Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Antworten
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo

Ich möchte euch doch mal um einen (möglichst) konkreten Rat bitten. Ich habe meine Situation (und die meiner Familie) ja schon an anderer Stelle geschildert und möchte da niemanden langweilen. Es geht mir jetzt speziell um meinen einen Sohn, der seit ca. 2 Jahren (oder länger) krank ist. Er studiert auswärts (man kann ihn also nicht spontan besuchen) und hat mehrere Studienwechsel hinter sich. Hintergrund ist eine Erkrankung (Diagnose des Psychiaters: Mittelschwere Depression, soziale Phobie). Er nimmt seit ein paar Monaten Medikamente, ob die etwas bewirken, weiß ich nicht.

Das Problem, weshalb ich euch hier belästige: Mein Sohn verweigert den Kontakt mit uns (auch vorher habe immer ich angerufen, aber da hat er noch geantwortet). Nun ist konsequent sein handy aus, er antwortet nicht auf Briefe, E-Mails usw. An seinem Briefkasten steht kein Name, so dass die Post auch oft zurückkommt. Wir sind jetzt an Ostern zum 2. Mal einfach so hingefahren. Da war er freundlich wie immer und bemüht, sich „normal“ zu verhalten. Als ich ihn fragte, meinte er, es sei ihm einfach nur „unangenehm“ zu telefonieren und versprach, das handy nun anzulassen, jetzt ist es aber wieder aus. Wir hatten definitiv keinen Streit miteinander, sondern er hat den Kontakt eigentlich zu allen Menschen abgebrochen. Ich weiß nicht, inwiefern er sein Zimmer überhaupt noch verlässt, ob er studiert bzw. irgendwelche Kontakte hat, ich glaube aber nicht.

Ich habe ihm gesagt, dass ich auch zufrieden bin, wenn er nur kurz abnimmt (dass ich weiß, es gibt ihn noch) und dann meinetwegen sagt, dass er nicht sprechen kann oder will. Wir haben ihm wiederholt gesagt bzw, auch geschrieben, dass wir ihn nicht zwingen wollen, auch Verständnis für seine Situation haben. Dann haben wir immer wieder versucht, ihn eine Zeit lang ganz in Ruhe zu lassen, in der Hoffnung, dass nach einer Weile wieder Kontakt möglich ist. Vorübergehend haben wir aber auch mal Druck ausgeübt, indem wir gesagt haben, dass wir ihm sein Geld nur überweisen, wenn er bereit ist, sich zu melden (nur melden, nicht unbedingt Gespräche.) Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich mich jetzt verhalten soll. Wenn ich alles weiterlaufen lasse, ändert sich nichts. Die Zeit verstreicht, sowohl in Hinblick auf Ausbildung, als auch in Bezug auf Therapie, meine ich. Wir können ihn ja nicht für alle Zeiten unterhalten (haben auch noch zwei andere studierende Kinder). Er sagte mir mehrmals, er habe selbst praktisch mit dem Leben abgeschlossen (aber keine konkrete Selbstmordabsicht). Ich wäre ja „zufrieden“/beruhigt, wenn ich wüsste, er ist in Therapie und spricht dann zumindest mit seinem Therapeuten. Will mich ja wirklich als Mutter in seine Probleme gar nicht einmischen oder „Privates“ erfahren.

Natürlich bedrückt mich auch, dass sich meine eigenen Gefühle ihm gegenüber stark verändern, je länger das so dauert. Wir hatten früher eine gute Beziehung zueinander, habe ich jedenfalls mal gedacht. Ich habe einfach Angst, mein „Kind“ endgültig zu verlieren. Wir trauen uns schon lange nicht mehr, ihn nach den Themen zu fragen, die uns natürlich auf den Nägeln brennen: Ob er überhaupt studiert, was er so den ganzen Tag über tut, ob er beabsichtigt eine Psychotherapie zu machen usw., damit wir ihn nicht endgültig vor den Kopf stoßen. Aber so wissen wir inzwischen selbst bald nicht mehr, wie/worüber wir mit ihm reden sollen, weil es so viele Themen gibt, die nicht angeschnitten werden dürfen.

Was kann/sollte man denn bloß in so einer Lage tun? Wenn er alle Kontakte abbricht, sägt er doch wirklich an dem Ast auf dem er sitzt?

Anna
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von ndskp01 »

Liebe Anna,

deine Lage ist sehr schwierig, ich finde es aber richtig, dass du immer wieder versuchst, den Kontakt zu halten. Wenn dein Sohn zum Doc geht, ist das ja immerhin schon mal etwas. Weißt du, wie der Arzt heißt? Und: Hat dein Sohn Freunde, die vielleicht doch noch mit ihm in Kontakt stehen?

[Ergänzung: Gerade habe ich deine älteren Postings durchgeblättert und gesehen, dass du mit dem Arzt bereits gesprochen hast, also war nix neues mit mei'm Vorschlag Nr. 1. <img src="images/icons/icon9.gif" alt="]

Lieben Gruß, deine PUK

Das war jetzt natürlich noch kein konkreter Rat. Wenn du eine der Fragen mit "ja" beantworten kannst, dann spricht mit den Leuten, zu denen er Kontakt hat; das wird ihm nicht helfen, aber dir vielleicht gut tun.

