gesellschaftliche Ursachen

Gert
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gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Gert »

Hallo @all,

ich möchte mich hier einmal zu den Ursachen bzw verschärfenden Umständen meiner Depression äußern und bin gespannt auf Eure Antworten.

Die Therapeuten sehen die Ursache nur allein im Wesen und dem Verhalten eines Menschen begründet. Ich hab jedoch an mir selbst festgestellt, das noch eine äußere Einwirkung hinzu kam.
Seit Beginn der neunziger Jahre hat in der Gesellschaft ein grundlegender Wandel stattgefunden.
Früher gab es eine Gesellschaft des Miteinander, man suchte im beruflichen, wie im privaten Leben den Kontakt mit anderen Mitmenschen. Der Mensch ist ja bekanntlich ein soziales Wesen und braucht daher auch soziale Kontakte.
Mit Beginn der Neunziger begann der Einzug der Globalisierung, eine Gesellschaft des Gegeneinander entstand und die Menschen traten in den Konkurrenzkampf, Interessengruppen versuchen sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern und es werde im neue Keile zwischen die Menschen getrieben (zB Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Kinderlose gegen Familen, und so weiter). Die soziale Kälte hielt Einzug, Arbeitsplätze werden für die Gewinnmaximierung gestrichen. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich zusehends. Viele Arbeitgeber halten es fast für ihr sebstverstänliches Recht, ihre Beschäftigten schlecht zu behandeln, zu übervorteilen, auszunutzen.
Ich war schon seit langer Zeit depressiv, aber diese „neuen“ Bedingungen haben meine vorhandene Depression so weit verstärkt, dass ich zeitweilig arbeitsunfähig wurde und auch heute noch wenig belastbar bin.
Die Zahl der psychosomatischen Erkrankungen (auch Ängste, Borderline, Essstörungen, burn-out) neben seit Jahren überproportional zu. Ich glaube nicht, dass die Menschen generell kranker sind, sondern immer Menschen fallen m.E. dem Leistungdruck und den immer unsozialeren Bedingungen zum Opfer.
Ich halte es deswegen für sehr wichtig, dass wir, die Betroffenen, auch bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen einfordern. Es ist, glaube ich, nicht der richtige Weg, wenn wir uns immer nur in unser Schneckenhaus zurückziehen und den Grund für unsere Erkrankung immer nur in uns suchen.
Denn: Wer sich nicht wehrt, bzw seine Ansprüche nicht anmeldet, der wird in dieser Gesellschaft „untergebuttert“. Und Depressive eignen sich dafür besonders gut, haben wir doch ohnehin ein schlechtes Selbstwertgefühl.
Außerdem: Nur Gemeinsamkeit macht stark. Anstatt uns zu verstecken, sollten wir Betroffene vielmehr zusammenhalten.

Liebe Grüße und schöne Weihnachten für Alle.
Gert
jolanda
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von jolanda »

Hallo Gert,
Deine Aussage, daß Therapeuten die Ursache für Depressionen NUR im Wesen des Menschen sehen kann ich so nicht bestätigen. Ich bin z.Z. stationär in einer Klinik (seit 8 wochen)und dort habe ich gelernt, daß es drei verschiedene Faktoren gibt, die bei iener Depression zusammenkommen (bei jeder Person natürlich mit unterschiedlicher Gewichtung):
1.Biologische Ursachen (= Vererbung, Veranlagung, andere Grunderkrankungen)
2. psychische Ursachen (Wesen, Denkweisen, Charakter etc.
3. soziologische Ursachen (Soziales Umfeld, Gesselschaftlicher Druck etc.)

Es ist sogar sehr wichtig, sich dsrüber klsr zu werden welchen Anteil die jeweiligen Faktoren an der eigenen Krankheit haben.
Bei dir scheint es eben viel auch der soziologische Faktor zu sein.
So oder so muß man wohl lernen mit den belastenen/auslösenden bzw. krankheitserhaltenden Faktoren umzugehen. DAS ist denke ich Aufgabe der Therapie. Neben einer medikamentösen Behandlung.
Daß das ein langer und steiniger Weg sein kann muß ich zur Zeit auch erst lernen. Ich versuche nicht den Mut und die Geduld zu verlieren und wünsche das auch dir.
Viele Grüße, Jolanda


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Feedom's just another word for nothing left to lose (Janis Joplin)
neodym
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von neodym »

Hallo Gert,

Du sprichst mir aus der Seele.

