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Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 28. Mär 2008, 13:24
von Falter
Hallo,

ich lese hier schon ein paar Wochen mit und möchte jetzt auch gerne mal meine Situation schildern. Vielleicht kennt ja der eine oder andere eine ähnliche Situation und hat ein Patentrezept für mich 

Zur Vorgeschichte:
Das Verhältnis zu meiner Mutter war eigentlich nie richtig gut bzw. entspannt. Meine Eltern haben sich scheiden lassen als ich drei war und meine Mutter hat die Trennung m.M.n. nicht verarbeitet und war mit mir alleine überfordert. Als ich 12 oder 13 war, hat sie ihren jetzigen Mann kennengelernt. 10 Jahre lang haben beide weiter in ihren Wohnungen gewohnt und sind erst zusammen gezogen, als ich auszog. Allerdings hat meine Mutter die ganzen 10 Jahre lang immer nur davon geredet, dass wir bald eine Familie werden und ich dort dann mein eigenes Zimmer bekomme.
Ich bin dann ausgezogen sobald ich es mir leisten konnte, habe meinen Mann kennengelernt, geheiratet und unsere Tochter ist nun schon 20.

Nach meinem Auszug wurde unser Verhältnis etwas entspannter, aber leider nie so frei, wie ich es jetzt z.B. mit meiner Tochter – glücklicherweise – erlebe und lebe.
Meine Mutter hat mir sehr viel Liebe mitgegeben (das zumindest sagt mein Therapeut) , aber auch die „Anweisung“ ich solle immer schön artig sein und wurde auch immer dafür belohnt. Als meine Tochter so 10 Jahre alt war, merkte ich immer mehr, dass sie dies auch auf sie übertragen wollte. Mein Mann und ich waren uns einig, dass wir da einschreiten müssen und haben versucht, klarzumachen, dass wir unser Kind zu einem selbstbewussten, offenen und lebensbejahendem Menschen erziehen möchte. Mit der Erziehung hat es geklappt – dafür bin ich ziemlich dankbar – aber aufgrund dessen, dass meine Mutter eben eine andere – ich sage jetzt mal – Lebensweise oder –auffassung (ich weiß gerade nicht so recht, wie ich das auf die Schnelle formulieren soll) hat sind wir nun in ihren Augen ganz schrecklich, keiner hat sie richtig lieb usw.usf. Das volle Programm hat. Das meine Tochter damals damit überfordert war und aufgrund dessen nicht das von meiner Mutter erhoffte harmonische Verhältnis zwischen den beiden entstanden ist, versteht meine Mutter bis heute noch nicht. Sie erwartet als Oma ein Enkelkind, dass immer lieb ist, sich immer meldet, auf das sie stolz sein kann.

Aufgrund der daraus resultierenden endlosen nervenzermürbenden Diskussionen und auch Streitereien mit Tränen usw. hat sich natürlich das gesamte Verhältnis die letzten Jahre ziemlich verschlechtert. In der Folge habe ich mich ziemlich zurückgezogen und beschränke den Kontakt eigentlich auf 1-2 x wöchentliche Telefonate und vielleicht 1 x im Monat einen Besuch. Das ist natürlich in ihren Augen auch wieder ein Zeichen, dass ich eine schlechte Tochter bin. Bei anderen Familien laufe das ganz anders, nur sie hat so eine schlechte Familie. Wenn ich dann sage, in anderen Familien leisten aber auch beide Seiten ihren Beitrag, dann ist das auch wieder nicht richtig. Ich würde Tatsachen verdrehen usw.

Vor ca. einem halben Jahr ist es mal wieder eskaliert. Der Mann meiner Mutter ist aber ziemlich vernünftig und hat zu 95% meine Auffassung von der desolaten Situation bestätigt, also mir Recht gegeben, dass der Fehler halt zu 95% im Verhalten meiner Mutter liegt. Ich müsse jedoch halt als Tochter Verständnis haben und so weiter…..Das sind dann die restl. 5%.
Jedenfalls sind wir nach mehreren Stunden überein gekommen, einen Neuanfang zu starten. Das ist uns nur schwer geglückt, aus meiner Sicht jedenfalls. Irgendwie ist da wohl zuviel Porzellan schon zerschlagen worden.

