Sich "outen" Ja oder Nein?

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Kiki22
Beiträge: 40
Registriert: 2. Jan 2012, 23:36

Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Kiki22 »

Hallo in die Runde,

ich melde mich nach langer Zeit wieder zu Wort.
Die letzen paar Monate waren sehr durchwachsen, weder gut noch schlecht. Ich nehme seit einem ca 3/4 Jahr Antidepressiva. Meine Psychaterin meinte ich hätte ein zyklische Depression. Doch nachdem sie meine Tagesaufzeichnungen durchlas meinte sie sie sei sich nicht sicher und hat meine Medis erhöht.
Ich soll mir jetzt ein Psychoterapeuten suchen.

Jetzt mein Anliegen. Ich bin erst 22 und dadurch noch in der Familienversicherung. Die Krankenkasse hat Schweigepflicht da ich volljährig bin. Dennoch habe ich Angst das die Post mal an die falsche Adresse geschickt wird und dann ein Anruf meiner Eltern kommt mit unangenehmen Fragen.

Jetzt mach ich mir ernsthaft Gedanken darüber ob ich mich bei ihnen als depressiv "outen" soll.

Einerseits denke ich mir, sie haben genug eigene Probleme (beide gesundheitliche Probleme,Arbeitslosigkeit wegen Krankheit, dazu finazielle Probleme....Leben läuft nicht so glatt wie es laufen soll für sie)Ich will sie nicht unnötig belasten

Meine Eltern können mir nicht helfen. Sie wohnen 350 km von mir entfernt. Hab die Befürchtung wenn ich es ihnen sagen würde das sie sich einfach den Kopf zerbrechen würden und versuchen würden mir zu helfen (Zieh doch hierher, mach Urlaubssemester usw) was mich unter Druck setzen würde und mir nicht gut tun würden.

Ich und meine Eltern leben in ganz anderen Welten. Meine beste Freundin ist gerade dabei in einer Depression zu rutschen (wir studieren zusammen) und denkt darüber nach das Studium abzubrechen. Als ich das meiner Mutter erzählte meinte sie sie soll sich anstrengen und durchbeissen. Sie konnte es gar nicht nachvollziehen das meine beste Freundin sosehr unter dem Studium leidet.(genau wie ich.Ich krieg so oft zu hören...Studium, das ist doch nur Feiern und saufen....das wir z.T 80Std Arbeitswochen haben, oft Nächte durcharbeiten müssen, und der Umgang mit Dozenten sehr demütigend sein kann, will keiner glauben...Studis sollen sich nicht so anstellen...das innerhalb der letzen 2 Jahre 2 Studis an meiner FH gestorben sind will keiner wahrhaben)

Ich wüsste auch gar nicht wie ich es meinen Eltern erklären soll...wie es ist so zu fühlen (oder auch nicht) so wie ich es tue. Das kleine Aufgaben überwältigend sein können. Die massive Belastung die ich in meiner letzen Bez. ausgesetzt war...
Weiss auch nicht wie ich die Frage "Warum?" erklären soll....

Anderseits habe ich einfach Angst das meine Eltern durch die Krankenkasse da Wind von bekommen und aus allen Wolken fallen....
Das will ich ihnen auch nicht antun.


Weiss echt nicht was ich machen soll.

Wer hat schon ähnliche Erfahrung gemacht?

Bin Dankbar für jede Antwort

Liebe Grüße
Kiki
lolali
Beiträge: 216
Registriert: 29. Jun 2009, 21:06

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von lolali »

Hallo Kiki,

ich bin auch letztens 22 geworden.
Bin depressiv seit ich ende 15 bin, mit der Therapie habe ich angefangen als ich volljährig wurde. Evtl zu spät, wollte aber auch nicht das die eltern davon erfahren.

sagen musste ich es ihnen mit 19 weil ich in die psychiatrie musste.

dachte immer sie wären total verständnislos. aber sie waren nicht total verständnislos, nur etwas ratlos.

naja jedenfalls war für meine mutter, stiefvater und meinen vater das thema depression nach dem klinikaufenthalt vorbei.

