Fliegen

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Inamia
Beiträge: 12
Registriert: 7. Dez 2012, 21:18

Fliegen

Beitrag von Inamia »

Ich habe jetzt so viel gelesen, von Verzweiflung und Trauer, Hilflosigkeit und Engagement, von Kampfgeist und Resignation...
Mich würde interessieren, gibt es auch Glücksgeschichten, Hoffnungsschimmer, Geschichten von schönen wenn vielleicht auch nur kleinen Momenten?

Denn ehrlich gesagt macht mir das hier alles mehr Angst als dass es mir hilft. Es klingt überwiegend alles so negativ und so niederschmetternd. Krankheit, ja schön und gut, aber gibt es denn gar keine Aussicht auf Besserung wenn nicht sogar Heilung? Und es muss doch auch irgendetwas Positives geben, woran man zehren kann.

Ich habe einen Freund der unter dieser Krankheit leidet. Als er mir davon erzählte war ich schon mittendrin in dem "Ich bin grade dabei mich zu verlieben - Strudel".

Ich hab wirklich wochenlang mit mir gehadert und war immer wieder kurz davor mich dem ganzen zu entziehen und meine Gefühle einfach zu unterdrücken und in andere Richtungen zu schauen; diese Geschichte nicht zu meiner zu machen. Aber letztenendes bin ich für mich zu dem Schluss gekommen dass keine Liebesgeschichte so einfach ist wie es in Hollywood immer ausschaut. Und wo kämen wir denn da hin wenn wir immer alles gleich hinschmeißen würden nur weils mal ein bisschen anspruchsvoller und komplizierter wird? Da wären wir ja alle, durch die Bank weg, Singles.

Ich will das wirklich versuchen. Ich hab zwar keine Ahnung wohin das führt und was am Ende dabei rum kommt, aber ich wills nicht so einfach aufgeben. Ich glaube der liebe Gott hat sich dabei schon irgendwas gedacht als er mir das Klopfen in mein Herzchen gesetzt hat.
Auch wenn das heißt dass ich mich von so einigen Vorstellungen bereits verabschieden musste. Zum Beispiel dieses typische Frauen Bilderbuchdenken: mit dem Mann der Träume händchenhaltend glücklich grinsend am See entlang zu spazieren oder fröhlich lachend bei der Familie am Tisch sitzen; jeden Tag zu telefonieren weil man die Stimme des anderen einfach nur mal hören wollte oder Erwartungen von kleinen Aufmerksamkeiten die man sich als verliebte Frau nunmal so wünscht und die ein verliebter Mann seiner Herzdame jederzeit von den Augen abliest.
Dass das alles ein bisschen hoch gegriffen ist, leuchtet mir ein.

Nur gibt es da auch noch das "Vertrauen", was meiner Meinung nach existentiell für jede Beziehung oder Freundschaft ist und nicht mal eben auf das kleinste Minimum heruntergekürzt werden kann. Entweder man hats oder man hats nicht.

Nun geht es augenscheinlich bergauf. Er war längere Zeit stationär in der Klinik und wurde gut mit Medikamenten eingestellt. Jetzt ist er in einem ambulanten Programm einmal die Woche. Er ist noch krank geschrieben und arbeitet nicht, hat aber so einiges wieder aufgenommen. Z.b einigen seiner Hobbys geht er wieder mit Freude nach und er pflegt seine sozialen Kontakte, seine Freundschaften und er fühlt sich gut. Demnächst hat er sogar vor zu verreisen zwecks eines Projektes zu dem ihn Freunde eingeladen haben.

Und wenn wir zusammen sind, dann ist es immer so schön. Er ist locker und witzig und es dreht sich nicht alles um seine Krankheit. Er hört mir aufmerksam zu und interessiert sich und er schenkt mir Zuneigung und kleine Zärtlichkeiten. Auch wenn er gegenüber meinen Annäherungsversuchen manchmal echt auf dem Schlauch steht

Aber man merkt auch, dass er seine Zeit für sich braucht und ihn zu viel Nähe und Erwartungen meinerseits oft überfordern. Aber er sagt dann auch klipp und klar: "Ne du, heute war sehr schön, aber morgen den Tag brauch ich mal für mich" Und dass ist dann auch vollkommen in Ordnung so.

Nur manchmal bin ich unsicher und habe Angst. Ich will ihn natürlich nicht überfordern mit meiner Zuneigung, aber manchmal kann ich echt schwer einschätzen welches Verhalten jetzt woher rührt. Kommt das jetzt von seiner Krankheit oder ist er einfach nicht interessiert? Liegt ihm vielleicht doch gar nicht so viel an mir wie ich bisher dachte und zieht er sich deshalb so oft zurück? Oder ist es wirklich die Krankheit die ihn so sein lässt? Und bin ich dann vielleicht ein Risikofaktor, in dem Sinne dass ich ihm das ganze "in den Alltag finden" nicht grade leichter mache und vielleicht sogar ausschlaggebend für sein Rückzugverhalten bin?
Andererseits denk ich immer dass es doch so gut läuft und dass doch auch von seiner Seite dann und wann etwas kommt, auch wenn es ihm vielleicht schwer fällt.
Und schon ist man mitten drin im Gedankenkarussell...jede Reaktion oder Nicht-Reaktion und jedes Verhalten wird auf die Goldwaage gelegt und bis zum geht nicht mehr geprüft. "Was meint er jetzt damit? Und meint er das wirklich so? Ging das jetzt von ihm aus oder von der Krankheit?"

Schwierig. Einerseits möchte ich das alles wie nichts anderes. Hinter meinen Gefühlen stehen mit jedem Wenn und Aber und Vertrauen und Hoffnung haben dass es klappt und hält und gut wird.
Und andererseits ist da so viel Angst in mir die mich steif und verkorkst werden lässt, die meine Gedanken Karussel fahren lässt und an der meine Standfestigkeit nur torkelnd vorbei kommt.

Ich würde so gerne fliegen bis zur Wolke 7 und noch viel viel weiter. Mich einfach fallen lassen in dieses warme wohlige Kribbeln und die Leichtigkeit die man halt verspürt wenn man Verliebt ist. Klar, wer beschließt zu fliegen hat immer ein gewisses Risiko abzustürzen, aber manchmal fühl ich mich als ob ich in einem Flugzeug mit nur einer Tragfläche und nem betrunkenen Affen als Piloten sitze. Bei solchen Reiseaussichten ruhig und entspannt dazusitzen und sich der Leichtigkeit hinzugeben fällt schon ganz schön schwer.

