Wie kann ich da loslassen?

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SucheAustausch
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Wie kann ich da loslassen?

Beitrag von SucheAustausch »

Guten Morgen Ihr Lieben,

nach längerer Zeit schreibe ich hier auch mal wieder.

Es ging meinem Mann jetzt in den letzten Wochen deutlich besser. Eigentlich seit dem großen Krach vor 7 oder 8 Wochen und meinem Kurztrip zu meiner Mutter (mit Tochter für 5 Tage) ging es bei meinem Mann stetig bergauf. Die Medikamente (Venlafaxin neu seit Ende August) begannen scheinbar zu wirken und er war insgesamt viel besser drauf. Kam morgens aus dem Bett und war präsent in unserem Leben.

Ich habe natürlich weiterhin auf mich geachtet, mich mit Freunden getroffen, bin einmal in der Woche zum Sport und so.

Er ist oft nach wie vor früh ins Bett, aber ich bin eigentlich auch jemand, der mind. 8 Stunden Schlaf braucht. So störte es mich oft nicht, abends auch mal gegen 20:30 ins Bett zu gehen und noch ein wenig zu lesen.

Egal: Ihr merkt, die Tendenz war gut.

Seit 2,5 Wochen etwa ging es dann wieder etwas schleppender, mein Mann war bei seiner Tante gewesen und hat noch mal Sachen aus seiner Kindheit erfahren, die gar nicht gut waren.

Und seit einigen Tagen kommt er jetzt morgens auch kaum mehr raus. Eigentlich sind er und unsere Tochter immer um 7:30 bis 7:45 losgefahren, jetzt kommt er meistens gegen 7:30 erst aus dem Bett. Er meinte gestern auch zu mir, er habe das Gefühl wieder in ein Loch zu fallen. Ich merke das auch schon seit Tagen.

Und dann jetzt diese Situation:

Heute haben wir Hochzeitstag. Wir hatten uns ziemlich drauf gefreut, wir haben extra unseren Babysitter kontaktiert, die schon seit Jahren darauf wartet, endlich bei uns mal Babysitten zu dürfen und unsere Tochter (4,5 Jahre alt) ist auch eingestimmt darauf, dass das Mädchen auf sie aufpasst.

Wir wollen nett zusammen essen gehen.

So, nun waren wir gestern nachmittag bei dem Patenkind meines Mannes zum 11. Geburtstag. Nachmittags haben wir alle einen Glühwein getrunken, weil wir so durchgefroren waren. Ok.

Mein Mann war dann mit dem Vater des Jungen die ganze Zeit in der Küche (essen vorbereiten, quatschen etc. - der Mann ist alleinerziehend neuerdings!), ich weiß nicht, ob er da noch einen Glühwein hatte.

Als ich nach 1 Stunde etwa mal nach ihnen geguckt habe, hatte er ein Kölsch. Und dann zum Essen hat er noch eines getrunken. Er musste noch fahren!

Und dann wollte er noch das Halbe von jemand anderem trinken, obwohl es schon spät war und ich meinte, wir müssten jetzt gehen, unsere Kleine schlief schon halb auf dem Sofa ein.. (es war 20 Uhr und normalerweise geht sie um 19h ins Bett).

Mein Mann hatte vorher schon so einen Sch** geredet, der mich wirklich rasend gemacht hat! Er meint das glaube ich nicht ernst, aber er bringt mich mit solchen Dingen einfach immer wieder zur Weißglut. Wahrscheinlich ist das Schlimmste daran, dass ich es ihm zutraue! (Die Story war: wir haben einen riesen Röhren-TV, der noch funktioniert und vor 3 Wochen hat mein Mann einen neuen Flach-TV gekauft. Jetzt will er die Röhre verkaufen. Alle sind der Meinung, die will keiner und von unseren Bekannten will sie auch keiner geschenkt! Nur mein Mann meint das. Ich sage, wir sollten ihn auf die Straße stellen, dann kann ihn vielleicht noch jemand mitnehmen. Er meint, dann würde er ihn vorher kaputt machen! Es wäre schließlich seiner und er hätte nichts zu verschenken. Alle sind entsetzt, wenn er so was sagt (ich zuallererst!) und er behauptet das immer weiter! Ob er das ernst meint? ich traue es ihm zu, aber er würde es in letzter Instanz immer abstreiten, weil er sicher gemerkt hat, wie bescheuert so was alle finden).