jetzt will keiner mehr genaues wissen wie es mir geht. das ich es mit dem arbeiten immer noch nicht auf die reihe bekomme.... gibt ja genug andere gründe wie faulheit oder die bandscheiben-op...


was ich damit sagen will:

wenn du eltern hast für die die krankheit nicht total "verrückt" ist, die verständnis haben - dann sag es ihnen ruhig.

wenn du eltern hast wie meine, lass es, es bringt nicht- sie verstehen dich eh nicht.

meine ganze familie tickt leider so.
jeder hat es ja eh schwer also hat man gar nichts zu melden.

das soziale umfeld, oder soll ich sagen asoziale umfeld hat eh immernoch zu wenig verständnis für die krankheit.

bildet man sich ja alles ein, psycho halt usw. wenn man will dann geht das auch. naja.


wünsche dir viel kraft und hoffe du schaffst das mit deinem studium. deiner freundin auch alles gute!

LG Lolali
Kiki22
Beiträge: 40
Registriert: 2. Jan 2012, 23:36

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Kiki22 »

Hey,

vielen Dank für deine Antwort!
Das was du beschrieben hast klingt sehr heftig...es tut mir leid zu hören das du es so schwer mit deiner Familie hast!
Glaube schon das meine Eltern das als Krankheit und nicht als "total psycho" sehen würden, glaub sie wären nur extrem ratlos...
Und davor habe ich angst, das sie durch ihre Ratlosigkeit falsch handeln und die Lage schlimmer machen...oder sich selbst die Schuld geben...

Weiß eben nicht wie ich das erklären soll...

Nochmal herzlichen danke für deinen ehrlichen Betrag und dir alles Gute!
DYS-
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Registriert: 19. Mär 2003, 17:28
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Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von DYS- »

Hallo Kiki

Also mit dem „outen“ bin ich sehr oft Zwiegespalten und sehr vorsichtig!

Aber ich denke, Deine Eltern sollten wissen das Du in psychotherapeutischen Behandlung bist. Vielleicht brauchst Du auch keine Diagnose benennen.
Erzähle ihnen doch von momentan schwerer Lebenssituation und das Du dich beraten lassen willst, bevor es noch schlimmer wird.

Ich weiß…. Das ist ganz schwer. Ich habe schon alte Eltern und hatte auch riesige Probleme ihnen von meinen psychischen Beeinträchtigungen zu erzählen. Erst mit Hilfe eines Mitforisten habe ich es geschafft. Bin ihm dafür immer noch dankbar!

Vielleicht reagieren Deine Eltern erstmals mit Unverständnis, ist sicher nicht ausgeschlossen. Aber viel schlimmer ist es, wenn die Eltern durch Zufall erfahren, dass Du ihnen Probleme verheimlichst.

Ich weiß auch, dass meine Kinder (23/25/28) mir nicht alles erzählen. Das ist auch richtig so! Wäre aber sehr traurig wenn sie mir verheimlichen das es ihnen nicht gut geht.

Übrigens haben meine Eltern überraschend cool auf mein Outing reagiert. Ich hatte sie auch eher so eingeschätzt das die Psyche für sie nicht existiert und man sich, in ihren Augen, einfach zusammenreißen muss. So war früher auch der Tenor bei uns zu Hause. Nach dem „Outing“ war meine Erkrankung auch nie wieder Thema zwischen meinen Eltern und mir.

Alles Gute wünscht dys
°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°

Gerade weil wir alle in einem Boot sitzen,

sollten wir heilfroh darüber sein,

dass nicht alle auf unserer Seite stehen.
lucya
Beiträge: 1536
Registriert: 4. Aug 2010, 11:39

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von lucya »

Hallo!
Ich bin um einiges älter und kenne trotzdem Deine Befürchtungen. Ich habe es erst nicht gesagt, aber das schon schwierig, als ich zum ersten Mal für vier Wochen krank geschrieben war. Da habe ich dann noch nicht gesagt, dass ich Medis nehme. "Kind, nimm bloß keine Medikamente." Hatte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich schon. Dann war ich in der Psychiatrie und musste das erzählen. Meine Mutter versuchte immer mit mir zu reden, ich mache bis heute zu. Mein Vater hat beruflich damit zu tun und zweifelt nicht an, dass ich krank bin. Aber mehr kommt auch nicht.