Also, ich weiß, die Realität sieht oft anders aus als man sie sich erträumt. Aber ist denn wirklich alles so negativ?
Oder lohnt es sich vielleicht doch auch mal ein bisschen mehr Hoffnung und Zuversicht und Licht und Mut und Kraft zu haben?
Oder sollte man wirklich lieber alles möglichst schwarz und unzuversichtlich sehen, um sicher gehen zu können im Falle eines Absturzes so nah wie möglich am Notausgang zu sitzen?
Ich würde so gerne weg von diesem Platz am Notausgang. Ich will dumm und mutig sein. Ich will nach ganz nach vorne, der Angst die Stirn bieten und dem betrunkenen Affen höchstpersönlich die Meinung geigen. Einfach mal den Mut haben sich fallen zu lassen. Vielleicht bin ich dann nicht mehr so steif und es klärt und regelt sich dann das ein oder andere von ganz alleine? Oder bin ich da zu blauäugig??

Auf eure kritische und anregenden Gedanken bin ich sehr gespannt.

Alles Liebe
Mia
Tabarka1
Beiträge: 267
Registriert: 10. Feb 2013, 13:34

Re: Fliegen

Beitrag von Tabarka1 »

Liebe Mia,
Es ist wie es ist. Und wenn es für Dich schön ist, freu ich mich für Dich mit
Ich bin selbst einige Jahre mit meinem depressiven Mann unterwegs und spüre viele Momente der Verzweiflung, meiner Not und von tiefem Elend. Es ging für mich soweit, dass ich selbst in einer Tagesklinik gelandet bin.
Und ich weiß auch darum, dass ich viel gelernt habe und immer noch lerne. Ich spüre, dass mein Blick, meine Sehnsucht und meine Hoffnung auf meinen Mann gerichtet ist ... und ich mir das Leben versage. Ganz langsam dringt in mein Bewusstsein der Satz: Ich bin der wichtigste Mensch in meinem Leben. Er fühlt sich so gar nicht selbstverständlich an, komisch irgendwie. Und mit jedem Tag an dem ich mich das traue zu leben, zu fühlen, werde ich hoffnungsfroher, was meine eigene Zukunft angeht. Ob und an welchen Stellen mein Mann ein Teil dieser Zukunft ist und oder sein wird weiß ich nicht. Ich merke aber auch, dass es nicht mehr so wichtig ist, wenn ich den Blick von ihm nehme. Wichtig ist für mich, liebevoll mit mir zu sein. Zu spüren: das tut mir gut und das mache ich jetzt. Und manchmal ist mein Mann dabei und meistens nicht. Und das macht heute Glück für mich aus. Wenn das mir gelingt, bin ich glücklich.
Unglücklich macht mich der Blick auf ihn mit der Sammlung von gescheiterten Therapien, diversen Medikamenten und Kliniken, denn außer dem Absturz, war bisher nichts sicher. Und auch das könnte ich Dir ausführlich beschreiben. Ich mag aber nicht mehr leiden.
Es ist nicht meine Depression und ich möchte sie mir nicht noch einmal zu eigen machen. Da lebe und tanze und male ich lieber - nur zu meinem Vergnügen. Ich bin aber nicht sicher, ob Du selbst das unter Glück verstehst?
Schön, dass Du hier gelandet bist. Ich freue mich auf den spannenden Wortwechsel.
Liebe Grüße
Tabarka
Wann, wenn nicht heute... ?
Ulysses
Beiträge: 594
Registriert: 19. Jan 2013, 17:34

Re: Fliegen

Beitrag von Ulysses »

Hallo Mia,

ich weiß gerade nicht, wie ich es formulieren soll, ohne dass es falsch rüberkommt. Aber mein erstes Gefühl beim Lesen Deines Beitrags war, dass Du es Dir (und euch) gerade selber schwer machst.

Dein Post kommt authentisch rüber und ich finde es total anrührend, dass Du Dir Gedanken machst, verstehen willst und einen gemeinsamen Weg mit Deinem Freund finden willst.

Aber ganz ehrlich: So wie Du es schreibst, seid ihr doch auch auf einem richtig guten Weg. So hört es sich zumindest für mich an.


Und wenn wir zusammen sind, dann ist es immer so schön. Er ist locker und witzig und es dreht sich nicht alles um seine Krankheit. Er hört mir aufmerksam zu und interessiert sich und er schenkt mir Zuneigung und kleine Zärtlichkeiten. Auch wenn er gegenüber meinen Annäherungsversuchen manchmal echt auf dem Schlauch steht

Aber man merkt auch, dass er seine Zeit für sich braucht und ihn zu viel Nähe und Erwartungen meinerseits oft überfordern. Aber er sagt dann auch klipp und klar: "Ne du, heute war sehr schön, aber morgen den Tag brauch ich mal für mich" Und dass ist dann auch vollkommen in Ordnung so.


Von diesen Zeilen, die Du hier über euren Kontakt schreibst, wagen hier so einige Angehörige noch nichtmal zu träumen. Die "Schwarzmalerei" und den Pessimismus, den Du ansprichst, der ist nicht als "böse Vorahnung" zu verstehen, sondern oft aus leidvoller, zum Teil jahrelanger Erfahrung. Erfahrung von Wortlosigkeit, Aggression, tiefsten Löchern und absoluter Hilflosigkeit. Nicht weil man sich gegen das "Fliegen" wehren will, sondern weil die Realität einfach eine andere ist.

Natürlich gibt es Hoffnung, Besserung, Erfolgsgeschichten. Aber die Menschen schreiben hier eher, wenn es schlecht läuft, wenn sie Trost und Hilfe suchen, aus aktuellem Anlass. Du wirst in einem Forum wie diesem nie einen repräsentativen Schnitt durch alle möglichen Verlaufsformen finden.


Und schon ist man mitten drin im Gedankenkarussell...jede Reaktion oder Nicht-Reaktion und jedes Verhalten wird auf die Goldwaage gelegt und bis zum geht nicht mehr geprüft. "Was meint er jetzt damit? Und meint er das wirklich so? Ging das jetzt von ihm aus oder von der Krankheit?"