Nun zu dem Auslöser für meine akute Tränenphase und für mein heutiges Posting:

Gestern besuchte sie mich. Es war eigentlich anfangs ganz nett. Ich bin ja schon immer froh, wenn wir uns einfach nur wie zwei Bekannte unterhalten können. Das wir nach all denn Jahren (ich bin mittlerweile fast 50) keine Harmonie und Innigkeit mehr erleben werden miteinander, damit habe ich mich abgefunden.
Nach 10 Minuten ging es aber leider wieder los. Meine Tochter und auch wir – mein Mann und ich – könnten es so gut haben und würden mit Geschenken überhäuft, wenn wir nur netter wären. Wobei mein Mann ihrer Meinung nach ein netterer Mensch ist, als wir beide, also meine Tochter und ich. Erst einmal habe ich mich nicht darauf eingelassen und gedacht, ich muss versuchen, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Das gelang mir aber nicht, da sie immer mehr „ausholte“. Ich hätte ganz viele schlechte Eigenschaften, würde lügen und mit „allen“ Leuten über sie schlecht sprechen. Hierzu muss ich sagen, dass ich natürlich mit meiner besten Freundin, die ich mittlerweile schon über 30 Jahre habe und die auch die ganze Situation kennt, über meine Probleme spreche. Das erachte ich auch als reel, ich muss das ja schließlich auch verarbeiten, was da so auf mich eingeprasselt ist. Auf Nachfrage, welche schlechten Eigenschaften ich denn hätte, hat sie nichts geantwortet. Eine andere Freundin spricht mich jedes Mal, nachdem sie meine Mutter gesehen hat, an, und meint, ich müsse ihr dringend empfehlen zum Arzt zu gehen, da man das im Gesicht sehen kann, dass sie krank ist. Mein Vater wurde mir natürlich auch wieder auf dem Tablett serviert, wie schlecht er sie damals behandelt hat und dass sie mit mir alleine durchkommen musste, er sich um mich nicht gekümmert hat etc. Also das volle Programm. Ich kann das eigentlich alles gar nicht aufzählen, was sie noch vom Stapel gelassen hat. Dadurch dass ich in die Offensive gegangen bin, sprich ich habe versucht mit zu verteidigen, habe ich natürlich einiges auch noch schlimmer gemacht.

Ich bin inzwischen auch der Meinung, dass meine Mutter schwer depressiv ist.
Sie schwenkt auch immer schnell um. So hat sie mir z.B. gestern zwischendurch Geld gegeben, damit wir uns was gönnen können. Im gleichen Atemzug aber gesagt, dass sie nicht bereit ist mehr zu geben. Warum auch fragte ich sie, wir wollen das ja auch gar nicht. Ich habe ihr gesagt, dass sie ihr Geld nehmen soll, ich will es nicht. Das war natürlich auch nicht richtig.

Jedenfalls ging das alles gute 1 ½ Stunden so und ich habe immer nur gedacht, es muss mich ganz schnell jemand wecken, damit ich aus diesem Albtraum erwache.

Kaum war sie aus der Tür raus, fing ich an zu weinen und bis auf einige kurze Unterbrechungen tue ich das auch jetzt noch. Mein Mann war total entsetzt. Er meinte noch, an Ostern als wir dort waren, war meine Mutter „mal nicht so anstrengend“ vielleicht geht es ja doch noch bergauf.

Ich selbst mache mittlerweile eine tiefenpsychologische Therapie, die aber leider Anfang April ausläuft. Dort habe ich schon einiges verarbeiten können, aber bei diesen ganzen Rückschlägen fällt es mir doch langsam zunehmend schwerer, ein „normales“ Leben zu führen.

Ich habe nun beschlossen, den wirklich letzten Versuch zu starten und mit ihrem Mann ein Gespräch unter vier Augen führen. Entweder müssen wir meine Mutter dazu bewegen einen Arzt aufzusuchen und an ihrem Verhalten zu arbeiten oder ich muss den Kontakt abbrechen, so schwer mir das trotz allem auch fallen würde. Schließlich ist sie ja meine Mutter.

