Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Antworten
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo,

eine vielleicht etwas provokante Frage, die mich aber schon seit langer Zeit quält. Als sie mir das erste Mal gestellt wurde, habe ich ganz empört: Aber natürlich gesagt und natürlich will auch heute ein ganz großer Teil von mir, daß es mir besser geht. Aber warum halte ich dann an so vielen krankmachenden Verhaltensmustern fest? Ich habe doch eigentlich ganz genau verstanden, daß sie mir nicht gut tun und alles nur schlimmer machen. Das erste Mal richtig bewußt geworden ist mir diese Frage vor einem Jahr, da bekam ich das erste Mal die offizielle Diagnose Depressionen und war danach 6 Wochen stationär in einer Klinik. Die Therapeutin dort wollte so einen Test mit mir machen, ich sollte mir Worte, die mir Angst und Stress machen und in meiner Vorstellung in dicken schwarzen Lettern bedrohlich über mir schweben, klein, fröhlich, bunt, tief vorstellen. Und irgendetwas in mir hat sich tierisch dagegen gewehrt. Ich habe das dann angesprochen, aber die Antwort war etwas ernüchternd: Ja, wenn Sie nicht wollen, daß es Ihnen besser geht, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Danach habe ich das bei meiner neuen, ambulanten Therapeutin erstmal lieber nicht mehr angesprochen. Vor einigen Wochen ging es mir dann so schlecht, daß ich zusätzlich zu meiner Therapie noch zu einem Psychiater gegangen bin, der mir Tabletten verschrieben hat. Und was war mein erster Gedanke? Oh Gott, wenn diese Tabletten jetzt wirken, dann muß ich ja mein ganzes Leben plötzlich wieder auf die Reihe kriegen! Ich muß diese Arbeit weitermachen, die mir solche Probleme bereitet! Davor habe ich Angst, das will ich nicht. Mir ging sogar der Gedanke durch den Kopf: Hoffentlich wirken diese Tabletten nicht. das ist doch idiotisch!!! Ich will doch wieder ein "normales" Leben führen können!

Heute habe ich das dann doch mal bei meiner Therapeutin angesprochen, und sie hat mich gefragt, ob es sein könnte, daß ich dadurch Macht gewinnen möchte, über sie, den Psychiater, andere Menschen. Das hat mich ziemlich erschreckt, ich möchte kein Mensch sein, der Macht über andere haben möchte....

Hat sich irgend jemand von Euch schonmal ähnliche Gedanken gemacht? Oder war das alles zu wirr? Das ist so einer der Gedanken, wo bei mir immer sehr leicht ein Knoten im Kopf entsteht und ich das Gefühl habe, überhaupt nicht ausdrücken zu können, was ich sagen will. Würde mich über Antworten auf jeden Fall sehr freuen - wenngleich mir auch ein bißchen mulmig dabei ist...

Eine etwas verwirrte Silke
Stollentroll
Beiträge: 243
Registriert: 16. Jul 2003, 14:50

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von Stollentroll »

Diese Gedanken kenne ich auch und sie haben mich lange gequaelt. Bis ich eine Therapeutin getroffen habe, die mir erklaert hat was "Schwarze Paedagogik" ist. Da wird mit ganz vielen Schuldgefuehlen gearbeitet, so wie es Deine Therapeutin mit dem bloeden Spruch getan hat. Das was sie Dir gesagt hat stimmt nicht, Depressive leiden aber unter einem sog. Wiederholungszwang, der sie immer wieder in die gleichen Muster verfallen laesst. Das kannst Du nicht willentlich steuern,auch wenn Du die Mechanismen kennst. Erst wenn man das urspruengliche Trauma (welches meistens weit zurueckliegt), mit einer liebevollen Begleitung erneut fuehlen kann, ist es moeglich sich von diesem Wiederholungszwang zu befreien. Schlechte bzw. ueberforderte Therapeuten gibt es leider sehr viele. Also lass Dir keinen Baeren aufbinden und suche Dir eine neue Therapeutin.

Viele liebe Gruesse vom
Stollentroll
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Stollentroll,

bin mir nicht ganz sicher, welche der beiden Therapeutinnen Du meinst. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das mit dem "Macht gewinnen" so einfach von der Hand weisen kann. Mir ist dazu nämlich gleich eine Geschichte eingefallen. Ich hatte schon immer große Probleme mit meiner Mutter, sie hatte (und hat leider immer noch) sehr viel Macht über mich, weil sie es supergut beherrscht, mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Irgendwann habe ich zunächst ganz harmlos beschlossen, ein wenig abnehmen zu wollen und habe dann aber gemerkt, wie sehr ich meine Mutter damit treffen konnte. Sie hat sich tierisch aufgeregt, daß ich immer dünner wurde, konnte aber nichts dagegen tun. Und auch wenn es mir erst Jahre später aufgegangen ist, irgendwo habe ich ihre hilflosigkeit und Wut auch genossen. Endlich hatte ich einen weg gefunden, mich zu wehren und mich zu befreien. Auch wenn mich das für Jahre an den Rand der Magersucht gebracht hat... Die letzten Jahre hatte ich dann eigentlich das Gefühl, das Ganze zwar nicht gelöst, aber im Griff zu haben. Dann bin ich in die Curtius-Klinik gegangen und das letzte, was meine Mutter mir mit auf den Weg gegeben hat, war: Na, hoffentlich bringen sie dich da mal dazu, ein bißchen zuzunehmen. Tatsächlich wurde mir dann in der Klinik das erste Mal klipp und klar gesagt, daß ich mich am Rande der Magersucht befinden würde - hatte ich ja vorher immer nicht wahrhaben wollen, ich war eben dünn, aber mehr doch nicht. Also habe ich gedacht: OK, ein paar Kilo mehr sind in Ordnung, vielleicht bist Du wirklich ein bißchen dünn. Kaum hatte ich beim nächsten Wiegen ein Kilo zugenommen, ging nichts mehr. Sah nur noch meine Mutter vor Augen und konnte ihr diesen Triumph nicht gönnen - gegen meine bessere Einsicht...

Aber warum sollte ich Macht über meine Therapeutin gewinnen wollen? Eigentlich empfinde ich nur Angst bei dem Gedanken an Besserung. Wie bist Du denn mit diesen Gedanken umgegangen?

Liebe Grüße, Silke
Caroline1
Beiträge: 831
Registriert: 19. Mär 2003, 16:48

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von Caroline1 »

Hallo Silke

Ich muß ehrlich sagen, deine Überlegungen sind höchstens auf den 1. Blick abwegig. Beim genaueren Hinsehen schwingt da schon ein Teil Wahrheit mit. Und du schaust auch offenbar genau hin, und erkennst diesen Widerspruch ja auch. Deshalb stellst du dir diese Frage ja. Es gab mal hier im Forum einen Thread "Wehren gegen Besserung", ich weiß aber leider nicht, in welchem Bereich der jetzt archiviert ist. Vielleicht findet man das mit der Suchfunktion. Auf jeden Fall behandelt er ganz genau diese Problematik. Wenn du magst, kannst du ja mal da herumwühlen.

Die Überlegung mit dem Machtspielchen finde ich auch nicht ganz falsch. Natürlich ist der 1. Gedanke der meisten Menschen, dass man sowas erst mal ganz kategorisch von sich weist. Wer will schon Macht haben über andere Menschen? Schaut man sich diese Frage dann dochmal länger an, so beschleicht einen vielleicht das Gefühl, dass das doch nicht soooo falsch sein könnte. Und man muss sich dann eingestehen, dass da eine unschönere Seite von einem zum Vorschein kommt. Aber diese Seite gibt es, und es hilft einem wirklich weiter, wenn man sich dieses auch eingesteht. Wer ist schon in Wirklichkeit der 100%ige Gutmensch? So sehr wir uns das auch wünschen mögen, wir sind es nicht (glücklicherweise!).