So wie Du es oben formuliert hast, kommuniziert Dein Freund klar mit Dir. Deshalb wäre meiner Meinung nach das größte Geschenk, dass Du ihm (und Dir und eurer Beziehung) machen kannst, dass Du dieses Gedankenkarussell als Deine Baustelle betrachtest und daran arbeitest, es zu lassen. Glaub ihm das, was er sagt. Sag Du selber, was Du denkst. Und erspar Dir und ihm die Sache mit der Gold-Waage, das macht mehr kaputt als es hilft. (Meiner Meinung nach bei jedem, egal ob krank oder gesund)


Hinter meinen Gefühlen stehen mit jedem Wenn und Aber und Vertrauen und Hoffnung haben dass es klappt und hält und gut wird.


Das ist nachvollziehbar, aber letztendlich weißt Du das nie. Was heißt denn für Dich "die Beziehung ist gut geworden"? Mit Depression, ohne Depression, eine Beziehung ist (für mich) nie "endlich gut" und bleibt so. Sie wandelt sich, manchmal krasser, manchmal nur leicht, aber eigentlich kommt es nur darauf an: Können die Personen, die daran beteiligt sind, jetzt damit leben?

Liebe Grüße

Ulysses
Inamia
Beiträge: 12
Registriert: 7. Dez 2012, 21:18

Re: Fliegen

Beitrag von Inamia »

Hallo ihr Lieben,

erst mal vielen Dank für eure Gedanken.

Ja mit dem "glücklich sein" ist das so ne Sache.

Ich glaube wir Menschen müssen im Leben immer nach etwas streben. Wir alle haben gewisse Vorstellungen und Wünsche und Erwartungen an unser Leben. Dass sich die nicht immer zu unseren Gunsten entwickeln und manchmal sogar ganz andere Wege einschlagen, das können wir nicht beeinflussen.
Die Frage ist nur wie versteift und festgefahren man in seinen Vorstellungen ist oder wie offen gegenüber den vielen verschiedenen Wegen die sich einem jeden Tag aufs neue ebnen.
Ich gebe zu, ich habe so meine Vorstellungen vom Leben. Dinge die ich gerne unbedingt tun oder erleben würde. Aber letztenendes steckt man halt nicht drin. Im Zwiespalt, hin und hergerissen zwischen "das nehmen das man kriegt" und "rebellieren oder resignieren"

Das Leben sieht doch so aus: Jeden Tag müssen wir uns entscheiden. Manchmal zwischen A und B und manchmal aus einer ganzen Reihe von Optionen. Manchmal geht es nur darum welche Marmelade mein Früchstücksbrötchen ziert und manchmal geht es halt auch um größere Herzensangelegenheiten.

Jedes mal aufs neue steht man nun vor der Aufgabe wählen zu müssen. Den einen oder den anderen Weg.
Die Frage ist nun welche Kriterien ich betrachte. Die Frage die dahinter steht ist mit Sicherheit die "Was macht mich glücklich?" Aber schaue ich dabei auf meine Ziele und Vorstellungen die ich vielleicht unbedingt erreichen will weil ich glaube dass sie mich später irgendwann mal glücklich machen, auch wenn das heißt jetzt im Moment den steinigeren, dunkleren, längeren und gruseligeren Weg nehmen zu müssen, oder leg ich den Fokus auf meinen Weg? Wo ich in 10 Jahren stehe und ob ich dann noch glücklich bin und was da meine Kriterien sind ist dabei eher nebensächlich sondern es geht um das Jetzt und Hier und darum was mich jetzt und nur in diesem Moment glücklich macht.

Etwas bildlicher vielleicht: "Verzichte ich auf meine Lieblingsmarmelade und entscheide mich für den Diät-Brotaufstrich mit dem Ziel im Sommer wieder in meinen Bikini zu passen, oder hau ich mir die fette Erdbeermarmelade gleich doppelt so dick aufs Brot, weil ich jetzt in diesem Moment grade tierischen Heißhunger darauf habe und vertraue darauf dass das mit dem Bikini im Sommer schon irgendwie klappt und zur Not wirds halt kein Strandurlaub sondern ein Städtetripp oder Wanderurlaub.
Ein anderes Beispiel ist das liebe Geld. Spare ich jeden Penny für später, für mögliche schlechte Zeiten und muss dafür aber heute eventuell auf vieles Verzichten, oder lebe ich heute und genieße es mit Freunden ins Kino zu gehen und dafür aber am Ende des Monats blank zu sein?

Das Problem ist, dass beide Sichtweisen sich genau gegenüberstehen. Und man muss sich entscheiden. Entweder das eine oder das andere. Prioritäten setzen, wie es so schön heißt. In den meisten Situationen und Fragestellungen ist das kein größeres Problem. "Okay, heute das Marmeladenbrot und dafür morgen ne Runde länger joggen"

Und dann gibt es aber halt auch so Situationen wie diese.
Ich bin wirklich wirklich wirklich unglaublich verknallt in diesen Kerl. Und ich würde mich unglaublich gern darauf einlassen können, weil es das ist was mich jetzt und heute glücklich macht.
Ich stecke selbst noch mitten im Endspurt der Ausbildung und auch meine familiäre Situation ist zur Zeit alles andere als leicht.
Und im Moment ist allein er es der mich tatsächlich und trotz seiner gesundheitlichen Situation auffängt und festhält und mein absoluter Ruhepol ist. Bei ihm fühl ich mich einfach wohl und genieße es voll und ganz ICH sein zu dürfen.

Und gleichzeitig sind da so viele kleine Männchen in meinen Kopf die pochen und hämmern und ständig rufen: "Ja, aber..."
So vieles wovon man sich augenscheinlich (erstmal) verabschiedet. Vorstellungen und Wünsche, was man sich so ausgemalt hat und von dem man sagt: "Ja, das macht mich glücklich"
Das müssen ja noch nicht mal so konkrete Sachen wie heiraten und Kinder kriegen sein.

Ein ganz banales kleines Beispiel:
Ich hab irre Spaß und Freude daran den Menschen die ich liebe hin und wieder mal kleine Freuden zu machen und zuzusehen wie sie sich daran erfreuen. Nichts wildes, wirklich nur so Kleinigkeiten
Ich hab ihm zum Beispiel zum Geburtstag einen lieben Brief geschrieben. Einfach mit ein paar Geburtstagsgrüßen und lieben Worten, weil er sagte dass er außer Rechnungen leider nur wenig Post bekommt.
Mich kribbelte es in den Fingern und ich konnte es nicht abwarten bis er sich wieder meldete um zu berichten dass der Brief angekommen war. Aber das tat er nicht. Eine ganze Woche lang nicht. Ich war kurz davor bei der Post anzurufen und zu fragen ob der Brief vielleicht verschütt gegangen ist.
Als wir dann telefonierten fragte ich mal ganz unauffällig ob er denn seinen Briefkasten noch nicht geleert habe und er sagte er könnte das im Moment nicht weil er befürchtet dass da noch die ein oder andere Rechnung drinne ist die ihn wieder ganz runter ziehen würde. Er wolle das nächste Woche zusammen mit der Sozialarbeiterin mal in Angriff nehmen.
Und das ist ja auch völlig in Ordnung. Ich muss sagen, das hab ich nicht gewusst, sonst hätte ich mir vielleicht etwas anderes überlegt. Aber so sehr man dafür auch Verständnis hat, so ist man doch auch ein bisschen enttäuscht dass der Versuch ihm eine Freude zu machen vollkommen ins Leere gelaufen ist. Und so verabschiedet man sich von einer weiteren Vorstellung.