Ansonsten haben wir drei – mein Mann, meine Tochter und ich – ein glückliches und harmonisches Familienleben, einen kleinen Freundes- und einen großen Bekanntenkreis. Und zwischenmenschliche Probleme gibt es ansonsten mit niemandem. Sicherlich ist man mal mit dem einen oder andren nicht der gleichen Auffassung, aber das sind immer Lapalien und kommt wie ich meine in allen Lebensbereichen vor.
Meine Mutter hat keine Freundin, kein Hobby und sie haben nur einen kleinen Bekanntenkreis. So „normale“ Dinge sage ich jetzt mal, wie mal ins Kino gehen oder gegenseitige Essenseinladungen zu Hause mit Freunden kennen sie nicht so. Wir leben ein ganz anderes Leben.
Das wollte ich jetzt als abschließenden Baustein zum Gesamtbild sagen.

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 28. Mär 2008, 13:39
von TearsforFears
Hallo,
also Alterdepression ist ja nicht selten. Es könnte aber auch Demenz sein (wirkt oft ähnlich nach außen wie eien Depression). Das blöde ist halt, wie kriegst Du Deine Mutter zum Arzt? Wäre vielleicht besser, ihr Mann übernimmt das. Mit dem kannst Du ja anscheinend ganz gut, sprich doch erstmal mit ihm. Er kann dem Hausarzt Deiner Mum ja mal nahelegen, dass der mal etwas genauer hinschaut.
Viel Glück,
Tears

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 28. Mär 2008, 13:40
von ndskp01
Armer Schmetterling,

was du berichtest, hört sich gar nicht gut an. Du willst deiner Mutter helfen, und das ist nur normal, aber du leidest, wenn du sie triffst. Ja, bestimmt ist es gut, mit ihrem Partner ein ernstes Gespräch zu führen.

Trotzdem kann man dir wohl nur raten: Pass auf dich auf und schütze dich, so gut du kannst. Das Verhalten, wie du es schilderst, ist verletzend und zieht dich runter. Du hast ein Recht darauf, zu leben! Und das fröhlich!

Mach's gut; manchmal hilft Lachen (Wechselwirkung Körper/Seele).

deine P

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 28. Mär 2008, 13:46
von Falter
Hallo Tears,
danke dir für deine rasche Antwort.
An Altersdepression habe ich noch gar nicht gedacht, da es ja eigentlich noch nie, also auch in jüngeren Jahren, harmonisch bei uns war.
Werde mich dazu mal schlau machen.

Ich hoffe, dass wir sie dazu bewegen können einen Arzt aufzusuchen. Dabei fällt mir jetzt gerade ein, dass sie gestern auch sagte, dass ihr Mann ihr das schon einmal vorgeschlagen hätte. Aber wie das so ist in dieser Generation: Man geht doch nicht wegen einer Lapalie zum Arzt und zu einem Therapeuten schon gar nicht. ....Ich bin doch nicht verrückt....

Ich hoffe, dass ich nicht zum letzten Schritt gezwungen werde. Das Gespräch mit ihrem Partner werde ich aber leider erst Ende April führen können, da sie jetzt drei Wochen in Urlaub fahren. Dass sie jetzt mittlerweile 2-3 x im Jahr verreisen, haben sie im Grunde auch mir zu verdanken. Das habe ich mal vor ein paar Jahren vorgeschlagen, damit sie mal auf andere Gedanken kommen und nicht immer nur "um uns kreisen".

Ich merke aber, dass mir einfach das niederschreiben schon sehr gut getan hat.

Viele Grüße
vom Falter

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 28. Mär 2008, 13:47
von Falter
Auch dir Danke für deine lieben Worte, puk.

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 29. Mär 2008, 13:58
von Zehlendorf
Hallo Falter,

man merkt, dass dich das Verhältnis zu deiner Mutter immer noch stark beschäftigt (und bedrückt), obwohl ihr euch beide in einem Alter befindet, in dem Tochter-Mutter-Beziehungen sich ja meist schon lange verändert haben. Sprich: Es geht um Erwachsene, die seit vielen Jahren für sich selbst verantwortlich sind.