Man kann sehr genau beobachten, wie die Krankheit "Depression" immer mehr zu genommen hat. Und in der Tat ist unser Leben hektischer geworden, sind wir immer mehr nur auf uns selbst gestellt.

Wie stellst Du Dir eine gemeinsame Aktion vor?

Alles Gute

Ralf
wuschel
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von wuschel »

winnie
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von winnie »

Ich glaube nicht, daß die Gesellschaft früher so anders war. Die Mißstände werden heute bloß mehr thematisiert.

Und ich halte nicht viel davon, immer "die anderen" oder "die böse Gesellschaft" für alles verantwortlich zu machen.

Im übrigen kann man auch als einzelner einiges für die Verbesserung dessen tun, was man der "Gesellschaft" vorwirft. Und damit meine ich durchaus nicht solche martialischen politischen Schlagworte wie "notwendigkeit des solidarasischen kampfes für eine menschlichere gesellschaft".

Gruß,
Winnie
blues1967
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von blues1967 »

hallo winnie
da hast du wahrscheinlich recht. heute wird es nur mehr thematisiert. habe um 0000 per zufall party in zürich gefunden. machte sms an eine kollegin. sie schrieb zurück, sie sei in der südschweiz gerade. frustriert mich.
grüssli blues1967ch
neodym
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von neodym »

Hallo Winnie,

ich denke schon das es früher ein anderes, ruhigeres Leben war.

Schau Dir doch mal die heutige Arbeitswelt an. Die Hektik ist doch enorm geworden. Wo man früher mit Verweis auf die Post noch mal zwei, drei Tage rausholen konnte, um etwas zu erledigen, wird heute alles sekundenschnell per email abgerufen.

Wer heute nicht schnell und genau reagiert, wird sofort ersetzt. So sieht es doch aus.

Deswegen ist diese Reaktion von Gert richtig.

Viele Grüße

Ralf
tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Liebe Winnie,

ich teile natürlich deine Auffassung, dass es eine Sackgasse wäre, die Gesellschaft als Ursache für die eigene Krankheit heranzuziehen. Aber nicht unbedingt deshalb weil das grundsätzlich falsch wäre, sondern weil das Einzige, was wir beeinflussen können, wir selbst sind und eben nicht die Gesellschaft. Heißt, ganz unabhängig von der Verantwortlichkeit bleibt die Arbeit immer den Kranken.

Aber Gerts Vorstoß ist trotzdem sehr berechtigt, denn wir können nicht einfach übersehen, dass wir in unserer Umwelt einer immer krasseren Entmenschlichung ausgesetzt sind. Jeder Mensch benötigt für eine gesunde Psyche eine Art von Wertesystem. Ganz besonders während der Zeit der Persönlichkeitsbildung muss dieses System in der Lage sein, glaubwürdig und vertraut zu sein, es muss Vertrauen geben (in späteren Entwicklungsschritten muss auch das überwunden werden, aber das soll jetzt nicht Thema sein). Die Familie ist das wichtigste System, das dies leisten muss, aber die kann eben nicht im luftleeren Raum existieren sondern hängt sehr stark von der großen Familie Gesellschaft ab. Je nachdem, wie authentisch ein Familienverbund ist, werden gesellschaftliche Werte mehr oder weniger übernommen und genau mit denen sieht es recht düster aus.

Das wichtigste Credo ist der Glaube an die unbedingte Notwendigkeit witschaftlichen Erfolges und für den gibt es nur eine wirklich starke Antriebskraft, das ist die Gier. Gier, ich bin doch nicht blöd, Geiz ist geil- das sind die Werte, unter denen unsere Kinder aufwachsen. Menschen werden aufeinander gehetzt im Wettbewerb um den tüchtigsten Bürger, der am meisten konsumiert. Man muss sich schon als Volksschädling sehen, wenn man nicht ständig Geld für blödes, unnötiges Zeug ausgibt.

Und das Schlimmste ist, die Instanzen, die anderes vertreten, das väterliche, weise Über-Ich, das man früher vereinzelt noch in der Politik finden konnte und auf das auch noch gehört wurde, das wird ersetzt durch Schlitzohren die uns vormachen, wie mans richtig macht, ohne erwischt zu werden.
In dieses System kann man kein Vertrauen setzen und die vermeintliche Stabilität materieller Sicherheit, die es versprach, selbst die ist nur noch Makulatur. So langsam kommt eine "Rette sich wer kann" - Stimmung auf- wieder ganz aufs Materielle ausgerichtet. Und "Rette sich wer kann" heißt übersetzt, wer jetzt nicht grabscht, ist selber Schuld.