Und das meinte ich mit dem "Gedankenkarussel".
Ich will jetzt und heute glücklich sein und meine Pennys nicht für morgen sparen. Das hat aber auch die Konsequenz über das morgen nachzudenken und die ein oder andere Vorstellung von "Glück" nochmal zu überdenken und neu zu ordnen. Schon allein was man für ein ganz anderes Bewusstsein für "Gesund sein" bekommt ist der Hammer.

Dieses "nur an heute - nicht an morgen denken" ist ja theoretisch schön und gut. Aber dennoch kann mans irgendwie nicht vermeiden dass das "und wie wirds morgen?" wenn auch vielleicht nur unterbewusst ständig irgendwie da ist.
Und es gibt keine Versicherung auf der Welt die dich absichert. Bungee jumping ohne Seil sozusagen.
Stattdessen bekommt man von Freunden und von der Familie immer nur vorgehalten wie dumm und naiv man dann ist und dass man viel zu blauäugig in die ganze Geschichte reinläuft. Absolut keine Unterstützung. Das tut weh. Es gibt nur ein zwei wenige die mir den Rücken stärken und auch für mich da sind wenns mal nicht so gut läuft und die dann meine schlechte Laune aushalten und mich wieder aufbauen.

Ich persönlich kann das Verhalten meiner Familie und meiner Freunde nicht verstehen.
Ich fühle mich in meinem Glauben und meiner Hoffnung und einer Zuversicht eigentlich gut gestärkt.
Aber wenn man immer wieder vorgehalten bekommt, man sei naiv und blauäugig, dann macht das so seinen Teil mit den Gedanken. Und irgendwann, in besonders instabilen Momenten, zweifelt man dann massiv und fühlt sich teilweise wirklich ein bisschen naiv und die Standfestigkeit und alles was an Überzeugung da ist gerät ins Wanken.
Das dann wieder zu stabilisieren ist verdammt harte Arbeit und das ist das wo ich glaube ich dringenden Unterstützungsbedarf habe.
Dass mir einfach mal jemand sagt: "Du bist eine starke Frau!" Derjenige muss ja noch nicht mal meiner Meinung sein. Und wenn er mich einfach laufen lässt, in mein Glück oder mein Verderben, wer weiß das denn schon. Aber die Aussicht dass da dann hinterher jemand steht, lächelnd mit offenen Armen, ohne Vorwürfe oder "Ich habs dir ja gesagt" zu sagen...das täte sooo gut.

Phu, ich glaub jetzt hab ich nen gan schön anstrengenden Roman geschrieben, was? Tut mir Leid Ich wollte euch damit nicht erschlagen.

Alles Liebe
Mia

P.S.:
Es gibt da ein Lied von einer meiner Lieblingsmusiker, welches so einiges ganz gut nochmal rüberbringt und die Sache eigentlich echt gut trifft.
Ihr könnt es euch ja mal anhören wenn ihr mögt. "Zuflucht im Weg"

http://www.myspace.com/daniakoenig/musi ... g-48191349
Ulysses
Beiträge: 594
Registriert: 19. Jan 2013, 17:34

Re: Fliegen

Beitrag von Ulysses »

Hallo Mia,

ich hab Deinen neuen Beitrag gelesen und habe dazu so viele Gedanken im Kopf, die ich Dir gerne antworten würde. Aber ich stelle gerade fest, dass es mir unheimlich schwer fällt, dabei nicht einen "belehrenden" Ton anzuschlagen, der vielleicht wie von oben herab gesprochen wirkt.

Du schreibst, Du bist noch in der Endphase der Ausbildung und vermutlich noch relativ jung? Dazu würde es passen, dass ich einige Deiner Aussagen einfach noch als wenig erwachsen empfinde.

z.B. die Geschichte mit dem "missglückten Überraschungsbrief": Die Situation hätte theoretisch auch ohne Depression passieren können, Briefkastenschlüssel verschmissen, vergessen, was auch immer... Natürlich ist es für Dich im ersten Moment enttäuschend, aber was daran setzt Dein grundsätzliches Gedankenkarussell so stark in Bewegung?

Viele Angehörige haben in akuten Phasen Reaktionen bekommen wie z.B. Brief bleibt einfach ungeöffnet, Brief liegt rum, weil (laut Aussage des Betroffenen) alleine das Lesen so sehr weh tut, dass es nicht möglich ist, oder es gibt gar keine Reaktion oder Antwort auf Nachfragen... Dein Freund hat auf die Nachfrage sofort mit der Wahrheit rausgerückt, hat Vertrauen und anscheinend keine Probleme, Dir klar zu sagen, was gerade los ist, ohne Notlügen. Darauf kann man doch super gemeinsam aufbauen, die nächste Überraschung kommt dann vielleicht auf anderem Weg.

Ich finde es wichtig, herauszufinden, was man will und was nicht. Und ich finde auch, dass man dafür einstehen soll und Entscheidungen treffen darf. Aber Deine Anforderungen an ihn lesen sich für mich extrem hoch.

Und im Moment ist allein er es der mich tatsächlich und trotz seiner gesundheitlichen Situation auffängt und festhält und mein absoluter Ruhepol ist. Bei ihm fühl ich mich einfach wohl und genieße es voll und ganz ICH sein zu dürfen.

Ich weiß nicht, ob es real wirklich so krass ist, wie es sich liest. Aber falls ja, dann ist das ein Konzept, mit dem ich selber auf die Dauer schlechte Erfahrungen gemacht habe. Natürlich ist es schön, wenn mich jemand auffängt. Aber niemand kann auf die Dauer ein absoluter Ruhepol sein, wenn er nicht umgekehrt auch voll und ganz ICH sein darf.