Dann wurde ich irgendwann lauter und vehementer und wir fuhren die 400 Meter nach Hause.

Er hat sich dann vor den neuen TV gesetzt und Herr der Ringe geguckt. Als ich das Kind ins Bett gebracht hatte, bin ich runter und habe noch einen Tee gemacht, er hat sich dann noch ein Bier aufgemacht. Es hat mich so an letztes Jahr erinnert. Wie oft habe ich ihn trinkend hier unten gelassen?

Meine Psychologin meinte, es sei ok, dass er sich dem Alkohol wieder annähere und ausprobiert. (das sagte sie, als ich meinte, ich hätte mir Sorgen gemacht, dass wir bei einem gemeinsamen Essen neulich eine ganze Flasche Wein getrunken haben).

Ich habe ihm dann gesagt, wie ich das finde: vor allem weil wir heute Hochzeitstag haben und ich weiß, dass wenn er etwas trinkt, er den nächsten Tag total in den Seilen hängt. Auch wenn er zu lange aufbleibt.

Er meint, es wäre kein Unterschied, ob er 12 oder 6 Stunden schläft, er kommt morgens nicht raus. Ja, das kann ja sein! Aber er ist heute Abend mit Sicherheit im Eimer!

Er hat noch den ganzen Film bis nach 0 Uhr geschaut und ich war gegen 23:30 noch mal wach geworden (war um 21:45 ins Bett) und konnte nicht mehr schlafen.

Ich habe mich so geärgert. Ich finde es so respektlos mir gegenüber! Er weiß genau, wie kaputt er ist, wenn er zu spät und dann noch mit Alkohol ins Bett geht!

Er meinte gestern, ich solle mich heute aufregen und ihn heute anschreien, wenn er in den Seilen hängt. Na toll! Super Hochzeitstag, oder?

Kann er nicht nach vorne denken?

Wenn so ein Ereignis ist, dann trink ich doch am Abend nicht noch was oder gehe zumindest etwas eher ins Bett, um fitter zu sein, oder?

Ich habe das Gefühl, wenn ihn die Depression greift, dann hat er keinerlei Respekt vor mir. Dann bin ich ihm egal.

Ich weiß, es ist wahrscheinlich so. Und ich muss lernen loszulassen - aber wie um alles in der Welt kann ich ihn loslassen, wenn er sich geradewegs wieder in die Tiefen befindet? Und wie kann ich meine Hoffnungen und Wünsche loslassen? und wie kann ich damit leben, wenn es immer wieder meine/unsere Pläne zerreisst?

Wie sähe Euer Abend nach so einer Nacht aus? Würdet Ihr das Essen absagen? (das kann ich der Babysitterin nicht antun!)

Ich weiß, dass ich selbständiger werden muss und mich von schlechtem Gewissen befreien. Ich weiß aber auch, dass mir das schwer fallen wird. Ich weiß, dass ich heute Abend im Restaurant sitzen werde und ein schlechtes Gewissen habe, weil ich ihn zwinge, mit mir essen zu gehen.

Bescheuert, oder?

Ich bin so blöd!

Aber ich hänge so an unserem gemeinsamen Leben!

Und ich habe es so genossen in den letzten Wochen, in denen es ihm besser ging.

Nächstes Jahr werde ich noch ein paar Fahrstunden nehmen und vielleicht versuchen, mir ein eigenes Auto zu kaufen. Und dann muss ich lernen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, dafür zu sorgen, dass in solchen Phasen ich unsere Tochter in den Kindergarten bringen kann und ihn damit sich selbst überlassen.

Ist das der Weg? Ihn sich selbst überlassen?

Wenn ich ehrlich bin, dann fiel mir das "Loslassen" leichter, als es ihm besser ging. Ich konnte zum Sport, für mich sorgen und so weiter. Aber wenn es ihm schlechter geht?