Ich sehe diese Entwicklung als wirklich katastrophal an, ich bin voller Wut und Abscheu über viele meiner Mitmenschen mit ihrer verbohrten, aggressiven Ausstrahlung und das dumme, seichte Gerede unserer Landesführer. Das alles ist mehr eine Massenpsychose als eine menschliche Gesellschaft und der Unterschied zu früher ist: Das ist kein lokal begrenztes Phänomen sondern ein weltweiter Prozess. Die Globalisierung wird jede noch so entfernte Ecke dieser Welt erreichen und Kultur und Eigenes, Gewachsenes durch den Einheitsbrei des Konsums ersetzen. Mit allen Folgen auf die Psyche. Es gibt jede Menge Grund, sich darum Sorgen zu machen.

Lieber Gruß von

Thomas
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Gert
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Gert »

Hallo an Alle,

ich freue mich über die rege Anteilnahme an dem Thema. Ich muss gleich dazu sagen, dass ich nicht alles auf "die böse Gesellschaft" schiebe. Ich weiß, dass meine Depression verschiedene Ursachen hat, auch die in meiner Kindheit begründete. Nichts destotrotz, eine Gesellschaft, in der ein Manager einer namhaften dt. Firma Menschen als "Kostenfaktor auf zwei Beinen" bezeichnet, halte ich für nicht akzeptabel.
Man darf auch nicht alles mit sich machen lassen. Die steigende Zahl psychosomatischer Erkrankungen, wie auch die zunehmende Zahl an Schlaganfällen und Herzinfarkten spricht eine sehr deutliche Sprache und ich kann mich sehr gut an die Zeit vor 1980 erinnern.
Was man ganz konkret machen kann, kann ich aus dem Handegelenk auch nicht sagen, aber Selbsthilfegruppen, Foren wie dieses hier sind bestimmt gut geeignet, ein Umdenken anzustossen. Auch attacc.de halte für eine gute Sache. Entscheidend ist, dass Jeder von uns sich Gedanken über sich und die Gesellschaft macht. Auch die Augen im Alltag offen zu halten ist wichtig. Wie geht zB ein Chef mit seinen "Untergebenen" um. Wie gehen Medien mit Menschen um, etc. Wir dürfen nicht alles akzetieren, was Andere mit uns machen. Das entbindet uns natürlich nicht davon, auch weiterhin an uns selbst zu arbeiten.

Liebe Grüße
Gert
Willow
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Willow »

Ich denke auch, dass die Gesellschaft einige krankmachende Eigenschaften hat. Doch dass es früher, zu anderen Zeiten vor der Globalisierung besser gewesen ist, glaube ich keineswegs.
Im vergangenen Jahrhundert gab es zwei verheerende Weltkriege und einen "Führer", der mit seinem Wahn ganz Europa in Flammen gesetzt hat. Da ist mir ein Gerhard Schröder, auch wenn er zweifellos ein Schwachkopf ist, mit seiner inkompetenten bzw. korrupten Riege um einiges lieber.

Doch gehen wir in der Geschichte ein wenig weiter zurück. Beim Dreißigjährigen Krieg starben ca. 50% (jeder Zweite!) der deutschen Bevölkerung - es gab eine schreckliche Hungersnot, so dass die verzweifelten Menschen in ihrem Leid die Rinde von den Bäumen ganzer Wälder gefressen hatten.

Noch in der Neuzeit gab es den Verfolgungswahn durch die Inquisition. Nicht nur in Spanien, sondern auch und gerade auf dem Boden des heutigen Deutschland loderten im 16. und 17. Jahrundert die Scheiterhaufen zuhauf.

Im antiken Rom bestand zur Blütezeit die Bevölkerung zu mehr als 30% aus Sklaven - und diese waren wirklich arme Schweine. Was für eine soziale Kälte in einer Gesellschaft, die es offen zulässt, Menschen als reine Arbeitsmaschinen zu betrachten. Nur wenige Sklaven hatten einen besseren Stand, z.B. diejenigen, die lesen und schreiben konnten und als Lehrer tätig waren.

Das wären nur ein paar Beispiele...