Wenn ich mal so nachrechne, müsste deine Mutter so ungefähr um die 70 sein? Sie ist also nicht mehr im Beruf, hat - wie du schreibst - keinen Freundeskreis. In diesem Alter zieht man Bilanz über sein Leben und weiß, dass sich vieles nicht mehr verändern wird. Ich nehme an, dass deine Mutter sich schon immer nach der Geborgenheit einer harmonischen Familie sehnt. Sie hat offenbar früher sehr viel Energie in dich, das einzige Kind investiert und das war eine sehr enge "Zweierbeziehung". Nun, am Ende ihres Lebens sieht sie ihre Hoffnungen gescheitert und versucht mit "allen Mitteln" (Erpressung, Vorwürfe, Jammern, Bestechen...) dich an sich zu binden. Nach allem, was du über deine Familie schreibst, spielt vielleicht auch eine gute Portion Neid eine Rolle.

Natürlich kanst du ihre Wünsche nicht erfüllen, deine Tochter schon gar nicht, egal was du tust. Kann schon sein, dass deine Mutter inzwischen (oder auch schon lange) psychisch labil ist. Die Idee einer Behandlung ist sicher nicht verkehrt und der Lebenspartner ist da sicher zunächst mal der richtige Ansprechpartner.

Was mich an deinem Schreiben verwundert, ist, dass du selbst noch emotional so stark verwickelt bist, dass dich der Auftritt deiner Mutter so aus der Bahn wirft. Du bist doch offenbar eine gestandene Frau. Es ist schön, dass du dich um deine Mutter sorgst, wenn es ihr schlecht geht, aber der Umfang der Kontakte (wöchentlich anrufen, 1x im Monat besuchen) scheint mir - wenn von deiner Seite her das Ganze als anstrengend und unerfreulich empfunden wird - als eigentlich ausreichend! Wenn meine Kinder sich später mal in diesem Umfang um mich kümmern sollten, wäre ich zufrieden. Klingt blöd, aber warum kannst du das Verhalten deiner Mutter nicht mit mehr Abstand sehen: Du hast ihr in der Vergangenheit viel zu verdanken, sie hat Probleme und Mitleid verdient, aber du bist kein Kind mehr und sie benimmt sich unangemessen!


Vielleicht fehlt ihr - außer einer Therapie - auch mehr Beschäftigung, dass sie sich nicht so überflüssig fühlt, vielleicht im sozialen Bereich oder so? Ich kenne deine Mutter ja nicht. Manchmal hilft z.B. ein Hund oder sonst ein Hobby, um Ansprache zu haben und das Gefühl, gebraucht zu werden. Du schreibst, dass beide, also auch der neue Mann deiner Mutter, keine Außenkontakte haben. Vielleicht sollte man auch da ansetzen?

Ich möchte nicht anmaßend sein, lieber Falter, aber ich bezweifle, dass du(!) den Charakter deiner Mutter sonderlich beeinflussen kannst, ich würde dir eher wünschen, selbst mehr Abstand zu gewinnen! Dann kannst du auch mit mehr Gelassenheit auf die "Macken" deiner Mutter eingehen bzw. diese ignorieren, wovon sie dann wahrscheinlich auch mehr haben würde.

Anna

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 29. Mär 2008, 15:37
von Falter
Liebe Anna,

du hast mir einige sehr guten Denkanstöße gegeben.

Du hast Recht, mich beschäftigt das Verhältnis zu meiner Mutter wirklich sehr. Wahrscheinlich durch das enge Verhältnis in meiner Kindheit, durch unsere Zweierbeziehung. Meine Mutter hat selbst unter ihrer Kindheit gelitten und wollte eigentlich immer eine "richtige" Familie habe. Ihr zielgerichtetes Streben hat sie aber zu verbissen gemacht. Dann die Trennung von meinem Vater. Ich bin mit den Sätzen aufgewachsen: dein Vater hat uns wegen einer anderen verlassen, er kümmert sich nicht, er ist gemein. Dementsprechend hatte ich natürlich auch kein Verhältnis zu meinem Vater. In der Kindheit war er für mich ein Fremder, wir haben uns auch nur selten gesehen. Ich erinnere mich noch, dass ich sehr sehr neidisch auf meinen Bruder (Kind aus der zweiten Beziehung) war, weil er alles hatte.
Wie ich schon schrieb, hatte ich z.B. kein eigenes Zimmer. Meine Mutter hat unsere Wohnung so eingerichtet, als wäre ich ihr Partner. Für mich war das selbstverständlich. Mein Therapeut jetzt sieht da aber schon einen krassen - unbewussten - Fehler meiner Mutter.
Ich hole jetzt nur so weit aus, damit etwas verständlicher wird, warum ich auch jetzt noch leide.