Es könnte tatsächlich helfen, ihm das Geld zu streichen; bei mir war das ein wenig ähnlich und ich habe mich abhängig gefühlt.
Als meine Mutter mich nicht mehr finanziert hat, musste ich raus auf den Arbeitsmarkt, und eigenes Geld verdienen hat mir gut getan, auch wenn der Anfang schwierig war.
S.P.
Beiträge: 66
Registriert: 13. Nov 2007, 12:22

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von S.P. »

Hallo Anna,
es ist eine schwierige Situation, in der du da steckst. Ich (selbst Mutter von zwei Kindern) würde auf jedenfall versuchen, ihm noch einmal einen Überraschungsbesuch abzustatten und mit ihm auf jedenfall in ein längeres Gespräch versuchen zu kommen. Ich würde ihm erklären, dass du dir Sorgen um ihn machst und dass du ihn nicht abgeschrieben hast. Wie alt ist dein Sohn?
Man ist schließlich nicht nur die ersten 18 Jahre lang Mutter, sonder sein ganzes Leben lang und das müsste ihm deutlich gemacht werden, auch dass da Menschen sind, die ihn lieben. Ich denke, dass man mit Zwang oder Geldhahn abdrehen wenig erreicht - Reden ist angesagt, auch wenn es ihm schwerfällt.

Die Anregung, vielleicht eventuelle Freunde zu kontaktieren, finde ich gut.

Liebe Grüße
Sibylle
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo Sibylle, hallo PUK,

mein Sohn ist jetzt 25. Mit dem Arzt, der ihn behandelt, habe ich zweimal kurz telefoniert. Er sagt, dass er natürlich Schweigepflicht hat, das ist ja klar. Außerdem gefährde es das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten, wenn er mit uns gegen den Willen/ohne Wissen meines Sohnes Kontakt hat. Mein Sohn sagte mir, dass er Vertrauen zu diesem Arzt habe. Aber es ist natürlich ein Psychiater, ob dieser ihm eine Psychotherapie anbieten/vermitteln würde oder nur auf Tabletten schwört, weiß ich nicht. Nach einer Therapie fragen würde mein Sohn nicht, davor hat er ja gerade riesige Angst (soziale Phobie). Der Arzt hatte uns angeboten, einen Familientermin mit uns zu machen, das Einverständnis unseres Sohnes vorausgesetzt. Das hätten wir ganz prima gefunden. Der Arzt hat meinen Sohn über die Anrufe informiert und über das Angebot eines gemeinsamen Termins. Darüberhinaus will er aber nichts mehr tun, ohne dass die Aktivität von meinem Sohn ausgeht. Ich selbst habe an Ostern auch mit meinem Sohn darüber gesprochen. Aber er hat nichts dazu gesagt, offenbar will er nicht.

Wir vermuten, dass er keine Freunde oder engeren Bekannten vor Ort hat. Genau das ist ja gerade sein Problem. Hier bei uns auch nicht. Mit seinem Bruder, der früher einen guten Zugang zu ihm hatte, spricht er auch nicht mehr.

Mit dem "Geldsperren" ist das so eine Sache. Der Arzt meinte, dass er natürlich kein Interesse daran hat, wenn ein Patient "gezwungen" kommt, da dieser dann ja nicht kooperationswillig ist. Außerdem hat unser Sohn auf einen ersten Versuch in dieser Richtung nicht reagiert. Er hat mir gesagt, dass er wahrscheinlich abgewartet hätte, bis er gar keinen Pfennig mehr gehabt hätte. Und dann? Wir wissen halt nicht, wie tief der Absturz wäre, den er selbst zulassen würde, bzw. was er in seiner Verzweiflung täte.

Das Problem mit dem Arbeismarkt ist, dass er keinerlei Berufsausbildung/-abschluss hat und dass ihn dabei zusätzlich auch noch seine Kontaktängste behindern. Er hat auch weder früher neben der Schule noch neben dem Studium gejobbt, denn so üppig ist das, was er von uns bekommen kann, ja auch nicht. Lieber schränkt er sich extrem ein und spart am Nötigsten.

Kannst du mir Genaueres darüber sagen, PUK, in welcher Situation deine Mutter dir das Geld gesperrt hat? Wie alt du warst, hattest du eine Ausbildung und so? Was für Gefühle hast du dabei gehabt? Das Problem ist natürlich, dass wir überhaupt nicht erfahren, was unser Sohn eigentlich so treibt. Wenn wir wüssten, dass er irgendetwas gegen seine Krankheit unternimmt, würden wir ja akzeptieren, dass es die Ausbildung weiter verzögert, dann wäre ja zumindest eine Hoffnung am Horizont. Rein theoretisch könnte es ja sogar sein, dass er irgendwie wirklich studiert. Vor seiner Depression hatte er ja keine Leistungsprobleme. Das glaube ich aber eher nicht.

