Ausgesperrt

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bjarne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Mär 2006, 10:41

Ausgesperrt

Beitrag von bjarne »

Hallo,

ich weiß nicht warum es mir so schwer fällt, mich hier im Forum zu öffnen. Allen hier geht es genauso wie mir, wenn nicht noch schlimmer, es ist so als begeht man einen Verrat an seinem Partner. Auch wenn es so ist, muss ich mich öffnen, weil ich weiß, dass ich ihm (uns) nur so helfen kann.

Mein Partner ist seit 4 Wochen in der Klinik. Er hat sich freiwillig (dank seiner Ärztin) einweisen lassen. Begründung: depressive Episode mit Suizidgefahr oder so ähnlich.

Seit diesem Tag fehlt mir der Boden unter den Füßen. Ich weiß, dass er jetzt gut aufgehoben ist und dass ihm geholfen wird. Aber ich mache mir Vorwürfe. Auch wenn ich bis vor 4 Wochen nicht wirklich wusste, wie ausgedehnt sich Depressionen auswirken können, und dass das Krankheitsbild nicht nur aus Traurigkeit und graue Sicht besteht. Eigentlich waren die Signale schon seit mind. 2 Jahren vorhanden. Da waren die unkontrollierten Wutausbrüche, der Mangel an Entscheidungen, der körperliche Rückzug usw.

Am schlimmsten ist es, dass der Kontakt fast gar nicht besteht. Nach der ersten Woche in der Klinik hat es sich mehr Zeit für sich gebeten. Ich weiß, dass er im Moment mit sich zu tun hat und glaube, dass ich ihm unbewusst unter Druck setzte und wenn er sagt, dass er Zeit für sich haben muss, dann muss es so von mir akzeptiert werden. Trotzdem war es für mich ein Schlag ins Gesicht.

Ich halte mich also seitdem zurück. Ab und zu versuch ich anzurufen. Mal ruft er zurück, mal macht er sein Handy einfach aus. Ich trau mich auch nicht einfach hinzufahren, weil ich denke, dass ihn das auch nur wieder unter Druck setzt. Heute hab ich ihm eine SMS geschickt, dass ich an ihn denke. Aber jetzt bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob das richtig war.

Sein Freund oder Familienmitglieder haben da keine Probleme. Die rufen an und sagen sie hatten tolle Gespräche mit ihm und gucken mich danach mitleidig an weil sie meine Aussage, das er nicht antwortet oder das Handy einfach ausmacht nicht sie gilt sondern nur für mich!! Ich fühl mich aus seinem Leben ausgesperrt.

Ich mache mir Vorwürfe, dass ich mit dieser Situation nicht fertig werde. Das ich nicht die Stärke aufweisen kann (darf), ihm den Rücken zu stärken. Egal was ich mache es ist verkehrt. Je mehr ich mich bemühe je schlimmer ist es.

Kann mir einer helfen?

Doris
insomnia312
Beiträge: 33
Registriert: 14. Feb 2006, 13:17

Re: Ausgesperrt

Beitrag von insomnia312 »

hallo doris,

helfen kann ich dir sicherlich nicht, aber vielleicht hilft es ja, wenn ich dir sage, dass ich genau diese situation, diese angst- und schuldgefühle, diese ohnmachts- und machtlosigkeitsgefühle kenne. ich kann dich sehr gut verstehen. du gehst mit diesen gedanken ins bett und du stehst mit diesen gedanken auf. und dazwischen erinnern sie dich daran, dass es sie gibt...

ich kann dir nur einen rat geben: lass ihn los! ich habe hier in diesem forum schon oft geschrieben, dass eine erneute annäherung manchmal nur über vorübergehende distanz wieder möglich ist. als unmittelbaren bezugspartner sieht er dich nun mal als druckerzeuger, das liegt aber selten am partner selbst, sondern einzig und allein an der tatsache. er muss jetzt erst mal mit sich ins reine kommen und die dinge wieder klarer sehen, vermutlich ist der ganze alltag (zu dem auch du zwangsläufig gehörst) die reinste qual für ihn. menschen mit depressionen neigen dazu, ihr ganzes leid auf eine sache zu beziehen, und das ist meist ihre unmittelbare umgebung. die ganzen symptome über jahre, wie du es beschrieben hast, deuten auf eine tiefgreifende verletzung oder verletzende erfahrung, die erst einmal erkannt und aufgearbeitet werden muss.

gib ihm zeit, damit hilfst du euch beiden. und was seine familie anbetrifft - da würde ich keinen so großen wert drauf legen, es kann viele gründe geben, warum er mit seiner familie spricht. bei mir zum beispiel war es so, dass mein damaliger freund seine familie immer in den himmel gehoben hat und ich immer der "eindringling" war - bis zu dem zeitpunkt, als sich in der therapie herausgestellt hat, dass sie die hauptverantwortlichen für seine misere waren - da war das geschrei groß (und mir ist ein gebirge vom herzen gefallen, irgendwie, obwohl ich das keinem elternpaar wünsche...)

ich wünsche dir viel viel geduld.

viele grüße, irina
tommi
Beiträge: 1008
Registriert: 22. Sep 2004, 17:38

Re: Ausgesperrt

Beitrag von tommi »

Liebe Doris,

schön, dass du hierher gefunden hast.

