Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Antworten
sperare
Beiträge: 13
Registriert: 26. Mär 2013, 16:13

Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von sperare »

Liebe Forianer,

vor kurzem begann ich eine Psychotherapie (TfP) wegen Depression. Der Therapeut ist mir sympathisch, ich selbst eigentlich nicht auf den Mund gefallen, aber trotzdem schaffe ich es nicht, mich zu öffnen und von dem zu erzählen, was mich wirklich bewegt/verletzt hat.

Ich habe das Gefühl, dass meine Probleme zu nichtig sind. Andererseits habe ich Angst vor den Emotionen, die hochbrechen könnten, wenn ich sie doch erzähle ("anklopfen" tun sie bereits - sie wollen sich wohl nicht mehr runterdrücken lassen...).

In der letzten Stunde wollte ich so gern anfangen, davon zu erzählen, verfiel dann aber in Schweigen. Jeder Satz, den ich mehr oder weniger vor mich hin stammelte, war dann doch nur Reden um den heißen Brei.

Kennt ihr das auch, dass man denkt, andere haben noch viel größere Probleme und ich überbewerte meine nur?
Wie kann ich meine Scham überwinden?
Zum Betreff "Ochs vorm Berg": Wie finde ich einen Anfang, um die vielen vermeintlichen "Nichtigkeiten" raus zu lassen?
Was habt ihr für Erfahrungen gemacht? Wie war es bei euch?

Ich freu mich auf eure Antworten, Erfahrungen, Anregungen,...
LG, sperare
Stepha
Beiträge: 47
Registriert: 14. Mär 2013, 20:33

Re: Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von Stepha »

Hallo sperare,
ich kenne das genauso:
Auch ich mache eine tfP. Obwohl ich meiner Therapeutin von Beginn an vertraut habe und mich dort auch wohl fühle, fällt es mir sehr schwer Themen anzusprechen, weil sie vielleicht gar nicht "wichtig" sind.
Irgendwann konnte ich diesen Umstand ansprechen (ca. 20. Sitzung)und bekam die Rückmeldung: "die Seele braucht Zeit um Vertrauen zu fassen". Dieser Satz hat viel Druck raus genommen.

In der Folge hatte ich mir zu jeder Sitzung überlegt, welchen Punkt ich am wichtigsten finde, mich am meisten beschäftigt hat, eine abschätzbare Gefahr darstellt und ich als erstes ansprechen möchte. Das hat nicht immer geklappt, aber immer besser.

Du schreibst, du hättest erst "vor kurzem" angefangen? Vielleicht braucht es noch mehr Zeit.

Tiefenpsychologie "wirkt" ja auch durch die Beziehung zum Therapeuten, in der dann "alte" Muster auferstehen und bearbeitet werden können. Das braucht Zeit.

Letztendlich hat mich meine Seele nun "überholt". Letzten Monat bin ich als Folge einer Sitzung und meinen Interpretationen dazu ziemlich zusammen gebrochen. Um wieder klar zu kommen, musste ich einen Extra-Termin ausmachen. Dabei habe ich vieles direkt ansprechen und dabei so einige Grenzen überspringen müssen.Das hat das Vertrauen weiter gestärkt

Auch wenn ich jetzt im Nachhinein wieder denke: "War vielleicht doch gar nicht so schlimm, hätte ich vielleicht auch allein geschafft...", versuche ich mich dann wieder an das Gefühl dieser Tage zu erinnern und damit erledigt sich die "Nichtigkeit".

Auch wenn mich das deutlich entspannt, in dem, was ich sagen kann und was nicht, werde ich doch in der nächsten Sitzung (nach dann 5 Wochen Pause) wieder mit meiner fröhichen Fassade da sitzen und erstmal wieder versuchen, über meinen Schatten zu springen - aber der Absprung wird jedes Mal leichter.

Das hier ist leider kein Rezept, sondern nur eine erste Erfahrung (weiter bin ich auch noch nicht), aber vielleicht kannst du damit etwas anfangen.