Ich weiß, dass Du die Vergleiche bildhaft gemeint hast und nicht "wirklich" Beziehung und Erdbeermarmelade vergleichen wolltest. Trotzdem müsste ich als Partner bei dem Bild schlucken, sozusagen die "aktuelle, süße, unwiderstehliche Sünde" zu sein, die bei Dir aber immer wieder so viele "ja aber's" auslöst, so dass Du mit viel Zweifel bei der Zukunft der Beziehung bist.

Der extreme Gegensatz "glücklich im hier und jetzt" (=naiv, kurz gedacht) und "langfristig an meinen Wünschen gefeilt" (=mühsam, späteres Glück mit langem, dunkeln Weg erkaufen), den gibt es für mich nicht. Dinge, die ich lerne, wenn ich ganz bewusst im hier und jetzt lebe, die sind immer positiv für mich und wirken sich auch auf spätere Entscheidungen und Lebenssituationen aus.

Wenn es so ist, wie Du schreibst:

Ich bin wirklich wirklich wirklich unglaublich verknallt in diesen Kerl. Und ich würde mich unglaublich gern darauf einlassen können, weil es das ist was mich jetzt und heute glücklich macht.

dann wäre an Deiner Stelle meine Frage an mich selber: Warum kann ich mich nicht darauf einlassen? Wenn es mich doch glücklich macht? Belüge ich mich selber mit dem Satz "es macht mich jetzt glücklich"? Oder hat mir jemand die Botschaft vermittelt: Dinge die mich jetzt glücklich machen rächen sich eh später, also geh lieber den demütigen, zielstrebigen, dunklen Weg, in der Hoffnung auf späteres (fragwürdiges) Glück...

Liebe Grüße

Ulysses
Kontiki
Beiträge: 120
Registriert: 11. Jan 2013, 21:28

Re: Fliegen

Beitrag von Kontiki »

Hallo Mia.

So wie Du fühlte ich mich auch vor einigen Monaten. Ich war verliebt und der Meinung, dass die Depression doch schon kein Hinderungsgrund sein wird. Jetzt sitz ich zuhaus und heule mir die Augen aus..

Es tut mir leid, daß ich Dich damit wahrscheinlich total runter ziehe, vielleicht hast Du ja einige meiner Beiträge inkl. meiner "Geschichte" auch gelesen, wenn Du hier schon einige Zeit mitliest. Ich möchte Dir nicht vorschreiben oder raten, die Finger davon zu lassen, aber sei Dir einfach darüber im klaren, daß es - meiner Meinung nach - um einiges schwieriger wird, als eine Beziehung mit einem "Gesunden" zu beginnen.. Ich hab das damals zu leicht genommen und zu rosa gesehen, nicht gedacht, daß es so unheimlich schwer wird.

Aber Du scheinst ja zu diesem Thema schon einiges gelesen zu haben, auch hier im Forum, also weißt Du ja, worauf Du Dich einläßt. Ich wußte es damals nicht, hatte mich "zu spät" belesen und bis dahin vielleicht einiges falsch gemacht bzw. hätte es mit meinem heutigen "Wissen" damals anders gemacht, hätte auf einige Verhalten oder Worte meines Exfreundes anders reagiert, es aus anderen Augen gesehen.. Ich weiß nicht, ob ich mich hier richtig ausdrücke und Du verstehst, was ich meine. Jedenfalls scheinst Du mir insoweit voraus zu sein als ich es damals war, als die Beziehung begann.

Puh, ich glaube, ich lasse es lieber, hier weiter zu schreiben, habe das Gefühl, ich kann nicht richtig ausdrücken, was ich meine. Sei mir bitte nicht böse, wenn das jetzt also alles zu belehrend oder negativ rüber kommt.

Sorry.

Kat.
Tabarka1
Beiträge: 267
Registriert: 10. Feb 2013, 13:34

Re: Fliegen

Beitrag von Tabarka1 »

Hallo Mia,
wie schön, dass Du Dich traust Deine Gefühle aufzuschreiben und einem anderen Menschen - Deinem Freund zu schenken.
Und mir stellt sich die Frage, wo ist das Glück? Hat es Dich glücklich gemacht den Brief zu schreiben? Wenn ja, toll - das kann Dir auch im Nachhinein keiner nehmen! Oder die Vorstellung davon, wie er sich freuen könnte - auch das kann Dir keiner mehr nehmen. Das kannst Du Dir nur selber kaputt machen.
Und es ist seine Freiheit, darauf zu reagieren. Es könnte ja auch Menschen geben, die sich dann unter Druck gesetzt fühlen könnten, selbst so einen Brief zu schreiben. Das ist dann blöd, weil sich der eigene Wunsch nicht erfüllt - dem anderen eine Freude zu machen. Und auch wenn ich mich dann nicht ganz so gut fühle, die Vorfreude war da - ganz real und sie war schön.
Und ich bin davon überzeugt, dass genau das eine "gute" Beziehung ausmacht - ich darf meine Vorfreude genießen und der andere darf sich über genau diese Aktion ärgern. Und wenn beiden an der Beziehung gelegen ist, wird man gemeinsam überlegen, wie es gelingen kann, dass der eine weiter seine Freude hat, ohne dass es den anderen ärgert.
Vielleicht erscheint Dir mein Beitrag jetzt ein wenig analytisch. Es ist meine Lektion, die ich in den Jahren mit der Depression meines Mannes gelernt habe. Mein Leben, meine Gefühle nicht von seinen Reaktionen abhängig zu machen. Und das unterscheidet eine "normale" Beziehung nicht von einer "depressiven". Es ist für mich nur dort zeitweise überlebensnotwendig gewesen genau diese Klarheit zu spüren. Meine Gefühle gehören mir. Und ich darf sie haben, auch wenn sie nicht erwidert werden(können).
Und wie Du selbst schreibst, weißt Du nicht wohin Dich diese Beziehung bringt. Mich hat sie mir selbst viel näher gebracht, als in den Jahren, wo es gut lief.
Und gefallen muss er Dir und keinem anderen - oder ist verheiratet werden in eurer Familie noch ein Thema
Einen lieben Gruß
Tabarka
Wann, wenn nicht heute... ?
Inamia
Beiträge: 12
Registriert: 7. Dez 2012, 21:18

Re: Fliegen

Beitrag von Inamia »

Lieber Ulysses,

ja, es stimmt, ich bin noch "relativ" jung. Wobei ich finde dass es nicht das Alter ist was jemanden erwachsen macht. Ich bin bereits in meiner zweiten Ausbildung. Der Job in dem ich vorher gearbeitet habe hat mich gewissermaßen zu sehr erfüllt und eingenommen als dass ich noch hätte ein eigenständiges Individuum sein können. Ich bin fast jeden Tag an das Äußerste meiner sowohl physischen als auch psychischen Grenzen gekommen und musste für mich entscheiden dass ich das nicht ein Leben lang kann, wenn ich dabei gesund bleiben will. Aber ich kann denke ich in gutem Glauben behaupten dass ich so einiges gelernt habe und noch um einiges mehr daran gewachsen bin.
Die Ausbildung in der ich jetzt stecke passt zu mir wie Arsch auf Eimer. Ich fühle mich in meiner Rolle sehr wohl. Zudem muss man sagen, dass ich kein großer Fisch im weiten Meer bin, aber ich bin mir auch im Kleinen sehr wertvoll und kann denke ich behaupten sehr wertvolle und wichtige Arbeit zu leisten. Und das ohne irgend eine Form von Applaus zu bekommen.