Dein Beispiel mit der Essensverweigerung zeigt ja auch ganz klar, wie sehr dies alles auf der unbewußten Ebene abläuft. Aber es läuft nun mal GENAU SO ab. Und wenn man das bis einmal durchschaut hat, dann hat man auch Möglichkeiten, dieser Krankheit zu entkommen. Ganz grob gesehen läuft es mit den Depressionen auch so. Ich möchte um Himmelswillen die Depressionen nicht auf diesen einzigen Aspekt der Machtausübung reduzieren, ich hoffe, du verstehst mich richtig , aber ich habe es als wichtige Erkenntnis erlebt, auch diese Seiten der Depris zu betrachten, um daraus wesentliches lernen zu können.

Dass du Macht über deine Therapeutin gewinnen möchtest, glaube ich weniger, das war wohl eher als allgemeine Anregung von ihr gemeint. Du möchtest aber schon "mit aller Macht" wieder über dein Leben verfügen können, oder? Ich denke, DAS ist die Thematik bzw zu lernen, dass das leider nicht immer so funktioniert. Man muss dies aushalten lernen, der Weg zu dieser Erkenntnis ist teilweise sehr schmerzhaft, und instinktiv gehen wir ja erst mal den Schmerzen eher aus dem Weg als dass wir sie aufsuchen. Wenn wir dann aber zusehr abweichen, kommen vielleicht die Depressionen. Ich zumindest begreife sie eben als solches "Instrument", wenn ich diesen Begriff hier verwenden darf.

Kannst du was anfangen mit meinen Gedanken?

Liebe Grüße an dich von

Caroline

@stollentroll: was ist "schwarze Pädagogik"? So was mit Schuld zuschieben usw? Es gibt ja Theras, die einen sozusagen immer wieder mit sich selber konfrontieren wollen, und damit über sämtliche Ziele hinausschießen, die es irgendwo geben mag. Und dass das ne ganz perfide Masche ist, das seh ich auch 100%ig so. Aber das genaue Gegenteil als Hilfestellung halte ich eben auch nicht für sehr hilfreich. Auch dir einen lieben Gruß
MadMax
Beiträge: 383
Registriert: 1. Jun 2003, 14:05

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von MadMax »

Hallo Silke!

In der Tat eine entscheidene Frage. Es ist ganz seltsam. Gerade jetzt wo ich über das, was Du geschrieben hast nachdenke, merke ich, dass ich mich eigentlich gar nicht damit auseinandersetzen will. Denn anderenfalls könnte ich ja auf den Gedanken kommen, dass ich gar keine Veränderung will. So ist es bisher ein schönes, gemütliches Verdrängen dieses Gedankens und ich kann mich damit beruhigen, dass ich ja etwas zur Änderung beitrage (Medis, Thera...). Ein einfaches Beiseite-schieben und Augen-zumachen. Nach dem Motto: Ich tue ja schon, was ich kann. Aber da ist trotzdem der Vorwurf an mich selber, dass eigentlich mehr von mir ausgehen müsste.
In der letzten Thera-Sitzung hat mir mein Therapeut vor Ort bewiesen, dass es eigentlich ganz einfach ist, etwas Bestimmtes in einer bestimmten Situation zu machen. Es ging um eine ganz einfache Sache. Beim Anblick eines Gegenstandes, den ich mir aussuche (zu Testzwecken diente ein Bauklotz *g*) eine bestimmte Handlung vorzunehmen wie sich strecken oder Hände kneten oder was auch immer. Sinn und Zweck war es durch ständiges Training einer solchen Handlung zu lernen, sich in unangenehmen Situationen sich ganz automatisch durch diese Handlung zu entspannen, abzureagieren usw.
Soviel verwirrenderweise zu der Theorie. Worauf es mir aber ankommt ist, dass ich ihm gesagt habe, ich könnte sowas nicht durchziehen, ich kann sowas nicht trainieren, es geht einfach nicht, ich kann mich nicht dazu aufraffen. Wobei es eigentlich nicht mit Aufwand und Zeit verbunden ist. Er hat's mir ja in dem Moment bewiesen, dass es geht. Und ich konnte es auch. Aber dazu habe ich mich gezwungen, weil er dabei war.
Vielmehr ist es wohl so, dass ich sowas nicht durchziehen WILL, nicht trainieren WILL. Bloß micht zuviel "Anstrengung" investieren, es könnte ja was helfen.

Das also zu meiner verwirrenden Erfahrung.

Auf dass alles beim Alten bleiben möge!

Mad Max

(Sorry für den Sarkasmus)
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Caroline,

doch, ich kann mit Deinen Gedanken was anfangen. Habe ja während der Therapiestunde gemerkt, wie sehr sich alles in mir dagegen gesträubt hat, diese "negative" Seite von mir zu akzeptieren - wird, glaube ich, auch noch ein bißchen dauern, bis ich das kann. Für mich steckt in diesem "Machausüben" auch sehr viel Manipulatives und das ist eine Seite, die ich an meiner Mutter immer so gehaßt habe. Hatte mir so fest geschworen, nie so zu werden und jetzt ertappe ich mich immer häufiger dabei, mich genau so zu verhalten. Dafür verachte ich mich, glaube ich, ziemlich selbst.

Naja, und ich frag mich natürlich auch, ob eine Behandlung Erfolg haben kann, wenn ich nicht 100% dahinterstehe...

Werde auf jeden Mal versuchen, diesen alten Thread zu finden!

Vielen Dank für Deine Antwort und Dir auch einen lieben Gruß,
Silke
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Mad Max,

keine Sorge, habe kein Problem mit Sarkasmus, ist auch für mich oft eine letzte Zuflucht...

Deine verwirrende Erfahrung beschreibt so ziemlich genau meine verwirrende Erfahrung, die wiederum der Grund gewesen ist, diesen Thread zu eröffnen

Letztlich ging es bei diesem Test, sich sogenannte "Stressworte" klein, witzig, unbedeutend vorzustellen ja um genau das Gleiche wie bei Dir. Und ich hatte auch genau diese Gefühle, ich will das nicht, das ist so anstrengend, als wenn sich alles in mir dagegen sträubt. Habe da irgendwie immer das Bild einer Katze vor Augen, die einen Buckel macht, Haare aufstellt und faucht...

Anders als bei Dir konnte mich aber nichtmal die Anwesenheit der Therapeutin dazu bewegen, es trotzdem zu tun. Ich bin ein sehr kontaktscheuer Mensch, was in der Klinik total doof war, weil ich wirklich niemanden kennengelernt habe. Besonders die Mahlzeiten wurden wirklich zu einem Problem, weil ich mich nicht getraut habe, mich irgendwo mit an den Tisch zu setzen und wenn doch, habe ich kein Wort über die Lippen gebracht. Also wollte die Therapeutin das üben, ich sollte einfach zu ihr sagen. Hallo, ich bin Silke und wer bist Du? Ich hab mich so unwohl gefühlt, wäre am liebsten aus dem Zimmer geflüchtet, aber ich konnte die Worte einfach nicht aussprechen. Und je mehr ich dachte, nun sag was, desto schlimmer wurde es. Habe dann keine Luft mehr bekommen und einen Weinkrampf, konnte mich gar nicht mehr beruhigen....

"Bloß nicht zuviel Anstrengung investieren, es könnte ja was helfen" trifft es ziemlich genau...

Mag mich auch nicht so gerne mit der Frage auseinandersetzen, aber ich würde so gerne verstehen, woher dieser Widerstand kommt. Hast Du da bei Dir irgendeine Idee? Warum tue ich, wenn es mir sowieso schon schlecht geht, immer nur noch Dinge, von denen ich weiß, daß sie es schlimmer machen werden? Warum wehrt sich alles dagegen, etwas zu tun, was mir guttun könnte?

Habe dann immer das Gefühl, in Selbstmitleid zu versinken und dafür hacke ich dann noch mehr auf mir rum....

Bin jetzt schon wieder völlig wirr im Kopf... Würde mich aber auf alle Fälle freuen, noch mehr von Deinen Gedanken dazu zu hören! wenigstens scheine ich ja nicht die einzige zu sein, die so abstruse Gedanken hat

Sei ganz lieb gegrüßt und ein schönes Wochenende,
Silke
MadMax
Beiträge: 383
Registriert: 1. Jun 2003, 14:05

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von MadMax »

Liebe Silke!