Ich weiß nicht, wie ich das schaffen kann, ihn da loszulassen.

Ich weiß, dass aus meinem Thread hier eine totale Co-Abhängigkeit spricht. Wenn ich ihn lese, bin ich selbst erschrocken darüber. Aber wie kann man in so einer Situation nicht co-abhängig werden? Ich bin doch in einer Beziehung immer abhängig vom anderen. Wenn ich das nicht bin, dann habe ich keine Beziehung. Ich merke nur, dass es bei uns nicht mehr gesund ist.

Ich brauche wirklich Hilfe und Rat!

Danke und viele Grüße

Austausch,

PS. Habt Ihr Strategien, die es Euch ermöglichen in so einer Sitation loszulassen? Wie könnt Ihr schlafen, wenn Euer Partner sich gerade in den Abgrund schraubt?
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Wie kann ich da loslassen?

Beitrag von bigappel »

Liebe Austausch,

da muss ich jetzt dringend meinen Senf zu geben.

Ich gewinne Abstand

a) durch räumlichen Abstand; Haus verlassen,
sich etwas anderem widmen,

b) mit dem Kopf.

Sehen und vertehen, dass es der Abgrund
meines Partners ist, nicht meiner, sehen,
dass dies ggf. eine Krankheit ist, die
ich nicht habe, das Leben macht nämlich
verdammt Spaß, hat Höhen und Tiefen, na
und? Ich bin psychisch Gesund; ich sehe
das!

Erkennen, dass ich absolut machtlos bin
in dem, was mein Partner fabriziert.
Wir sprechen immer wieder über einen
erwachsenen oder eher gleichaltrigen
Mann.

c) Wut.
Ist vielleicht nicht richtig, hilft mir
aber massiv dabei, den Kopf einzuschalten
und mich abzugrenzen.

d) Verantwortung für mich selber:
Leide ich zusehr mit, übernehme ich
ungesunde Verantwortung für meinen Partner
auf Dauer, werde ich krank. Für mich nicht
akzeptabel.

Ich habe verdammtes Glück in meinem
Leben gehabt, noch da sein zu dürfen,
Gesundheit ist ein so hohes Gut, dass
ich auch für meinen Partner nicht im
Rahmen einer psychischen Krankheit
gefährden werde; leider ist damit nämlich
niemandem geholfen.

e) annehmen:

Du bist enttäuscht, das möglicherweise
der Hochzeitstag anders verlaufen wird,
wie geplant.

Ja, Du hast Grund dazu.

Nimm es genau so an. Gewähre Dir Trauer,
Enttäsuchung und was auch immer.
Genau jetzt!

Wir Angehörigen haben auch das Recht über unsere Partner wütend zu sein, entkräftet,
unguldig.

Keine schönen Gefühle, aber normale.

Dass sind meine bisherigen Wege, mich abzugrenzen. Es werden hier bestimmt noch
andere Wege aufgeführt. Du wirst Deinen
finden.

Abgrenzung, Selbstfürsorge sind in meinen Augen neben Geduld ( ) die Schlüsselworte.

Paß gut auf Dich auf.

LG
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
chrigu
Beiträge: 2081
Registriert: 20. Mär 2006, 12:20

Re: Wie kann ich da loslassen?

Beitrag von chrigu »

Hallo SucheAustausch,

Du schreibst
>Ich habe das Gefühl, wenn ihn die Depression greift, dann hat er keinerlei Respekt vor mir. Dann bin ich ihm egal.>
Und da möchte ich gerne einhaken. Aus meiner eigenen Depressionserfahrung ist es nämlich genau umgekehrt: Die Depression hat meinen eigenen gefühlten Minderwert verstärkt. Krass gesagt hatte ich in der Depression keinerlei Respekt vor mir selbst. Das äußerte sich darin, dass ich meine eigene Grenzen nicht wahrgenommen und geschützt habe, nicht meiner Persönlichkeit entsprechend agiert und reagiert habe.