Wenn ich mir ehrlich bin, würde ich die heutige Globalisierungszeit jedem beliebigen Zeitalter, das uns durch die Geschichte überliefert ist, vorziehen.

Damit will ich unsere jetzige Gesellschaft keineswegs gutheißen (ihr habt schon Recht, was die Leistungsgesellschaft und ihre Kälte angeht), aber ich bin sehr froh, im Hier und Jetzt zu leben.
wuschel
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von wuschel »

tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Hi Wuschel,

es ist sehr schwer, dieses Ursache-Wirkungsgeflecht zwischen dem Einzelnen und der Ges. wirklich zu entwirren. Ich habe einen etwas anderen Ansatz als du, ich versuche zu verstehen, wie Menschen sind und wie sie sich entwickeln und verändern können und ich sehe Ges. als Ausdruck von Menschsein in der gesamten Pallette von Möglichkeiten, die Menschsein bietet. Für mich ist "Menschheit" eine Entsprechung zum einzelnen Menschen- beide werden von den gleichen Kräften geleitet und beide leben in der Illusion, es gäbe wirkliche Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben oder das gesellschaftliche Leben. Die Wahrheit ist aber, dass fast alle Dinge zufällig geschehen und nicht, weil irgend jemand es so will. Das muss dir nun gegen den Strich gehen und ich will versuchen, das etwas zu untermauern.

Grund für meine Behauptung ist die einfache Tatsache, dass wir zwar unsere Wünsche verstehen, aber nicht die Motivation und Ursache dafür. Was wir als Wunsch erleben ist ein Endprodukt unserer Seele und wie es zu Stande kommt, wissen wir in der Regel nicht. Die traurige Wahrheit ist, dass wir sehr unbewusste Wesen sind, die sich Bewusstheit nur einbilden. Wir sind geradezu beliebig manipulierbar und glauben dann, eigene Wünsche zu haben. Ist das immer und notwendigerweise so? Nein, ist es nicht. Es kann anders sein, aber nur durch eine Arbeit, die jeder nur an sich selbst verrichten kann.

Nimm einmal das 3.Reich als Beispiel. Wie war es möglich, dass so viele Menschen davon überzeugt werden konnten, dass Juden gehasst werden müssen? Einfach weil man ihnen das auf dem Wege der Moral so gesagt hat und weil sie keine Moral besessen haben, die ihnen wirklich gehört, die also Teil ihres SEINS ist. Die Vermittlung von Werten und Moral über die Gesellschaft ist lediglich eine Notlösung, um Anarchie zu verhindern. Wenn du die gleichen Menschen des 3.Reichs in eine andere Gesellschaft verpflanzt und ihnen Handys und Essen gibst (Brot und Spiele), werden sie zu verträglichen Zeitgenossen, die nicht daran denken, Juden zu hassen.

Aber ein Mensch, zu dessen Wesen es gehört, andere zu respektieren, wird ein Volk nicht hassen und zwar egal, wie die Umstände sind. Ich glaube, dass die Mehrheit aller Menschen zu der Gruppe gehören, die nicht genug eigene Werte besitzen, die Teil ihres Wesens sind. Die Masse ist manipulierbar und tut das, was man ihnen sagt. Mit solchen Menschen kann man keine menschliche Ges. bauen, das ist unmöglich. Und es wird immer Menschen geben, die diese Manipulierbarkeit der Massen ausnutzen, um daraus Macht zu ziehen. Denn das ist eigentlich Macht, andere zu manipulieren und zu unterdrücken. Geld ist nur ein Ausdrucksmittel dafür. Das die Manipulierer ebenfalls manipuliert sind, und zwar von ihrer eigenen Gier, macht aus unserer Welt ein Lotteriespiel. Natürlich würden die das abstreiten und sie sind selbst vollkommen davon überzeugt, bewusste und eigene Entscheidungen zu treffen. Gier war der Grund für den Irak-Krieg, aber begründet wird er natürlich anders und die Entscheider glauben selbst felsenfest daran, dass ihre Gründe stichhaltig sind.

Deshalb glaube ich, dass die Entwicklung des einzelnen Menschen, indem er sich selbst kennenlernt und seine verborgenen Motive, die wichtigste Aufgabe überhaupt ist. Nur bewusste Menschen sind nicht manipulierbar.