Jetzt wo ich zum dritten, vierten Mal Dein Posting lese, habe ich irgendwie einfach nur Lust diesen Thread auszudrucken, meinem Therpeuten vor den Latz knallen und ihm zu sagen:

"Verdammt, tun Sie was dagegen, stellen Sie das ab, aber bitte ohne mich zu sehr mit in die Sache reinzuziehen und mich damit zu belästigen. Drücken Sie doch bitte einfach nur den Knopf, der mich wieder zu einem halbwegs normalen Menschen macht."

Schon ziemlich paradox, geht es doch schließlich um mich.
Hat das Ganze vielleicht auch etwas mit diesem Entscheidungsdilemma zu tun? Siehe anderer Thread? Von wegen bevor man weitreichende Entscheidungen trifft und irgendwas damit auslöst oder ändert, doch lieber alles beim Alten belassen. Wollen wir eigentlich Veränderung oder mutet uns selbst die Entscheidung etwas ändern zu wollen schon zuviel zu?

Mittlerweile bin ich vollends verwirrt.

Um zum ungefähr hundertsten Male wieder auf das Thema Perfektionismus zu kommen: ich sehe auch in dieser Sache einen Zusammenhang. Ich meine, wenn man jahrelang (und immer noch) sehr perfektionistisch ist (und daher auch immer "perfekte" Entscheidungen treffen will), wird das irgendwann zur Qual und der Körper sagt NEIN und reagiert mit dem anderen Extrem. Nämlich sich überhaupt gar nicht mehr mit etwas auseinandersetzen zu wollen, somit auch keine perfekte Entscheidung treffen zu müssen. Denn die Erfordernis zu solch einer ist nicht gegeben, wenn ich mich erst gar nicht damit beschäftige. Daher wohl die "erfolgreiche" Entscheidungsverdrängung.
Wenn Du Dich jetzt fragst "Will ich eigentlich wirklich, dass es mir besser geht?" und dies mit Ja beantwortest, dann übt es Druck auf Dich auf, denn in diesem Fall willst Du, dass es Dir von Jetzt auf Gleich und 100%ig besser geht, Du quasi von einem auf den anderen Augenblick geheilt bist. Nur leider ist dies bei dieser Krankheit nicht möglich. So verharrst Du lieber im Ist-Zustand bevor Du Dich diesem Anspruch auseinandersetzt.

So erkläre ich mir diesen hübschen Teufelskreis. Worin die Ursache für diesen Perfektionismus liegt, ist wiederum eine ganz andere Frage.

Wenn Du magst, kannst Du mir auch gerne mal eine Mail schicken.

Alles Liebe!

Mad Max
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Silke,

vielleicht kannst du dich der Antwort deiner Frage annähern indem du dich fragst, was du jetzt Positives von der Depression hast, wozu sie dir dient. Krank zu werden ist ja auch ein Ausweg aus allzu belastenden Lebensumständen. Und du sagst ja auch:

dann muß ich ja mein ganzes Leben plötzlich wieder auf die Reihe kriegen! Ich muß diese Arbeit weitermachen, die mir solche Probleme bereitet! Davor habe ich Angst, das will ich nicht.

Mir ging es übrigens ganz ähnlich wie dir, auch ich habe ganz schön dagegen angestrampelt, wirklich gesund zu werden, und dafür gab es Gründe. Es gibt viel zu tun, wenn man sein Leben ändern will und ich glaube, man spürt instinktiv sehr deutlich, dass es höchste Zeit wäre. Man geht es aber nicht an- dann kommt die Depression und enthebt einen erst einmal dieses lästigen Problems. Man darf krank sein, sich fallen lassen und der quälende Druck, sein Leben in den Griff zu bekommen, ist nicht mehr so stark. Eigentlich klar, dass Krankheit seine Reize hat, oder?
Es gibt ziemlich viele Fälle bei denen Depr. deshalb chronisch wird, weil sich die Betroffenen nicht dazu durchringen können, ihre Probleme ernsthaft zu bearbeiten und somit die Krankheit vorziehen, auch wenn das mehr oder weniger unbewusst entschieden wird.

Ich finde es sehr gut, dass du so klar siehst und beaobachtest. Diese Hürde, die Krankheit als Schutz gegen den inneren Schmerz aufzugeben, muss jeder nehmen. Das ist das Schwerste am Gesundwerden und wer diese Hürde nicht nimmt, bleibt in seine alten Mustern stecken und ist immer in Gefahr, wieder krank zu werden. Nimm es also nicht als Absonderlichkeit sondern als Zeichen dafür, dass du dir auf der Spur bist.

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
rea1956
Beiträge: 59
Registriert: 21. Aug 2003, 21:55

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von rea1956 »

Hallo,liebe Silke,
natürlich willst Du das es Dir besser geht.Aber nicht mit Druckmitteln wie die Therapeuten anwenden.Mit test schonmal gar nicht.Du bist so schon genug verunsichert,da kommen die mit ihren blöden und irren Vorstellungen daher.Vor allem sind es die tests die mich so wütent machen.Bin doch kein Versuchskaninchen.So habe ich mich jedenfalls immer bei Therapeuten gefühlt.Überall interpretieren die was rein.Das ist ihre eigene Sucht,die können gar nicht mehr anders.Das Du das nicht wolltset ist auch Ok,hat sich bei Dir in Angst gezeigt was ganz normal ist.Ich neige dann zu verweigerungstaktik ( = auch Angst )Dann den Satz noch von ihr zu hören,reichte fölligaus.Hätte mir dann ebenfalls jemand andern gesucht.Am Besten ist ein Psychiater mit Zusatzausbildung zum Therapeuten.Deine Angst, was ist wenn die Tabletten helfen,sehe ich einfach so.Ich muß dann wieder eine Arbeit machen,obwohl ich weiß sie liegt mir nicht,oder ist mir zuviel.Frage Dich das mal.Bisher hast Du immer gesagt,Du machst die Arbeit ja gerne.Mußtest Du ja sagen,sonst hättest Du sie ja nicht solange geschafft.Ich habe dieses Verhaltensmuster auch.Rede mir solange was ein,bis ich es selber glaube.Heute weiß ich mich bekommt kein Mensch mehr in einen Beruf rein der mit großer Verantwortung zu tun hat.Tabletten verteilen,aufpassen ob ich auch ja richtig gespritzt habe.Das richtige Mittel ? Die richtige Person?Dann immer nachschauen,war es richtig ? So soll keine Arbeit sein.Soviel ich weiß,bist Du verheiratet und hast 3 Kinder.Klar das Du bei Deinen Sprößlingen mal ein Machtwort sprechen mußt.Aber das ist keine Macht habenwollen.Schon alleine das der Gedanke Dich abschreckt Deine Mutter war so,läßt erkennen Du willst so nicht sein und wirst Dich auch unbewußt dagegenwehren.Ich finde es auch immer schlimm,wenn ich an mir was entdecke,wie meine Mutter war,ich das schlimm empfand.Sie war sehr anklammernd.Irgentwann merkte ich das ich ebenso war und deshalb auch Freundschaften auseinandergingen.Habe dann mit Biegen und Brechen mich dagegen gewehrt.Zumal wenn andere mich dann einklammerten,bin dann einfach weg,wenn sie es nicht kapierten.Eigentlich bin ich ein Mensch der gerne Freunde hat,aaber auch sehr gerne alleine ist.Bei mir ist dann eher das Problem,daß ich nicht merke wann ich damit aufhören soll,und wieder in ein Tief komme.
Liebe Silke ich hoffe ich habe Dir ein bischen was helfen können.Kann Dir alles sehr gut nachempfinden.
Liebe Grüße Andrea aus Aachen
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Hallo alle zusammen

ein hochinteressanter Thread! Habe die Postings nur auszugsweise gelesen - man möge es mir nachsehen.

Interessant finde ich, das da "2 Seelen in meiner Brust leben" (Faust) - nämlich eine, die merkt, das da was komplett falsch läuft und ÄNDERUNG will (und auch das Leben eine Zeit lang extrem erschweren kann, um ihrer Forderung Ausdruck zu verleihen) und eine, die eine Wahnsinnsangst vor eben dieser Veränderung hat. Und es ist doch spannend, sich mal anzusehen, woher diese Angst kommt.