Ich schwanke immer bei der Überlegung, womit wir ihm mehr helfen würden:
Fördern wir seine Erkrankung nicht sogar, wenn wir immer nur weiter zahlen - denn ohne Geld kann er ja nicht dauerhaft in seinem Zimmer hocken und nichts tun, oder verhindern wir eine positive Entwicklung, wenn wir gerade jetzt den Geldzufluss kappen, denn aktuell geht er ja offenbar zu einem Arzt. Eventuell provozieren wir sogar eine Verzweiflungshandlung? Wie krank ist er überhaupt wirklich, was könnte er aktiv tun, wenn er wollte? Es ist so blöd, dass wir wirklich überhaupt nichts erfahren. Oder müsste er nicht eigentlich in eine Klinik (was er aber niemals freiwillig täte).

Anna
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von ndskp01 »

Hallo liebe Anna,

dann will ich mal versuchen, meine Erinnerungen ein bisschen zu sortieren. Ist aber schwierig.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass ich ein eher schüchterner, unsicherer Mensch bin, ein Kind, das sich in der Schule so gut wie nie zu Wort gemeldet hat, rasende Angst vorm Reden in der Klasse hatte und in der Freizeit vor allem gerne gelesen hat.

Ich habe studiert, hatte auch gute Erfolge, aber das Studieren war für mich in beruflich-sozialer Hinsicht eine Katastrophe. Ich habe Jura studiert, mit 300 Kommilitonen im gleichen Hörsaal, anonymer geht es kaum. Gejobbt habe ich nicht, denn ich bekam ja Geld von meinen Eltern, und habe mir vor mir selbst immer wieder Ausreden einfallen lassen, warum ich das nicht tun sollte, so nach dem Motto, andere haben das Geldverdienen viel nötiger, ich nehme Studenten, die das Geld brauchen, ihre Chance, außerdem kann ich ja auch gar nichts...

Im Studium bin ich die sozialen Ängste nie losgeworden, und sie kamen dann mit der Trennung vom Partner und bevorstehendem Examen als Depression hoch. Im Gegensatz zu deinem Sohn bin ich damit aber nicht zum Arzt gegangen, weil ich mich nicht wichtig genug nahm. Einmal bin ich heulend vor der Tür der Beratungsstelle für Studierende gestanden, und sie haben mir keinen Termin gegeben, mich ohne Hilfe wieder nach Hause geschickt.
Meine Eltern haben mich immer unterstützt, finanziell, auch als ich dann noch weiter studieren wollte. Irgendwann habe ich dann ein befristete Zeit selbst Geld verdient, aber keine Versicherungsansprüche erworben und danach war ich dann ohne Einkommen jeglicher Art arbeitslos, habe jeden erdenklichen Job angenommen. Die Zeit war schrecklich, ich habe schlimme Erfahrungen in verschiedenen Firmen gemacht und trotzdem war ich viel zufriedener als die lange Zeit vorher. Und ich hätte um nichts in der Welt meine Eltern um Geld gebeten, das habe ich auch während der ganzen Studienzeit nicht getan. Ich hatte immer das Gefühl, meinen Eltern gegenüber verpflichtet zu sein, den Scheck anzunehmen.

Jedenfalls, um zu dir zurückzukommen, habe ich manchmal gedacht, wenn ich stärker unter dem Druck gestanden hätte, Geld zu verdienen, hätte ich auch eher an meinen sozialen Problemen arbeiten können, ich wäre schneller erwachsen geworden. Es ist dann mit über 30 ganz schön schwer gewesen, sich auf ein Arbeitsverhältnis einzustellen.

Aber vielleicht ist das auch Blödsinn, eine aus der Krankheit gewachsene Fehleinschätzung.

Ich nehme meinen Rat zurück, und hoffe, dein Sohn geht bald in Therapie.

Viele Grüße, deine Puk
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo PUK,

zunächst einmal vielen, vielen Dank für dein Schreiben. Ich finde, das, was du über dich früher schreibst, trifft fast vollständig auf meinen Sohn auch zu. Mein Hauptproblem, weswegen ich auch hier im Forum bin, ist, dass mein Sohn die Kommunikation mit mir ablehnt und ich ihn auch nicht fragen kann, was er denkt/fühlt. Darum kann ich aber auch schlecht für mich selbst entscheiden, was ich tue, denn ich will ja auf jeden Fall das Richtige tun und es ist schon so viel Zeit verstrichen.

Zunächst einmal:
Du schreibst über große Schüchternheit und schlechtes Selbwertgefühl als Kind. Die übliche Erklärung dafür sind Eltern, die ihre Kinder überfordert, nie gelobt oder gar schlecht gemacht haben. Daran kann ich mich speziell bei diesem Sohn überhaupt gar nicht erinnern. Eher ganz im Gegenteil. Ich habe meiner Meinung nach auch nie "überbemuttert", da ich dann wieder berufstätig war und eigene Interessen hatte. Was würdest du sagen, woran es bei dir lag?