Bei der Sache mit dem Brief war ich nicht enttäuscht darüber dass er ihn letztenendes nicht gelesen hat. Ich hab das wohl verstanden und habs auch akzeptiert dass es nicht ging. Ich hätte ihm nur so gerne eine Freude gemacht. Hätte er sich gefreut, hätte das wiederum mich gefreut und dass genau dieses Bedürfnis nicht gestillt werden konnte, dass hat mich enttäuscht, wo es doch eigentlich nur eine so klitzekleine Geste war.

Anforderungen habe ich ja eben keine an ihn. Oder zumindest versuche ich das mit allem Mitteln. Mir ist klar, dass jede Form von Anforderung sowohl ihm als auch mir die ganze Sache nicht grade leichter machen. Das ist mir bereits ganz am Anfang schon schmerzlich bewusst geworden, als er kurz vor einem Treffen wegen Halsschmerzen absagte, obwohl wir uns beide schon so sehr darauf gefreut hatten. Ich war damals total am Boden. Und habe daraus gelernt.
Ich habe ja gar nicht die Anforderung an ihn dass er mich halten und auffangen soll und mein Ruhepol sein soll und was ich sonst noch alles geschrieben habe. Aber umso mehr genieße ich die Tatsache dass er es (im Moment) ist. Das heißt ja nicht dass er deswegen nicht er selbst sein kann. Es ist vielmehr die Tatsache dass er mich so annimmt wie ich bin. Er hört mir zu und kommt nicht mit klugen Sprüchen und Ratschlägen um die Ecke mit denen man so rein gar nichts anfangen kann und die man nur als Vorwürfe versteht, sondern er ist dann einfach da und tröstet mich, oder stärkt mir den Rücken, oder regt sich gemeinsam mit mir auf oder er nimmt mich einfach nur in den Arm. Und alles in dem Maße wie es ihm möglich ist. Ist es ihm nicht möglich, dann sagt oder zeigt er mir es und ich weiß dann, okay hier ist im Moment kein Platz dafür und ich muss meine Bedürfnisse hinten anstellen. Aber wenn er mir von vorneherein zeigt dass er zuhören will, dass er sich interessiert wie es mir geht, auch wenn es ihm vielleicht manchmal schwer fällt oder einiges an Mühe kostet. So sehe und glaube ich doch dass er sich diese Mühe gerne gibt, weil er mich gern hat und auch dann und wann mal, wenn es der Zustand zulässt, für mich da sein will. Und warum sollte ich mich ihm dann nicht anvertrauen? Würde ihm das nicht eher ein Gefühl der Unzulänglichkeit geben?
Ich habe keine Anforderungen an ihn in dem Sinne dass ich auf dem "ich setze meine Bedürfnisse jetzt durch" -Tripp bin.
Aber wenn er dann mal an mich denkt, dann ist das einfach nur schön und tut gut und man will das genießen diesen Augenblick, wohl immer im Hinterkopf habend dass die Sonnenuhr morgen schon wieder auf Regen stehen könnte.

Das mit der Erbeermarmelade war so nah auch gar nicht gemeint. Es sollte vielmehr eine Metatheorie dazu sein, dass der Mensch an sich, im Leben immer nach Sicherheit und Glück strebt und sich nie einfach mal auf nur einer Stelle bewegen kann.
Wenn man von Außen immer und immer wieder den heftigsten Gegenwind zu spüren bekommt in Form von: "Oh Mädchen, nimm doch mal die rosarote Brille ab. Das kann doch gar nicht gut gehen.... Er kann dir doch gar nichts bieten.... Er macht dich unglücklich.... Er ist viel zu alt für dich.... Und er ist doch so krank, musst du denn immer und überall die Krankenschwester spielen?...Das ist dumm und naiv...so blauäugig die Kleine... Du bist alt genug, du wirst schon die Richtige Entscheidung treffen, ABER denk dran was ich dir gesagt habe und komm am Ende nicht heulend zu mir" (Alles original so gesagt worden)
Aber wie Kat80 auch sagte. So krass es sich vielleicht anhört, aber es ist doch noch mal was ganz anderes mit einem Menschen mit Depressionen zusammen zu sein als mit einem "Gesunden".
Hinter jeder Liebesbeziehung egal ob mit kranken oder gesunden Menschen steckt doch so ein gewisses Grundrisiko was man in der Regel gerne eingeht. Wäre auch blöd wenn nicht, denn dann wären wir alle Singles.
Aber es geht doch im Grunde um Vertrauen und sich fallen lassen und gucken wies wird. Entweder es klappt oder man merkt halt dass es nicht passt und trennt sich wieder. Aus welchem Grund auch immer.
Aber bei jemandem mit einer Krankheit die ja im Grunde die ganze Gefühlswelt und das Gefühlserleben total angreift und durcheinander bringt ist es denke ich nochmal um einiges schwieriger. Ohne Vertrauen geht da gar nix. Wo man in einer "normalen" Beziehung vielleicht schon längst da Handtuch geschmissen hätte weils einfach viel zu anstrengend und kompliziert ist und Bedürfnisse nicht befriedigt werden, steht man hier vor großen Mauern und weiß nicht wohin mit seinen Gefühlen und Fragen. Liebe und Zuneigung sind oft ja durchaus da, nur können diese nicht nach außen gezeigt oder ausgelebt werden. Es ist kein Raum zum wachsen da. Der Samen, mit der die Liebe ja oft verglichen wird und der ja auch erst mal wachsen muss bräuchte viel Licht und Wasser um sich zu entwickeln und muss sich in diesem Fall an den klitzekleinsten Sonnenstrahl klammern um irgendwie zu überleben. Hier wird das "In guten wie in schlechten Tagen" trotz nicht verheiratet seins eindeutig vorgezogen und abverlangt.

