Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

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bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von bigappel »

Liebe Mosaic,

für Deine Sichtweise zu meiner derzeitigen Situation (natürlich auch von allen
anderen Forumsteilnehmern) wäre ich Dir wirklich sehr dankbar.

Ich weiss, Du hast nie Tabletten genommen (AD), aber trotzdem würde
ich gerne lesen, was Du darüber denkst.

Mein LG ist ja schon lange krank; die Situationen, wie sie jetzt herrscht, kennt
er wohl schon sein Leben lang, hat sich dann halt zu Hause vergraben und abgewartet,
bis der Zustand vorüber geht.

Jetzt sind meine Tochter und ich ja seit geraumer Zeit in seinem Leben und verstecken
klappt nicht mehr……….. Es ist jemand da, der mitbekommt, was er erträgt und der hinter-
fragt. Erst jetzt scheint ihm bewusst zu werden, dass es Leben gibt, in denen es anders läuft. Das sein Leben mit dem, was er trägt, möglicherweise ungewöhnlich ist.

Mein LG hat depressive Phasen mit rundum negativen Gedanken und Phasen, wo es ihm
nicht gut geht, er aber wenigstens keine negativen Gedanken hat, wir nennen das
"Flatline". Auftauchen ins Positive ist selten und gering intensiv.

Selbstzerstörerische Gedanken sind kein Thema.

Seit Anfang Oktober 2011 nimmt er AD, da sein Denk- und Ausdrucksvermögen meist
massiv gestört ist. Er kann dann nicht mal den Ärzten sagen, wie es ihm geht, was los ist,
was seine Beschwerden sind, er existiert vor sich hin.

Die Medikamente haben kurze Zeit sehr gut geholfen, sein Antrieb war sehr gut, sein
sonstiges Befinden auch, er fühlte sich geheilt. Eine kurze Dauer.
Medikament in der Dosierung erhöht, wirkte wieder gut (immer so für eine Woche), dann
Abwärtstrend. Dosierung erhöht, Spiel geht weiter.
Er ist jetzt bei 300 mg angekommen; Höchstdosierung und hat nach Rat seiner Psychiaterin
nochmal 2 Wochen gewartet, ob sich etwas positiv verändert; nix.
Eine weiteres AD, schlaffördernd, sollte eventuell ergänzend verordnet werden.

Heute war er bei der Ärztin, hat ihr seine Problematik vorgetragen, sich nämlich seltenst
konzentrieren / denken zu können usw.
Sie hat gesagt, ein anderes Medikament auszuprobieren (Wechseln) wäre schlecht in dem
Umfeld (mit anderen Worten, nicht stationär), ergänzend soll ein weiteres AD genommen
werden, was schlaffördernd ist (er hat keine Schlafprobleme; jedoch morgens Antriebs-
probleme). Das Ganze soll zwei Wochen ausprobiert werden, danach weiß sie nicht mehr
weiter.

Jetzt sitzt mein LG zu Hause, heult sich die Augen aus dem Kopf, die Depression hat ihn
massiv im Griff.

Er weiß nicht genau, warum er weint; kann sich auch nicht äußern.

Und was mache ich?
Zugucken?

Er kann mir kaum antworten, heult nur, fühlt sich für alles schuldig, will mich nicht belasten, die volle Depressions-Palette also.

Ich kann hier nicht weg, hab heute Abend auch volles Programm, welches ich schlecht
abändern kann (hätte massivste Folgen für meine Tochter), aber auch wirklich kein gutes
Gefühl, ihn so sich selber zu überlassen.

Aber was soll ich tun?
Ich habe schonmal überlegt, ob, wenn die depressive Phase abgeklungen ist, mit ihm zu sprechen,
eine Beratungsstelle des sozialpsychiatrischen Dienstes aufzusuchen im Hinblick auf die Einholung
einer weiteren Meinung bezüglich der Medikamente pp.

Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass er einfach seinem "Schicksal" ausgeliefert ist.
Er stammelt immer nur, er will so nicht weiterleben (nicht selbstzerstörerisch gemeint, sondern
im Hinblick auf Veränderung), hat aber keine Kraft mehrere Ärzte aufzusuchen, auch, weil
er sich nicht ausdrücken kann, weil nicht konzentrieren.

Das Ganze erscheint mir eine üble Spirale.

Mh. Irgendwie bin ich völlig ratlos ………..

Was hälst Du davon; muss man die Depression wirklich einfach dauerhaft "ertragen"?

Schonmal Danke;
ratlos

Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von rosecottage »

Liebe Pia,

Das hört sich alles sehr schlimm an und ich kann euch beide sehr gut verstehen.

Alles was du von deinem Freund berichtest, also sein Verhalten aber vorallem seine Äußerungen kenne ich zu 100% von mir selbst - auch wenn es schon lange her, sodass ich mich beim Lesen gar nicht wie eine Betroffene fühle, sondern wie jemand, der von außen draufschaut. Mir fällt ganz viel ein, was ich dir schreiben könnte und ich werde es gerne tun, aber ich würde gerne meine Gedanken dazu etwas sortieren und später ausführlicher schreiben. Leider wird meine Hauptaussage darauf hinauslaufen, dass dein Freund Hilfe annehmen muss - etwas anderes hast du sicher nicht erwartet.

Zu deiner Frage, ob man die Depression "wirklich einfach dauerhaft ertragen" muss, kann und will ich ein ganz klares NEIN antworten...

Mir fallen zu deinem Beitrag mehrere Dinge ein, die ich für sehr wichtig halte, die ich aber nicht in dieses Forum schreiben werde (wg. der Forumsregeln), deshalb biete ich dir für die speziellen Themen einen Austausch per Mail an - mein Profil ist offen.

Ich muss jetzt für ein paar Stündchen weg und dann melde ich mich wieder. Vielleicht fällt den anderen Lesern auch einiges ein

Zu der Situation heute abend: nimm deinen Termin wahr - du kannst nicht alles auf ihn ausrichten und so hart wie das jetzt klingt: er kennt diese Verzweiflung ja schon, er wird sie auch heute Abend ertragen. Oder um es noch deutlicher zu sagen - die meisten depressiven Menschen sind in so einem Zustand wie der, in dem sich dein Freund gerade befindet, gar nicht in der Lage sich etwas anzutun... vielleicht kannst du für ihn per handy errechbar bleiben? Mir hat es immer geholfen, wenn ich jemnaden anrufen konnte.

Neulich hat jemand irgendwo in diesem Forum das Märchen von der Traurigkeit aufgeschreiben und ich finde den Thread jetzt nicht mehr... aber ich hatte es mir gespeichert. Ich kopiere es dir hier herein, weil ich finde, dass es gerade passt:


Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.

Bei der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.

Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: "Wer bist du?"
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimmen stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.
"Ach, die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber..." argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"
"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"
"Ich... ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.

Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt." Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.

"Ach, weißt du", begann sie zögernd und äußerst verwundert, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest." Die Traurigkeit schluckte schwer. "Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen." "Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt.

Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll. "Ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt."

Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre nette Gefährtin: "Aber... aber – wer bist eigentlich du?"
"Ich", sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein Mädchen: "Ich bin die Hoffnung."


Liebe Pia, meine Oma hat mich einmal in der tiefsten Phase meiner Depression gesehen und war völlig hilflos. Sie wusste nicht, dass ich krank bin... sie streichelte mir über den Kopf und sagte: "Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her."
Dieses Sprichwort mag naiv klingen, wenn so viel Verzweiflung offenbar wird, aber es liegt viel Wahrheit darin...

Liebe Grüße & bis nachher
mosaic
julcas
Beiträge: 569
Registriert: 11. Mär 2011, 17:57

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von julcas »

Liebe Pia,

wie gut ich dich verstehen kann. Ich schicke dir eine ganz feste Umarmung die von Herzen kommt.

