deiner Mutter helfen?

Für mich war es wie ein Folter ohne Ende. Und natürlich hab ich auch gejammert ohne Ende, bei meiner Freundin, denn es ging um Loslösung.
Was mache ich wenn die Kinder aus dem Haus sind? Ich war 10 Jahre im Voraus.

Vielleicht ist das bei deiner Mutter ähnlich? Sie lebt in einer Zukunft mit grässlichen Aussichten, Krankheit, Alter, was weiß ich…

Geholfen hat mir schon, dass mir meine Frendin gut zugeredet hat, auch wenn ich es nicht glauben konnte. Also würde ich als Tochter durchaus gebetsmühlenartig gut zureden.

Was mir auch geholfen hat, Vorführeffekt. Mein ältester Sohn hat mir vorgemacht, wie es ist zu joggen… irgendwann hab ich es halt zögerlich auch gemacht.

Was "mir" trotz allem immer Spaß gemacht hat, eins der wenigen Dinge neben meinen Kindern, Pflege rund um mich herum, Bäder, Düfte, die stimulieren…

Dein Vater sollte sich wirklich abgrenzen, liebevoll abgrenzen, indem er es vormacht, wie man schön lebt.

Aber damit meine ich jetzt nicht anspruchsvolle Dinge wie Tennis oder eine Reise, sondern achtsame Dinge, die direkt vor der Haustüre liegen.

Ich nenn mal ein paar Beispiele, wie mir es gefallen hätte, gut hat keiner gemacht, aber meine lustigen Kinder hatten natürlich schon auch einen tollen Effekt, aber immer verbunden mit der Angst, bald sind sie weg….

Ein Rhythmus mit zeitigem Aufstehen, ein schönes Frühstück, Zeitungüberflliegen, Tagebuch schreiben, was gestern passiert ist,... gleich ein kleiner Spaziergang nach dem Frühstück, vielleicht kann er einkaufen (ich hab es immer gehasst) und sie kann beim Kochen was beitragen.

Vielleicht mag er backen, oder sie backen… damit es gut riecht, Honigplätzchen, für eine Teepause am Nachmittag. Überhaupt mal was anderes ausprobieren, vielleicht mag sie mal in einen Ökosupermarkt, hat bei mir immer ein belebende Wirkung…

Hat deine Mutter Interesse an der Natur, jetzt mal ein paar Zweige mit Beeren pflücken, oder mal selbst ein paar Rosenblätter in Essig einlegen, für eine Spülung, … Blumenzwiebeln im Topf auf dem Balkon einsetzen.

Mag sie für die Kinder doch mal stricken??? Was einfaches?

Könnte dein Vater mal was Neues für die Wohnung besorgen, zu Ikea fahren, ein Regal aus Glas, oder nur Blumen für den Wohnzimmertisch...

Gäbe es nicht die Möglichkeit, eine Gesprächstherapeutin für sie zu finden, unterstützend… sie käme dann doch raus,…

Du wirst jetzt sicher sagen, das kann sie alles gar nicht machen, wegen dem Knie, weil keine Interesse mehr da ist, keine Kraft… ,.. irgendwo muss ein Funken noch sein und dieser Funke gehört entzündet,… schwer, weiß ich, aber nicht unmöglich….

Irgendwie lebt sie jetzt gar nicht bzw.nur mit Qualen und entsprechend „falsch“… möglicherweise aufgezwungen durch jahrzehntelange Routine.
Ich persönlich bin der Meinung, d. wird man nicht einfach, es hat seine Gründe…

Vielleicht ist was für dich dabei, wenn nicht, es war ein Versuch.

Gute Besserung euch allen!

Carin
(Edit: nach nochmaligem Lesen habe ich gesehen, dass es eigentlich um Co-Abhängigkeit geht... kann ich nichts dazu sagen... )

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 10. Sep 2013, 17:10
von Taiga
Hallo Maya2,

keine Sorge, du bist nicht verroht.
Der Sozialpsychiatrische Dienst (SPDi) ist eine Möglichkeit, an die sich sowohl Betroffene, als auch Angehörige (also Du und Dein Vater) wenden können. Sie wirken z.B. bei Betroffenen darauf hin, sich in fachkundige Hände zu begeben und unterstützen bei der Suche nach diesen Hände. Da Deine Mutter jedoch in Behandlung ist, wird das jedoch nicht das Thema sein.

Behandeln tut der SPDi sowieso nicht.

