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Ich stehe zwischen den Stühlen.

Verfasst: 13. Dez 2010, 18:20
von duda
Meine Schwester hat seit ihrem 20. Lebensjahr immer wieder mit Depressionen zu kämpfen.

Dieses Jahr war es besonders schlimm. Sie glaubt, dass ihre Kindheit Schuld daran ist. Seit einigen Wochen macht sie eine ambulante Therapie (war früher schon zweimal in einer Tagesklinik). Sie ist nicht in der Lage, mit meinen Eltern zu sprechen. Ich akzeptiere dies. Nur mit mir kann sie ja noch sprechen. Sie erzählt mir dann, dass sie mit meinen Eltern nicht sprechen kann. Meine Eltern trauen sich schon gar nicht mehr, bei ihr anzurufen. Ihr Mann ist auch immer recht kurz am Telefon. Mir tut das alles sehr weh. Meine Eltern haben immer alles für uns getan. Ich kann mich auch erinnern, dass meine Eltern sich in unserer Kindheit öfter gestritten haben. Natürlich gibt es da sicher so einiges, was nicht richtig gelaufen ist. Nur mich hat das anscheinend nicht so belastet. Ich habe noch einen Bruder, der auch seit 6 Jahren keinen Kontakt zu meinen Eltern mehr hat. Das alles belastet mich sehr. Zur Zeit bin ich die einzige, die sich um unsere Eltern kümmert. Ich mache das auch gerne. Aber die anderen fehlen halt. Die Enkelkinder meiner Eltern werden ja zwangsläufig auch da mit hineingezogen. Meine Eltern haben seit 6 Jahren die Kinder meines Bruders nicht gesehen. Sie hatten erst immer noch Geschenke per Post hingeschickt. Doch es kam nie eine Antwort. Nach 3 Jahren haben sie das dann auch eingestellt.

Ich frage mich immer, was da schief gelaufen ist?

Hat jemand ähnliche Erfahrungen in seiner Familie?

Re: Ich stehe zwischen den Stühlen.

Verfasst: 16. Dez 2010, 11:19
von wennfrid
Hi Lachegern
Ich bin überzeugt, daß die Persönlichkeit und damit der Selbstwert in der Kindheit gebildet werden. Eine manipulierte Persönlichkeit ist die Basis für die Depression. Da ja die Kindheit bei fast allen in der Vergangenheit liegt, sind keine Änderungen mehr möglich. Deswegen kann man durch Wissen und Lernen diese veränderte Persönlichkeit wieder ändern und an seine tatsächliche Persönlichkeit angleichen. Dieser Vorgang funktioniert beliebig oft, weil man sehr schnell in die "alte" Denkstruktur zurückfällt.

Re: Ich stehe zwischen den Stühlen.

Verfasst: 16. Dez 2010, 16:53
von duda
Hallo Fridolin,

danke für deine Antwort.

Wenn ich es richtig verstehe, fällt meine Schwester ab und zu immer wieder in alte Denkmuster und dadurch kommt es immer wieder zu neuen Depressionen. Sie wurde quasi in der Kindheit falsch "programmiert" und es ist zwar eine Umprogrammierung möglich, nur nicht auf Dauer.

Das würde die Rückfälle erklären.

Liebe Grüße

Lachegern

Re: Ich stehe zwischen den Stühlen.

Verfasst: 24. Dez 2010, 12:27
von Maus1104
Doch, auch auf Dauer ist eine Umprogrammierung möglich! Das ist ja das letztliche Ziel.

Aber je nachdem, wie prägend die Erfahrungen für sie sind, reichen Kleinigkeiten, um sie zurückzuwerfen. Tatsächlich sind Rückfälle sogar gut, um sich selbst die Frage zu stellen, was nun schon wieder "schief" gelaufen ist, wodurch die Krankheit einen wieder aus dem Alltag zieht.
Depression kann auch als Schutz vor Überforderung verstanden werden, durch die Unfähigkeit, irgendetwas zutun wird genauso vermieden, dass man weiterhin Dingen ausgesetzt ist, die man eigentlich nicht mehr tragen kann.