Dann schreibst Du, dass du deine Eltern nie um etwas gebeten, aber ihre "Leistungen" entgegengenommen hast, weil du dich dazu verpflichtet fühltest. Bei meinem Sohn ist typisch, dass er praktisch von frühester Kindheit an eigentlich nie Wünsche oder gar Forderungen geäußert hat. (Ganz anders als sein älterer Bruder!) Eltern benutzen solche Wünsche ja ganz gern als Druckmittel (" Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, darfst du nicht in die Disco...") Mein Sohn hätte lieber für den Rest seines Lebens nie wieder Taschengeld, neue Klamotten oder so bezogen, bevor er auf irgendeinen Druck in dieser Art eingegangen wäre. Bis heute bekommen wir auf die Frage, was er sich zum Geburtstag wünscht, keine Antwort (außer: "Was ich brauche, kann man mit Geld nicht bezahlen...") Wenn er dann mit uns zusammen ist, sträuben sich uns die Haare bei seinem Outfit (findet man so garantiert in keiner Altkleidersammlung) und hinterher stellen mein Mann und ich immer fest, dass wir ihn unabhängig voneinander mit heiler Unterwäsche, heilen Schuhen, funktionierender Armbanduhr, funktionierendem Bildschirm (in seinem Studium wirklich nötig)....ausstaffiert haben, was eben wirklich DRINGEND notwendig war, OHNE dass er uns darum gebeten oder hinterher irgendetwas wie "danke schön" gesagt hätte. Dieses demonstrativ "Keine-Wünsche-Haben" ist für uns viel mehr Druck, als wenn er Forderungen stellen würde. Dann hätten wir nämlich überhaupt kein Problem damit, je nachdem ganz sachlich "ja" oder "nein" zu sagen.

Er hat auch NIE mit uns gestritten. Wenn ihm etwas nicht passte, zog er sich einfach in sich selbst zurück und ließ uns auflaufen. Das hat er, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, schon als Kleinstkind so gemacht. Weshalb wir als Eltern sehr bald Versuche, ihn zu drängen, einstellten. Besonders "dickköpfig" war er, wenn wir versuchten, ihn in zu sozialer Kontaktaufnahme (Kinderturnen, Gleichaltrige einladen, Sportverein...) zu bewegen. Andere Eltern jammerten, dass ihre Kinder nachts abhingen, Alkohol tranken oder teure Klamotten wollten, wir bettelten: "Lass dich doch mal in die Disko fahren". Er fiel von klein auf unter anderen Kindern durch "merkwürdiges" Verhalten auf und interessierte sich für völlig alters- und jungenuntypische Sachen. Unser Fehler sicher, dass wir das akzeptiert haben, teilweise sogar besonders liebenswert fanden. ("Sonderling", "philosophische Ader"...) Du sagst, dass du dich auch immer schon als Kind isoliert hast. Könntest du sagen, woran das lag? Haben dich deine Eltern hierin zu wenig unterstützt oder im Gegenteil zu sehr gezwungen? Oder neigen sie selbst auch dazu, sich zu isolieren? (Ich bin nämlich selbst ganz gern mal nur für mich, lese sehr viel usw., allerdings behindert mich das in keiner Weise beruflich. Wenn nötig, kann ich halt auch anders.)

Nächste Frage: Wenn du sagst, du hattest mit über 30 keine Versicherungsansprüche erworben und warst beschäftigungslos - waren deine Eltern denn dann nicht unterhaltspflichtig? Ich bin mal ehrlich: Ich bin wirklich bereit, während einer Ausbildung Unterhalt zu zahlen, notfalls auch ein paar Jahre länger. Wir sind nicht die Ärmsten, hatten nie Anspruch auf BAFÖG oder so. Aber eigentlich würde ich das Geld, das ich jetzt noch für ein paar Jahre verdienen kann, gern auch zur eigenen Altersvorsorge anlegen. Was ist, wenn unsere Kinder demnächst mit über 30 krankheitshalber immer noch nicht für sich selbst sorgen können? In ganz dunklen Stunden denke ich ehrlich gestanden, dass ich zahlen werde, bis ich unter der Erde bin.

Ich hoffe, ich überfordere dich nicht zu sehr!

Anna
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von ndskp01 »

Hallo liebe Anna,

schön, dass du mir geantwortet hast; ich hatte das Gefühl, sehr viel von mir preiszugeben, und bin daher froh, dass du es gelesen hast, Danke! Ich kann deine Fragen ganz bestimmt nicht alle beantworten, aber ich pick mir mal ein paar Aspekte raus:

Gerade eben habe ich mich in einem anderen Geprächsfaden (bei "Umgang mit der Krankheit") über die Sprachlosigkeit ausgetauscht. Sie hängt eng damit zusammen, dass man seine Wünsche auch selbst nicht wahrnimmt. Wenn mich jemand fragt, was Depressionen sind, sage ich immer "Unterdrückung elementarer Gefühle, wie Angst, Wut, Schmerz, Freunde..."
Deswegen kann man dem Depri keinen Vorwurf daraus machen, dass er seine Wünsche und Bedürfnisse nicht äußert: Er kennt sie nicht!

Zum Thema "Schüchternheit und schlechtes Selbwertgefühl als Kind" sagst du: "Die übliche Erklärung dafür sind Eltern, die ihre Kinder überfordert, nie gelobt oder gar schlecht gemacht haben. Daran kann ich mich speziell bei diesem Sohn überhaupt gar nicht erinnern..."
Ich habe zu diesem schwierigen Thema einiges gelesen, und es scheint nicht unbedingt ein objektiver "Erziehungsfehler" vorliegen zu müssen. Das Kind glaubt, wenn es sich anpasst, wird die Situation am besten entspannt. Und Spannungen gibt es gewiss in jeder Familie. Overmothering gab es bei uns zu Hause ganz gewiss auch nicht. Vielleicht gab es bei deinem Sohn einen frühkindlichen Auslöser, der zu dem Entschluss geführt hat, sich zurückzuziehen? Oder etwas im Verhältnis zu den Geschwistern? Oder einfach Umgangsformen, die sich eingeschlichen haben und die sich dann weiter verstärken? (Kind redet nicht über sich, Eltern trauen sich nicht mehr zu fragen, geben auf, Kind lernt Gefühle nicht kennen und entwickelt sich in dem Bereich nicht weiter...)