Bei meinem Freund würde in dieser furchtbaren Situation kurzfristig helfen, wenn ich ihn in den Arm nehmen würde und ihn einfach halten, wortlos. Lässt dies dein LG zu?

mosaic hat Recht. Deinen Termin heute abend solltest du wahrnehmen. Mit dem Handy, das ist eine gute Idee.

Ich kann so gut nachfühlen,, wie sehr dich (euch beide) diese besch. Situation aufwühlt. Ihr kämpft schon so lange (dein LG noch viel länger) und es scheint immer noch etwas dazu zu kommen. Ich kann dir leider nichts raten, würde dieser Situation auch erst mal hilflos gegenüber stehen.

Ich denke an dich, auch wenn es nicht wirklich hilft.

lg julcas



Liebe mosaic,

die Geschichte von der Traurigkeit und der Hoffnung treibt mir die Gänsehaut über den Körper und die Tränen in die Augen. sooooo wahr.

lg julcas
Nic9
Beiträge: 150
Registriert: 27. Okt 2011, 14:07

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von Nic9 »

Liebe Mosaic,

die Geschichte ist wunderschön!!!
Mir stehen die Tränen in den Augen. Erinnert mich iwi an meine "Geschichte der Liebe"!

Meinst du, dass ich ihm die Geschichte der Traurigkeit schicken könnte, oder lieber nicht!?

LG

Nic
__________________________________________

Liebe Pia,

deine Situation tut mir leid.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft.

Lg

Nic
wiwi
Beiträge: 99
Registriert: 17. Dez 2011, 22:59

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von wiwi »

hallo pia,
ich kenne das gut, wir warten auch auf einen weiteren psychater termin und die tabletten werden auch gerade umgestellt.
die zeit ist glaub ich echt hart für sie... und für uns zum zusehen auch.

schicke dir viel kraft und wäre schon auch gespannt auf mosaics antworten.... vielleicht gehts doch im forum?

liebe grüße,
wiwi
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von bigappel »

Danke, Ihr Lieben, für Eure sehr netten Worte.

Vielen Dank auch Dir, liebe Mosaic.

Bin schon wieder etwas ruhiger; bin zu Hause, mein Schatz hat in meinen Armen geweint, aber das ist völlig in Ordnung.

Alles was raus ist, ist gut.
Er konnte sogar äußern, dass es ihm gut tut, dass ich da bin.

Heute Abend muss ich auf jeden Fall los; möchte ich auch; meine Tochter ist nunmal auch ein sehr wichtiger Mensch und eben nicht erwachsen.

Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie heute Abend nicht auftreten dürfte (Showtanzgruppe und das Fernsehen kommt).
Das geht gar nicht!

Liebe Mosaic, ich werde sehr gerne auf Dein Angebot eingehen und Dich privat anmailen;
heute werde ich es wohl nicht mehr schaffen;
bis wir alles bühnenreif gespachtelt haben und vom Auftritt zurück sind, ist es spät.
Aber ich komme jeden Fall auf das Angebot zurück.

Vielen Dank dafür!

Ihr Lieben, es tut einfach gut, dass Ihr mich wahrnehmt.

Es wird schon weitergehen; aber ich kenne mich selber einfach zu wenig aus mit dem Thema um wirklich zu wissen, wann ich ihn anschubsen sollte und wann nicht.

Naja, wird schon.
Handyzeitalter ist eh da; aber er wird nicht
anrufen...... er liebt meine Tochter auch und ich kenne ihn, er würde eher leiden, als darauf bestehen, dass ich alles absage.

Aber ich würde es wohl auch nicht tun.
Das ist noch ein komisches Gefühl für mich.....

Danke Euch von Herzen und weiter geht ´s.