Gruß von

Thomas
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Captain Kirk
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Captain Kirk »

Zu dem Thema kann ich ein sehr interessantes Buch empfehlen. Es heißt: "Der Fremde in uns." von Arno Gruen.

Gruß
c.

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Der Fremde in uns" wurde mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2001 ausgezeichnet:

Begründung der Jury

Der Geschwister-Scholl-Preis 2001 wird vergeben an das Buch "Der Fremde in uns" von Arno Gruen. Der 1923 in Berlin geborene Autor mußte als Kind in die USA emigrieren; dort und in der Schweiz wirkte er jahrzehntelang als Wissenschaftler und Psychotherapeut. Seine zahlreichen Publikationen nehmen den Blickwinkel der Psychoanalyse ein, ohne diese als Patentrezept zu verstehen. Sie suchen nach Wegen, die Ganzheitlichkeit und Autonomie des Menschen zu bewahren oder wiederzugewinnen.

Gruens Buch "Der Fremde in uns" ist von bestürzender Aktualität. Sein Thema sind die Wurzeln von Fremdenhaß (vor allem des Antisemitismus) und Terror: "Fremdenhaß hat auch immer etwas mit Selbsthaß zu tun", richtet sich gegen einen entfremdeten, unterdrückten Teil des eigenen Ich und führt zu Lebenslügen, falscher Anpassung an die Macht und Selbstpreisgabe, innerer Leere und Destruktivität. Das Buch erforscht die Herkunft dieses "Verrats am Selbst" in den Erfahrungen der Kindheit und Sozialisation, es zeigt die Mechanismen und Metamorphosen der Täter-Opfer-Beziehung und erhellt die komplexe Dynamik von Selbstentfremdung, Fremdenhaß und destruktiver Gewalt. Die Beispiele reichen von den NS-Tätern bis zu den aktuellen Beispielen von Fanatismus, etwa auf dem Balkan, und Rechtsradikalismus. Das Buch ist trotz seiner schwierigen Thematik klar, pointiert und eindringlich geschrieben, wenngleich zuweilen überspitzend und provokant. Es verharrt nicht bei der Diagnose, sondern zeigt Wege aus der Gewalt auf; es gibt Anstöße zur liebevollen Zuwendung gegenüber Kindern und Erwachsenen und ist ein aufrüttelnder Appell an Empathie und Mitgefühl, die "in uns eingebaute Schranke zur Unmenschlichkeit".
tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Betroffene für Betroffene

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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Danke für den Buchtipp, Captain. Habe auch schon Gutes darüber gehört und jetzt schlage ich zu!

Thomas
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ben1
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von ben1 »

Hallo

sehr interessante Diskussion hier, schade, das ich das erst jetzt entdeckt habe!

Ich sehs im Grunde wie Thomas. Natürlich ist die Gesellschaft mit ihren Werten (?) "depressionsfreundlich" - und um bei mir zu bleiben - irgendwann erkennt man (oder ich), das Geld und Macht nicht das einzige ist, das man sich auch trotz Geld und guter beruflicher Position depressiv fühlen kann (und das ist ein Schock, man ackert ein Leben lang auf ein Ziel hin und erkennt dann, das man in die falsche Richtung lief).

Was ist denn eigtentlich "die Gesellschaft"? Ist das was, was wir abgekoppelt von uns sehen können? Oder sind "wir das Volk"? Und wenn ja, wie kann dann jeder Einzelne das Seine dazutun, diese kranke Gesellschaft (die sie ohne Zweifel ist) zu ändern? Die Gefahr, die ich sehe, ist die des "nix machen zu können". Werden wir Bush, Blair oder Schröder ändern können (oder noch bitterer, die Menschen oder Organisationen, von denen die wieder abhängig sind)? Wohl eher nicht. Aber wir können in unserem "Mikrokosmos" anfangen, in unserem unmittelbaren Umfeld. Auch da kann man das "System" ganz schön erschüttern, wenns bei uns wieder menscheln darf, und wenns nur an der Supermarktkasse ist, wo wir Nachsicht mit der neuen Verkäuferin haben, die nicht schnell genug ist - wenn wir die Lehrer unserer Kinder auch als überforderte Menschen sehen, wenn wir unsere Politiker als Menschen verstehen, die einen viel zu kleinen Kuchen auf alle gerecht aufteilen sollten und und und. Ich versuche immer, nicht die "Gesellschaft" oder das "System" zu sehen, sondern die Menschen, die darin agieren - mit all ihren Fehlern und Dressaten. Und alle glauben, mitmachen zu müssen - und der Schritt raus ist erst mal für sich zu definieren (und das hat mit dem Werteproblem zu tun), was wichtig und falsch ist und das dann den anderen auch so zuzugestehen.