Weiter schreibst du: "Er hat auch NIE mit uns gestritten. Wenn ihm etwas nicht passte, zog er sich einfach in sich selbst zurück und ließ uns auflaufen."
Das Thema kenne ich, allerdings als Angehörige; das macht mein Ex auch immer, schrecklich! Dazu fällt mir leider sonst nix ein. Naja, mein Ex fühlt sich, glaube ich, verbal unterlegen, fürchtet, dass er die Argumente, die ich bringe, eh nicht erfolgreich kontern kann, und dann stellt er eben seinen Standpunkt gar nicht erst dar.

Zum Thema Isolation: Ja, das tun/taten meine Eltern auch. Und, ganz ehrlich, ich habe Situationen bei meiner Mutter erlebt, wo klar wurde, dass sie offensichtlich auch soziale Ängste hat. Die kann man, vermutlich, "erben". - Das soll aber natürlich nicht heißen, dass ich dir auch Ängste in übertriebener Art unterstellen will.

Dass du dir Sorgen machst, dein Kind für den Rest deines Lebens finanziell stützen zu müssen, kann ich verstehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es rechtlich ist. Aber ich glaube, für erwachsene Kinder ist man irgendwann nicht mehr unterhaltspflichtig.
So wie du die Sache schilderst, glaube ich aber, dass deine Sorge unberechtigt ist. Dein Sohn ist klug, hat offensichtlich einen Schulabschluss, der ihn dazu gebracht hat, mit dem Studieren anzufangen, hat vermutlich auch erfolgreich den einen oder anderen Schein gemacht, oder? Und er ist erst 25. Wenn er nicht zu Ende studieren will oder kann, wird es ihm vermutlich in einem anderen, einem Ausbildungsberuf vergleichsweise leicht fallen, erfolgreich beruflich Fuß zu fassen. Man muss ja nicht supergut verdienen, um sich selbst finanzieren zu können; vor allem wenn man wie er wenige Bedürfnisse hat. Da reicht auch ein Job bei Edeka an der Kasse, da muss man noch nichtmal ne Ausbildung gemacht haben.

Das war jetzt wieder eine ganze Menge Text, und ich hoffe, dass es dir ein bisschen weiterhelfen kann; mir jedenfalls hilft das Schreiben...

Liebe Grüße, deine PUK
shahri
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von shahri »

Hallo Anna!


1.
Erstmal: Toll, dass du dir so viele Gedanken machst!
2.
Ich kann gut nachvollziehen, dass das eine schwierige Situation für dich ist. Meine Eltern haben vermutlich auch Angst, mich noch ewig durchfinanzieren zu müssen- aber ich wohne (wieder) Zuhause und sie wissen zumindest, dass ich versuche, zu studieren. Mittlerweile auch halbwegs erfolgreich. Du hingegen weißt, wie es aussieht, nichts darüber, wie dein Sohn momentan wirklich lebt. Du sagst aber, du hast ihn zwischendurch mal besucht- wie sah er da aus? Wie sah seine Wohnung aus? Vernachlässigt er sich und seine Wohnung? Verschlissene Kleidung ist ja nicht so schlimm, wenn es ihn nicht stört. Aber pflegt er sich sonst? Isst er regelmäßig? Etc.
3.
Zum Streichen des Geldes: Wenn dein Sohn wirklich so extreme Ängste hat, wie du beschreibst, nutzt es vermutlich nichts, wenn du ihm kein Geld mehr gibst. Ich würde in der Situation vermutlich eher meine Wohnung kündigen und auf der Straße vor mich hinvegetieren, als irgendwohin zu gehen, und nach Arbeit zu fragen. Überleg mal: wenn jemand schon nicht in der Lage ist, mit den eigenen Eltern zu telefonieren, wie soll er einer „normalen“ Arbeit nachgehen? Wenn man bloß etwas unsicher ist im Umgang mit Menschen, mag der finanzielle Druck helfen. Ist man wirklich krank, kann das ganze auch nach hinten losgehen. Bei manchen Menschen mag der "Tritt in den Hintern" helfen. Mir hat sowas aber nie geholfen. Im Gegenteil. Je mehr Druck, desto weniger habe ich gemacht, weil ich mich überfordert gefühlt habe.
4.
Wenn du regelmäßig Kontakt mit ihm haben möchtest, glaube ich, dass es wichtig ist, ganz konkrete Abmachungen zu treffen. Also nicht „lass aber dein Handy an“ „Meld dich hin und wieder mal“ oder ähnliches. Sondern: z.B. feste Termine ausmachen, wie: „Jeden Samstag 12.30 rufen wir dich an. Bitte nimm dann kurz ab.“ Oder, wenn er große Probleme mit dem telefonieren hat (das kenne ich selber- manchmal traue ich mich selbst Freunde nicht anzurufen): mach aus, dass er einmal die Woche an einem festen Tag, zu einer festen Zeit eine sms schreibt. Und wenn da nur drinsteht: Alles klar, es gibt mich noch. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass ich solche konkreten Abmachungen eher einhalte. Vielleicht klappt das ja auch bei deinem Sohn?
5.
Unangenehme Themen nicht zu besprechen, bringt nichts. Lad ihn doch mal zu euch ein. Auch wenn du dann vermutlich hinfahren und ihn abholen müssen wirst, weil er sich alleine wohl kaum aufraffen wird. Und dann: redet! Und zwar, ohne Vorwürfe zu machen. „Raff dich endlich auf“ „du solltest langsam mal mit dem Studium fertig werden, wir wollen auch langsam mal etwas für uns zurücklegen“ oder ähnliches ist total kontraproduktiv. Macht einfach klar, dass ihr nur wissen wollt wie es ihm geht, weil er euch wichtig ist (nicht fragen: geht es dir gut? Das impliziert: wehe du antwortest: schlecht! Sondern: wie geht es dir? Was für Probleme hast du?), und ob ihr etwas für ihn tun könnt (außerhalb von finanziellen Zuwendungen- manchmal müssen Telefonate geführt werden, Briefkram den man nicht auf die Reihe kriegt o.Ä.). Wenn du ihm sein komplettes Leben bezahlst, kannst du auch erwarten, wenigstens zu wissen, ob er überhaupt noch zur Uni geht. Aber er muss wissen, dass ihr ihm keine Vorwürfe macht, wenn er nicht geht, solange er bloß versucht, das alles wieder in den Griff zu kriegen.