Ich denke, dass dich hier alle gut verstehen können. Du fühlst dich irgendwie verantwortlich, willst aktiv helfen, fühlst dich ausgeschlossen und allein.

Ich denke so wie Irina, dass er Zeit braucht, um sich zu finden.

Dass er sich nicht bei dir meldet, liegt mit daran.
Es kann eine Erklärung sein, dass er mit seiner Familie redet und nicht mit dir, weil seine Familie gefühlsmäßig nicht so nah an ihm dran sind, wie du es bist. Oft wird hier geschrieben, dass Angehörige alles abbekommen und bei anderen eine fröhliche Maske aufgesetzt wird. Ich denke so ähnlich wird es auch in deinem Fall sein. Denen kann er was vorspielen, dir nicht. Das ist meine Vermutung.

Bitte mache dir keine Vorwürfe, dass du meinst, mit der Situation nicht fertig zu werden. Glaube mir, es ist auch nicht so einfach. Hier paaren sich Gefühle der Ohmacht mit Zukunftssorgen und Sorgen um ihn. Wie kann ein Liebender damit einfach fertig werden?

Auch sind deine Vorwürfe unberechtigt, dass du nicht schon vorher erkannt hat, wie es um ihn steht. Du konntest es nicht wissen, wahrscheinlich wußte er es selbst nicht.

Wichtig ist nach vorne zu schauen, ihm die Zeit geben, seine Krankheit in den Griff zu bekommen.
In der Zwischenzeit solltest du versuchen dein Leben zu leben und daraus Kraft schöpfen, die du für ihn nachher brauchst.

Ich weiß nicht, inwieweit du dich mit der Krankheit auskennst und informiert bist. Ich denke dein Gefühl, alles falsch zu machen, kennt hier jeder. Nur ist es wirklich falsch? Folge deinem Bauchgefühl - so richtig falsch machen kannst du nichts.

Ich wünsche dir viel Geduld und Kraft.

Gruß
Tom
bjarne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Mär 2006, 10:41

Re: Ausgesperrt

Beitrag von bjarne »

Hallo Irina, hallo Tom,

vielen Dank für eure Antworten. Jetzt komm ich mir echt blöd und dumm und unfähig vor. Wo ich es gelesen habe „Alltag“. Mein Partner Selbstständig. Im Moment versuch ich das alles soweit weiterzuführen aber es gibt Entscheidungen, die nur er treffen kann. Das heißt also jedes Gespräch was wir führen (wenn wir es führen), geht irgendwann auf das Thema Arbeit.

Der Grund warum er eigentlich jetzt mit in der Klinik ist Existenzangst. Jetzt schäm ich mich wirklich, dass ich da nicht selber darauf gekommen bin! Das ist ja noch schlimmer!! Ich bin seine personifierte Angst, ich bin das Übel, dass ihn auch noch anruft oder besuchen will.

Aber was soll ich jetzt machen? Ich kann doch nicht einfach sein mühsames aufgebautes Leben den Bach runtergehen lassen?

Doris
tommi
Beiträge: 1008
Registriert: 22. Sep 2004, 17:38

Re: Ausgesperrt

Beitrag von tommi »

Liebe Doris,

du hast wirklich keinen Grund dir blöd, dumm und unfähig vorzukommen.

Überlege mal, was du alles leistest. Ist es dumm wenn du dir Sorgen machst? Ist es blöd, wenn du wissen möchtest, wie was dein Mann erlebt und wie es ihm geht? Ist es Unfähigkeit, wenn du das Geschäft und somit eure Existens weiter führst?
Nein, es zeugt eher von Stärke, Einfühlung und Fähigkeit.

Warum meinst du, dass du sein Übel und seine Ängste bist. Was Irina schrieb ist, dass er evtl. seine Situation auf dich projektziert.

Ich weiß nicht was der Auslöser dieser Depression ist, aber wenn es mit der Arbeit zu tun hat, wäre es vielleicht besser, wenn du alleine entscheidest?