Ben
wuschel
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von wuschel »

maggy
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von maggy »

Hallo Gert,

die Gesellschaft und ihr Verhalten kann zwar ein Auslöser für unsere Depressionen sein, aber niemals die Ursache.

hey captain,
schön Dich zu lesen . Wenn Du das Thema noch ein bisschen vertiefen willst kann ich Dir noch das Buch "Hass in der Seele - Verstehen, was uns böse macht" empfehlen. In diesem Buch erhellt Arno Gruen im Gespräch mit Doris Weber (Journalistin aus Bremen, Schwerpunkt: Sozialreportagen) politische, gesellschaftliche und individuelle Zusammenhänge und zeigt Auswege aus dem hass auf.


Alles Liebe
von
Maggy
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
Captain Kirk
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Captain Kirk »

Hallo Maggy, danke für den weiterführenden Buchtip.


Gruß
c.
tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Hi Ben,

das sehe ich wie du: diese Kleinigkeiten des menschlichen Umgangs können sehr viel bewirken. Und ich kann es nicht lassen, hier noch einmal Mandela zu zitieren:

Und wenn wir unser Licht erscheinen lassen, geben wir unbewußt anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere.

Thomas (im Weihnachtsstress)
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tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Hi Wuschel,

ja ich weiß, das klingt irgendwie krass und so meinte ich es auch nicht:

Dann auch noch aus solch einer einteilung der menschen abzuleiten, dass eine menschlichere Gesellschaft nicht möglich wäre halte ich für unzulässig.

Ich denke, potentiell könnte man sehr viele dieser schlafenden Menschen wachrütteln, ich meine nicht, dass sie von Natur aus so sind. Jeder hat Potentiale, die er nicht nutzt. Aber wir sind nicht auf dem Weg dazu sondern in die umgekehrte Richtung unterwegs.

Ich will mich dem Problem mal von einer anderen Seite nähern. Denker wie Erich Fromm oder Staehelin haben dafür den Begriff von "Haben und Sein" geprägt. Das Problem ist seit uralten Zeiten bekannt und als ein Grundproblem des Menschen erkannt.
Religiös ausgedrückt lautet es z.B. "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst aber verliert und Schaden erleidet" (Lk9,24)
Schon immer haben Menschen versucht, durch Haben, also Anhäufung von Besitz und Macht, ihr Sein aufzupolieren. Die Rechnung lautet: Je mehr ich habe um so mehr bin ich auch. Und noch nie ist diese Rechnung aufgegangen.

Das große Versprechen des Industriezeitalters war doch und ist es noch: Glück durch Wohlstand und unbegrenzten Fortschritt. Wenn erst einmal, so der Glaubenssatz, alle genug zu essen haben und noch darüber hinaus jeder sich etwas leisten kann, dann werden alle zufrieden und glücklich sein. Ist das eingetreten? Keineswegs. Was fehlt noch, haben wir etwa doch zu wenig Joghurt-Sorten? Oder stimmt etwas mit der Temperatur der Auto-Sitzheizung nicht, die unsere Hintern erwärmt? Noch nie, behaupte ich, haben sich die Menschen so im Haben verloren wie heute. Der demokratische Gedanke hat doch ihre Herzen nie erreicht, er wurde umgedeutet in das Recht auf den persönlichen Vorteil. Das Haben kleistert die Seelen zu mit Bindungen und kräftezährendem Anschaffen immer neuer Luxusgüter. Gegen jede Vernunft, gegen jede Rücksicht auf andere Lebewesen, sogar ohne Rücksicht gegen die eigene Spezies. Es scheint so, als würden wir lieber untergehen, als aufzuhören mit dem Haben. Kein Funken Glück kam dabei heraus. Im Gegenteil! Weltweite Bedrohung durch die furchtbarsten Waffen, Klimaveränderungen, massenweise sterben Arten aus. Alles nur wegen Haben. Wenn ich nur an unseren Umgang mit Tieren denke, die wir essen, wird mir schlecht. Aber um ein paar Euro einzusparen, nehmen wir das in Kauf.