Keine Ahnung, ob dir meine Tipps weiterhelfen. Ich wünsch dir und deinem Sohn jedenfalls alles gute.
sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von sentiero »

Liebe Anna

Ich würde Dir gerne eine private Mail schreiben. Ich bin Mutter eines Sohnes, der ähnliche Probleme hatte, nur nicht ganz so heftig, wie Du es beschreibst. Mein Profil ist offen. Wenn Du möchtest, schick mir eine kurze Mail, dann kann ich Dir antworten.

Liebe Grüße, Sentiero
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo,

erstmal vielen Dank allen für die ausführlichen Antworten, ich habe jetzt einiges Material zum "Nachdenken"!

Shahri: Deine Frage nach dem "sonstigen Zustand" meines Sohnes trifft in der Tat einen ganz zentralen Punkt, der mir größte Sorgen bereitet: Jedes Mal, wenn wir ihn in den letzten Jahren in seinem Zimmer antrafen, herrschten dort unvorstellbare Zustände: Essenreste, schmutziges Geschirr, schmutzige Kleidung vermischt mit "sauberer" usw., usw. Ich muss dazusagen, dass ich mit Sicherheit kein "Ordnungsfanatiker" bin und auch schon aus der Jugendzeit meines Sohnes (wie auch von meinen anderen Kindern) so einiges gewöhnt, aber dieses Ausmaß kenne ich sonst nur aus dem Fernsehen, wenn Messi-Wohnungen entrümpelt werden.

Schon im letzten Sommer war ich bei seinem Anblick zutiefst erschrocken, weil er so abgemagert war. Seitdem er vor knapp zwei Jahren den Studienort gewechselt hat, geht er nicht mehr in die Mensa. Ich vermute, er ernährt sich überwiegend von Haferflocken und Milch. Ich habe ihn deshalb schon vor Monaten auf das Thema Magersucht angesprochen. Allerdings hat er die beiden letzten Male, als wir miteinander essen waren, seinen Teller leer gegessen. Auch an Weihnachten hat er zwar nicht gut, aber ausreichend gegessen.

Im Augenblick kann ich ihn leider aus beruflichen Gründen nicht besuchen, hatte ihm allerdings genau das, was du vorschlugst, an Ostern angeboten, nämlich dass wir ihn im Auto mit nach Hause nehmen und ihm dann die Rückfahrt mit dem Zug bezahlen. (Mit dem Zug fährt er ganz gern, sagte er mir an Weihnachten.) Wir haben ihm dann ein paar Tage Bedenkzeit gelassen und fuhren inzwischen weiter zu einem anderen Sohn. Danach sagte er ganz klar, dass er nicht mitfahren will. Nun werden wir das nächste Mal (wenn nichts ganz Extremes dazwischenkommt) im Sommer hinfahren.

In Bezug aufs Telefonieren haben wir nun in den letzten Jahren schon einiges durchexerziert von
- "Wir rufen zu einer bestimmten Zeit an, die wir vorher mitteilen" über
- "Sag uns bitte, wann wir anrufen sollen, wir tun das dann",
- "Ruf du uns zu einer ganz bestimmten Zeit an" oder,
- "Schick uns eine E-Mail, SMS oder so...."
Ich habe ihm auch ganz klar gesagt, dass ich nicht böse bin, wenn er mir am Telefon sagt, dass er jetzt nicht sprechen kann, aber wenigstens seine Stimme hören möchte ich.