Das "Funktionieren müssen", der vielzitierte "Perfektionismus" hat(te) schon seinen Sinn! Da gab es Stationen im Leben, wo man/frau ohne diese Anpassung einfach nicht überlebt hätte (oder sich zumindest in ernsthafte Gefahr gebracht hätte - Liebesverlust durch Eltern, Akzeptanzprobleme im Freundes/Verwandtenkreis und was weis ich noch alles). Das ganze natürlich auf einer hochsubjektivem und mesit (früh) kindlichen Hintergrund (Botschaften a la "Wenn Du nicht ... machst/leistest, dann mag die Mami dich nicht mehr" wurden da von mir empfangen - mit der Folgerung "dann krieg ich nix mehr zu Essen und muß sterben" - klingt naiv, aber so ungefähr dachte ich wohl als Kleinkind)
Und diese Erfahrung schleppen wir nach wie vor mit uns mit und machen immer das selbe, immer das Schema F, das uns einstmals vor Gefahren geschützt hat.

Jetzt kommt das problematische an der Sache - diese Verhaltensweisen sind heute mehr als inadequat, sie stören einen Entwicklungsprozess, der ebenfalls lebenswichtig ist (wer nicht weitergeht, sich weiterentwickelt, ist eigentlich schon Tod).

Es ist ein klassische Patt-Situation. Ändern kann man sich nicht, da (scheinbar!) mit zu viel Schmerz verbunden, bleiben kann man auch nicht, weil das Leben einfach weitergeht und neue Entwicklung fordert.

Es ist wie das Greifen auf die heisse Ofenplatte - wer das einmal gemacht hat, scheut sich davor - dabei ist die Ofenplatte mittlerweile abgekühlt und es besteht keine Gefahr.

Wichtig finde ich, erstmal zu verstehen, warum man so in seinen Verhaltensmustern gefangen ist und welche Ursachen zugrunde liegen. Und dann kann man sich mal die Zeit nehmen und zu gucken, welche Verhaltensweisen heute noch angebracht sind und welche nicht (da sind schon sinnvolle Sachen auch dabei, keine Angst). Und am wirkungsvollsten kann man die "unerwünschten" Verhaltensweisen wahrscheinlich wirklich ablegen, indem man neue ausprobiert. Wichtig finde ich fürs erste, wieder Bewegung in diesen Prozess zu bringen - und das kann ein ganz kleiner Schritt sein - raus aus dieser furchtbaren Patt-Situation. Und geht nachsichtig mit Euch um - ich habe keine Ahnung, wie alt ihr seit, aber ungefähr genauso lang (2,3,4 Jahre weniger) schleppt ihr diese Verhaltensweisen mit Euch rum (nochmals - die haben schon mal Sinn gemacht!) - also wird man die nicht in 14 Tagen wieder ablegen können.

Ben
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo an alle,

zunächst einmal vielen Dank für Eure Antworten, leider bin ich im Moment etwas im Stress auf der Arbeit, habe mal wieder Dinge etwas zu lange aufgeschoben und nun muß ich mal wieder ein paar Tage "funktionieren", so daß ich noch nicht zum Antworten gekommen bin. Wollte aber wenigstens mal kurz mitteilen, daß ich alles gelesen habe und Eure Gedanken dazu sehr spannend finde - habe mich lange nicht getraut, diese Frage hier zu stellen und fühle mich jetzt so gut verstanden! Werde versuchen, alles nochmal in Ruhe zu lesen, meine Gedanken etwas zu sortieren und dann auch zu antworten!

An Mad Max: Was Du beschreibst, kenne ich so gut von mir selbst ... Würde Dir gerne auch einmal eine email schreiben, vielleicht klappt das ja heute noch!

An Andrea: Da mußt Du mich etwas verwechseln, ich habe keine Kinder - das ist noch eine der unentschiedenen Fragen in meinem Leben...

So, nun muß ich erstmal zur Therapie. Wünsche Euch allen einen schönen, sonnigen Tag!

Liebe Grüße,
Silke
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Thomas,

hier endlich die versprochene Antwort - obwohl ich eigentlich noch gar nicht so recht weiß, was ich schreiben will

Dieser Widerstand gegen Besserung als Angst vor Veränderung, da kann ich Dir schon zustimmen, genauso empfinde ich es ja auch, als Angst. Irgendwie als auch inneren Widerstand, weil ich mich für diesen Schritt noch nicht bereit fühle. Solange ich zurückdenken kann, war immer eine Unzufriedenheit in mir, als wenn in meinem Leben etwas nicht stimmte, etwas fehlte, etwas nicht richtig war. Manchmal habe ich gedacht, jetzt weiß ich, was es ist, habe es geändert und festgestellt: Das war es auch nicht. Heute bin ich an einem Punkt, wo ich weiß, daß ich was verändern muß, einfach, weil es so nicht mehr weitergeht. Aber ich weiß überhaupt nicht, in welche Richtung ich gehen soll, wer ich selber eigentlich bin und was ich will - und aus lauter Angst, wieder eine falsche Entscheidung zu treffen, bewege ich mich gar nicht. Ist schon ein bißchen eine blöde Situation, nach 10 Jahren Studium nicht mehr zu wissen, ob diese Arbeit nun das richtige für einen ist oder nicht. Irgendwann hat es mir mal Spaß gebracht. Ist es die Depression, die mir den Spaß genommen hat oder bin ich depressiv geworden, weil ich den Spaß verloren habe?

Du sagst "... dann kommt die Depression und enthebt einen erst
einmal dieses lästigen Problems. Man darf krank sein, sich fallen lassen und
der quälende Druck, sein Leben in den Griff zu bekommen, ist nicht mehr
so stark." Das empfinde ich komischerweise gar nicht so, ich habe selber ein ganz großes Problem damit, das Ganze wirklich als Krankheit zu sehen. Darf ich wirklich krank sein? Oder muß ich mich zusammenreißen? Ich fühle mich im Moment so ausgelaugt, so müde und schlapp, daß ich mir wünschte, mich fallenlassen zu können. Alles einfach für eine Zeit beiseite schieben und sagen: Ich kann einfach nicht mehr. Für mich verstärkt diese Krankheit enorm den Druck, weil ich das Gefühl habe, jetzt ganz dringend was machen, was verändern zu müssen, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen, ich mich damit aber überfordert fühle. Was den Druck dann wieder verstärkt. Viele beschreiben ja hier ihre Erkrankung als Notbremse - ich empfinde es eher so, daß ich vor der Notbremse stehe und mich nicht entscheiden kann, ob ich nun ziehen soll oder nicht. Geht es mir wirklich so schlecht oder stelle ich mich nur an? Hätte gerne sowas wie einen objektiven Meßwert - aber das haben sich hier ja auch schon einige gewünscht....

Was mir aber Mut macht an Deiner Antwort ist, das Ganze als eine Hürde zu sehen, die jeder nehmen muß auf dem Weg, gesund zu werden, weil es bedeutet, daß solche Gedanken zum Heilungsprozeß dazugehören und diesem nicht entgegenlaufen.

Hmhhhhh, ganz schön verwirrend irgendwie. zuviele Fragen und zu wenig Antworten....

Liebe Grüße,
Silke
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Ben,

auch an dem, was Du geschrieben hast, ist sicher viel Wahres, diese Patt-Situation empfinde ich auch so. Jedenfalls habe ich das Gefühl, mich überhaupt nicht bewegen zu können, so wie in der Geschichte mit dem Esel und den zwei Heuhaufen, nur, daß ich das Gefühl habe, sehr viel mehr Heuhaufen um mich herum zu haben.... Ich habe ja immer das Gefühl, nicht Neues ausprobieren zu können, weil ich ja überhaupt nicht weiß, was ich will. In welche Richtung soll ich denn gehen? Aber vielleicht ist das auch nur so eine Taktik meines Gehirns, um mich nicht dem Schmerz der veränderung stellen zu müssen? Der Verdacht ist mir jedenfalls schonmal gekommen....