Für die Angehörigen ist der SPDi zunächst eine gute Anlaufstelle, um erst einmal sein Herz auszuschütten. Ist klar. Ich hatte eine dort eine tolle Psychologin, die mir klar machte, dass ich mich abgrenzen muss. Das heißt sinngemäß: ich muss versuchen, mein eigenes Leben weiterzuführen anstatt ständig meine Bedürfnisse, Handlungen und Gefühle von der betroffenen Person abhängig zu machen.

Für Deinen Vater bedeutet das: Auch er hat ein Recht auf Leben, es kann sich nicht immer alles um Deine Mutter drehen. Du hast es richtig erkannt, die Gefahr der Co-Depression ist da, die stets mit schlechtem Gewissen daherkommt. Als Angehörige dachte ich immer, ich müsse alles tun um jeden Preis- auch auf Kosten meiner eigenen Gesundheit. Alles würde gut werden, wenn ich mich nur genug anstrenge. So denkt sicherlich auch Dein Vater.
Nur weil der oder die Angehörige auf sich selbst Acht gibt, heißt das nicht, dass uns das Mitgefühl abhanden gekommen ist. Nur, Kraft schöpfen und auf sich selbst besinnen, das dürfen und müssen Angehörige auch. Der SPDi kann dazu Hilfe leisten und Tipps geben.

Es wäre schön, wenn Dein Vater noch Hobbies pflegte, bei denen er Freude empfindet. Er hat ein Recht auf Freude. Oder wenn es soziale Kontakte gäbe, die ihn aus seinem Kreislauf herausholen könnten, in dem sie gemeinsam z.B. eine Veranstaltung besuchen, Spieleabende durchführen, gemeinsam Fahrradfahren oder Wandern. Er hat ein Recht auf soziale Kontakte.

Um dieses "Ich habe auch Rechte (und Bedürfnisse)" geht es eben. Der SPDi kann den Angehörigen ermutigen, sich diese Rechte und Bedürfnisse zu erlauben.

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 10. Sep 2013, 17:15
von Taiga
Huch,also verabschieden wollte ich mich dann doch schon, hatte die falsche Taste gedrückt.

Also, ich drücke Dir und Deinem Vater die Daumen, dass es irgendetwas gibt, was ihm im Umgang mit Deiner Mutter zumindest eine Verschnaufpause verschafft.

Liebe Grüße, Taiga

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 10. Sep 2013, 17:27
von Taiga
Hallo Maya2,

ich habe gerade Deinen Post noch einmal gelesen.
In der Tat gibt es die Möglichkeit einer stundenweisen, ambulanten geronto-psychiatrischen Betreuung für Deine Mutter. So was erwähnte jedenfalls mein SPDi. Einzelheiten darüber kann ich Dir leider nicht sagen.

Liebe Grüße, Taiga

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 9. Nov 2013, 12:54
von Maya2
Hallo und vielen Dank für die Antworten, die mir sehr helfen, auch vielen Dank für die Einblicke in euer Leben und Denken. Es tut mir leid, dass ich so lange nicht reagiert habe: es gab erst so viele Probleme (eigene Gesundheit, akute Probleme mit anderem Familienangehörigen)und dann hatte ich mein Passwort verbaselt und hatte jetzt erst Zeit, es nochmal herauszusuchen.

Seit Ende September geht es meiner Mutter sehr schlecht. Ich fürchte, dass die Behandlung auch nicht die Beste ist - aus Hilflosigkeit seitens meines Vaters und kompletter Entscheidungsunfähigkeit meiner Mutter ändert sich da aber auch wenig: sie wird ausschließlich medikamentös behandelt und immer, wenn die Lage schlechter wird, kommt noch ein Medikament hinzu (Therapeuten, die mit ihr gesprochen haben, meinen, sie wäre zu einer Gesprächstherapie derzeit nicht fähig (merkt sich nix, kreist immer nur, nimmt nichts auf, deshalb erst Medikamente - beim Gedaken an Klinik bekommt sie Heulkrämpfe):
derzeit bekommt sie Seroquel (ein Neuroleptikum), gegen die Unordnung im Kopf und die Schmerzen, Ciraplex gegen die Depressionen UND Tavor gegen die Rastlosigkeit und Wuschigkeit. Ich kann mir vorstellen, dass bei dem Beschuss des Gehirns die nun auftretenden Demenzerscheinungen normal sind.