Von Herzen liebe Grüße
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
Lilie1981
Beiträge: 230
Registriert: 12. Dez 2011, 22:15

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von Lilie1981 »

@ Pia

Du machst ja ganz schön was durch zur Zeit..
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und vorallem das du dich gut pflegst und auf Dich achtest!
Drück Dich


@ Mosaic

Die Geschichte ist wirklich sehr, sehr schön...habe Gänsehaut bekommen und bin sehr gerührt!
Werd sie mir auch abspeichern!
Danke dafür!

@ Nic

Mein Gefühl sagt mir schick ihm die Geschichte lieber nicht.

Hatte bei der Geschichte der Liebe auch überlegt es ihm zu senden..

hab es nicht gemacht.. Weiss nicht so recht, es sind schließlich Männer und in der Depression weiss ich echt nicht ob das so "ankommt" !

LG
Lilie
julcas
Beiträge: 569
Registriert: 11. Mär 2011, 17:57

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von julcas »

Liebe Pia,

>Es wird schon weitergehen; aber ich kenne mich selber einfach zu wenig aus mit dem Thema um wirklich zu wissen, wann ich ihn anschubsen sollte und wann nicht.>

Das ist ein großes Thema, über das ich auch immer wieder stolpere.

Es ist schön zu lesen, das du schon etwas ruhiger bist.
Manchmal frage ich mich, was ein Mensch alles aushalten muss in einem einzigen Leben. Und da denke ich ehr nicht an uns Angehörige, sondern an unsere Lieben.

Ich wünsche uns Allen das endlich die Sonne wieder scheint.

Dir liebe Pia wünsche ich trotz allem heute abend ganz viel Spaß mit deiner Tochter.

lg julcas
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von rosecottage »

Liebe Pia
Ich will versuchen, jetzt näher auf deinen Beitrag einzugehen.

Aber erst mal @Nic:
Ja, warum solltest du deinem Freund die Geschichte nicht schicken? Sie vermittelt ja wörtlich die Hoffnung . Ich habe bei mir und anderen depressiven Menschen oft erlebt, dass der Gebrauch von Metaphern einem das Ausdrücken von Empfindungen und Gedanken sehr erleichtern kann, weil sie einem zum einen ermöglichen einen Schritt zurückzutreten und die Depression mehr von außen zu betrachten, aber gleichzeitig verdeutlichen, wie es in einem aussieht – und das besser als es 1000 Worte vermögen. Mich hat die Geschichte auch an deine Geschichte der Liebe erinnert und ich glaube, dass solche Geschichten genau dann entstehen, wenn man nach einem Bild sucht, dass jeder versteht.


Pia, ich möchte mit deiner letzten Frage beginnen:
"Was hälst Du davon; muss man die Depression wirklich einfach dauerhaft "ertragen?"
Vorhin habe ich schon ein klares Nein geantwortet – ich möchte das jetzt ausführen. Dein Partner ist etwa so lange depressiv wie ich – er hat jedoch einen ganz anderen Weg des Umgangs damit gewählt. Du schreibst dazu: „…die Situationen, wie sie jetzt herrscht, kennt er wohl schon sein Leben lang, hat sich dann halt zu Hause vergraben und abgewartet, bis der Zustand vorüber geht.“

Ich bleibe dabei, dass er die Depression nicht dauerhaft ERTRAGEN muss. Aber sie wird nicht einfach verschwinden, denn das tut sie auch nicht bei Betroffenen, die medikamentös gut eingestellt sind und sich in Therapie befinden. Wir können uns dem Thema nicht so schwarz-weiß nähern – also entweder sie verschwindet oder man muss sie ertragen. Ich würde stattdessen sagen, man kann MIT IHR LEBEN.

Aber man kann natürlich nur (gut) mit etwas leben, was einen nicht unentwegt quält.
Und das erfordert – sorry, ich werde mich jetzt öfter wiederholen müssen, was ich schon in anderen Beiträgen schrieb – Krankheitseinsicht, das Annehmen von Hilfe und die Akzeptanz der Erkrankung.
Da dein Freund bisher gar keine therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hat (korrigiere mich bitte, wenn ich was Falsches schreibe, denn manches habe ich nicht immer so auf dem Schirm…), ist die Krankheit kontinuierlich fortgeschritten – ohne dass er eine spürbare (positive) Entwicklung durchgemacht hat.