Aber ich bin ja ehrlich: Natürlich will ich auch wissen, ob er seine Medikamente nimmt, ob die seiner Meinung nach helfen und ob er mit dem Arzt über eine Therapie geredet hat/selbst bereit ist, eine solche zu machen und er kennt mich natürlich so genau, dass er das auch weiß. Ich hatte sehr gehofft, ihn an Ostern zu Hause zu haben, damit ich in Ruhe mit ihm über alles sprechen kann, gerade auch über das Studium. Das ist nett, Shahri, wenn du sagst, wir hätten Anspruch darauf, informiert zu werden, wenn wir ihm alles zahlen. Bloß eins habe ich inzwischen leider gelernt: Bloß weil ich theoretisch einen Anspruch auf etwas habe, kriege ich es in diesem Fall noch lange nicht.

Natürlich tut mir das Geld "weh" und ich denke voll Sorge an seine Lebensperspektiven, denn so jung ist man mit 25 halt nicht mehr, wenn man ganz am Anfang steht. Das, was du meintest, PUK, dass man auch bei Edeka an der Kasse Geld verdienen kann, ist für meinen Sohn sicher nichts. Er ist im naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich sehr begabt ich denke weit über das Normale hinaus, und hat extrem "theoretische" Interessen, denkt sehr abstrakt und kompliziert. Er hat zwar dreimal die Studienrichtung gewechselt, doch lagen alle Studiengänge in diesem Bereich. Er hatte auch nach gerade mal 4 Semestern ein wirklich gutes Vordiplom in seinem ersten Studiengang abgelegt. Wir waren damals ehrlich gesagt, ziemlich überrascht darüber, dass das so schnell und reibungslos klappte, denn wir hatten natürlich mit Problemen sozialer Art gerechnet. Also "im Prinzip" ist er wohl ausbildungsmäßig im richtigen Boot, sofern er sich gesundheitlich überhaupt aufs Lernen konzentrieren kann. Ich hatte früher mal die Vorstellung, er könnte so im Bereich Labor/Forschung was machen, das passt ziemlich zu seinem Typ.

Handwerklich-praktisch ist es das genaue Gegenteil (zwei linke Hände mit je fünf Daumen) und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass er in einem praktischen Beruf glücklich sein könnte. Schon gar nicht, dass er die sozialen Fähigkeiten hat, sich dort durchzusetzen. Materielle Interessen hat er eigentlich nicht sonderlich, mit einem Job, der gering bezahlt würde, könnte er wohl zufrieden sein. Und ich wäre sowieso mit allem zufrieden, mit dem er zufrieden ist. In allererster Linie möchte ich nämlich wirklich mein Kind behalten und von Zeit zu Zeit mal seine Stimme hören.

Ich habe mir jetzt am Sonnabend das Buch "Schattendasein" gekauft und bin seither am Lesen. Habe am selben Tag weitere bestellt, um sie meinen Kindern zu schicken, in erster Linie ihm. Vielleicht bekomme ich ihn auch dazu, im Forum mitzulesen. Ich werde ihm da dann auch einen Brief dazulegen und ihm einen ganz genauen Termin sagen, an dem ich anrufen werde. Mal sehen, ob er diesmal darauf eingeht. Ansonsten schreibe ich ihm immer wieder in geregelten Abständen in der Hoffnung, dass er doch irgendwann reagiert. Vielleicht passiert ja auch in seiner Therapie etwas, was seine Hemmschwelle etwas senkt, oder die Medikamente helfen dabei.

Anna
shahri
Beiträge: 14
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von shahri »

Hallo Anna!

Es tut mir wirklich leid, dass alle Versuche der Kontaktaufnahme und Hilfsangebote derart an deinem Sohn abprallen.
Nachdem ich deine ganzen Beiträge durchgelesen habe, habe ich ein wenig das Gefühl, dass dein Sohn vielleicht nicht nur depressiv ist. Du beschreibst ja selbst, dass er die jetzigen Probleme schon als Kleinstkind hatte, nur nicht so ausgeprägt. Das hört sich, finde ich, mehr nach einer Persönlichkeitsstörung oder etwas in der Art an, mit einer Depression obendrauf (mich hat das ganze spontan an einen Fernsehbericht erinnert, den ich vor einiger Zeit mal gesehen habe, da ging es um das Asperger Syndrom…liegt vermutlich total daneben, ich bin ja auch kein Fachmensch, aber ich habe schon stark das Gefühl, dass bei deinem Sohn mehr Probleme vorliegen als „nur“ Depression und soziale Ängste).
Aber leider ist im Grunde genommen auch völlig egal, was er hat, wenn er sich nicht richtig behandeln lässt (und nicht mal das weißt du ja). Das ist wirklich eine vertrackte Situation. Wenn er sich so sehr vernachlässigt, geht es auch schon in eine Richtung, in der evtl. Handlungsbedarf angesagt wäre. Hast Du schonmal mit Fachleuten darüber gesprochen, was du tun kannst? Psychosozialer Dienst? Selbsthilfegruppen für Angehörige? Da gibt es ja auch hier auf der Seite des Kompetenznetzes einige Adressen. Wenn dein Sohn sich so sehr vernachlässigt, ist das meiner Meinung nach schon grenzwertig. Selbsthilfebücher zu lesen und zu verteilen mag ein Anfang sein, aber ich bspw., halte von so was überhaupt nichts und würde es vermutlich ungelesen wegwerfen, wenn meine Mutter mir so etwas schicken würde. Ich würde dir raten, an professioneller Stelle Informationen einzuholen, was du tun kannst. So wie du die Sache beschreibst, wird dir das Forum allein vermutlich nicht sehr hilfreich sein können. Außer dir Mut zu machen, deinen Sohn nicht aufzugeben.

