Gehen oder bleiben?

[Anita]

Liebe Forianer,

noch heute nachmittag habe ich hier einen Beitrag gepostet, es war alles soweit in Ordnung.

Aber jetzt bin ich fix und fertig und weiss mir einfach keinen Rat mehr.

Seit 10 Jahren lebe ich mit meinem Partner (ich bin 53 Jahre alt, er ist 68) in seinem Haus auf dem Land. Als wir uns kennenlernten, ging es mir sehr schlecht, ich hielt mich eigentlich nicht für partnerschaftsgeeignet, aber er hat mich sehr unterstützt und mir unwahrscheinlich viel geholfen. So bin ich auch nach relativ kurzer Zeit zu ihm gezogen.

Aber dann zeigte er sein wahres Gesicht. Solange alles so lief, wie er sich das vorstellte, war alles in Ordnung. Wagte ich es aber, eine andere Meinung als er zu haben oder Dinge im Haushalt oder des täglichen Lebens anders zu regeln als er, ging das Theater los. Er hat mich aufs Schlimmste beleidigt und mir sogar meine Krankheit zum Vorwurf gemacht. Ich bin geblieben, habe dann aber innerhalb von drei Jahren zwei Selbstmordversuche gemacht. Und immer war er erst ganz nett, wurde dann aber wieder zunehmend ekliger.

Durch meine Depressionen und meine ausgeprägten Panikattacken wußte ich aber nicht, wo ich hätte hingehen sollen. Ich war doch gar nicht in der Lage, meinen Alltag allein zu bewältigen. Also bin ich geblieben.

Eine Zeitlang ging es auch ganz gut, aber dann ging alles wieder von vorne los. Ständig macht er mir Vorwürfe, was ich alles falsch mache, dass ich keine Ahnung hätte, eine dumme Kuh bin, herumlabere, nicht über den Tellerrand schaue, usw. Schlimm finde ich vor allen Dingen, dass er immer äußerst laut, ausfallend und beleidigend wird. Dann wieder kommt er an und sagt, ach, meine kleine Nita, ich liebe Dich! Das ist eine regelrechte Zuckerbrot- und Peitsche-Taktik, ich kann mich auf nichts verlassen.

Zu seiner älteren Tochter habe ich sehr guten Kontakt; sie sagte mir, dass er schon früher so gewesen sei und dadurch auch seine beiden vorherigen Ehen gescheitert seien.

Ich bin jetzt ziemlich fertig und weiss einfach nicht mehr, was ich noch machen soll. Ich will mir nicht den Mund verbieten lassen, und ich habe doch ein Recht auf eine eigene Meinung.

Ich hatte gedacht, hier zusammen mit ihm bis ans Lebensende bleiben zu können; das hatten wir beide uns einmal - in einer guten Phase - geschworen. Aber so kann es doch nicht weitergehen.

Wie seht ihr das???

Anita (die jetzt vor dem PC sitzt und weint)

[Mareice]

Liebe Anita,

ich habe noch nie einen Beitrag von Dir gelesen und habe leider auch gerade nicht viel Zeit Dir zu antworten, ich will Dir aber trotzdem kurz schreiben, weil mich Dein Post sehr bewegt hat.

Was Du schreibst, hat aus meiner Sicht zunächst einmal mit Depressionen nicht so viel zu tun - denn ich denke, dass niemand, sei er nun depressiv, anderweitig chronisch krank, behindert etc. etc. sich von einem Partner schwer beleidigen lassen muss. Wir Angehörigen tun uns zugegebenermaßen ab und zu etwas schwer, die Krankheit zu verstehen, aber das rechtfertigt keine Beleidigungen und kein ausfallendes Verhalten.

Ich bin selbst als Kind einer zerstörten Ehe aufgewachsen, in der Alkohol, Beleidigungen und Gewalttätigkeiten (von Vaterseite) aus häufig waren... bis meine Mutter die Sachen gepackt hat und ausgezogen ist. Mittlerweile ist sie wieder glücklich und auch in einer glücklichen Beziehung. Ich mag mir nicht ausmalen, wie es ihr jetzt ginge, wäre sie damals nicht gegangen. Was ich Dir damit sagen will: Du hast nur dieses eine Leben, willst Du bis ins hohe Alter hinein so leben? Du brauchst einen Partner, der Dich unterstützt, nicht einen, der Dich noch mehr runterzieht. Wenn Du nicht aus eigenen Stücken die Kraft hast zu gehen, lass Dich von Freunden oder auch professionell unterstützen. Das ist schaffbar.