Die Frage die sich mir stellt ist ob das wirklich alles so funktionieren kann. Die Einsicht dass es jetzt und hier gut ist und mir gut tut, hilft mir da nur bedingt.
Ist es wirklich so wie Kat80 sagt? Dass man sich ständig vor Augen halten sollte dass man kurz vorm Absturz stehen könnte? Sollte man den Stimmen um sich herum die sagen dass es keine Zukunft hat mehr Raum geben und vorsichtiger sein? Und schränkt nicht eben das mich total ein, indem es mich immer wieder nachdenken und grübeln lässt und jeder Situation steif gegenübertreten lässt anstatt einfach mal drauf zu vertrauen dass es doch grade in diesem Moment gut IST?
Ich habe mich wochenlang informiert und belesen und ausgetauscht und bin für mich zu dem Schluss gekommen dass ich das Risiko eingehen will, weil er es mir wert ist. Aber kann ich das WIRKLICH schaffen? Ist das alles noch realistisch? Oder kann ich wirklich davon ausgehen dass es Bungee jumping ohne Seil ist? Darf ich nicht einfach mal darauf vertrauen dass da ein Seil ist und dass es hält? Oder geh ich daran vielleicht zugrunde weil ich zu blind vertraue?
Und wer steht eigentlich hinter mir? Nicht hinter ihm und nicht hinter meiner Entscheidung und meinen Gefühlen, sondern wirklich hinter MIR? Klar kann es sein dass ich irgendwann heulend und verloren hier auf meinem Stühlchen sitze. Und klar ist dass dann mit Sicherheit schlimm für mich, aber ich kann sagen dass ich mich getraut habe meine Gefühle zuzulassen und dass ich wenn vielleicht auch nur wenige Augenblicke dafür umso intensiver und echter erleben durfte. Auch wenn es hinterher vielleicht nicht geklappt hat. Aber gibt das einem das Recht mir dann Vorwürfte zu machen? "Ich habs dir ja gesagt?" Oder hab nicht auch ich dann ein Recht darauf dass jemand hinter mir steht und mir seine tröstende Schulter leiht? Der sagt: "Okay, ist scheiße gelaufen, das tut mir Leid, ich hätte es vielleicht anders gemacht aber ich bin für dich da"
Ist dass wirklich zu viel verlangt?


Liebe Kat80

ich danke dir für deine Gedanken. Deine Geschichte hat mich auch sehr berührt und es tut mir unendlich Leid dass es so gekommen ist. Ich kann mir gut vorstellen wie du dich fühlst und drücke dich in Gedanken ganz fest. Ich wünsche dir alles Liebe und das Beste der Welt und dass es hoffentlich bald wieder etwas bergauf geht!

Ich weiß nicht, vielleicht nehme ich das ganze auch etwas zu leicht. Ich bin, was das angeht, wirklich etwas durcheinander zur Zeit.
In meiner Situation ist es etwas anders als in deiner. Denn es scheint augenscheinlich wirklich besser zu werden. Er hat aus der Zeit in der Klinik viel mitnehmen können. Er sagt selber es habe ihm sehr gut getan und er habe einiges gelernt. Die Gesprächstherapien seien Anfangs sehr hart gewesen weils echt ans Eingemachte ging, aber hinterher habe er sich meistens leichter und besser gefühlt und war stolz darauf dass er das auch so gemeistert bekommen hat. Mittlerweile wird er noch ein mal die Woche ambulant betreut. Mit seinen Medikamenten ist er gut eingestellt. Nächste Woche wird er wiedereingegliedert in seinen Beruf. Er hat viele seiner Hobbys wieder aufgenommen und wirklich Freude daran. Und er will demnächst sogar verreisen. Er hat auch wieder einen geregelten Nacht-/Tagrhytmus der ihm gut tut, macht regelmäßig Sport und hat sogar angefangen seine Wohnung zu "dekorieren". Und er hat neben mir, noch eine wunderbare, liebe- und verständnisvolle Familie die ihn unterstützt.
Aus organisatorischen Gründen ist es meistens er der mich anruft und das auch regelmäßig. Klar gibt es noch mehr als genug Baustellen in seinem Leben, aber verstehst du was ich meine? Es läuft grade alles in durchweg gute Richtungen (zumindest sieht es aus meiner Perspektive so aus)
Könnte man da nicht ein bisschen Hoffnung zulassen? Auch wenn "Schwarz sehen" im nachhinein vermutlich immer als die bessere Lösung betrachtet wird?


Liebe Tabarka

danke auch für deine Gedanken.

"Meine Gefühle gehören mir. Und ich darf sie haben, auch wenn sie nicht erwidert werden(können)."

Das fand ich sehr schön und ich will es versuchen, danke dafür


Viele liebe Grüße
Mia
Kontiki
Beiträge: 120
Registriert: 11. Jan 2013, 21:28

Re: Fliegen

Beitrag von Kontiki »

Liebe Mia,

Du hast recht, Deine Geschichte ist etwas anders, da sich Dein Freund offenbar in Therapie befand und befindet. Mein Ex war, als es mit uns begann, schon eine Weile krankgeschrieben, aber nicht wirklich in Therapie. Und er nahm ADs, weshalb ich davon ausgehe, dass es ihm damals auch einigermaßen gut ging, als er es mit mir versuchen wollte.Denn ich will ihm da nichts unterstellen und denke, dass seine Gefühle am Anfang mir gegenüber echt waren und er mich nicht absichtlich später so verletzen wollte. Was nichts daran ändert, dass er genau das nun auf ziemlich besch... Weise getan hat..
Er hatte zwischendrin dann irgendwann die ADs abgesetzt, weil sie ihn müde machten.. Und vielleicht red ich es mir nur ein, aber ich glaube, ab da ging es langsam bergab. Auf einmal konnte er nichts mehr fühlen. In den 3 Sitzungen, die er Ende letzten Jahres mal bei einer Psych. hatte, sagte ihm diese, dass es nicht gut sei, in seiner Situation eine Beziehung führen zu wollen und dass dieses Gefüllose eine Phase ist, die wieder geht, was aber dauern kann..
Nun, soweit ich weiß, dauert es noch immer, aber wirklich auf dem laufenden bin ich da ja seit Wochen nicht mehr..

