In der Zeitung gelesen / Buchtipp

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tomroerich
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In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von tomroerich »

Diesen Beitrag aus "Die Zeit" vom Okt. 2002 fand ich beim Aufräumen und interessant genug, ihn hier reinzustellen.

Der Hölle entlaufen

Ist Depression heilbar? Bericht eines Selbstversuchs/VON ELISABETH WEHRMANN

Für die Öffentlichkeit war er der berühmte Philosoph, der Professor an der renommierten Ecole Normale Superieure in Paris; privat litt er an Depressionen. Es sei ein Leiden, das an die Hölle grenzt, bekannte Louis Althusser. Obwohl er sich allen gängigen Behandlungen—vom Elektroschock über die Analyse bis zu Schlafkur und freiwilliger Internierung — unterzog und alle gängigen Psychopharmaka schluckte, konnte er dem seelischen Terror, der „fürchterlichen unergründlichen Leere" nicht entkommen. „Man wird mir gestatten, nicht davon zu sprechen", schrieb Althusser. Aber die Krankheit sprach. Mit Gewalt.
Holger Reiners, im öffentlichen Leben bekannt als erfolgreicher Architekt und Unternehmensberater, hat sich entschlossen, von seiner Depression zu sprechen. Das ist mutig, weil nur so das Stigma der ,yersagerkrankheit" durchbrochen wird. Und wichtig, weil der „Krebs der Seele" inzwischen mehr als fünf Prozent der Deutschen heimsucht. Trotz der Fortschritte in der medizinischen Forschung, trotz reichlicher Angebote von der Pharmaindustrie bleibt die Depression ein vielschichtiges Phä-
nomen von undeutlichen Ursachen, schwierigen Diagnosen und unsicheren Heilungschancen. „Für den, der sie nicht kennt, ein nahezu unvorstellbarer Zustand", sagt Reiners nach 20-jährigem chronischen Leiden. Reiners will Unwissende aufklären, Leidenden Mut machen und erzählen, dass und wie es gelingen kann, sich aus den Trümmern des Lebens „eine neue Heimat für das Ich aufzubauen".
Reiners berichtet von den Erfahrungen des Kindes, das die Liebe des Vaters nicht „erringen" konnte, von der folgenden „unerklärlichen Verzweiflung", vom Lebensmuster der Anpassung bis zum Verstummen der eigenen Stimme, bis zur totalen Selbstentwertung („Die Maschine Mensch, die meinen Namen trägt, ist nicht nur irreparabel, sie hat auch keinen Restwert mehr"). Und zeigt dann, wie der späte Abschied von den Eltern, der Abschied von der „Illusion, irgendwann könne die Familie doch noch ein schützender Kreis werden" der erste Schritt zur Besinnung auf die eigenen Kräfte wird. Der Depressive, so Reiners, „ist krank, weil er an krankmachenden Lebens-mustern festhält".
Er selbst konnte loslassen, als er endlich einen Therapeuten fand, der ihm das unerschütterliche Vertrauen schenkte, das ihm als Kind so sehr fehlte. Die leere Depressionshölle umzubauen in eine schützende Höhle für die wunde Seele, versichert der Architekt, sei möglich - auch ohne Pillen. Reiners hat sich auf den Weg gemacht. Jeden Morgen tritt er zum Dauerlauf gegen die innere Lähmung an, seitdem er entdeckte, während einer Kur in einer Sportklinik, dass physische Anstrengung dem „antriebsarmen" Patienten auf die Sp;ünge hilft. Viele kleine Schritte führten ihn zu Halt gebenden Lebensstrukturen, solche, die er sich selbst wählte. Dieses Buch will Leidenden ein Anstoß zum Aufbruch sein und eine Erinnerung daran, dass niemand von der Verantwortung frei ist, „sein eigenes Leben mitzubestimmen - auch und besonders der Depressionskranke".

• Holger Reiners: Das heimatlose Ich
Aus der Depression zurück ins Leben; Kösel Verlag, München 2002; 192 S., 17,95 €
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
ricky
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von ricky »

Lieber Thomas,

das ist ja das Buch,was ich jetzt gerade gelesen und wovon ich auch im Thread "???" geschrieben habe.
...*staun*...!

An alle,

das Buch ist wirklich sehr empfehlenswert,sowohl für Betroffene selbst,als auch für Angehörige,die sich ein Bild von einer Depression machen möchten.

Sonnige Grüsse Uta
*Zahme Vögel haben Sehnsucht. Wilde fliegen.*
sandrak
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sandrak »

Hallo,

ja, habe das Buch schon fast 2 mal gelesen, ist sehr gut geschrieben, und macht einen neuen Mut
sewi
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sewi »

dina
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von dina »

Danke für den Buchtipp, das ist doch ein prima Vorlesebuch (Familientradition) für meinen Mann und mich das wahrscheinlich ausnahmsweise mal Mut macht. Den letzten Punkt finde ich wesentlich, Verantwortung zu übernehmen um sein eigenes Leben mitzubestimmen. Das Lebensmotto meines Mannes vor der Krankheit war "Es kommt alles so wie es kommen muss", ich habe nie etwas von Schicksalsergebenheit gehalten und hielt mich an "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". Nur wie ich dieses heisse Eisen jetzt schmieden soll, ist mir jetzt noch nicht so ganz klar und ich bin für jede Anregung dankbar. Sewi du hast wohl recht, würden wir gegen Naturkatastrophen zusammenhalten müssen oder so, würden solche Zivilisationsphänomene nicht entstehen damit wir uns auf das Wesentliche besinnen. Ich wünsche jedem hier Glück, die Herausforderung Depression zu diesem Zwecke nutzen zu können.

Dina
sewi
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sewi »

sun
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sun »

Danke für den Buchtipp.Ich werde es mir auch kaufen.Marry
dina
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von dina »

Sewi, ich weiss nicht ob ich es als "Ersparnis" betrachten kann, dass mein Mann depressiv ist. Ich war vorher eigentlich recht zufrieden mit meinem Leben und könnte gut darauf verzichten dass es jetzt so ist wie es ist.

Dina
sewi
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sewi »

dina
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von dina »

Hallo Sewi,
ja du hast Recht. Es bringt mich nicht viel weiter mich mit dem Thema so sehr zu beschäftigen, dass es mich überrollt. Das muss er selber auf seine Weise machen. Es ist nur schwer da die Füsse still zu halten und zu akzeptieren, dass ich nicht viel daran machen kann und die Situation unter Kontrolle zu kriegen. Da wir beide der Meinung sind, dass es wenig mit unserer Beziehung, sondern mit anderen Belastungen zu tun hat, muss ich wohl einfach zusehen, wie er sich damit rumschlägt. Das ist nicht nur deshalb furchtbar weil ich mit ansehen muss wie er sich quält, sondern auch deshalb, weil mein Leben dadurch stark beschnitten wird und nicht zuletzt das unseres Sohnes.
Etwas Einsicht habe ich ja mitlerweile erlangt, aber was bei diesem Trauerspiel meine Rolle sein soll, habe ich noch nicht erkannt. Nach Denkanstössen in dieser Richtung suche ich noch im Forum.

Dina
Caroline1
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von Caroline1 »

Ohje, es wird immer abenteuerlicher " Sünde", "reinigen", "Vorinkarnationen"....
wirklich sehr konkrete Denkanstöße und soooo hilfreich
sewi
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Re: In der Zeitung gelesen / Buchtipp

Beitrag von sewi »

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