Alles Gute
Mareice

[Schnuck77]

Liebe Anita,

ich möchte mich Mareice anschließen. Was du beschreibst klingt nach emotionaler Misshandlung. Er manipuliert dich und macht dich von ihm abhängig.
So wirst du aber sicher nicht gesund. ich glaube, du hast schon ganz viel für dich erkannt, dein posting liest sich, als wüsstest du die Antwort schon selbst - und bräuchtest nur noch einen Schub von außen. Den kann dir hier natürlich nicht wirklich einer geben.

Aber suche dir Freunde, und wenn die fehlen oder eben auch SEINE Freunde sind, gehe zu einer Beratungsstelle, es gibt in größeren Städten eine Menge Angebote, seitens der Kirche oder der Stadt, es gibt krisenzentren. Zur Not ruf bei der Telefonseelsorge an, die können die Kontakte in deiner Nähe vermitteln.

Ich wünsche dir alles Gute, viel Kraft und Mut - und vor allem, das weise Wissen, was gut für dich ist und das du in dir trägst, im richtigen Moment zu erkennen.

Liebe Grüße,
Schnuck

[Anita]

@Mareice und Schnuck,

danke für eure Beiträge. Lieb von euch, dass ihr euch Zeit genommen habt.

Ja, ihr beide habt recht. Im Grunde weiß ich, dass ich gehen muss. Aber es fällt mir so unwahrscheinlich schwer.

Ich hatte geglaubt, endlich angekommen zu sein, endlich einen Ruhepol zu finden, um ein zufriedenes Leben zu führen. Damit meine ich jetzt nicht nur meinen Partner, sondern auch die Umgebung, auf dem Land zu leben und Freunde in der Nähe zu haben.

Jetzt ist aber gerade dieses Landleben mein Problem; durch meine Panikattacken bin ich nicht in der Lage als ausser im Ort irgendwo hinzufahren. Und einkaufen kann ich auch nicht allein.

Ich weiss, dass es nicht besser wird, wenn ich diese Dinge vermeide, aber ich fühle mich so am Boden zerstört, dass ich einfach nicht die Kraft habe, diese Dinge anzugehen.

Ich frage mich immer öfters, was das alles überhaupt noch soll. In diese Beziehung habe ich so viel Energie gesteckt; nach meiner Scheidung wollte ich dieses Mal alles richtig machen, und wieder klappt es nicht.

Außerdem bin ich kein Mensch, der gern alleinlebt. Das habe ich zwar während meines Studiums und auch in meinen ersten Berufsjahren gemacht, aber so richtig gefallen hat's mir nicht. Und nun steht auch noch Weihnachten vor der Tür ... Es ist zum Heulen.

Anita

[pero]

Hallo Anita,
ich bin mir ziemlich sicher das du genau weisst was richtig für Dich ist. Ich verstehe aber auch das das mit sehr vielen Ängsten verbunden ist. Ich glaube das Du Dich besser fühlen wirst wenn Du die ersten Schritte gemacht hast.
Wäre es vielleicht eine Möglichkeit in ein Frauenhaus zu gehen?
Ich glaube es könnte einfacher sein sich eine neue Wohnung und ein neues Leben aufzubauen wenn man erst mal die gemeinsame Wohnung verlassen hat.
Und vielleicht wäre es auch eine Idee sich eine Wohnung in einem Wohnprojekt zu suchen um so mehr Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen.
Auf jeden Fall sind soziale Kontakte nicht hoch genug zu bewerten. Gute Freunde machen das Leben lebenswert und einfacher. Und die kann man in jedem Alter finden...

lg
pero

[Nico Niedermeier]

Auch hier fällt es der Moderation nicht leicht einen Bezug zum Thema DEPRESSIONSFORUM herzustellen...wir hatten nicht den Eindruck das Ihr Partner wegen einer Depression so reagiert?!
Grüße von der Moderation

[Mareice]

Hallo Herr Dr. Niedermeier,

ich hatte eher das Gefühl, dass Anita hier die Betroffene ist... Deswegen fand ich es gar nicht so schlecht platziert im Angehörigenteil und habe deshalb auch darauf geantwortet. Auch wenn das Verhalten des Partners sicher an sich nichts mit Depressionen zu tun hat.