Mia, danke für Deine tröstenden Worte. Ich wollte mit meinen nicht alles schwarz malen für Dich. Du kannst sicher unbeschwert versuchen, die Beziehung und das Verliebtsein zu genießen, hab nur immer ein bißchen im Hinterkopf, dass es durchaus schwer werden könnte und Du unter Umständen eine Menge mehr "einstecken" mußt als in einer Beziehung zum Gesunden. Allerdings denke ich, da Du Dich schon eine Weile mit der Krankheit auseinandersetzt, dürfte das für Dich inzwischen schon klar sein. Und vielleicht läuft ja bei Euch alles gut und letztlich ist Deine die schöne positive Geschichte, die Du Dir am Beginn Deines Threads hier gewünscht hast.. Ich wünsche es Dir von Herzen!

Viele liebe Grüße
Kat.
Ulysses
Beiträge: 594
Registriert: 19. Jan 2013, 17:34

Re: Fliegen

Beitrag von Ulysses »

Liebe Mia,

danke für Deine ausführliche Antwort, so kann ich einiges ganz anders nachvollziehen. Und ganz ehrlich: Mich rührt Deine Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung sehr, und Dein ehrliches Interesse. Und ich würde jetzt so gerne "voll kluge" Sätze mit einer wirklichen Lösung tippen. Die habe ich leider nicht.

Aber ich habe meine eigene Erfahrungen mit den von Dir angesprochenen Fragen und Grübeleien. Zumindest die kann ich weitergeben, einfach als Gedankenanstoß.

"so blauäugig die Kleine... Du bist alt genug, du wirst schon die Richtige Entscheidung treffen, ABER denk dran was ich dir gesagt habe und komm am Ende nicht heulend zu mir" (Alles original so gesagt worden)

Diese und ähnliche Sätze kenne ich und hab sie zigfach gehört, aus meinem Umfeld. Besonders getroffen hat mich das, als eine Beziehung erst nach vielen Jahren in der (von allen anderen schon früh angekündigten) Katastrophe gemündet ist. Und ich dann wirklich alleine da stand, mit dem x-fach wiederhallenden "Ich hab's ja von Anfang an gesagt...."

Auch wenn es hinterher vielleicht nicht geklappt hat. Aber gibt das einem das Recht mir dann Vorwürfte zu machen? "Ich habs dir ja gesagt?" Oder hab nicht auch ich dann ein Recht darauf dass jemand hinter mir steht und mir seine tröstende Schulter leiht? Der sagt: "Okay, ist scheiße gelaufen, das tut mir Leid, ich hätte es vielleicht anders gemacht aber ich bin für dich da"

Genau danach habe ich mich auch gesehnt. Und ich bin der Meinung, jeder hat ein Recht auf solche Unterstützung. Und gleichzeitig habe ich das nicht wirklich selbst in der Hand, denn es ist ein Wunsch an andere Menschen, insofern nützt mir mein "ich hab eigentlich ein Recht darauf" null komma gar nichts.

Mittlerweile gibt es Menschen in meinem Leben, die so hinter mir stehen. Die habe ich aber paradoxerweise erst dann kennengelernt, als ich in der schlimmsten Zeit mit mir alleine etwas anderes grundsätzliches gelernt hatte: Nämlich zu mir selbst und meinen Entscheidungen zu stehen. Notfalls auch gegen andere Meinungen. Mir selber zu sagen:
"Okay, ist scheiße gelaufen, das tut mir Leid, hab ich mich verschätzt, aber ich bin trotzdem für mich da"

Neben allem argumentieren wie "ob's was wird und ob's hält kann man doch eh nie wissen" trifft für mich schon zu, dass eine Partnerschaft mit dem Thema Depression sehr viel schwieriger, schmerzhafter und anstrendender sein KANN. Auf der anderen Seite (mit Behandlung) sehr viel toleranter, ehrlicher, herausfordernder und wirklich besonders sein KANN (im Vergleich zu dem, was ich zum Teil aus dem Leben "Nicht-Psychiatrie-Erfahrener" miterlebe). (Damit will ich hier keinen "rosaroten Zauber" über das Thema legen. Durch meine eigenen Jahre als Betroffene und den bis heute andauernden Therapie-Weg weiß ich, wie mühsam und steinig diese Entwicklung sein kann.)

Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute,

Ulysses
Tabarka1
Beiträge: 267
Registriert: 10. Feb 2013, 13:34

Re: Fliegen

Beitrag von Tabarka1 »

Liebe Mia,
Bungee-Springen ohne Seil? Das ist entweder richtig dumm oder Suizid.
Eigenschutz ist wichtig. Immer genau schauen, wie geht es mir und was brauche ich? Und wenn ich bedürftig bin, für dieses Bedürfnis selbst zu sorgen. Vielleicht ist es manchmal Dein Freund, der Dir ein Bedürfnis erfüllt, oft wirst es Du selber sein und manchmal Freunde. Auch das ist nach meiner Erfahrung eine Lektion, die es auch in einer normalen Beziehung gibt, die man aber nur begrenzt lernen muss, wenn beide umeinander bemüht sind.
Depression erlebe ich aber so, dass der Depressive sich weder für sich noch für den anderen interessiert. Wenn Du Dich dann auch nicht für Dich interessierst, wirst Du selbst immer weniger und die Depression klopft auch an Deine Tür (in der einschlägigen Literatur wird behauptet, dass es 50% der Angehörigen trifft).
Also ich kann Dir das Springen ohne Seil nicht empfehlen. Ganz im Gegenteil, zwei Seile zum Selbstschutz sind besser. Sich auf einen anderen zu verlassen, nimmt dem anderen die Freiheit jetzt nicht für Dich da zu sein, weil ein eigenes Bedürfnis wichtiger ist oder die Depression. Ich würde dieses mich blind auf den anderen verlassen auch in einer normalen Beziehung kritisch sehen. Auch wenn ich schon erlebt habe, wie schön es ist, wenn mir ein Wunsch von den Augen abgelesen wird. Aber Märchen sind nicht alltagstauglich.
Zu Deinen Freunden möchte ich Dir sagen, dass ich diese gut verstehen kann, wenn Du fortlaufend über die Beziehung "jammerst" und nichts änderst. Dann wäre ich auch genervt, weil da jemand nur sein Herz ausschütten will und so weiter macht wie bisher. Die Freunde, die ich habe, bekommen genau mit, dass ich die Lektionen lernen will, die diese Beziehung für mich bereit hält.
Pass auf Dich auf! Anbei ein Reseveseil
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LG
Tabarka
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