Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Antworten
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Beitrag von bigappel »

Hallo Ihr Lieben,

hoffe auf gute Tipps von Euch.

Ich bin seit 2 Monaten mit meinem Freund,
der schon seit bestimmt 20 Jahren Depressionen hat, zusammen.

Wir kennen uns schon seit frühester Jugend;
haben uns wiedergefunden und sind dann zusammen gekommen.

Er ist für mich ein wundervoller, besonderer Mensch und wir haben ein echtes Vertrauensverhältnis.

Ich bin voll berufstätig, alleinerziehend;
er geht länger nicht mehr arbeiten. Wir haben getrennte Haushalte, sehen uns aber sehr viel, was ich eigentlich aber auch genieße.

Nun stellt sich heraus, dass der Alltag, der ja schon in einer "normalen" Beziehung eine Herausforderung ist, sich für mich als problematisch gestaltet. Durch Berufstätigkeit, pubertierendes Kind, Haushalt pp. habe ich einen strammen 15 Stunden-Tag. Soweit mein Freund möchte, beziehe ich ihn am Wochenende und an freien Tagen ein. Scheinbar überfordert ihn das aber maßlos. Aber wie soll ich eine Beziehung aufrecht erhalten und Rücksicht auf ihn nehmen, wenn mein Leben halt so unruhig ist. Ich wüßte nicht, wie ich mein Leben entschleunigen soll und manchmal, wenn ich dann einen harten Tag hinter mir habe,
der auch von mir viel fordert und ich dann meinen Freund in der Depression vorfinde, der eigentlich (mit meinen Augen natürlich) einen ruhigen Tagesablauf hat, kommt in mir Unverständnis hoch und eine latente Wut, wofür ich mich im selben Augenblick auch wieder schäme, denn ich weiß ja, dass es für ihn anders zu werten ist und für ihn eine Herausforderung ist, seinen Tagesablauf zu meistern, wie für mich eben auch.

Aber mein Leben muss halt so unruhig weitergehen. Haben wir überhaupt eine Chance als Paar?

Er will seit Monaten in eine Klinik zur Therapie (eher will ich das wohl), läßt sich aber nicht darauf ein, findet immer neue Gründe, die gegen einen stationären Aufenthalt sprechen. Mittlerweile sind wir bei einer "Tagesklinik" angekommen, aber ob er dort wirklich hingeht, bleibt abzuwarten.

Er hält die Fassade, dass er gar nicht sooooo krank ist, sogar seinen besten Freunden und seiner - ambulanten - Therapeutin gegenüber aufrecht; nur bei mir outet er sich, wie es ihm wirklich geht. Ich kann aber ganz alleine diese Situation nicht tragen.

Ich möchte ihm helfen, aber ich weiß nicht, wie ich meinen Alltag und seinen überein bringen soll.

Bin für Tipps dankbar.

Herzliche Grüße
Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
JM300
Beiträge: 21
Registriert: 12. Dez 2010, 14:41

Re: Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Beitrag von JM300 »

Hallo Pia 7411,
gerade eine Partnerschaft, mit jemandem der an Depressionen leidet, fordert viel Kraft und Energie. Ich selbst leide auch an Depressionen und kenne die Zeit, inder ich völlig niedergeschlagen, müde und unmotiviert... bin. Mein Partner fühlt sich dann oft hilflos, überfordert und sicherlich manchmal auch genervt. Wichtig finde ich, das ich in Psychologischer Behandlung bin und zusätzlich Medikamente nehme. Ich kann nicht von meinem Partner verlangen, das er den Therapeuten ersetzt. Das würde die Beziehung auf Dauer kaputt machen. Ich alleine kämpfe gegen meine Depressionen. Er musste auch erst damit zurecht kommen, das es nicht an ihm liegt, wenn es mir schlecht geht. Wir hatten deswegen einige, gemeinsame Gespräche bei meinem Psychologen. Die waren sehr hilfreich! Ich denke, das dein Partner unbedingt therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Das du restlos fertig bist, kann ich gut verstehen. Das hält auch keiner auf Dauer aus! Du stößt absolut an deine Grenzen. Und rede dir bloß kein schlechtes Gewissen ein. Rede mit ihm, er muss sich professionelle Hilfe holen und begreifen, das er diesen Weg nur alleine gehen kann. Ich hoffe, ich konnte dir einwenig helfen.

Viele Grüße
Apfelgrün
JM300
Beiträge: 21
Registriert: 12. Dez 2010, 14:41

Re: Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Beitrag von JM300 »

Noch was, auch wenn das jetzt ziemlich hart klingt. Ich finde, du solltest ihm sagen, das du nicht weiter seine Therapeutin bist. Er geht halt im Moment den einfachen Weg. Vielleicht braucht er den "Druck", um endlich aufzuwachen.

