wird er jetzt aggressiv?

[08101973]

Mein Partner ist seit zwei Wochen in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik, freiwillig. Nach Monaten versank er immer mehr in seiner Depression und wir wussten uns nicht zu helfen. Im Moment beobachte ich wachsende Aggression an/in ihm. Sicherlich ist es auf so einer Station belastend, da gibt es ja noch mehr Patienten. Er sagt er will nur noch raus da, andererseits mag er sich nicht von allein bewegen, auch nicht allein rausgehen. Ich zweifle langsam, liegt es an den zahlreichen Medis, ist ER es???? Ich höre mir den ganzen Frust an und weiß nicht wie ich ihn positiv unterstützen könnte. Eigentlich war ich ja froh das er da ist. Ich kann ihm nicht helfen. Einerseits belastet es mich stark, andererseits versuche ich los zulassen, ich bin mir sicher in der Klinik wissen sie schon was und warum sie was tun. Ist die aggressive Stimmung Selbsterhalt? Was denkt Ihr?

[Clairedelalune]

Hallo Heike,

von außen absolut unmöglich zu sagen, was in einem Menschen vorgeht. Der Schritt, selbst wenn er freiwillig getan wird, in die Geschlossene zu gehen ist heftig. Aggression überdeckt auch manchmal Unsicherheit, ...aber auch das ist nut Spekulation.

Eigentlich ist dein Partner ja jetzt in fachlich, guten Händen (Ausnahmen bestätigen die Regel),
gib auf dich selbst acht, du kannst auch nur die Verantwortung für dich selbst übernehmen, wenn du sie für deinen Partner übernimmst heißt das ihn zu "ent-mündigen".

LG
Claire

[08101973]

Liebe Claire, ich bin so unendlich dankbar endlich eine Antwort zu erhalten. Ich habe Deine Worte auf mich einwirken lassen und denke: Du hast ja so recht. Danke dafür.
Heute sollte er einen "Urlaub" von der Klinik bekommen. D.h. er sollte ALLEIN sein, allein zu sich nach Hause fahren und dort ein paar Stunden allein sein.
Natürlich hat er sich gestern schon massiv geweigert und verlangt das ich ihn abhole und mit ihm in seiner Wohnung bleibe.
Nach unserem heutigen Telefonat habe ich ihm vorsichtig zu verstehen gegeben das ich ihn heute nicht abholen werden. Ich habe gemerkt das er unter so hoher Medikation steht das er wie unter Alkohol bzw. Drogen steht. Mir ist klar er steht unter Drogen. Er hat gestern Abend so starke Unruhe und Aggression verspürt, dass er sich zusätzliche Tropfen abgeholt hat und selber gedacht hat er wäre betrunken.
Ich habe das Gefühl es geht immer weiter bergab, es ist zum heulen.

[lucya]

Hallo Heike,
Ich kann Dir nur den Tipp geben mit den Behandlern zu reden. Dein Partner wird doch gewiss damit einverstanden sein. Kann er vielleicht auf eine offene Station wechseln? Ich war noch nie auf der geschlossenen Station. Ich kenne nur Horrorgeschichten.

Pass auf Dich auf. Such Dir kompetente Gesprächspartner. Vielleicht auch einen Therapeuten! Das tut gut!

[lucya]

Puh, Heike!
Die Ratschläge der Klinik machen gewiss Sinn! Ich finde es gut, wenn Du konsequent bleibst, auch wenn es hart erscheint.

Mit so hoher Medikation nach Hause?! Hat er gesagt wie die Medis ihn beeinflussen? Ich z.B. kann ne Menge vertragen. Mich hauen auch 2 Tavor nicht um. Andere sind nach einer halben schon groggy.

[08101973]

Er will nicht das ich ohne sein Wissen und auch nicht das ich in seinem dabei sein mit dem Fachpersonal rede, er hat ja so schon nen Verfolgungswahn. (Traurig aber wahr)
Er denkt ihm gehts ja gut und ihm entfällt nach einem Tag völlig, das er am Tag davor ne Zusatzmedikation verlangt hat, weil er Unruhig war und oder aggressive Gefühle in ihm aufstiegen.
In der Klinik gibt es eine Angehörigengruppe. Ich spiele mit dem Gedanken da hin zu gehen, leider ist momentan Urlaubszeit und die Gruppe findet nicht statt.
Wenn es weiter so geht, brauche ich echt einen Therapeuten, mich schrecken nur die langen Wartezeiten ab.
Eins weiss ich, meine Belastungsgrenze ist fast erreicht. Ich versuche in meiner Welt zu leben, mich meinem Kind und meinen Hunden zu zuzuwenden......

[08101973]

Soweit mir bekannt ist: Tavor, 300mg Trevor (Fenlafaxin), Blutdruckmittel und gestern abend 50 Tropfen Atosil.

[08101973]

Am Telefon heut morgen kam er mir vor wie unter Alkohol.

[lucya]

Liebe Erbse,
Das ist sehr schade, dass er nicht möchte, dass Du mit seinen Behandlern redest. Zumindest gemeinsame Gespräche machen Sinn.

Ja, die Wartezeiten sind lang, aber deshalb macht es ja Sinn sich frühzeitig darum zu kümmern. Du kannst Dich auch an Diakonie oder Caritas wenden. Da geht es in der Regel schneller und für eine Beratung sind die gut geeignet. Zumindest habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Angehörigengruppe finde ich sehr gut! Doofe Urlaubszeit!

Die Medikation ist nicht unüblich. Ich stecke das wie nix weg. Ist auch doof!

Sag ihm, dass Du für ihn da bist, dass Du aber auch auf Dich achten musst. Er hat gerade keine Kapazität um auf Dich zu achten. Nimm es nicht persönlich!