Ich erinnere mich nämlich noch gut, dass ich gegen schlimme neuopathische Schmerzen im Bereich HWS und der Schulter mal Gabapentin nehmen sollte, ein neuroleptisches Schmerzmittel: es legt sich wie eine Kralle um deine Gedanken und macht jeden Denkschritt unfassbar anstrengend. Ich war kaum/nicht arbeitsfähig und habe es nach 10 Tagen abgesetzt, als ich kaum noch Texte verfassen konnte. Dann lieber Schmerzen.

Sie hat mittlerweile eine dicke Medikamentenphobie entwickelt, was dazu führt, dass mein Vater jede Tablette eine halbe Stunde mit ihr diskutieren muss...
Jedes Thema außer Medikamenten wird abgelehnt oder negativ und mit Ängsten konnotiert. Nur die Enkel durchbrechen diesen Panzer, die Kontrollanstrengung, die sie unternehmen muss, um den beiden positiv gegenüber zu stehen, bezahlt dann mein Vater, wenn die anschließenden Stunden/Tage alles Aufgestaute über ihm hereinbricht.

Ich bin zwar froh, dass sie sich noch tageweise zusammenreißen kann, so dass mein Vater die Kinder nicht indirekt entzogen bekommt, aber wie lang das hält...

Leider verstärkt die Krankeit (und die Medikamente?) alles Negative an ihr und die positiven Charaktereigenschaften sind ziemlich tief begraben. Dazu kommt der Verlust des Kontrollzentrums - die Person, die mal meine Mutter war, ist wirklich teilweise am Rand des Unterträglichen. Beispiel: sie kann nicht alleine einkaufen, da sie sich nicht entscheiden kann. Sie meint, nichts mehr zum Anziehen zu haben. Ich gehe zwei Mal mit ihr in einen kleinen Laden in der Stadt (Kaufhäuser hält sie nicht aus), und wir brauchen je 2-3 Stunden (!) um uns für zwei Hosen und zwei Pullis zu entscheiden. Unkontrolliert, wie sie ist, läuft sie in Unterhosen aus der Kabine und fängt Gespräche (meist mit recht unhöflichem Unterton) mit den Bedienungen an, ich muss sie peinlich berührt wieder in die Kabine zurückschieben. Nach 2 Besuchen und ziemlich viel Augenrollen der Verkäuferinnen schafft sie es, sich zu entscheiden und die Sachen anzuzahlen, denn natürlich hat sie nicht genügend Geld dabei und EC Karten kann sie nicht "bedienen" wegen der Pin.
Ich rufe sie drei Tage später an und sie jammert, sie habe nichts zum Anziehen: ich frage wieso, sie habe doch 2 neue Pullis, Hosen, Blusen und ne Jacke: Nein, die habe sie nicht abgeholt. sie sei nicht sicher gewesen, ob das wirklich gute Qualität sei.
Im Laden, als ich das angezahlte Geld wieder abholen will, deutet man an, das sei ein sehr unangenehmer Anruf gewesen, sie habe ihnen im Prinzip schlechte Beratung und schlechte Qualität vorgeworfen.

Naja, und so weiter. Es ist von der freundlichesten, weltoffensten, kreativsten und warmherzigsten Person, die ich mal kannte, nichts mehr übrig. Was übrig ist, ist diese negative, fiese, misstrausche, ablehnende Krankheit, und da die derzeit nunmal 90% meiner Mutter ausfüllt, kann ich zwischen der Krankheit und meiner Mutter kaum noch unterscheiden.

Das ist auch das Schlimmste für mich, dass es mir derzeit ganz, ganz schwer fällt, meiner Mutter gegenüber noch Respekt zu empfinden. Oder überhaupt positive Gefühle. Am liebsten habe ich sie an den Tagen, an denen sie mich nicht anruft und ich nicht hingehe. Ich hätte nie gedacht, dass einem ein Familienmitglied so fremd und so unsympathisch sein kann. Vermutlich ist da noch ein ganzer Haufen verschütteter Liebe irgendwo unter dem ganzen Haufen Zorn, Genervtheit und Ablehnung, sonst würde es mich nicht so aufregen - aber es ist tatsächlich so, dass ich meine Mutter derzeit kaum ertragen kann und nicht wirklich mag. Ich geh nur noch wegen Papa hin, der in den letzten zwei Jahren um 5-10 gealtert ist.