Mache dir nicht diese Vorwürfe. Du bist nicht der Grund seiner Krankheit.

Gruß
Tom
danideng
Beiträge: 1538
Registriert: 26. Feb 2006, 12:49

Re: Ausgesperrt

Beitrag von danideng »

Liebe Doris,

ich kann Tom nur recht geben in Bezug auf allein entscheiden. Mein Mann lag mit Krebs in der Klinik, und ich habe in dieser Zeit seine Firma alleine geführt, einmal wochenlang, beim zweiten Klinikaufenthalt bis zu seinem Tod monatelang. Ich hab alle Entscheidungen von ihm fern gehalten (er wollte es glaub ich auch gar nicht wissen) und den Laden einfach allein geschmissen (eine Auto- und Lackierwerkstatt, wo ich nicht gerade mit Vorwissen glänzte , aber auf diese Weise hatte ich die Möglichkeit, die Besuche völlig privat zu gestalten.

Ist das nicht vielleicht in deinem Fall auch möglich?

Liebe Grüße
Dani
Dani1112
bjarne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Mär 2006, 10:41

Re: Ausgesperrt

Beitrag von bjarne »

Hallo Tom,

die Arbeit war mit Grund warum er jetzt in der Klinik ist. Nach den ersten Tagen wo er in der Klinik war, fragte ich ihn wie es ihm geht und er meinte gut weil die Arbeit weit weg ist. So und was mach ich!!! Ich bring ihm die Arbeit in die Klinik. Das ist doch wie Salz in die Wunde streuen wenn nicht noch schlimmer. Von daher bin ich doch das „Übel“ auch wenn er mich vielleicht nicht persönlich damit meint.

Es ist nur, man denkt, man hilft ihm und dabei tut man ihm noch zusätzlich weh.

Wenn das der Grund ist warum er mich nicht hören oder sehen will, dann kann ich das verstehen und es vielleicht auch bald etwas besser akzeptieren.

Ich weiß nicht ob ich ihm die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, nehmen sollte, ich habe Angst, dass ich dann noch alles schlimmer mache.

Doris
tommi
Beiträge: 1008
Registriert: 22. Sep 2004, 17:38

Re: Ausgesperrt

Beitrag von tommi »

Liebe Doris,

vergiss die vermeintlichen Fehler der Vergangenheit. Diese kannst du nicht mehr ändern. Wichtig ist, dass du daraus deine Schlüsse ziehst. Was meinst du, wieviel Fehler ich aus Unwissenheit schon gemacht habe. Nachher ist man immer schlauer .

Hast du nicht die Möglichkeit, dir Hilfe für den Betrieb zu suchen. vielleicht kann dich jemand beraten. Ich denke zum Beispiel an die IHK. Gewerbetreibende sind da Pflichtmitglieder, vielleicht können die dir ja helfen.

Liebe Grüße und Kopf hoch
Tom
bjarne
Beiträge: 4
Registriert: 8. Mär 2006, 10:41

Re: Ausgesperrt

Beitrag von bjarne »

Liebe Dani,

ihr habt mich überzeugt, ich muss jetzt versuchen es irgendwie hinzubekommen, da ich ihm ja helfen will, nicht quälen. Ich muss jetzt einen Kompromiss für alle zu finden. Für meinen Partner, dass er wirklich Abstand gewinnt und für seine Firma, dass es trotzdem noch irgendwie weiter geht. Ich danke Dir, Tom und Irina für euren Rat und Beistand

Liebe Grüße
Doris
danideng
Beiträge: 1538
Registriert: 26. Feb 2006, 12:49

Re: Ausgesperrt

Beitrag von danideng »

Liebe Doris,

auch mir hat man in diesem Forum schon unglaublich weitergeholfen, daher freue ich mich, wenn ich davon auch mal was zurück geben kann.

Ich konnte mich damals auf vertrauenswürdige Angestellte verlassen, vielleicht fällt dir bei euch auch jemand ein? Außerdem habe ich auch einfach die Kunden mit einbezogen, Ihnen offen von der Krankheit meines Mannes erzählt, dass ich um ihr Verständnis bitte, wenn ich mich erst zurechtfinden muss, und du wirst lachen - obwohl das Auto ja bekanntlich des Deutschen liebestes Kind ist - sie waren alle dabei, kein einziger zeigte Unverständnis oder Ungeduld!!! Ich hab mich auch an Sachverständige aus dem Bekanntenkreis gewandt...

Ich weiß ja nicht, was ihr für ein Gewerbe habt, aber was ich eigentlich sagen will, nicht verzagen, es gibt immer einen Weg. Lass deiner Phantasie freien Lauf...

Liebe Grüße
Dani
Dani1112
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