Bei unserem letzten Streit vor einem halben Jahr war es eigentlich so, dass ich völlig entspannt war, meine Mutter nur wieder ihr Programm abspulte und ich schon im Laufe der Zeit - die dieses Theater dauerte - ein Lachen unterdrücken musste, weil ich immer dachte: Das kann nicht sein, was hier abläuft. Das Leben ist so kurz und doch eigentlich viel zu schön und lebenswert als dass man sich jetzt hier Stunden über etwas auseinandersetzt, was irgendwie nur an den Haaren herbeigezogen ist. Was will sie überhaupt von mir?

Eigentlich habe ich mich noch bis so ca. Anfang 30 von meiner Mutter weiterhin immer wie ein Kind behandeln lassen. Irgendwann merkte ich plötzlich, dass ich mich abnabeln muss (eigentlich damit gerade sowas wie jetzt nicht passiert). Das habe ich dann auch peu a peu aus eigener Kraft geschafft. Ich kann eigentlich erst so die letzten 15 Jahre sagen, dass ich eine "richtige" Frau bin und nicht "nur" Tochter. Ich habe Selbstbewusstsein entwickelt, habe Hobbies und stehe wie du richtig erkannt hast, mit beiden Beinen im Leben. Diese Wandlung von mir ist auch meinem Umfeld nicht verborgen geblieben und ich habe nur positives Feedback erhalten. Sei es im Arbeitsbereich von Kollegen, sei es von Freunden oder auch in der Verwandtschaft. Lediglich meine Mutter ist der Meinung, dass ich mich negativ verändert hätte. Und mein Mann ist sowieso begeistert von dem Resultat .

Ich muss sagen, so die ganze Zeit bis auf das letzte Jahr habe ich das Verhalten meiner Mutter auch gut abgeschüttelt. Ich habe mir immer gesagt, sie muss selbst damit klar kommen, wenn sie sich das Leben so schwer machen will. Ich habe mich ja auch immer mehr abgenabelt. Aber irgendwie ist es die letzten Monate so, dass mir da irgendwie die Kraft fehlt, weiter gegen diese ständigen Vorwürfe anzukämpfen. Wieviel Hass muss in ihr stecken, dass sie somit mir redet: ich hätte viele schlechte Eigenschaften usw. Das verletzt ungemein. Deshalb leide ich jetzt auch so.

Vor etwa 10 Jahren sagte ich den beiden mal - meine Mutter ist übrigens 68 - sie sollten sich doch Hobbies zulegen, oder verreisen, damit sie sich nicht so auf uns fixieren. Das mit dem Reisen läuft jetzt zum Glück, aber angeblich haben sie keine Zeit für Hobbies. Andererseits sagt sie z.B. Sachen wie, heute sind wir da und da hin zum einkaufen zu Fuss gegangen, damit wir Zeit rumkriegen. Sie haben auch ihre festen Essenszeiten und Rituale, von denen nicht abgerückt wird. Ich habe ihr vorgeschlagen, zur VHS zu gehen. Antwort: Was soll ich da, da gehen nur gelangweilte hin. Sie würde z.B. gerne Nordic Walking machen, hat aber alleine keine Lust. In ihrem Stadtteil ist eine Gruppe, da könnte sie 2x die Woche hin. Aber das will sie auch nicht.
Wenn sie Kontakte hätte, würde sie auch dadurch ihren Horizont erweitern und es wäre auch dann gar nicht so weit gekommen.

Es ist ein Teufelskreis. Du hast es richtig erkannt, sie haben einfach zu wenig Ablenkung. Ich bin z.B. in meinem Sportheim aktiv. Eine Bekannte von ihr auch. Das kann sie gar nicht verstehen, dass man da so für umsonst so viel Zeit opfert. Diese "Vereinsmeierei" liegt ihr nicht. Ich hab schon so viele Ideen gesucht und auch gefunden für sie, aber auf alles gibt es nur Ablehnung.