Wir müssen, denke ich, realistisch bleiben und dürfen jetzt nicht zu viel auf einmal erwarten – auch wenn er sich in Therapie begibt. Eine Therapie ist meiner Meinung nach unumgänglich, zumal die medikamentöse Behandlung langsam ihre Grenze erreicht hat, wie seine Ärztin signalisiert hat.
Medikamente können ein wichtiger Baustein in der Behandlung sein aber um ein Haus zu bauen, braucht es viele Steine, Türen, und Fenster…


Du schreibst: „Auftauchen ins Positive ist selten und gering intensiv.“
Dazu könnte ich einen Roman schreiben, denn darin lag für mich ganz persönlich mein Weg aus der bedrohlich, tiefen Depression hin zu einem zuversichtlichen Leben mit der Depression. Ich versuche mich trotzdem kurz zu fassen, denn das hilft dir als Angehörige wenig - das muss er selbst leisten. Meine Erfahrung, die ich neuliuch schonmal geschildert habe (sorry, wenn ich mich zu oft wiederhole):

In den Jahren der tiefen Depression habe ich manchmal nur für kurze Augenblicke gespürt, dass ich mich noch freuen kann… einige Sekunden und dann war das Gefühl wieder weg. Nachdem ich das mehrfach erlebt hatte, stand die Enttäuschung im Vordergrund, dass das Positive nicht bleibt bzw., dass ich es nicht halten kann. Irgendwann begann ich zu realisieren, dass die guten Gefühle – wenn auch nur ganz kurz – immer wieder kamen. Sie waren also in mir und gehörten zu mir. Das machte ich mir immer wieder bewusst. Und über eine Entwicklung von Monaten und Jahren wurden die guten Phasen länger – erste Minuten, dann Stunden, dann Tage, dann Wochen, dann Monate – und mit Anfang 30 erlebte ich eine dreijährige (fast) symptomfreie Zeit. Das erforderte eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Fähigkeit Hoffnung zu empfinden und das Positive zuzulassen und ging einher mit der Akzeptanz, dass die negativen Phasen genauso zu meinem Leben gehören.

Was ich damit sagen will, ist, dass es im Moment nicht wichtig ist, dass „das Auftauchen ins Positive selten und gering intensiv“ ist – wichtiger ist, dass dein Freund die Gewissheit erlangt, dass es ihm überhaupt möglich ist, das Positive zu empfinden. Das schafft er aber nicht ohne Therapie.


Du schreibst: „Selbstzerstörerische Gedanken sind kein Thema.“ Hier komme ich an die Grenze, die ich bereits benannte – zu manche Themen werde ich im Forum nichts schreiben, weil ich es in der Deutlichkeit, die ich für erforderlich halte nicht darf. Vielleicht dann per Mail…


Du schreibst: „Er kann dann nicht mal den Ärzten sagen, wie es ihm geht, was los ist, was seine Beschwerden sind, er existiert vor sich hin.“ und „Er weiß nicht genau, warum er weint; kann sich auch nicht äußern.“ und „Er stammelt immer nur, er will so nicht weiterleben (nicht selbstzerstörerisch gemeint, sondern im Hinblick auf Veränderung), hat aber keine Kraft mehrere Ärzte aufzusuchen, auch, weil er sich nicht ausdrücken kann, weil nicht konzentrieren.“