Und die Sache mit der Geduld. Sicher hast Du recht, aber das ist so unglaublich schwer. Wie Du ja auch schreibst, das Leben geht einfach weiter und stellt Anforderungen, die ich nicht erfüllen kann. Woher soll ich da die Geduld nehmen? Wie sollen sich da langsam neue Verhaltensweisen entwickeln können? Für mich haben solche Veränderungen die Gestalt eines zarten Pflänzchens in mir drinnen, die allzu leicht wieder zertreten werden....

Silke
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Hallo Silke

Danke für die Antwort!

Natürlich ist es sehr, sehr schwer, die Geduld aufzubringe - am liebsten möchte man einen Schalter umlegen, der wieder ein "normales" Leben ermöglicht.

Meine Erfahrung aus der Depression:

Ich habe ganz bewußt fürt mich beschlossen, eine Zeit lang auf 20 % Leistung zu fahren, als es bei mir ganz schlimm war. Ich habe eine Zeit lang nur das gemacht, was unbedingt notwendig war - und das war befreiend! Zuerst war es mal befreiend zu schaun, was unbedingt notwendig ist (also ohne die ganze Eitelkeit, den Perfektionismus o.ä.) da bleibt nicht so viel - und das nahm mir eine Mege Druck!

Auch mit dem "Ich weis nicht, was ich will" habe ich schon meine Erfahrungen gemacht - und mein Tip ist da - tu es einfach! Mach, was gerade ansteht und was Du Dir zumuten kannst ,und mach es bewußt! (Das kann auch das Einräumen des Geschirrspülers sein oder eine Meditation oder ein Spaziergang - es ist egal!) Stell nicht die Sinnfrage dahinter ("Ich könnte ja ein Buch lesen oder Hausarbeit oder so") - mach mal was ohen Sinn und Ziel - und erkenne, das hinter dem Machen oder dem bewußten Sein-lassen (Meditation) das Leben ist! Wir sind so erzogen, alles nur zu machen, um ein Ergebnis zu sehen - völliger Quatsch! Was bringt es Dir, etwas "sinnvolles" zu machen? Du fühlst Dich kurze Zeit gut und dann beginnt das Spiel von vorne!

Du schreibst meiner MEinung nach sehr richtig, das sich Dein Gehirn gegen Veränderungen streubt (die Patt-Situation) - aber nur, in dem Du die Erfahrung machst, das Veränderung nicht Untergang bedeutet, wirst Du wieder beweglich! Zur Zeit gibt es nix, was Dir die befriedigung geben würde, was sinnvolles zu tun - dann mach was anderes - mach bewußt was Unsinniges - es ist egal - das Leben wird weitergehen!

Komische Gedanken von

Ben
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Ben,

ich finde Deine Gedanken gar nicht komisch - trotzdem fallen mir gleich ganz viele "aber's" ein ... Mein Freund sagt immer, das wäre eines meiner Probleme, zu jeder Möglichkeit generiert mein Kopf gleich ein "aber" und so laufen meine Gedanken immer im Kreis. Und ich kann in meiner Patt-Situation bleiben?

Du sagst, Du hättest bewußt für Dich entschieden, nur auf 20% Leistung zu fahren. Das bedeutet ja aber auch, daß Du wußtest, wieviel 20% sind, Du konntest vor Dir selbst rechtfertigen, daß das das Maximum war, was Du leisten konntest. Ich spüre, daß ich das im Moment noch nicht erreichen kann, ich habe nicht das Selbstbewußtsein, das gegenüber anderen - und besonders mir selber - zu vertreten. Ich hänge irgendwie noch sehr an diesem "Leistungsbild"...

Was ich aber wirklich wieder lernen muß, ist, Dinge bewußt zu tun, da hast Du völlig recht. Ich habe das mal irgendwo über Joggen gelesen, man sollte nicht joggen gegen, weil es so gesund oder gut für die Figur ist, sondern einfach, um den Spaß an der Bewegung zu genießen. Dann "möchte" man auch laufen und hat nicht das Gefühl "zu müssen". Damit habe ich wirklich ein Problem, ich empfinde bei allem nur noch ein "Du mußt" und darauf reagiert mein Körper sofort mit "Ich will nicht". Ganz krass ausgedrückt, denke ich jetzt: Du mußt Dinge mal bewußter tun - und sofort geht alles in mir gegen diesen Gedanken in Abwehrstellung. Kannst Du das nachvollziehen?

Habe das beim Joggen natürlich auch nicht geschafft, aber ich habe zumindest eine Idee davon bekommen, daß das einen Unterschied macht. Normalerweise ist es so, daß wenn mein Freund mich am Wochenende fragt: Gehen wir heute abend joggen? mir der ganze Tag verdorben ist. Die ganze Zeit grübel ich darüber nach, ob ich nun mitgehen soll oder nicht, ist doch so gesund, hab aber keine Lust, fühl mich so schlapp, vielleicht vergißt er das ja...Am Schluß bin ich dann richtig wütend, daß er durch seine Frage diesen ganzen Stress ausgelöst hat! Manchmal denke ich dann: OK, heute entscheide ich mich bewußt dafür, auf dem Sofa liegenzubleiben. Kaum ist er aus der Tür springe ich dann aber auf und denke: Vielleicht sollte ich doch lieber laufen, wenn er nachher wiederkommt, ärgere ich mich, daß ich nicht mitgelaufen bin. Also ziehe ich mich um, nehme die Schuhe, und spätestens auf dem Weg zur Tür bleibe ich stehen und denke: Oder doch nicht? Also Schuhe zurück ins Regal, auf dem Weg zum Sofa stehenbleiben: Oder doch? So kann ich ganze Tage verbringen.... Meist laufe ich irgendwann dann nur noch deshalb los, weil das die einzige Möglichkeit ist, das ganze zu beenden.

Dinge nicht bewußt zu tun, dafür könnte ich 1000 Beispiele anführen. Etwas bewußt tun, bedeutet ja auch, im Augenblich zu leben und die anderen Möglichkeiten, diesen Augenblick zu verbringen, loszulassen. Ich lebe immer nur in der Welt der nicht gewählten Möglichkeiten....

"Zur Zeit gibt es nix, was Dir die befriedigung geben würde, was sinnvolles zu tun - dann mach was anderes - mach bewußt was Unsinniges - es ist egal - das Leben wird weitergehen!" - Den Satz finde ich schön, das klingt so einfach! Wenn das nur nicht alles so anstrengend wäre und ich ein wenig mehr Energie hätte ...

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende!

Viele Grüße,
Silke
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Hallo Silke

zu den 20% - Deine Umwelt wird es nicht merken! Die Erwartungen der Anderen an uns sind bei Weitem nicht so hoch, wie wir meinen.

Das mit dem joggen oder Sofa finde ich ein sehr anschauliches Beispiel. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Bei mir läuft da ungefähr so ein Dialog ab

Gesundheitsben "Mensch, Joggen, das ist gesund, da kriegst Du den Kopf frei, frische Luft - super - ab gehts"

Bequemlichkeitsben "Nö, ich bin so schlapp, ich kann heute nicht! Was bringts denn - einen Muskelkater - bleib mal lieber auf der Couch"

Nun ist es so, egal, wofür ich mich entscheide, wenn ichs dann mache, sehe ich nur die positiven Seiten der "anderen" Entscheidung (also ich hechle durch den Wald und denke ans schöne Sofa oder ich lieg auf dem Sofa und hab ein schlechtes Gewissen, weil ich nix für meine Gesundheit tu". Die Beste Erfahrung habe ich damit gemacht, beiden Bens mein Ohr zu schenken und versuchen, zu vermittlen (wie ein Moderator) - also z.B. "o.k., eine halbe Stunde wird gejoggt und dann leg ich mich bequem aufs Sofa" - das passt dann meistens auch. Beide Bedürfnisse fühlen sich ernstgenommen und ich habe nicht diese blöde entweder/oder Entscheidung.

Kennst Du solche Gedanken?