Aber aus deinem letzten Absatz habe ich einen sehr guten Ansatz für mich gesehen: Ich glaube, ich versuche zu sehr, auf meine Mutter einzugehen. Ich sollte mich damit abfinden, dass ich sie nicht mehr ändern kann. Ich muss das akzeptieren und das als Gegebenheit hinnehmen.
Das ist das bisher nicht konnte, schiebe ich auf meine Erziehung.
Ich werde jetzt zwar trotzdem noch das Gespräch mit ihrem Mann führen. Aber ich werde daran arbeiten, dass ich innerlich auf Abstand gehe und wenn sie wieder ihr Programm abspult, werde ich mir schöne Gedanken machen und damit ihre verletztenden Vorwürfe überspielen und nicht mehr an mich heranlassen.

Das wird nicht einfach, weil seit Donnerstag keine anderen Gedanken mehr in meinem Kopf sind. Aber anders geht es nicht.

Im übrigen ist es noch so, fällt mir gerade ein, dass ich inzwischen ein sehr sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater und seiner Familie habe. Das hat sich irgendwann so als ich Anfang 20 war entwickelt. Da er in einer anderen Stadt lebt, sehen wir uns nicht so häufig, aber wenn ich dann mal da bin ist es für mich wie Urlaub und ich tauche in eine andere Welt. Mit meinem Vater habe ich auch mal über meine Kindheit und sein Verhalten etc. gesprochen, wir haben beide vernünftig unsere Sichtweisen ausgetauscht und das auch alles für uns verarbeitet. Mit ihm kann man ohne Groll oder Anspannung auch darüber reden.

Liebe Anna, vielen Dank!

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 29. Mär 2008, 15:41
von Falter

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 30. Mär 2008, 13:48
von Zehlendorf
Lieber Falter,

mir fällt bei deiner Antwort noch was ein.

Deine Geschichte erinnert mich ziemlich stark an meine früh verwitwete Schwiegermutter und ihre 3 Töchter. Sie mischte ständig ein, beleidigte, hetzte alle gegeneinander auf, auch die Enkelkinder gegen die Eltern. Sie war recht labil, konsumierte in den 70er Jahren Mengen von Valium. Meine Schwägerinnen gaben sich teilweise schrecklich viel Mühe, konnten es ihr aber nie recht machen. Ich war immer als Beobachter sehr verwundert, wie "irrational" meine sonst durchaus vernünftigen Schwägerinnen reagierten. Als Schwiegertochter hatte ich es natürlich viel leichter. Ich war freundlich und notfalls distanziert. Wenn meine Schwiegermutter uns besuchte, passte sie sich an. Sie konnte sich also sehr wohl ordentlich benehmen, wenn sie wollte. Manche Macken habe ich einfach ignoriert - ich bin ja selbst nicht perfekt und außerdem: Streiten tu ich mich nur, wenn ich das selbst will. Besuch hat ja die angenehme Eigenschaft, wieder zu gehen. Obwohl wir sehr viel weniger für sie getan haben, waren wir dann auch noch immer die "Guten" und wurden familiär gelobt.

Was ich damit sagen will, ist, wenn ich so deine Erzählung lese, dass deine Mutter sehr wohl weiß, wie sie dich zum "Tanzen" bringen kann. Wenn sie sich ihr Leben so einrichten möchte, dass sie langsam zum Einkaufen gehen muss, weil sonst der Tag nicht vorbeigeht, ist das ihr gutes Recht, aber nicht deine Schuld. Vielleicht übertreibst du dein Bemühen, ihr bei der Sinnfindung zu helfen? Ich finde es super, wenn du ihr immer wieder mal einen Tipp gibst, z.B. wenn es etwas Passendes in der VHS gibt oder so, aber ob sie das nun annimmt oder nicht, ist ihre Sache. Du bist weder ihr Kindermädchen noch ihr Entertainer.