Tja, wenn ich das so lese, klinge ich, wie ich selber finde, extrem kaltschnäuzig und unempathisch. Ich kann es nur irgendiwe nicht ändern, ich bin echt am Ende mit meinem Latein.

Beim SPD werde ich mich jetzt mal erkundigen. Ich glaube zwar, dass beide es kategorisch ablehnen werden, da sie immer noch glauben, dass das alles schon irgendwann besser wird, aber sollte der Tag der Einsicht kommen, ist es ganz gut, einen Plan B in der Hinterhand zu haben. Derzeit wollen sie ja noch nicht mal eine Haushaltshilfe akzeptieren, obwohl das Haus so mittelmäßig verlottert und wirklich nicht gut riecht.

Es ist einfach schwierig, ich finde keine Ansatzpunkt, weiß nicht, was zu viel und was zu wenig ist, und wann ich übergriffig reagiere, wenn ich mich einmische und wann es genau das ist, was man sich wünscht.

Danke fürs Zuhören und vielleicht gibt es ja noch den einen oder anderen Kommentar, auch wenn ich mich so lange nicht eigeloggt habe, ich werde jetzt aber wieder regelmäßig gucken (können).

Maya

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 12. Nov 2013, 12:45
von Idealzustand
Liebe Maya

Es tut mir leid zu lesen, dass sich der Zustand deiner Mutter nur verschlechtert hat. Es ist absolut verständlich dass du dich da distanzierst und Mühe hast nicht nur Wut zu empfinden. Es ist eine total normale Form der Ohnmacht und der Machtlosigkeit.

Dein Vater muss sich auf jeden Fall wieder ein Leben neben der Pflege deiner Mutter aufbauen um nicht daran zu zerbrechen. Die oben genannte Idee etwas gegen die Routine im Alltag zu tun finde ich jedoch sehr schön und würde der Beziehung deiner Eltern vielleicht wieder etwas mehr Würde geben. Deine Mutter ist vielleicht begeisterbar wenn man sie emotional über bekannte Gerüche (backen), alte Lieblingsrezepte oder - Musik erreichbar. So könnte er sich auch neue "Rituale" überlegen, wie er um die ständige Medikamentendiskussion herumkommt. Oder diese wenn möglich versteckt unterjubeln.So schafft er für sie beide schöne Momente im schweren Alltag.

Du findest vielleicht einen Zugang zu deiner "alten" Mama über Fotoalben, Briefe etc. die sie in die Zeit zurückversetzten. Sie sich selbst lachen sieht, fürsorglich, umgänglich etc. erzähl ihr von den schönen Erinnerungen die du hast - das tut auch deinem Herzen gut und lässt die Liebe wieder fliessen. Erzähle ihr dabei von deinem Schmerz, deiner Verzweiflung.

Ich weiss es ist eine ganz schweere Zeit und super schwierig, an den betroffenen Menschen überhaupt noch ran zu kommen. Aber ein Versuch ist es Wert!

Wünsche euch alles Gute und einige freudige Momente zusammen.

Alles Liebe
Paula

Re: Mutter mit Depressionen und Angststörungen

Verfasst: 19. Nov 2013, 09:29
von Maya2
Danke für deine Worte, ich versuche es ja auch so zu sehen, aber derzeit gelingt es nicht, irgendwie an sie heranzukommen und irgendwelche Gespräche außer über Medikamente zu führen. Mich strengt das dermaßen an, dass ich mich immer weiter zurück ziehe.

Mein Vater muss mittlerweile jede Tablette eine halbe Stunde diskutieren. Mutter ist der Überzeugung, dass die Medikamente an allem schuld sind.

Ich bin inzwischen fast so weit, ihr vorzuschlagen, dass sie recht hat und einen kompletten Entzug machen soll, was aufgrund der Menge an Benzodiazepinen, die sie (unter anderem) nimmt, sicher kein Spaß wird. Wenn das dann rum ist, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder sie hat recht und ist ohne Medikamnete klarer und besser drauf, oder es geht komplett nach hinten los und sie ist völlig lebensunfähig, dann hat sie aber hoffentlich wenigstens verstanden, dass es ohne Medis nicht geht und nimmt sie etwas bereitwilliger und mit weniger Ängsten.

Alles andere sehe ich nicht wirklich umsetzbar. Es gibt in ihrem Kopf kein Thema außer Medikamenten und Ängsten. Vor allem Medikamentenängste. Daran hat sich seit Monaten nichts geändert und es wird immer schlimmer und schlimmer.