Ben
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hi Ben,

wie beruhigend, daß auch andere Leute solche Gespräche in ihrem Kopf führen... Dabei ertappe ich mich ständig, wenn irgendetwas passiert, was mich beschäftigt, führe ich darüber 1000 imaginäre Gespräche in meinem Kopf, "erzähle" anderen Menschen davon, gebe mir selber antworten. Das Unheimliche daran ist, daß ich in diesen Situationen real ganz still werde und überhaupt nicht mehr rede, aber das ist mir dann gar nicht mehr wirklich bewußt, so real werden die Gespräche in meinem Kopf. Ich empfinde mein Leben oft als wahnsinnig kompliziert und anstrengend und das ist genau ein Beispiel dafür. Ich meine, andere Leute beschliessen joggen zu gehen UND MACHEN DAS EINFACH! Ich "diskutiere" das vorher schon eine Stunde mit mir aus (oder länger), führe dann vielleicht noch Einigungsgespräche (was ich übrigens so noch nicht versucht habe, werde ich aber mal tun!) und wenn ich mich dann entschieden habe, geht es genau wie bei Dir ja weiter (über diese Entscheidungsproblematik habe ich übrigens auch schon in einem anderen Thread geschrieben, habe nur gerade den Überblick verloren, wo...). Ich wünsche mir oft einfach, daß diese Stimmen mal Ruhe geben! Daß ich mir nicht solch komplizierte Spielchen ausdenken muß, um Dinge hin zu kriegen.

Beim Joggen wähle ich wie gesagt oft die Alternative, dann einfach loszulaufen. Bleibe ich auf dem Sofa liegen, bleibt ja immer die Möglichkeit doch noch laufen zu gehen, da finde ich keine Ruhe. Wenn ich aber laufe, gibt es ja sozusagen nicht mehr die Möglichkeit, nicht laufen zu gehen - klingt vielleicht jetzt blöd, aber da kann ich besser mit umgehen. Zumal ich mich nach dem Laufen ja meistens auch ganz wohl fühle. Aber irgendwie habe ich dabei immer das Gefühl zu versagen, der Konfrontation sozusagen auszuweichen. Kannst Du das verstehen?

Silke
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Liebe Silke

was macht das Entscheiden so schwer (nicht nur Dir, sondern allgemein)? Meiner Meinung nach ist es die Problematik, wenn man sich FÜR etwas entscheidet, entscheidet man sich im gleichen Augenblick GEGEN etwas. Das gilt für alle Lebenslagen - und wir wollen doch so gerne alles, alle Möglichkeiten offen haben - nichts aufgeben - und das funktioniert nicht.
Nun ist es aber so, das Du und ich und jeder Mensch jeden Tag zig Entscheidungen treffen mußt (manche triffst Du auch ganz unbewußt) - so funktioniert das Leben. Auch in Routinetätigkeiten (z.B. Kaffee trinken morgens - oder Tee) liegt immer eine Entscheidung - was Du ißt oder trinkst, wann Du ins Bett gehst und wann Du Deine Steuererklärung machst - alles sind Entscheidungen. Warum sind uns manche davon so wichtig und andere weniger? Was interessierts das Univerum, ob Du joggst oder auf dem Sofa liegst? Jetzt kommt eine provozierende Frage (vor der ich aber selbst schon das eine oder andere Mal stand - also bezieh sie, wenn Du magst, auf mich oder setz Dich mit ihr auseinander)

Warum nehmen wir uns so wichtig?

Von Anthony de Mello gibts da eine schöne (erst mal erschreckende) Meditation, da gehts drum, im eigenen Grab zu liegen und auf sein Leben zurückzublicken. Was ist dann noch wichtig? Tee oder Kaffee getrunken, Joggen oder Sofa? Ein, zwei Jahre Arbeitslos - den Partner fürs Leben erst spät gefunden - keine Ahnung, was noch alles. Was macht uns diese Panik, uns in solch kleinen Dingen (wenn mans recht betrachtet) falsch zu entscheiden? Nimms bitte nicht persönlich - ich bin vor diesen Fragen angekommen und möchte einfach mal Deine Meinung dazu hören - war kein Angriff!

Ben
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Hallo Sike

da fällt mir noch was wichtiges ein. Vor der Depression war ich so ein Mensch, den Du schilderst, also der sagt "ich geh Joggen" und dann Joggen ging. Da gabs diese Gepräche in meinem Kopf nicht - aber ich habe mittlerweile auch erkannt, warum.

Es gab da ein unglaublich dominantes "Über-ich", wie Kollge Freud wohl sagen würde (durch Erziehung und Sozialisation und Ängste geprägt - Stichwort "Perfektionismaus"). Das wußte immer, wo es langgeht, was als nächstes zu tun ist - und das hat mich erstmal beruflich und so ganz gut nach vorne gebracht. Dann kam die Depression, die ganzen anderen Bedürfnisse haben sich gemeldet und ihre Ansprüche formuliert - und es war erst mal Chaos (das schilderst Du ja auch sehr eindrucksvoll). Auf einmal plärren da huntert verschiedene Ichs durcheinander, jeder will was anderes, jeder hat irgendwie recht - und dann? Erst mal wird man handlungsunfähig (auch ein Zeichen der Depression) - weiß nicht mehr, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist, weil ja das Über-ich als Täuschung entlarvt wurde - so wie bisher gehts ja auch nicht weiter.
Jetzt ist es so, das wir uns mal mit dem, mal mit jenem Ich identifizieren und dann ist es mal gut zu joggen, oder aufm SOfa zu liegen oder was weis ich. Das Problem ist die unlaubliche Kurzlebigkeit dieser Ichs - also du packst Deine Schuhe ein und schwupp, ist da ein anderes Bedürfnis da, das was ganz anderes will.
Versuche mal, in die Moderatorenrolle zu kommen. Ich habe mir zu meinen "Innendialogen" oft auch Notizen gemacht, um zu verstehen, wer da alles in meinem Kopf mitredet, welche Intentionen, welche Ziele, welche Ängste das jeweilige ich hat und schau dem ganzen Treiben erst mal aus der Distanz zu.


Kannst Du das was mit anfangen?

Ben
rea1956
Beiträge: 59
Registriert: 21. Aug 2003, 21:55

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von rea1956 »

Lieber Ben,liebe Silke,
könnt ihr mir sagen,meint ihr mit den Gesprächen im Kopf ( Selbstgespräche ) oder Stimmen hören? Bitte nicht böse sein wegen der Frage,aber ich frage weil Silke sagt,sie wünschte sich die Gespräche mal auf Tauchstation.Mich interessiert das, weil ich diese Selbstgespräche eigentlich schon so lange fürhe wie ich denken kann.Also seit ich 10 Jahre war bestimmt.Ich mache es auch heute noch und es hilft mir bei Vielem.Oft rede ich mich schonmal mit Nachnamen an, um mir wenn ich zu gar nichts Lust habe,selber Druck zu geben.Es ist anders als von Andern.Hier reagiere ich dann auch drauf,weil ich es einsehe.Wenn mir jemand anders sagt...Du mußt...sage ich oft,ich muß gar nichts.Ich will zwar funktionieren,aber dann wenn ich es möchte und nicht weil das die Norm ist.Klar bei vielen Dingen geht es nicht ohne muß von andern,aber so langsam lerne ich nein zu sagen, wenn ich nicht will.Hat auch seine 7 Jahre gedauert.Ich fand es zu lang.Meine Ärztin meint in Relation sollte ich es sehen zu meinem Alter.Das ist übrigens 47 Jahre.Bei mir ist halt alles immer so lang bis sich was ändert,meine ich jedenfalls.Ich denke oft,ok ich habs kapiert,warum klappt es dann nicht...mit der Depri umzugehen.Bin sehr wahrscheinlich nicht mit der psyche im Einklang.Na ja, jedenfalls führe ich gerne Selbstgespräche.Sie helfen mir ein wenig und ich verstehe mich eher als die Leute draußen.
Hoffe ich durfte euch 2 das mitteilen.
Schönen Sonntag noch wünscht Euch Andrea
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Also ich mein damit Selbstgespräche - Stimmen hören tu ich nicht. Wober ein Selbstgespräch ja etwas bewußt geführtes ist, und das Problem beim "Grübelzwang" ist ja, das sich so viele Ichs melden und jedes ich seinen Willen durchsetzen möchte.