Wenn seine Depression 30 Jahre besteht und ausschließlich mit Medikamenten behandelt wurde, hat dein Freund vermutlich schlicht keine Worte für sein Befinden – das wundert mich nicht, denn er hat nie gelernt, seine Gedanken, Gefühle und Symptome zu ordnen und zu benennen. Im Laufe der Jahre kam immer noch was dazu – es ging aber nie etwas raus… Er ist damit überfordert – er kann nur noch weinen und er weiß, dass er SO nicht weiterleben will. Dass er sich nicht konzentrieren kann, kann ein Symptom der Depression sein – das beschreiben viele Betroffene, aber hier kommt, denke ich, noch hinzu, dass so viel in ihm „arbeitet“, dass er nur noch will, dass es aufhört – ich kenne dieses Gefühl sehr gut von früher.
Es ist gut, dass du ihn weinen lässt – besser kannst du nicht reagieren. Du zeigst ihm, dass du für ihn da bist, ihn SO annimmst. Das Weinen kann ihn sehr erleichtern.


An dieser Stelle möchte ich gerne den Begriff KRISE einmal näher beleuchten: Krise bedeutet Entscheidung / Wendepunkt.
Manchmal muss sich die Krise erst zuspitzen, bevor wir handeln und entscheiden können, wie es weitergehen soll. Mir scheint, dein Freund ist gerade genau an diesem Punkt und der Zusammenhang könnte u.a. hier liegen – du schreibst: „Jetzt sind meine Tochter und ich ja seit geraumer Zeit in seinem Leben und verstecken klappt nicht mehr……….. Es ist jemand da, der mitbekommt, was er erträgt und der hinterfragt. Erst jetzt scheint ihm bewusst zu werden, dass es Leben gibt, in denen es anders läuft. Das sein Leben mit dem, was er trägt, möglicherweise ungewöhnlich ist.“
Die Entscheidung / Wendung, die nach der Zuspitzung der Krise erfolgt kann in die eine oder andere Richtung erfolgen. Vielleicht führt sie deinen Freund zu der Einsicht, dass er Hilfe braucht. Anders als beim Thema Co-Abhängigkeit, welches wir in der letzten Zeit ja öfter hier hatten, ist es für den Betroffenen jetzt wichtig, nicht allein gelassen zu werden. Wenn du als Angehörige es aushalten kannst, wäre es wichtig für ihn zu spüren, dass er nicht allein ist. Das heißt leider trotzdem nicht, dass du aktiv viel tun kannst, aber ihn spüren zu lassen dass du ihn annimmst, kann ihm jetzt einen Sinn geben – erschwert wird das natürlich durch sein Schuldgefühl und dass er dich nicht belasten will.


Du schreibst: „Aber was soll ich tun?
Ich habe schonmal überlegt, ob, wenn die depressive Phase abgeklungen ist, mit ihm zu sprechen, eine Beratungsstelle des sozialpsychiatrischen Dienstes aufzusuchen im Hinblick auf die Einholung einer weiteren Meinung bezüglich der Medikamente pp.“

Ganz ehrlich, ich denke, dein Freund braucht keine Beratung, keine zweite Meinung oder noch mehr Medikamente – dein Freund braucht eine stationäre Therapie.
Und damit schließt sich der Kreis….

Dein Thema ist ja das Loslassen, Pia… dazu fällt mir ein, dass es vielleicht Zeit ist, die Verantwortung an ihn abzugeben (das habe ich dir schon einmal geschrieben und jetzt die Krise für ihn (und für dich) arbeiten zu lassen – das schließt ja nicht aus, dass du zu ihm stehst. Aber es schließt aus, dass du versuchst ihm einen Prozess abzunehmen, den er selbst durchmachen muss – nämlich zu dem Schluss zu gelangen, dass er Hilfe braucht.


Ich habe viel geschrieben, aber seien wir ehrlich, viel Neues war nicht dabei – alles läuft darauf hinaus, dass der Bertoffene selbst erkennen und den ersten Schritt tun muss, während der Angehörige mit seiner Hilflosigkeit kämpft.