Viele Grüße
Apfelgrün
bigappel
Beiträge: 1488
Registriert: 10. Dez 2010, 08:10

Re: Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Beitrag von bigappel »

Liebe Apfelgrün,

vielen Dank für Deine mutmachenden Worte.

Du hast mit Sicherheit recht;
die Umsetzung ist für mich allerdings noch etwas schwierig, denn dieser Mann ist mir wirklich sehr, sehr viel Wert und meine Hilflosigkeit - und mit Sicherheit auch Überforderung - vereinfachen das Ganze nicht.

Ich hoffe, er macht endlich die stationäre Therapie in der Tagesklinik.


Danke für Deine sehr netten Worte und alles
Liebe für Dich und frohe Weihnachten!

LG
Pia
Pia4711 schrieb:
> Hallo Ihr Lieben,
>
> hoffe auf gute Tipps von Euch.
>
> Ich bin seit 2 Monaten mit meinem Freund,
> der schon seit bestimmt 20 Jahren Depressionen hat, zusammen.
>
> Wir kennen uns schon seit frühester Jugend;
> haben uns wiedergefunden und sind dann zusammen gekommen.
>
> Er ist für mich ein wundervoller, besonderer Mensch und wir haben ein echtes Vertrauensverhältnis.
>
> Ich bin voll berufstätig, alleinerziehend;
> er geht länger nicht mehr arbeiten. Wir haben getrennte Haushalte, sehen uns aber sehr viel, was ich eigentlich aber auch genieße.
>
> Nun stellt sich heraus, dass der Alltag, der ja schon in einer "normalen" Beziehung eine Herausforderung ist, sich für mich als problematisch gestaltet. Durch Berufstätigkeit, pubertierendes Kind, Haushalt pp. habe ich einen strammen 15 Stunden-Tag. Soweit mein Freund möchte, beziehe ich ihn am Wochenende und an freien Tagen ein. Scheinbar überfordert ihn das aber maßlos. Aber wie soll ich eine Beziehung aufrecht erhalten und Rücksicht auf ihn nehmen, wenn mein Leben halt so unruhig ist. Ich wüßte nicht, wie ich mein Leben entschleunigen soll und manchmal, wenn ich dann einen harten Tag hinter mir habe,
> der auch von mir viel fordert und ich dann meinen Freund in der Depression vorfinde, der eigentlich (mit meinen Augen natürlich) einen ruhigen Tagesablauf hat, kommt in mir Unverständnis hoch und eine latente Wut, wofür ich mich im selben Augenblick auch wieder schäme, denn ich weiß ja, dass es für ihn anders zu werten ist und für ihn eine Herausforderung ist, seinen Tagesablauf zu meistern, wie für mich eben auch.
>
> Aber mein Leben muss halt so unruhig weitergehen. Haben wir überhaupt eine Chance als Paar?
>
> Er will seit Monaten in eine Klinik zur Therapie (eher will ich das wohl), läßt sich aber nicht darauf ein, findet immer neue Gründe, die gegen einen stationären Aufenthalt sprechen. Mittlerweile sind wir bei einer "Tagesklinik" angekommen, aber ob er dort wirklich hingeht, bleibt abzuwarten.
>
> Er hält die Fassade, dass er gar nicht sooooo krank ist, sogar seinen besten Freunden und seiner - ambulanten - Therapeutin gegenüber aufrecht; nur bei mir outet er sich, wie es ihm wirklich geht. Ich kann aber ganz alleine diese Situation nicht tragen.
>
> Ich möchte ihm helfen, aber ich weiß nicht, wie ich meinen Alltag und seinen überein bringen soll.
>
> Bin für Tipps dankbar.
>
> Herzliche Grüße
> Pia
Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt ändert sich für dieses Tier.
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Alltag mit depressivem Freund: bin ich ungerecht?

Beitrag von wennfrid »

Hi Pia
Ich denke, du sollst dich nicht ändern, denn das ist deine Persönlichkeit. Allerdings finde ich es weniger gut, deinem Freund zu therapieren. Jeder Mensch möchte, daß er so genommen wird, wie er halt ist. Wenn er seinen Tag ruhiger gestaltet, ist es doch ok, in der Depression ist die Energie zurückgeschaltet.
Ich glaube weiterhin, daß doch jede Beziehung funktionieren kann. Perfektion gibt es unter Menschen nicht. Gleiche Eigenschaften sind keine Voraussetzung für eine erfüllte Beziehung, das Vertrauensverhältnis ist entscheidend.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Antworten