Viele Grüße
Stepha
-----

Hinfallen, aufstehen, Krone zurecht rücken, weitergehen.
aikido_1987
Beiträge: 1133
Registriert: 24. Jul 2011, 20:43

Re: Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von aikido_1987 »

Hallo Sperare!

Ich verstehe was du meinst. Habe auch schon manchmal über meine Therapiegespräche gedacht: "Mensch mit was für Kleinigkeiten ich mich hier beschäftige..." Aber mein Therapeut (Verhaltenstherapie) hat mir nie das Gefühl gegegeben, dass das Kleinigkeiten sind. Er hat mich immer ernst genommen und ist mit mir zusammen die Sachen angegangen, weil es eben für mich keine Kleinigkeiten waren, sondern ernsthafte Probleme.
Sage dir einen Schlachtruf wie z.b.: Ich bin wichtig! Der macht dir Mut. Grundsätzlich kannst du über alles in der Therapie sprechen, was dich beschäftigt. Es gibt kein richtig oder falsch, groß oder klein. Die Therapiestunde ist voll und ganz für dich. Und ja, in der Depression ist es eben so, dass wir uns mit Dingen beschäftigen, die für Außenstehende als "Kleinigkeiten" wirken, aber da stehen wir drüber, weil es keine sind. Du musst das so sehen: Eine Depression wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus, wie z.b. unter Menschen gehen, schlafen, Konzentration u.s.w. Jemand der damit keine Schwierigkeiten hat, beschäftigt sich nicht damit, aber jemand der damit Probleme hat, den belastet es.

liebe Grüße
aikido
sperare
Beiträge: 13
Registriert: 26. Mär 2013, 16:13

Re: Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von sperare »

Hallo Stepha und aikido,

Danke für eure Antworten und Mut machenden Worte!

Mir sind die letzten Therapiestunden immer und immer wieder durch den Kopf gegangen. Wenn ich mal meine Selbstzweifel etwas zur Seite geschoben hab fiel mir schon auf, dass mich der Therapeut doch mehrmals dezent und indirekt ermuntert hat, von meiner unschönen Kindheit zu erzählen. Er hat auch einleuchtend erklärt, dass meine jetzigen Probleme dort begründet sein können.

Aber wie du es schön beschrieben hast, Stepha, muss auch meine Seele vielleicht erst vertrauen fassen. Vor einem solchen Zusammenbruch der Seele graut es mir ebenfalls!

Vielleicht fällt mir das Erzählen über Verletzungen in der Kindheit so schwer, weil ich mich damals damit sehr allein und hilflos fühlte...

aikido, ja, da ist was dran - ich habe wohl wirklich das Gefühl, dass ich mit meinen Problemen den Therapeuten nerven könnte. Ein Teil in mir sagt dann gleich: "Na und? Andere reden bestimmt auch nicht immer nur über weltbewegende und tiefschürfende Dinge und meine Probleme sind sicherlich auch nicht ohne - schließlich bin ich nicht von nichts krank geworden!", aber der andere Teil ist halt voller Zweifel.

Nochmals Dank an euch und ich wünsche euch für euren Genesungsprozess viele gute Erfahrungen und Erkenntnisse!
LG, sperare
Sylvester
Beiträge: 11
Registriert: 25. Jan 2012, 23:21

Re: Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von Sylvester »

Hallo, meine Frau (schwer depressiv und in der Klinik momentan) hat ein Problem, glaubt aber, es mit dem Therapeuten nicht ansprechen zu können, weil sie sich schämt. Was kann ich da machen?
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Der Ochs vorm Berg - oder - Wie sag ich's dem Therapeuten?

Beitrag von Zarra »

Hallo Sylvester,

ich "stolpere" jetzt gerade über Deinen Beitrag. - Und ... konnte Deine Frau das Problem lösen? - Daß ich jetzt sage: "Du könntest sie ermutigen, die Scham zu überwinden", kommt wohl zeitlich gesehen zu spät.

LG, Zarra
Antworten