Ben
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Andrea,

ich meine damit auch Selbstgespräche, Stimmen höre ich nicht. Und wie Du führe ich diese Selbstgespräche auch schon seit meiner Kindheit, bei mir gibt es kein davor, wie Ben es beispielsweise beschreibt, wo Ruhe im Kopf herrschte. Naja, vielleicht als ich ganz klein war, aber da kann ich mich nicht mehr wirklich dran erinnern. Allerdings empfinde ich diese Selbstgespräche nicht als so angenehm und wohltuend wie Du, sondern eher als eine Art ständigen, unerwünschten Lärms in meinem Kopf, der mich völlig verwirrt und dazu führt, daß ich überhaupt nicht mehr handeln und an nichts mehr Freude empfinden kann. Ich kann diese Gespräche einfach nicht abstellen, es ist wie ein Zwang, der mich von der "wirklichen" Welt isoliert und meine Lebensqualität massiv beeinträchtigt - jedenfalls empfinde ich das so.

Liebe Grüße,
Silke
srb
Beiträge: 508
Registriert: 11. Jun 2003, 11:59

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von srb »

Hallo Ben,

die Frage empfinde ich überhaupt nicht als Angriff, ist ja nicht so, daß ich mir die überhaupt noch nicht gestellt habe.... Hmmmh, wo fange ich jetzt an? Vielleicht einfach mittendrin. Im Frühjahr hatte ich ein Gespräch mit meinem Chef, ich war einen Monat krankgeschrieben gewesen und eigentlich gekommen, um ihm zu sagen, daß ich kündigen möchte, weil ich mit der ganzen Arbeitssituation überhaupt nicht klar kam. Er hat dann fast Deine Worte gebraucht, ich sollte das Ganze doch nicht so wichtig nehmen, das Projekt wäre eine nette Idee, aber wenn es nicht klappt, würde die Welt davon auch nicht untergehen. Ich sollte das Ganze mehr wie ein Spiel betrachten (spielen mag ich übrigens überhaupt nicht, ich nehme das immer viel zu ernst, vielleicht auch bezeichnend). Wenn er in solche Gedanken verfallen würde, würde er sein eigenes Leben immer wie einen Kinofilm betrachten und dann feststellen, wie lächerlich und unbedeutend er doch ist. Ich sollte mir doch mal vorstellen, jetzt im Irak zu leben (damals war gerade der Krieg ausgebrochen), die Menschen hätten wirklich ernsthafte Probleme, dagegen wäre unsere Arbeit doch total unwichtig. Da begebe ich mich jetzt wahrscheinlich auf dünnes Eis, ich meine natürlich geht es den Menschen dort objektiv viel schlechter als mir und wahrscheinlich hätte ich, würde ich dort leben, andere Probleme - wobei das eine interessante Fragestellung an sich ist, sind Depressionen eine Wohlstandskrankheit? Wäre ich nicht depressiv, wenn ich in der dritten Welt aufgewachsen wäre? - aber ich lebe ja nun mal hier und jetzt und warum muß es mir gut gehen, nur weil es anderen noch schlechter geht? Habe ich deshalb sozusagen gar kein recht dazu, daß es mir schlecht geht? So kommt das bei mir dann leicht an und das verstärkt dann wieder den Druck, den ich sowieso schon empfinde. Was will ich denn eigentlich, mir geht es objektiv doch gut, nun sei schon endlich zufrieden (das soll jetzt auch kein Angriff gegen Dich sein, das werfen meine Stimmen mir dann vor!). Da gibt es dann auch die ganz provokante Stimme in meinem Kopf, die sagt: Was gehen mich die Menschen im Irak an? Was haben die mit meinem Leben zu tun, mit meiner konkreten Situation, die objektiv lächerlich sein mag, für mich aber die Hölle ist? Ich habe mich wirklich dafür geschämt, aber zu der Zeit ging es mir so schlecht, kreisten meine Gedanken so extrem nur um mich selbst, daß mich dieser ganze Krieg sehr wenig berührt hat. Ich war irgendwie absolut gleichgültig gegen alles, was um mich herum passierte, lebte nur noch in mir. Und paradoxerweise hatte ich zu der Zeit das Gefühl, mich selbst nicht wichtig genug zu nehmen. Würde ich das tun, müßte ich nämlich immer noch sagen, diese Arbeit tut mir im Moment überhaupt nicht gut, sie macht mich krank, also höre ich damit auf. Egal, was mein Chef sagt, egal, was meine Eltern sagen, egal, was die Gesellschaft sagt. Aber das kann ich nicht. Ich hatte zwischendurch das Gefühl, wirklich vor die Hunde zu gehen und hatte noch das Gefühl, das wäre dann eben richtig so. Arbeit ist das Wichtigste im Leben, so bin ich erzogen worden, viel wichtiger als ich als Mensch....

Kann vielleicht jahrelange, anerzogene Ignoranz der eigenen "Wichtigkeit" dazu führen, daß man auf einmal in das andere Extrem kippt und sich zu wichtig nimmt? Oder ist das Ganze wieder nur ein Schutzmechanismus, um davon abzulenken, daß man sich in den wirklich wichtigen Fragen immer noch nicht traut, sich ernstzunehmen?

Du siehst schon, Deine Frage löst einiges bei mir aus....

Auch der letzte Teil Deines Beitrags, denn das ist tatsächlich eine meiner größsten Ängste, sozusagen auf dem Sterbebett auf mein Leben zurückzublicken und erkennen zu müssen, daß ich es komplett vertan habe, daß ich nie wirklich gelebt habe, weil ich mit Nachdenken über solchen Mist meine kostbare Zeit vertan habe!

Zu dem "Über-Ich" kann ich eigentlich gar nichts sagen, denn wie gesagt, für mich gibt es eigentlich keine Zeit vor dieser Krankheit. Vielleicht, als ich ganz klein war, aber daran kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Gut finde ich Deine Beschreibung mit der Kurzlebigkeit der verschiedenen Ichs, das stimmt ganz genau. Kurzzeitig glaubt man wirklich zu wissen, was man will, aber schwupps! ist die ganze Sicherheit wieder weg und man kann gar nicht mehr verstehen, warum man das eigentlich wollte. Über die "Moderatorenrolle" muß ich mal nachdenken (sagt da etwa gerade eine Stimme in mir: Och nee, das ist so anstrengend, und aufschreiben, da muß man ja nachdenken, will nicht...?), generell fällt es mir immer sehr schwer, Distanz zu mir selber zu bekommen. Klappt eigentlich nur, wenn es mir einigermaßen gut geht (oder geht es mir gut, weil ich Distanz habe), das ist gerade ein Problem, daß ich in schlechten Phasen überhaupt keine Distanz mehr zu mir habe und sich alles nur noch um mich dreht und die kleinsten Probleme sich zu Riesenbergen auswachsen!

War das jetzt zu konfus oder konntest Du damit was anfangen? Bin jedenfalls gespannt auf Deine Antwort!

Liebe Grüße, Silke
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Will ich eigentlich wirklich, daß es mir besser geht?

Beitrag von ben1 »

Hallo Silke

muß erst mal ein bißchen sortieren ...

Also - erstmal Gratulation zu so einem Chef - der hat da was wichtiges bemerkt - kannst Du das annehmen oder denkst Du, er wollte Dich nur trösten oder ruhigstellen?

Dann Denke ich das es das Recht eines jeden Menschen ist, unabhängig von äußeren Gegebenheiten, eine Krise zu haben. Dabei entdecken wir nämlich, das uns alles, was uns die Gesellschaft vorgaukelt, zum Glück nicht brauchen - das uns solche Sachen (Geld, Ruhm, Erfolg) immer nur kurze Zufriedenheitszyklen bringen und wir, wie ein Junkie, ein immer höhere Dosis brauchen und doch unser Glück darin nicht finden.