Ich war die Person, die mir egal war, nicht mein Partner. Aber in der verqueren Denke der Depression ist das Ergebnis (also das, was jetzt momentan bei Dir ankommt) genau das Gegenteil. Mein Partner hatte damals auch oft das Gefühl, er sei mir egal und ich sei respektlos ihm gegenüber. Dabei war genau das Gegenteil der Fall, ich KONNTE nur einfach nicht anders.

Was ich Dir damit sagen will: Beziehe sein Verhalten nicht allzu sehr auf Dich. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Aber wenn es geht, dann geh einen Schritt zurück und betrachte den Mann, der gerade ziemlich durch ist. Das bedeutet nicht, dass Du nicht das Recht hast, Wut und Ärger zu empfinden und dem Luft zu machen. Das bedeutet nur, die Dinge nicht allzu sehr auf Dich zu beziehen, sondern aus einem etwas veränderten Winkel zu betrachten. Ich denke, das kann ein bisschen für Erleichterung bei Dir sorgen, wenn Du weißt, dass es nicht um persönliche Angriffe auf Dich geht.

Viele Grüße
Chrigu
SucheAustausch
Beiträge: 257
Registriert: 15. Aug 2012, 12:35

Re: Wie kann ich da loslassen?

Beitrag von SucheAustausch »

Hallo Ihr zwei!

Und danke für Eure Antworten. Vor allem Dir, Pia, wo ich ja gelesen habe, dass Du Dich erst mal entfernen willst hier. Danke, dass Du mir noch geantwortet hast.

Zu Dir:

Schwierig wird es, wenn es so spät abends ist. Was bei uns ehrlich gesagt meistens der Fall ist. Dann fällt es mir schwer ins Bett zu gehen und abzuschalten. Mich anderweitig zu beschäftigen... ich lese noch, aber wie gesagt, wenn er dann, wenn ich schlafe, noch längere Zeit wach bleibt, werde ich auch noch mal wach und dann beginnt das Gedankenkarussel.

In diesen Momenten fällt es mir besonders schwer, mich nicht wieder in die gleiche Stimmung ziehen zu lassen, in der ich den letzten Herbst und Winter verbracht habe. Das schaffe ich einfach nicht! Peng! Bin ich wieder drin!

Und auch heute, spüre ich die Nachwehen der gestrigen Nacht. Mache mir Gedanken und drehe mich im Kreis.

Und das obwohl mein Mann es mir heute morgen wirklich beweisen wollte und aufgestanden ist, nachdem ich unsere Tochter angezogen hatte und wir schon unten waren. Er war auch gut drauf. Wirkte nicht verkatert (er hat wohl auch nicht noch mehr getrunken! Puh!) und meinte, er freue sich auf heute Abend.

Tja, mir hat's die Stimmung voll verhagelt.

Aber ich werde mich zusammenreißen und mal sehen. Vielleicht geht es ja und wird doch ganz schön!

Es heißt ja: 2 Schritte vor, 1 Schritt zurück.

Da sind wir wohl gerade..beim Zurück.

Wenn das Thema Alkohol nicht wäre und mich aufgrund des letzten Jahres (und meines trinkenden Vaters) nicht so belasten würde, könnte ich viel viel besser damit umgehen.

Und chrigu, danke auch Dir für Deine Antwort. Das rückt die Perspektive wirklich ein bisschen gerade. Erst dachte ich: jaja, er verachtet sich selbst... Tolles Klischee...

Aber es stimmt, er steckt eben in der Depression und da KANN er vielleicht wirklich nicht anders.

Aber das ist halt was, was ich nicht verstehen kann... Wie kann man nur immer wieder zum Alkohol greifen, wenn es einem nicht gut geht?

Das wäre mir viel zu gefährlich!

Ich kenne das von mir: wenn es mir richtig schlecht geht, dann weiß ich, dass ich nicht viel trinken darf! Denn das ist nicht die richtige Motivation...

Versteht Ihr was ich meine?

Wie kann man nur so dumm sein?

Danke Euch und liebe Grüße

Austausch

PS. Alles Gute Dir, Pia. Ich werde Deine Beiträge hier im Forum vermissen, aber ich kann Dich sehr gut verstehen!
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