Verstehe ich es richtig, dass Du irgendwo versuchst, Deine Geschwister bei Deinen Eltern auszugleichen? Für mich liest es sich, als hättest Du das Gefühl, nun mehr Verantwortung gegenüber Deinen Eltern tragen zu müssen, da Deine Geschwister ihrer Rolle als Kind nicht nachkommen. Das musst du aber nicht. Sicherlich kannst Du in gewisser Hinsicht vermittelnd und "dolmetschend" eingreifen, aber nicht zu sehr! Es ist nicht Deine Aufgabe, die Familie wieder zusammenzubringen. Auch nicht, Deine Eltern über Deine Schwester auf dem Laufenden zu halten und umgekehrt.

Ich kann verstehen, dass es für Deine Eltern eine schwierige Situation ist, allerdings fände ich es sinnvoll, wenn sie versuchen würden aufzuarbeiten, wieso sich der Sohn abgewendet hat und die Tochter nicht in der Lage ist, mit ihnen zu sprechen. Es muss nicht zwangsläufig an denselben Gründen liegen! Vielleicht hat Dein Bruder völlig andere Beweggründe als Deine Schwester.

Du wirst niemanden dazu bewegen können, einen Schritt aufeinander zuzutun, manche Menschen fühlen sich in der unversöhnlichen Rolle äußerst wohl (was ich nicht verstehen kann).

Wenn es Dir zuviel wird, dann grenze Dich deutlich ab. Sei für Deine Eltern da und für Deine Schwester, aber trenne das für Dich und lass Dich nciht auf die vermittelnde Rolle ein. Deine Schwester wird nach wieder in der Lage sein, mit Euren Eltern zu sprechen, wenn sie genug Kraft dafür hat und sich bereit fühlt.

Und wie gesagt: der Umlern-Prozess kann durchaus von dauerhaftem Erfolg sein - es hängt aber eben auch damit zusammen, wie "schlimm" und tief die falschen Verhaltensmuster sitzen und wie sehr man sich wünscht, sich selbst zu verändern. Denn auch hier gilt: manche Menschen fühlen sich in ihrer Depression oder Melanchonie sehr wohl.

Alles Gute!

EDIT: Achso: ich selbst habe auch keinen Kontakt mehr zu meinem Vater, zu meiner Mutter nur sehr sporadisch. Bei uns ist es so gelagert, dass mein Vater den Kontakt nicht wünscht und es meiner Mutter schlichtweg verboten hat. Ich bin vor einem Jahr endgültig ausgezogen, seitdem gibt es keinen Kontakt mehr. Ich habe erst lange gebraucht, aufzuhören, mich weiterhin darum zu bemühen und wieder "die Gunst" zu erwerben. Daraufhin folgte eine Phase, in der ich sehr froh war, dass kein Kontakt bestand und in der ich auch - wäre ich angerufen worden - gesagt hätte, dass ich momentan nicht reden KANN. Es geht einfach nicht.
Inzwischen kann ich ab und an mit meiner Mutter sprechen, muss aber zusehen, dass ich eine gewisse Distanz wahre. Zu schnell fängt sie mit Vorwürfen an, ohne es zu merken und bringt mich in Situationen, in denen ich mich rechtfertigen muss. so hart es klingt, aber bei mir hat diese Distanzierung (auch emotional, ich hatte IMMER ein Verantwortungsgefühl den beiden gegenüber, selbst als wir schon keinen Kontakt mehr hatten) sehr zur GEsundung beigetragen. Und auch wenn das egoistisch klingen mag: der Kranke sollte erstmal gesund werden. Ich habe es so oft erlebt, dass ich in schlimmen Phasen auch noch für die hilflosen Anderen da sein sollte - aber wie? wieso muss man im tiefsten Loch noch immer stark sein und andere an die Hand nehmen? Deswegen finde ich es wichtig, dass auch Angehörige, mit denen es Probleme gibt wie mit Deienn Eltern, reflektieren, was bei ihnen möglicherweise nicht so richtig gelaufen ist.
Annäherung ist immer noch möglich!