Alles Gute
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von ndskp01 »

Hallo liebe Anna,

von dem, was du nun schreibst, zu urteilen, sieht es mir doch sehr danach aus, dass du ganz genau zu wissen glaubst, was für dein Kind gut ist. Es mag ja richtig sein, dass Eltern ihre Kinder gut kennen, aber so nimmst du ihm die Autonomie. Du kannst im Grunde nicht wissen, in welcher Arbeit sich dein Kind wohlfühlen würde, solange er es nicht selbst ausprobiert hat. Gib ihm mehr Freiraum! Und wenn du mit ihm sprichst, dann versuche, echt zuzuhören! Gib nicht selbst die Antworten!

Mir fällt ein Gespräch ein, das ich kürzlich mit meiner Mutter hatte, da habe ich mich dazu durchgerungen, ihr von einer für mich schwierigen Sache zu erzählen. Sie hat leider gar nicht wirklich zugehört, sondern ganz schnell die Situation aus ihrer Sicht bewertet, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Stress, den ich habe, doch "eigentlich" Eustress ist und damit war das Thema für sie erledigt. Dass mich die Angst unter die Bettdecke zwingt, habe ich nicht gesagt, nicht sagen können, weil ich dann nochmal ganz neu hätte ansetzen müssen.

Nichts für ungut, Kommunikation ist eben oft eine schwierige Angelegenheit.

Viele Grüße, deine Puk
Zehlendorf
Beiträge: 86
Registriert: 6. Feb 2008, 18:22

Re: Kann mir jemand einen Rat geben, Angehöriger oder Betroffener?

Beitrag von Zehlendorf »

Hallo PUK, hallo Shahri,

vielen Dank für eure Schreiben.

An "Asperger" habe auch ich immer mal so gedacht. Dieses "exzentrische" Verhalten, die extreme Liebe zu Mathematik und anderen Spezialgebieten (und schon im sehr frühen Alter) und auch die sozialen Probleme werden ja immer in der Literatur beschrieben. Auch diese typische motorische Ungeschicklichkeit. Aber das ist ein ganz ganz schwieriges Thema und ich bin kein Psychologe - auch für die ist das ja ein Spezialgebiet. Und sogar Ärzte sollten bekanntlich nicht versuchen, an Familienmitgliedern "herumzudoktern". Ob sich die sozialen Probleme bei einem "leichten" Asperger (er kam ja z.B. ohne Hilfe bis zum Vordiplom, einschließlich mündlicher Prüfungen und so) und sozialer Phobie in der Praxis so stark unterscheiden - keine Ahnung, ehrlich gesagt. Der Arzt hat jedenfalls auf das letztere getippt. Tatsache ist, dass er aktuell tatsächlich eine ziemlich heftige Depression hat, die sich über ein anderes Problem "drübergelegt" hat, so wohl auch der Arzt.

Das ist nicht so, liebe PUK, dass ich genau weiß, was für meinen Sohn gut ist (leider gar nicht). Aber ich "weiß" in der Tat, dass praktische Tätigkeiten ihm überhaupt gar nicht liegen. Mehr "Raum", sich selbst zu finden, kann ich ihm leider nicht mehr geben: Es ist etwa eineinhalb Jahr her, dass wir das letzte Mal mit ihm über Ausbildung und so gesprochen haben. Seither vermeiden wir das Thema, weil wir nicht wissen, was bzw. wie wir das ansprechen sollen und um die ja nun leider sehr seltenen Kontakte nicht auch noch zu zerstören. Vorher, als er wie gesagt mehrmals sein Studium wechselte, war es genau andersherum: Er hat mich (und seinen Bruder) in stundenlangen Telefongesprächen regelrecht angefleht, wir sollten ihm sagen, welche Entscheidung für ihn richtig wäre. Da haben wir immer wieder geantwortet, dass wir das nicht beurteilen könnten, und das kann ja ein anderer nun wirklich nicht. Ich habe nur gesagt, dass wir Eltern seine Entscheidung auf jeden Fall mittragen würden, dass er sich aber in einem überschaubaren Zeitraum (1 - 2 Semestern) selbst "endgültig" entscheiden müsste. Ich habe eher den Eindruck, dass er mir und seinem Bruder genau diese "Verweigerung" übel nimmt.

Ich versuche nicht, liebe Shahri, meinen Sohn durch "Selbsthilfe-Lektüre" zu "heilen" (wäre bei der Schwere der Problematik auch einfach lachhaft), sondern ich suche nach Wegen, zu ihm durchzudringen. Und ich weiß, dass er selbst viel grübelt und nach Informationen über seine Krankheit sucht, was ja wohl auch normal ist.

Ansonsten aber bin ich euch gerade für "kritische" Bemerkungen zu meinem Verhalten besonders dankbar. Davon habe ich nämlich nichts, wenn mir jemand sagt, dass ich alles prima mache. Dass dem nicht so ist, zeigen ja wohl die Tatsachen"

Anna
Antworten