Was bleibt mir, außer dir Kraft zu wünschen? Ich fühle mich auch gerade hilflos… aber das gehört immer ein Stück weit dazu - genau wie die Hoffnung

Liebe Grüße von mosaic

P.S.: Ich hoffe du hattest einen wunderschönen Abend mit deiner Tochter und bist mega-stolz auf die Tänzerin!!!
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von bigappel »

Liebe Mosaic,

der gestrige Abend ist richtig gut verlaufen und es war gut, ihn wie geplant wahrzunehmen.

Meinem LG geht es schlecht.

Ich bin einfach nur völlig platt, allerdings "normal" platt, weil momentan standardmässig 5 Stunden schlaf ist wirklich bei voller Berufstätigkeit pp anstrengend.

Das hat jetzt rein gar nichts mit der Erkrankung meines LG zu tun, sondern ausschließlich mit meiner Tochter, die ich momentan zu extrem vielen Auftritten begleiten möchte und muss.

Das ist sehr zeitaufwendig und geht - gerade am Wochenende - richtig, richtig lange; so waren wir letztes Wochenende um 3.30 Uhr sonntags im Bett, um um 8.00 Uhr wieder aufzustehen; das war grauselig.

Aber es tut so gut zu sehen, wiesehr sie aufblüht, in dem sie ihr Hobby pflegt und es ist zeitlich in dieser Intensität begrenzt (sonst würde ich wirklich schlapp machen).

Ich möchte gern in Ruhe Deinem wirklich gelungenen Beitrag antworten. Dies würde ich auch sehr gerne privat tun und ich werde mir Deine Mail-Adresse notieren und mich melden, wenn ich den Kopf wieder frei habe.

Aber mir ist es ganz wichtig an dieser Stelle Dir zu danken und Dir zu schreiben, wie wichtig Deine Antwort für mich war.

Es mag sein, dass Du Dich wiederholst, aber das ist auch richtig. Irgendwie muss ich immer und immer wieder lesen, verstehen, akzeptieren, dass es zu der Erkrankung gehört, als Angehöriger hilflos zu sein und dass er seinen Weg alleine diesbezüglich gehen muss und letztlich ausschließlich er entscheidet, Hilfe anzunehmen oder nicht.

Liebe Mosaic, Du hast mir mit Deinem Beitrag sehr geholfen; mir vieles erklärt, bestätigt, anerkannt, mich wahrgenommen und Ernst genommen und die anderen Forianer mit ihren netten Worten auch.

Ganz, ganz herzlichen Dank dafür!

Ich hätte ehrlich nie gedacht, dass so ein anonymes Forum helfen, weiterbringen und sogar gut tun kann!

Ich melde mich liebe Mosaic, sobald ich nicht mehr das Gefühl habe vor dem PC einzuschlafen.

Fühl Dich von Herzen freundschaftlich gedrückt.

Pia

P.S. Nur vorab zur Info.
Mein LG war 1,5 Jahre ambulant in Therapie und von September an 3 Monate in einer Tagesklinik.

Er hat die Tagesklinik mit dem Gefühl verlassen, nichts könnte ihm mehr helfen; dies auch deshalb, weil der dortige Chefarzt und sein Team nicht genau wußten, was sie mit meinem LG machen sollen und der Chefarzt irgendwann zu ihm gesagt hat: könnten sie es überhaupt aushalten, in ihrem Leben glücklich zu sein.

Ehrlich gesagt hat mich dieses Verhalten von einem Profi sehr irritiert und der Stich, "das nichts und niemand" ihm mehr helfen kann, sitzt tief. Er hat mit Kräften versucht sich auszudrücken, was ihn wie belastet, konnte sich aber nicht verständlich machen.
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
rosecottage
Beiträge: 378
Registriert: 22. Dez 2011, 18:58

Re: Mosaic; könntest Du mir Deine Sichtweise aufzeigen?

Beitrag von rosecottage »

Hallo Pia,

Danke für deine Rückmeldung.

Ich freue mich auf deine Mail.

Bis bald - wenn du den Kopf frei hast

Liebe Grüße
mosaic
Antworten