Re: Ich stehe zwischen den Stühlen.

Verfasst: 1. Jan 2011, 15:31
von duda
Hallo Maus,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich kann nun verstehen, dass es eben seine Zeit braucht und meine Schwester eben zur Zeit nicht in der Lage ist, mit meinen Eltern zu reden. Meine Eltern sind verletzt und können das nicht verstehen. Das zeigt, dass sie sich mit der Krankheit nicht auseinandergesetzt haben. Ja, vielleicht habe ich versucht, die fehlenden Kinder zu ersetzen. Meine Schwester sagte mir neulich, in der Therapie sei rausgekommen, dass meine Eltern ihr als Kind nie geglaubt haben. Sie ist hypersensibel und hat vielleicht auch viel mehr wahrgenommen als ich. Wenn sie mal irgendetwas gesagt hat, wurde sie oft mit den Worten "du bildest dir das nur ein" mundtot gemacht. Auch hat ihr meine Mutter z.B. nie gezeigt, dass sie sie liebt. Obwohl sie das mit Sicherheit tut. Sie hat meine Schwester emotional am ausgestreckten Arm verhungern lassen (Worte meiner Schwester). Das muss über Jahre passiert sein. Ihre Seele wurde umgeformt. Das haben meine Eltern nicht absichtlich gemacht. Sie wollten immer nur das beste für uns. Ich werde deinen Rat befolgen und mich nicht mehr einmischen. Versuchen, mich dahingehend abzugrenzen. Denn ich kann an der Situation nichts ändern. Das ist mir jetzt klar geworden.

Ich wünsche dir alles Liebe und Gute auf deinem Weg der Besserung.
Lachegern schrieb:
> Meine Schwester hat seit ihrem 20. Lebensjahr immer wieder mit Depressionen zu kämpfen.
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> Dieses Jahr war es besonders schlimm. Sie glaubt, dass ihre Kindheit Schuld daran ist. Seit einigen Wochen macht sie eine ambulante Therapie (war früher schon zweimal in einer Tagesklinik). Sie ist nicht in der Lage, mit meinen Eltern zu sprechen. Ich akzeptiere dies. Nur mit mir kann sie ja noch sprechen. Sie erzählt mir dann, dass sie mit meinen Eltern nicht sprechen kann. Meine Eltern trauen sich schon gar nicht mehr, bei ihr anzurufen. Ihr Mann ist auch immer recht kurz am Telefon. Mir tut das alles sehr weh. Meine Eltern haben immer alles für uns getan. Ich kann mich auch erinnern, dass meine Eltern sich in unserer Kindheit öfter gestritten haben. Natürlich gibt es da sicher so einiges, was nicht richtig gelaufen ist. Nur mich hat das anscheinend nicht so belastet. Ich habe noch einen Bruder, der auch seit 6 Jahren keinen Kontakt zu meinen Eltern mehr hat. Das alles belastet mich sehr. Zur Zeit bin ich die einzige, die sich um unsere Eltern kümmert. Ich mache das auch gerne. Aber die anderen fehlen halt. Die Enkelkinder meiner Eltern werden ja zwangsläufig auch da mit hineingezogen. Meine Eltern haben seit 6 Jahren die Kinder meines Bruders nicht gesehen. Sie hatten erst immer noch Geschenke per Post hingeschickt. Doch es kam nie eine Antwort. Nach 3 Jahren haben sie das dann auch eingestellt.
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> Ich frage mich immer, was da schief gelaufen ist?
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> Hat jemand ähnliche Erfahrungen in seiner Familie?