[08101973]

Liebe Lucya, danke für Deine geduldigen Erklärungen. Ich bin unendlich dankbar mich mit Jemanden austauschen zu können der weiß worüber ich rede.
Ich denke die Medikation ist durchaus angebracht, leider macht ihn das so.....naja unrealistisch. Vorhin sagte er am Telefon das er Dienstag in der Visite ansprechen will, das er noch nächste Woche raus will. Ich merke er kann nicht klar denken und ich hätte furchtbare Angst um ihn, wenn er in diesem Zustand nach Hause kommen würde. Ich bin mir sehr sicher das die Ärzte dem auf keinen Fall zustimmen. Durch die gestrige Medikation mit den Tropfen ist ihm jetzt total schlecht und der Kopf ist nicht klar.
Es tut so weh den Partner (wir sind über 12 Jahre zusammen)so krank zu sehen. Ich sage dann auch nichts zu seinen Vorstellungen wegen der Entlassung, den schwarzen Peter überlasse ich lieber den Ärzten, sonst ist er nur auf mich sauer und denkt ich will ihn nicht mehr. Oder ist das falsch von mir???

[lucya]

Liebe Erbse,
Das ist bestimmt nicht falsch von Dir. Ich denke da gibt es kein falsch oder richtig. Mir tat mein Partner immer sehr leid. Es muss schrecklich sein wenn der Partner depressiv ist und man nicht an ihn rankommt. Ich lasse dann auch nur bedigt jemanden an mich ran. Aber es ist besser geworden.

Die Medikation, die Dein Partner kriegt ist exakt meine momentane! Ich bekomme aber noch mehr. Damit komme ich endlich gut klar. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich was hatte.

Ich denke auch, dass es Sinn macht, wenn er noch in der Klinik bleibt. Du tust mir echt leid! Bitte vergiss Dich nicht und mach etwas schönes.

Beiss Dich nicht so an der Medikation fest. Hab Vertrauen, dass die schon wissen, was sie tun! Es ist keine absurde Medikation. Aber ich bin ja kein Arzt, habe nur schon ne Menge durch.

[08101973]

Liebe Lucya, Deine Antworten holen mich auf den Boden zurück und beruhigen mich ungemein. Von Herzen - Danke dafür!
Hoffentlich erkennt mein Freund bald das ihm geholfen werden soll, im Moment hält er das alles wohl eher für eine Verschwörung. Mir macht es Mut zu lesen das es Dir gut geht und ich erkenne das ein langer Weg vor uns liegt. Morgen werde ich ihn besuchen und mit ihm für ein paar Stunden nach Hause fahren. Ich bin unsicher bei dem Gedanken, aber ich freue mich natürlich. Ich werde meine Hunde mitnehmen, die haben ihm bis jetzt immer Freude gemacht. Drück mir die Daumen das alles gut läuft.

[08101973]

Ich habe gestern Abend noch mal mit meinem Freund telefoniert. Er war klar im Kopf, also nicht vernebelt von der Medikation. Das Tavor wird zur Zeit ausgeschlichen.
Er zeigte wieder Vernunft und hatte unser Ziel wieder klar vor Augen. Er gab auch zu ab und zu zu jammern, oder gar zu übertreiben was die Klinik anbetrifft, weil er einfach raus wollte. Im Moment weiß er aber wieder für sich, dass das kein Gefängnis ist, sondern der Ort an dem ihm geholfen werden soll. Das hat mir so viel Mut gegeben.
Ich bin gespannt wie der Tag heute verläuft.
Mir ist klar das es ein Auf und Ab ist, für ihn und dann auch für mich, aber ich freue mich über diesen Lichtblick. Er meinte die dunklen Gefühle sind seit einiger Zeit verschwunden, von Suizidgedanken ist er völlig verschont. Er war sogar so motiviert allein einkaufen zu gehen, obwohl ich ihm gestern unser Treffen abgesagt hab. Er hat seinen Mitpatienten Kleinigkeiten mitgebracht. Ich sehe das schon mal als einen großen Schritt in die richtige Richtung. Hoffentlich kann er diese Stimmung lange aufrechterhalten.

[lucya]

Liebe Erbse,
Das freut mich aufrichtig zu hören! Auch Dein Danke in meine Richtung! Das freut mich, wenn ich ein bißchen helfen kann!

Bei mir ist es ja auch ein Auf und Ab, aber ich habe schon viel begriffen und anderen Tipps geben ist immer leichter, als für sich selbst den richtigen Weg zu gehen.

Tiere sind immer gut! Ich bin so froh, dass wir unseren Hund haben. Der hat den Kindern und auch meinem Mann immer viel Halt gegeben!!

Ich denke Zeit und miteinander reden ist bei Euch ganz wichtig! Dein Freund scheint jetzt ja zur Ruhe zu kommen und sich mit den Gegebenheiten abzufinden! Das ist sehr gut, dann kann er sich besser auf die Therapie einlassen.

Bei meinem ersten Klinikaufenthalt war die Scham noch ganz groß. Die habe ich nicht mehr. Es ist für mich eben so, dass ich die Psychiatrie schon mal brauche und ich ermutige jeden diesen Schritt zu gehen, wenn er nötig ist. Ich habe dort sehr viele, sehr tiefe Gespräche geführt. Mit Patienten und Personal. Es hört sich vielleicht doof an, aber diese Zeit möchte ich nicht missen. Und es war teilweise sehr hart. Aber jeder Aufenthalt hat mich weiter gebracht. 40 Jahre habe ich wunderbar funktioniert. Jetzt leiert mein Uhrwerk etwas und braucht Unterstützung.

Und so ist es bei Deinem Freund auch. Ich wünsche Euch einen guten Tag...