Zum Moderator - wenn Du denkst (ja, wen mein ich denn da, wenn ich DU sage) das es helfen könnte, dann probier es einfach aus eine Zeit lang. Da ist noch ein Teil in Dir, der panische Angst vor Veränderungen hat - mit dem solltest Du mal sprechen!

Und zu den verschiedenen ICHS bedien ich mich mal flux eines Postings von Thomas in "meinem" Thread "Spiritualität und Depression" (findest Du unter "Umgang mit Krisen" - mittlerweile schon Teil 2), das ich für sehr bedenkenswert halte

Und dann wünsch ich Dir gute Gedanken

Ben


ZITAT von Thomas

Sehr oft, fast bei jedem Gespräch, kam G. erneut auf das Fehlen der Einheit im Menschen zu sprechen.
„Einer der Hauptirrtümer des Menschen", sagte er, „den man sich immer vor Augen halten muß, ist seine Täuschung in Bezug auf sein Ich.
„Der Mensch, wie wir ihn kennen, die ,Maschine Mensch', der Mensch, der nicht ,tun' kann und mit dem und durch den alles .geschieht', kann kein dauerndes und einziges Ich haben. Sein Ich wechselt mit gleicher Geschwindigkeit wie seine Gedanken, Gefühle und Stimmungen, und er begeht einen gewaltigen Irrtum, wenn er sich immer für ein und die gleiche Person hält; in Wirklichkeit ist er immer eine verschiedene Person, nicht die gleiche, die er im vorigen Augenblick war.
„Der Mensch hat kein bleibendes und unveränderliches Ich. Jeder Gedanke, jede Stimmung, jede Begierde, jede Empfindung sagt Ich. Und in jedem Fall hält man es für selbstverständlich, daß dieses Ich zum Ganzen gehört, zum ganzen Menschen, und daß ein Gedanke, ein Wunsch oder eine Abneigung Ausdruck dieses Ganzen ist.

Faktisch besteht überhaupt kein Grund für diese Annahme. Jeder Gedanke und jede Begierde des Menschen entsteht und lebt ganz getrennt und unabhängig vom Ganzen. Und dies Ganze drückt sich einfach darum nicht aus, weil es als solches nur physisch besteht und abstrakt als ein Begriff. Der Mensch hat kein individuelles Ich. Aber an dessen Stelle gibt es Hunderte und Tausende getrennter kleiner Ichs, die sich oft untereinander gar nicht kennen, nie zueinander in Beziehung treten oder sogar im Gegenteil feindlich gegeneinander eingestellt sind, da sie einander ausschließen und unvereinbar sind. Jede Minute, jeden Augenblick sagt oder denkt man Ich, und jedesmal ist dieses Ich verschieden. Gerade jetzt war es ein Gedanke, nun ist es eine Begierde, dann eine Empfindung, dann wieder ein Gedanke, und so weiter ohne Ende. Der Mensch ist eine Vielheit. Sein Name ist Legion.
„Der Wechsel der Ichs, ihr offensichtlicher dauernder Kampf um die Herrschaft wird durch zufällige äußere Einflüsse gelenkt. Wärme, Sonnenschein, schönes Wetter rufen sofort eine ganze Gruppe von Ichs auf den Plan. Kälte, Nebel, Regen rufen eine andere Gruppe von Ichs hervor, andere Assoziationen, andere Gefühle und andere Handlungen. Nichts im Menschen kann diesen Wechsel von Ichs lenken, vor allem, weil er davon gar nichts weiß, es nicht bemerkt; er lebt immer im letzten Ich. Manche Ichs sind natürlich stärker als andere. Aber es ist nicht ihre eigene, bewußte Stärke; sie wurde durch die Stärke von Zufällen oder mechanischen äußeren Einflüssen geschaffen. Erziehung, Nachahmung, Lesen, der hypnotische Einfluß von Religion, Kaste und Tradition oder der Glanz neuer Schlagworte schaffen in der Persönlichkeit eines Menschen sehr starke Ichs, die ganze Reihen schwächerer, anderer Ichs beherrschen. Aber ihre Stärke ist die Stärke der Eindrücke, die in den ,Rollen'1 der Zentren verzeichnet sind. Und alle Ichs, aus denen die Persönlichkeit des Menschen besteht, haben den gleichen Ursprung wie diese .Rollen', sie sind das Ergebnis äußerer Einwirkungen; und beide, sowohl ,Rollen' als auch Ichs, werden durch neue äußere Einflüsse in Bewegung gesetzt und gelenkt.

„Der Mensch hat keine Individualität. Er hat kein einziges großes Ich. Der Mensch ist in eine Vielfalt kleiner Ichs geteilt.
„Und jedes einzelne kleine Ich ist fähig, sich das Ganze zu nennen, im Namen des Ganzen zu handeln, zuzustimmen oder abzulehnen, Versprechen zu geben, Entscheidungen zu treffen, was ein anderes Ich oder das Ganze dann ausbaden muß. Dies erklärt, warum Menschen so oft Entscheidungen treffen und sie so selten ausführen. Ein Mensch entschließt sich, von morgen ab früh aufzustehen. Ein Ich oder eine Gruppe von Ichs beschließt dies. Aber das Aufstehen fällt unter die Zuständigkeit eines ganz anderen Ichs, das diese Entscheidung vollständig ablehnt oder sogar nichts davon weiß. Natürlich wird der Mensch fortfahren, den Morgen zu verschlafen und am Abend wird er sich erneut entschließen, früh aufzustehen. In manchen Fällen kann dies sehr unangenehme Folgen für den Menschen haben. Ein kleines zufälliges Ich mag etwas versprechen, nicht sich selbst, sondern jemand anderem, einfach aus Eitelkeit oder aus Spaß. Dann verschwindet es und der Mensch, das heißt die gesamte Summe anderer Ichs, die ganz unschuldig daran sind, müssen ihr ganzes Leben dafür bezahlen. Es ist die Tragödie des Menschen, daß jedes kleine Ich das Recht hat, Schecks und Wechsel zu unterzeichnen und der Mensch, das heißt das Ganze, dafür aufzukommen hat. Oft besteht das ganze Leben eines Menschen darin, Wechsel kleiner, zufälliger Ichs einzulösen.
„Die östlichen Lehren enthalten zahlreiche allegorische Bilder, die versuchen, die Natur des Menschen von diesem Gesichtspunkt aus zu schildern.
„So wird in einer Lehre der Mensch einem Haus verglichen, in dem es eine Menge Diener gibt, aber kein Herr und kein Haushälter da sind. Die Dienstboten haben alle ihre Pflichten vergessen; niemand tut, was er soll. Jeder versucht, den Herrn zu spielen, wenn auch nur für einen Augenblick, und durch diese Unordnung droht dem ganzen Haus große Gefahr. Die einzige Rettungsmöglichkeit besteht darin, daß eine Gruppe vernünftiger Diener sich versammelt und einen zeitweiligen Haushälter erwählt, das heißt einen stellvertretenden Haushälter. Dieser stellvertretende Haushälter kann dann die anderen Diener auf ihren Platz verweisen und darauf sehen, daß jeder seine eigene Arbeit verrichte: der Koch in der Küche, der Kutscher im Stall, der Gärtner im Garten und so fort. Auf diese Weise kann das ,Haus' für die Ankunft des wirklichen Haushälters vorbereitet werden, der es dann seinerseits für die Ankunft des Herrn vorbereitet.

„Der Vergleich des Menschen mit einem Haus, das die Ankunft seines Herrn erwartet, ist häufig in östlichen Lehren zu finden, in denen sich noch Spuren alten Wissens erhalten haben, und wie wir wissen, taucht dieses Thema auch in verschiedener Form in vielen Gleichnissen der Evangelien auf.
„Aber auch das klarste Verstehen seiner Möglichkeiten wird einen Menschen ihrer Verwirklichung nicht näher bringen. Um diese Möglichkeiten zu verwirklichen, muß er einen sehr starken Wunsch nach Befreiung verspüren und muß bereit sein, für seine Befreiung alles zu opfern und alles zu wagen."

Ouspensky, Auf der Suche nach dem Wunderbaren
Antworten