Auf Dauer geht das mit dem Versteckspiel nicht und es belastet Dich zusätzlich. Aber nur Du kannst das entscheiden. Meine Mutter macht sich bestimmt tierische Sorgen, aber ich kann nicht reden... das tut mir auch sehr weh.

Denk auch an Dich...

Gruss
Die lucya

_________________________________________

Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwierig!
Merida
Beiträge: 345
Registriert: 2. Sep 2012, 18:43

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Merida »

Als ich die Diagnose schwere Depression erhalten habe, hatte ich große Probleme meinem Mann das zu erzählen, ich habe mir Rückendeckung von der Telefonseelsorge geholt und habe es ihm dann gesagt. Ok, er hat genauso reagiert, wie ich es befürchtet habe, doch als ich ihm meine Ängste mitgeteilt habe, haben wir darüber geredet und es war gut so.

Meine Familie hat es dann 2 Monate später mitbekommen, weil ich in die Psychiatrie eingewiesen wurde und mein Mann alle angerufen hat. Da hatte ich keinerlei Einfluss drauf. Ich hatte danach Angst, irgendjemanden aus der Familie zu besuchen, doch als es mir wieder besser ging, verging diese Angst auch. Die Familie reagiert sehr neutral auf mich, teilweise fragen sie mich wie es mir geht und wenn es mir dann gut geht (und auch nur dann fahre ich dahin) dann sind sie erleichtert.

Liebe Grüße
Merida
nescius
Beiträge: 132
Registriert: 12. Jun 2012, 09:22

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von nescius »

Hallo kiki!

Schwierig.
Aber wenn du ein "normales" Verhältnis zu deinen Eltern hast, würde ich es ihnen berichten.
Erwarte nicht, dass sie es verstehen können. Das können sie nicht. Ich glaube, das kann keiner, der nicht selbst mal diese Erfahrung gemacht hat.
Was möglich ist: Es akzeptieren, dass es so ist (auch wenn sie es sich nicht vorstellen können), man kann es auf der Vernunftebene akzeptieren und damit leben. Ich denke, inwieweit Menschen das können, hängt davon ab, wie empathisch sie sind.
Ich konnte, als ich gesund war, auch akzeptieren, dass Freunde/Bekannte depressiv sind und wenn sie mir sagten, dass etwas nicht geht/sie es nicht können, konnte ich es akzeptieren und es war ok für mich. Auch wenn ich nicht nachfühlen konnte, wie sich dieses "nicht können" anfühlt.
Andere Menschen sind weniger empathisch und ihnen fällt daher diese Akzeptanz schwer.

Ich bin nur wenige Jahre älter als du und hab vor einigen Monaten die Diagnose bekommen.
Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, auch wenn es mir unangenehm war, es ihnen zu erzählen. Ich fühlte mich wie ein Versager.
Sie haben es akzeptiert. Aber beide sagen, sie können es sich nicht vorstellen. Glauben mir aber.

Auch sie haben gesagt, ich könne wieder nach hause kommen (600 km) für eine Weile etc.. Aber sie haben es akzeptiert, dass ich sagte: "Ich ziehe nicht um, weil ich auch lernen muss, hier zurecht zu kommen. Ich kann nicht immer in den 'Wattebausch Elternhaus' flüchten"


Ich glaube auch, dass es schlimmer ist, würden es deine Eltern durch einen (dummen) Zufall erfahren.
Kiki22
Beiträge: 40
Registriert: 2. Jan 2012, 23:36

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Kiki22 »

Hallo,

danke euch für eure Antworten und das ihr eure Erfahrungen erzählt habt.
Ich weiß es wäre sehr heftig für meine Eltern wenn sie durch einen dummen Zufall erfahren würden was mit mir los ist.
Habe auch gerade erfahren das es zur Zeit meinen Vater sehr schlecht geht, viele Schmerzen hat. Glaub meine Mutter leidet da sehr drunter.
Meine Mutter ist sowie der Typ Mensch der oft grübelt und sich Sorgen macht, hat mir grad am Telefon gesagt wie froh sie ist das es mir und meinen Brüdern gut geht.
Ich hab Angst das meine Mutter irgendwann an allem zerbricht. Sie ist eine starke Persönlichkeit, aber irgendwo hat jeder seine Grenzen.