Abendlichen Gruß,
Mareice

[Anita]

Hallo Herr Dr. Niedermeier,

ich habe das Thema hier platziert, weil ich nicht wußte, wo ich das sonst machen sollte. Die Betroffene bin ich, das ist richtig, nicht mein Partner; aber beim Thread "Umgang mit der Krankheit" wäre ich doch auch nicht richtig gewesen, oder? Oder wohin hätte ich es sonst einstellen sollen???

@pero
Danke für Deinen Beitrag, pero. Ich habe heute von einer Bekannten erfahren, dass es sogar hier auf dem Land eine Konflikt- und Beratungsstelle gibt. Dort habe ich angerufen und habe nun Montag einen Termin. Und dann schaue ich weiter.

LG

Anita

[Anita]

Hallo liebe Forianer,

ich wollte nur kurz mitteilen, dass mein LG und ich gestern ein gutes und konstruktives Gespräch geführt haben. Wir konnten uns in Ruhe und mit der nötigen Distanz unterhalten und haben erst einmal ein paar wichtige Dinge geklärt.

Natürlich ist damit für mich noch nicht alles wieder "beim Alten", aber es war doch eine gute Erfahrung.

Wegen dieser Auseinandersetzung hatte ich in der letzten Zeit starke Schlafstörungen, obwohl ich mein Seroquel genommen habe. Außerdem war mir ständig übel.

Heute werde ich mich einmal bei einer Hot-Stone-Massage verwöhnen lassen; den Beratungstermin am Montag, dem 19.12., werde ich aber nach wie vor wahrnehmen.

LG
Anita

[Mareice]

Liebe Anita,

das hört sich doch erst mal gut an! Ich wünsche Dir trotzdem ein gutes Beratungsgespräch, und heute viel Entspannung!

LG Mareice

[Anita]

Liebe Mareice,

danke, dass Du geschrieben hast!!

Ja, die Massage war wunderbar. Ich konnte ganz toll entspannen.

Normalerweise halte ich nicht viel von Vorsätzen für's Neue Jahr, aber ich habe schon jetzt den Vorsatz getroffen, mehr in mich zu "investieren". So, wie es in der Vergangenheit lief, kann es nicht weitergehen. Ich habe mich viel zu sehr vernachlässigt.

Natürlich lag das auch an meinen Depressionen und Panikattacken, die mich sehr eingeengt haben. Aber es muss anders werden, so wie bisher läuft's nicht weiter:

"Problem

Verstehen kann man das Leben nur rückwärts.
Leben muß man es aber vorwärts.

Sören Kierkegaard"

Liebe Grüße an Dich, Mareice!

Anita

[Anita]

Liebe Forianer,

heute hatte ich mein Gespräch in der Beratungsstelle, und es ist sehr gut verlaufen. Ich habe mich sehr gut verstanden gefühlt, und die Therapeutin und ich konnten viele Punkte aufdecken.

Es ist halt auch so, dass ich sehr an meinem Lebenspartner hänge; als es mir wegen der Depressionen und der Schlaftabletten sehr, sehr schlecht ging, hat er voll hinter mir gestanden und mich untersützt, wo er nur konnte. Das ist sicherlich auch nicht selbstverständlich.

Mein Problem ist halt auch, dass ich oft bestimmte Verhaltensweisen meiner Mitmenschen auf mich beziehe und mich dann verletzt und getroffen fühle. Zum Beispiel hat mein LG, wenn er sauer war, oft gesagt, lass mich jetzt besser in Ruhe. Ich aber habe nicht nachgegeben und wollte immer weiter ausdiskutieren. Hätte ich das nicht gemacht, wäre vielleicht manche Streiterei ausgeblieben.

Selbstverständlich darf er mich nicht anbrüllen und verbal beleidigen, das geht auf keinen Fall, aber ich sollte auch nicht immer alles auf mich beziehen.

Wenn es mir das nächste Mal zu "bunt" wird, werde ich einfach eine Bekannte, die ich kürzlich kennengelernt habe und die in meinem Ort wohnt, anrufen und mit ihr Kaffee trinken gehen und dabei nicht über die Streiterei sprechen, sondern einfach nur mich ablenken. Und wenn ich dann nach Hause komme, hat er sich beruhigt, und wir können gemeinsam weitersehen.

Im Januar habe ich das nächste Gespräch, das beruhigt mich sehr und hilft mir ungemein.

Danke für's Lesen - und die eine oder andere Meinung?

LG

Anita