Ich bin ja nun altersmäßig ne Ecke älter als du und habe erwachsene Kinder, die teilweise psychische Probleme haben (drum bin ich auf dieser Seite). Sie machen mir auch Vorwürfe (noch mehr mache ich mir die allerdings selbst) und ich denke mal: Eltern, die Fehler gemacht haben, haben schon auch "Anspruch" auf "Verzeihung", jedenfalls wenn sie ihre Kinder nicht grob vernachlässigt oder misshandelt haben. Sie können nichts Vergangenes mehr ändern, sich aber sehr wohl in der Gegenwart ordentlich benehmen! Wenn mich Besuch (und das ist deine Mutter) in meinen eigenen vier Wänden beleidigt, dann würde ich freundlich vorwarnen und notfalls geht der Betreffende! Das gilt übrigens auch für meine "Kinder". Ich würde nicht so dramatische Sachen wie "letzte Versuche" oder so unternehmen, sondern freundlich und sachlich Grenzen setzen. Wenn dann mal für ein paar Wochen der Kontakt weg ist, in Ordnung, und dann würde ich mich wieder "normal" verhalten. Wie du so schön sagst: Das Leben ist zu kurz, um es mit Streit zu vertun.

Alte Eltern haben auch ein Recht (und ne Pflicht) auf ihr eigenes Leben. Wenn meine Kinder mit mir über früher reden wollen, bin ich dazu gerne bereit und gebe Fehler zu. Wenn sie mir Tipps für mein Leben heute geben wollen - gerne, vielen Dank, aber entscheiden tue ich es selbst (und mache dabei mit Sicherheit Fehler, die ich dann selbst ausbaden muss).

Sorry, wenn das nun alles sehr besserwisserisch geklungen hat, aber ich kann mich selbst sowohl in dir als auch in deiner Mutter wiederfinden, weil ich früher massiv unter einer psychisch kranken Mutter gelitten und heute Kummer mit meinen Kindern habe.

Anna

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 30. Mär 2008, 14:11
von Falter
Hallo Anna,

du klingst für mich keineswegs besserwisserisch. Im Gegenteil, mir tun deine Beiträge gut. Du sprichst im Prinzip das aus, was ich auch denke und wie ich eigentlich auch meine mich verhalten zu müssen. Ich kriege die starke gefühlsmäßig Bindung nur noch nicht gelöst. Man darf auch nicht unterschätzen, dass ich bis zu meinem Auszug nach dem Butterbrot und Peitsche Prinzip erzogen wurde. Ich bin schon stolz darauf, das ich die letzten Jahre mich schon einigermaßen davon erholen konnte.

Ich muss irgendwie einen Weg finden, das alles nicht an mich mehr so rankommen zu lassen. Das Problem ist eigentlich nur, dass meine Mutter immer und immer wieder damit anfängt. Da ich als eine Ursache dafür auch die mangelnde Auslastung ihrer Zeit sehe, versuche ich hier anzusetzen.

Ich werde in dem Gespräch mit ihrem Mann auch deutlich machen, dass dies mein letztes "Einmischen" ist. Wenn sie meint/meinen, dass sie so leben wollen wie sie leben, dann herzlich gerne (der Meinung war ich eigentlich schon immer), aber sie sollen mich/uns dabei psychisch in Ruhe lassen. Ebenfalls werde ich darauf hinweisen, dass ich bei einem nächsten Mal sie bitten werde zu gehen bzw. wenn es bei ihr ist, werde ich gehen. Das habe ich bereits gestern Abend für mich beschlossen.
Es ist vielleicht auch jetzt ganz gut, dass die beiden drei Wochen verreisen. Das werde ich jetzt für mein Verhalten als Neuanfang nehmen und es nie mehr so weit kommen lassen, dass sie mich verletzt.

Ich bin dir wirklich sehr dankbar für deine Anregungen. Sie zeigen mir, dass ich gefühlsmäßig selbst schon den richtigen Ansatz habe, ihn nur noch durchziehen muss.

Ich wünsche mir auch für dich, dass dein Kummer mit deinen Kindern kleiner wird.

Liebe Grüße
Falter

Re: Ich weiß nicht mehr weiter

Verfasst: 30. Mär 2008, 14:22
von Falter
Liebe Anna,

ich habe gerade deine Beiträge in diesem Forum gelesen und bin ziemlich erschüttert.
Ich finde es erstaunlich, wieviel Kraft in dir steckt.
Deine Stärke möge dir erhalten bleiben.