Weiss einfach nicht ob es unverantwortungslos von mir wäre es Ihnen zu sagen. Sie können mir ja nicht helfen (kriegen wegen der Entfernung eh sehr wenig von meinem Leben hier mit)

Danke für eure Antworten, es hat mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben...

Liebe Grüße
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von ndskp01 »

Hallo Kiki, du schreibst:

"Meine Mutter ... hat mir grad am Telefon gesagt wie froh sie ist das es mir und meinen Brüdern gut geht."

Das sagt meine Mutter auf oft, eigentlich immer dann, wenn sie sich tatsächlich bereits Sorgen macht. (Ich habe mich ihr auch immer noch nicht offenbart). Aber frag dich doch mal, ob es für dich (!) gut wäre, offen zu ihr zu sein.

Ich wünsche euch und mir einen guten Tag, geht dieser Tage gar nicht gut bei puk. Ich bin einsam.
nh
Beiträge: 21
Registriert: 27. Nov 2012, 13:50

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von nh »

Liebe Puk,

fühl dich von mir umarmt.

LG Hope
Salvatore
Beiträge: 3868
Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
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Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Salvatore »

Hallo Kiki,

du weißt sicher selbst, dass es "den richtigen" Zeitpunkt nicht gibt - entweder geht es ihnen zu schlecht, dann willst du es ihnen nicht noch zusätzlich aufbürden. Oder aber es geht ihnen gerade so gut, so dass du ihnen das nicht madig machen willst...

Ich fand es auch schwer, mit meinen Eltern Klartext zu reden, weil meine Mutter dazu neigt, sich für alles die Schuld zu geben. Inzwischen geht sie unterschiedlich gut damit um, mal besser und mal schlechter.
Es ist zwar nicht immer leicht (für keinen von uns), aber ich bin froh, dass es nicht zwischen uns steht und so unser Verhältnis belastet.

Ich glaube auch nicht, dass die Entfernung eine Rolle spielt. Meine Eltern wohnen nur zehn Kilometer entfernt und können mir trotzdem nicht helfen.

Lg, Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
ndskp01
Beiträge: 2874
Registriert: 9. Feb 2008, 19:34

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von ndskp01 »

Hope,

vielen Dank, das tat vorhin gut. Jetzt war die Therapiestunde, und die hat mich auch nochmal aufgebaut.

puk
Shivonne
Beiträge: 13
Registriert: 14. Nov 2012, 19:57

Re: Sich "outen" Ja oder Nein?

Beitrag von Shivonne »

Ich habe zu Beginn meine Therapie auch mit dieser Frage gekämpft. Auf der einen Seite habe ich mich verpflichted gefühlt, meine Eltern zu informieren und auf der anderen Seite hatte ich Angst vor ihrer Reaktion bzw. den Fragen und auch davor, sie zu enttäuschen.

Meine Therapeutin hat mir dann klar gemacht, dass es bei dieser Frage überhaupt nicht um meine Eltern gehen sollte, sondern um mich. Wenn es mir hilft, die Situation zu erklären, sollte ich es tun - wenn nicht, dann nicht.

Letztendlich habe ich dann nach mehr als einem halben Jahr Therapie ein Städte-Trip-Wochenende mit meiner Mutter dazu genutzt, über alles zu reden. Spaß gemacht hat das nicht, aber es war ein guter Zeitpunkt und sie hat sehr viel besser reagiert, als ich erwartet hätte. Ich muss aber auch dazu sagen, dass es in meiner Familie einen langen und durchaus positiven Umgang mit psychischen Problemen gibt (was ich aber auch erst erfahren habe, als ich selbst darüber gesprochen habe), insofern mag meine Situation nicht wirklich vergleichbar sein...
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