Es geht uns nicht mehr um die Menschen, es geht ums System und wie wir es erhalten können. Die Systeme wandeln sich, aber das Grundproblem bleibt immer das Gleiche, seit Menschen in Gesellschaften zusammenleben. Die Frage ist, wie wir zu einem echten Humanismus finden können und was zu geschehen hat, damit seine Ideen an die Stelle der Habsucht treten. Viele haben es gepredigt, man hört nicht auf sie. Veränderung kann es nur in den Herzen geben, darauf baue ich. Indem ich lebe, wie ich denke, dass es richtig ist und einfach tue, was ich persönlich kann, damit mein Leben eine Qualität bekommt, die im Sein liegt und nicht im Haben.

Thomas
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tomroerich
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von tomroerich »

Betroffene für Betroffene

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Caroline1
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Caroline1 »

Eine passendere Weihnachtspredigt hättest du nicht schreiben können, Thomas! Wobei ich das Wort "predige" ohne den negativen Unterton meine, den es desöfteren auch beinhaltet, im Zusammenhang mit Weihnachten aber ja eher nicht.

Vielleicht müsste man Habsucht in Seinsucht verwandeln, und es ist bestimmt kein Zufall, dass es dieses Wort in der Sprache ja gar nicht gibt

Nichtsdestotrotz wünsch ich jedem hier ein friedvolles Weihnachtsfest mit all meinen guten Wünschen

Caroline

Weihnachtsstress sollte man aus dem Wort- bzw Erlebnisschatz streichen....
Gert
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von Gert »

Hallo Ben,

Dein Beitrag gibt das wieder, was ich auch meine.
Ich will zum Nachdenken über die äußeren, krankmachenden Faktoren
in dieser Gesellschaft anregen.
Gesellschaft ist tatsächlich ein etwas nebulöser Begriff. Gesellschaft sind
wir Alle. Mit der Einschränkung allerdings, dass bestimmte einflussreiche Gruppen
massgeblich bestimmen, was in dieser Gesellschaft "läuft", während Andere nur sehr
wenig Einfluss haben oder sich nehmen wollen!!
Wir können weder Machtmenschen noch Zyniker ändern, aber auch wir als Depressive sind
Teil dieser Gesellschaft und
wir können für uns unsere Werte überdenken (Geld, Konsum, Karriere, etc) und
unsere alternativen Wertvorstellungen anderen Menschen mitteilen.
Genau wie Ben sagte, fängt das im Kleinen an, zB wie gehe mit meinen Mitmenschen
um?
Vielleicht sollten gerade Wir damit anfangen, im alltäglichen Umgang mit
Kollegen, Verkäuferinnen, mit wem auch immer zu "menscheln". Anstatt griesgrämig
durchs Leben zu gehen, ist es schön, wieder mal einen Mitmenschen einfach
anzulächeln! Wenn man es schafft, so auf andere Menschen zuzugehen, erlebt man
plötzlich, wie sich diesen Menschen auch öffnen.
Das Kann ich leider auch nicht immer, aber ich arbeite daran....
Die entscheidende Frage ist sicher die Frage nach den Werten.
Bei mir haben die Krankheit und Therapie dazu geführt, dass ich meine bisherigen
Wertvorstellungen zunehmend überdenke. Ich habe entdeckt, dass Menschen wichtiger
sind, als sinnloses Konsumieren.
Ich bin jedoch der Meinung, dass wir Alle, die andere Wertvorstellungen haben, als
die die wir von Außen aufgestülpt bekommen, nicht damit "hinter dem Berg" halten sollten.
Wir sollten unsere alternativen Wertvorstellungen auch in der Öffentlichkeit
vertreten, bzw leben, um auch Anderen Mut zu machen und gesellschaftliche
Veränderungen anzuregen.

Puuh, ich hoffe, das kommt jetzt nicht zu theoretisch rüber.

@Maggy,

es ist mir völlig klar, dass der Grund für meine Depression in mir liegt und
nicht in der Gesellschaft. Aber das, was heute mit dem Begriff "soziale Kälte"
beschrieben wird, lässt viele Depressionen erst richtig akut werden, so auch bei mir.
Ich glaube schon, dass es lohnt, sich für eine menschlichere Gesellschaft einzusetzen.
Wer sich klein macht, wird klein gemacht.

Liebe Grüße und eine schönes Weihnachtsfest für Alle
Gert
wuschel
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Re: gesellschaftliche Ursachen

Beitrag von wuschel »

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